CS37-1 CAUSA SECUNDA Text 37/1

CS37-1 CAUSA SECUNDA Text 37/1

Aus: Studie 1949

Nebst der dargestellten verhängnisvollen mechanistischen Trennung zwischen Erst- und Zweitursache ist an diesem tragischen Zustand der philosophische Idealismus schuld, der nach dem Gesetz des Pendelschlages der geistigen Kulturströmungen den extremen Vitalismus geweckt, auf den Plan gerufen und zur Herrschaft hat kommen lassen. Rettung aus beiden kann nur eine Ganzheitsschau, die nach dem Gesetz der organischen Obertragung und Weiterleitung die Spannungs- und Ordnungseinheit herzustellen imstande ist zwischen Religion und Leben, zwischen Erst- und Zweitursache, zwischen Natur und Gnade, zwischen Glauben und Wissen.

Mechanistische Aufsplitterung feinster organischer Lebensvorgänge ist heute allüberall im christlichen Empfinden und Denken zu finden. Das scheint eine geringfügige Kleinigkeit zu sein, muß aber bei Licht betrachtet als Ursache der verheerendsten Wirkungen aufgefaßt werden. Was es bedeutet, wenn letzte Lebenseinheiten zerstört sind, zeigt die furchtbare Wirkung der Atombombe. Eine solche Atombombe im Reiche des geistig-sittlich-religiösen Lebens ist Leugnung oder Nichtbeachtung des Gesetzes der organischen Übertragung und Weiterleitung.

Viel Idealismus, wie er in der liturgischen Bewegung gepflegt wird, erreicht nur ganz ungenügend sein Ziel wegen eingefleischter mechanistischer Auffassung. Aus demselben Grunde dürfte auch in Deutschland die Marienweihe unfruchtbar geblieben sein. Mechanistisches Denken brachte und bringt es nicht fertig, in ihr eine gegenseitige Ganzhingabe, eine Übereignung der ganzen Persönlichkeit zu erblicken. Man blieb und bleibt stehen bei einer bloßen Schutzversicherung. Ganzhingabe – sagt man – darf man bloß unmittelbar Gott gegenüber betätigen, merkt dabei aber nicht, wie ungemein mechanistisch, atomisierend, nivellierend, entleerend, verarmend eine solche Auffassung ist und wie sie der ganzen christlichen Vergangenheit widerspricht. Es ist selbstverständlich, daß auf Grund solcher Einstellung, die nicht einmal eine Ganzhingabe an die Gottesmutter, das höchst-vollendete, rein menschliche Transparent Gottes anerkennt, ein wirklich blinder, willenloser Gehorsam anderen untergeordneten Werkzeugen gegenüber unmöglich erscheint. -(S.13f)-

Zwei Geistigkeiten prallen aufeinander – die organische und die mechanistische – die keinen Weg zueinander finden.

Das Erschrecken wächst, wenn die Erkenntnis aufdämmert, daß wir hier im Kleinen einen Ausschnitt des urgewaltigen geistigen Ringens der Gegenwart vor uns haben, daß die beiden geistigen Arten, die sich begegnen, gegenwärtig im Weltganzen auf Leben und Tod miteinander kämpfen, und daß der Ausgang dieses Kampfes für die Weltlage mehr bedeutet als alle blutigen Waffengänge, ja, daß letztere nur um dieses Ausganges willen sinnvoll oder sinnwidrig sind. So urteilt