GdL-1946-04 Ringen um das katholische Menschenbild

GdL-1946-04 Ringen um das katholische Menschenbild

Aus: Das katholische Menschenbild 1946 Rottenmünster

Wir ringen um das katholische Menschenbild. Wir sehen das Krankheitsbild und suchen nach Heilung.

Wo liegt die Quelle allen Unheils? Sie liegt in der Entgöttlichung des Menschen. Die vierte Seinschicht ist beiseite geschoben worden, man hat das Wahre, das Göttliche, das Religiöse aus der Welt entfernt oder auch zu entfernen bemüht. Der Prozeß, an dessen anderen Glied wir uns befinden, begann vor 400 Jahren. Was wir heute erleben ist die Endstruktur der Entwicklung, die Seinsrevolution. Die religiöse Ordnung hat man gestrichen. Es gab eine Zeit in der Menschheit, das Hochmittelalter, da ging jegliche Lehre aus von der Theologie, der Lehre von Gott. Das war eine ausgemachte Sache; Gott ist das Maß der Dinge. Von Gott ging jede Rechtsordnung aus. Man ließ von ihm Licht fallen auf die Menschen. Das Gottesbild bestimmte das Menschenbild und das Weltbild. Es war nicht so, als hätte man sich nicht beschäftigt mit dem Menschen. Es war ähnlich wie heute, man fragte: Was ist der Mensch?

Doch hat man alles nur von Gott aus gesehen. Philosophie und Anthropologie entwickelten fortschreitend die Theorie: Der Mensch ist das Maß der Dinge. Er bestimmt die Geschicke der Welt im Kleinen und im Großen. Nicht mehr die Theologie war vorherrschend, sondern die Philosophie und Anthropologie. Der Charakter von heute ist; man beginnt den Menschen ganz von Gott zu trennen. Als unsere Philosophie anfing, den Theismus zu künden, begann die Lösung von Gott, die Trennung zwischen Gott und Welt. Jahrhunderte hat man gebraucht dazu. Langsam wurde eines nach dem anderen langsam gelockert und gestrichen, bis man anlangte bei der heutigen Apotheose, der Mensch selber wurde vergöttert und vergötzt.

Revolution der göttlichen Ordnung! Weil die Menschheit entchristlicht, deshalb entsittlicht, deshalb entseelt, deshalb entzweit. Auf einer furchtbaren Gottesflucht begriffen ist die ganze Welt.

Ist nicht auch unser Leben auf der Gottesflucht begriffen? Wir sind keine Häretiker der göttlichen Lehre wie des praktischen Lebens. Wir halten an der Theologie fest. Wir glauben, daß Gott die Zügel hält, aber wir glauben nur noch dunkel und stumpf. Wir sehen, daß das furchtbare Gericht über die Völker hereingebrochen ist, aber wir sehen nicht mehr klar, daß bei allem ein Gott dahinter steht. Ein persönlicher Gott, der Gott des Lebens, der Wahrheit und der Liebe. Wie häufig beten wir den Gott der Bücher an, aber nicht den Gott des Lebens. Ihn sehen wir nicht. Aber er steht an der Spitze des Lebens. Ist das unser wirkliches Gottesbild? Nehmen sie einmal einen Schicksalschlag, wir sind ausgebombt – das ist schreiendes Unrecht, aber – dahinter steht der Gott des Lebens – Ihn bete ich an. Denke ich so? Nein, so denke ich nicht! Gott ist von uns mehr und mehr verlassen worden. Wir leben gerne von unserer Dunkelheit. Wie wenig mehr durchdringt das Glaubenslicht unser alltägliches Leben. Wären wir mehr an Gott gehangen, dann wären wir nicht den Diktatoren zum Opfer gefallen.

Aus: Das katholische Menschenbild. Religiös-pädagogische Vorträge von P. Josef Kentenich in Rottenmünster, 1946, 29. April – 1. Mai, Seite 4 – 5