2 Prolog: Eine ungleiche Gesellschaft?

2       Prolog: Eine ungleiche Gesellschaft?

Die Bezeichnung „Laie“, wie er im kirchlichen Sprachgebrauch verwendet wird, ist eine problematische Bezeichnung für die große Masse der gläubigen Menschen, der sich in der katholischen Kirche beheimatet wissen und keine Weihe empfangen haben. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist der „Laie“ ein Nicht-Fachmann, letztlich ein Dilettant in einem bestimmten Fachbereich, der nichts zu sagen hat. – Es ist nicht gerade ein Kompliment als „Laie“ bezeichnet zu werden.

Geht man dagegen auf den biblischen Gebrauch des Begriffs „Laie“ ein, so wird schnell deutlich, dass der Begriff sich von dem griechischen Wort λαός ableitet. Laie ist also, wer zum λαός, dem Volk Gottes, in Abgrenzung zu den ἒθνη, den Heiden, gehört. Damit hat der Begriff von seiner ursprünglichen biblischen Verwendung einen „höchst positiven Bedeutungsgehalt“[1], ist letztlich sogar eine Art Ehrentitel. Die Bezeichnung Laie meint zuerst eine Abgrenzung nach außen, stellt den Gegensatz zu den Nicht-Gläubigen her, ist keine Bezeichnung unterschiedlicher Stände oder gibt eine Rangordnung innerhalb der Gläubigen vor. Dies zeigt sich auch im Bild der Kirche des Neuen Testaments: alle, die den Willen Gottes erfüllen werden „Brüder und Schwestern“ (Mk 3,31-35) genannt. Innerhalb dieser Gemeinschaft aus Brüdern und Schwestern, gibt es aber einige mit besonderen Aufgaben, Charismen und Ämtern. Im Neuen Testament gibt es zur Ausbildung der kirchlichen Ämter unterschiedliche Entwicklungslinien. Es lässt sich aber übergreifend feststellen, dass es in neutestamentlicher Zeit keine Bezeichnung für all jene gibt, die kein Amt oder keine besondere Funktion besitzen, eben Volk Gottes sind.

Aus vielfältigen Gründen wurde das Strukturprinzip Kirche als Volk Gottes durch eine Amtsstruktur überlagert, die eine mit den Jahrhunderten immer größere Bedeutung bekommen hat. Das Amt hat immer mehr Vollmachten in sich vereinigt.[2] Dies führte dazu, dass sich langsam ein Stand von Amtsträgern, den Klerikern[3], herausgebildet hat. Joseph Ratzinger (*1927) weist darauf hin, dass ab dem dritten Jahrhundert die Bezeichnung Bruder oder Schwester nicht mehr als Bezeichnung und Anrede aller im Volk Gottes verwendet wurde, sondern sich nur noch die Amtsträger untereinander so bezeichneten. Seither verstehen sich die Amtsträger als Mitbrüder und die übriggebliebenen Christen werden als „geistliche Söhne“[4] betrachtet. Damit bringt der Begriff λαός nicht mehr die Einheit der Kirche als Volk Gottes zum Ausdruck, sondern wird zu einer soziologischen Größe. Aber die Differenzierung in Laien und Klerus war zunächst noch durch die Gemeinschaft im Glauben geprägt. So waren die Bischöfe von der Gemeinde abhängig und umgekehrt. Die Alte Kirche konnte damit, trotz ihrer beginnenden ständischen Prägung, als Communio bezeichnet werden.[5]

In frühmittelalterlicher Zeit wurde dieses harmonische Verhältnis allerdings durch den Investiturstreit und dessen Auswirkungen in ein Ungleichgewicht gebracht.[6] Das Ende dieser Entwicklung konstatiert Neuner so, dass sich aus der Einheit im Volk Gottes eine in den Machtverhältnissen asymmetrische Zwei-Klassen-Gesellschaft entwickelt hat:

„Die Amtsträger hatten sich zu einem eigenen innerkirchlichen Stand zur ‚Amtskirche’ zusammengeschlossen und übrig blieben die ‚Laien’ als die Nicht-Priester. Auf der einen Seite stehen nun die Amtsträger, die rechtmäßig geweiht sind, die ein Leben nach den Regeln der evangelischen Räte in christlicher Vollkommenheit führen oder führen sollen. Daneben gibt es die breite Masse der Laien, die im ‚Stand der Unvollkommenheit’ leben. Die eigentlichen, rechten Christen sind die Kleriker, vor allem die Mönche. Der Stand der Laien kann letztlich nur noch als Zugeständnis an die menschliche Schwäche akzeptiert werden.“[7]

Letztlich wird der Kleriker als der volle Christ gesehen, der Laie kann dies nur insoweit sein, wie er mit dem Kleriker übereinstimmt. Einen Weg zur Heiligkeit ist für den Laien schwierig, ebenso ein Engagement für die Sendung der Kirche, Apostolat[8] genannt, das aus dem eigenen Christsein selbst erwächst.

Es stellt sich die Frage, ob ein Christ, der sich als defizitärer Christ verstehen muss, sich auch unwürdig sieht, aktiv an der Sendung mitwirken zu können. Dies hat Auswirkungen darauf, wie und ob ein Christ, der nicht geweiht wurde und zum Stand der Kleriker zählt, Verantwortung in der Kirche übernehmen kann und will.

Der Begriff „Laie“ ist diesen ersten Ausführungen nach auch heute noch sehr problematisch und daher mit großer Sensibilität zu verwenden, was auch innerhalb dieser Arbeit so geschehen soll. An einigen Stellen konnte allerdings die Verwendung des Begriffs „Laie“ nicht vermieden werden. Von seinem etymologischen Ursprung her, ist die Bezeichnung „Laie“ ein Würdetitel für das auserwählte Volk Gottes. Soziologische, politische und theologische Gründe haben dazu geführt, dass das Laientum zu einer Art zweitrangigen Form des Christseins geworden ist.[9] Dies gilt es bei der Lektüre dieser Arbeit zu berücksichtigen!


 

[1] Neuner, Peter: Die Stellung des Laien in einem sich wandelnden Kirchenbild. In: Demel, Sabine (Hg.): Mehr als nur Nichtkleriker: Die Laien in der katholischen Kirche. Regensburg (2001), S. 35-56; hier: S. 36.

[2] Vgl. Neuner, Peter: Abschied von der Ständekirche: Plädoyer für eine Theologie des Gottesvolkes. Freiburg (2015), S. 44-60.

[3] Noch heute bedeutet der englische Begriff ‚clerk’, beziehungsweise der französische Begriff ‚clerc’ einen Gelehrten, der lesen und schreiben kann.

[4] Ratzinger, Joseph: Die Christliche Brüderlichkeit. München (1960), S. 65.

[5] Vgl. Neuner: Die Stellung des Laien in einem sich wandelnden Kirchenbild, S. 39-40.

[6] Vgl. Neuner: Abschied von der Ständekirche, S. 62-68.

[7] Neuner: Die Stellung des Laien in einem sich wandelnden Kirchenbild, S.41.

[8] Vgl. Hamm, Heinrich: Art. Apostolat. In: Lexikon des Apostolats: Stichworte verantworteten Glaubens. (Glaube, Wissen, Wirken 18) Limburg (1995), S. 14-19.

Hamm sieht drei Dimensionen in der Sendung der Kirche: (1) Apostolat des Wortes; (2) Apostolat der Heiligung; (3) Apostolat der Liebe (Vgl. Hamm, Heinrich: Art. Apostolat, S. 18-19).

[9] Vgl. hierzu und zum gesamten Abschnitt: Werbick, Jürgen: Art. Laie. In: LThK (32001), Band 6, Sp. 590-592; Zur Geschichte des Laien in der Kirche besonders: Neuner: Abschied von der Ständekirche, sowie Forte, Bruno: Laie sein. Beiträge zu einem ganzheitlichen Kirchenverständnis. München (1987).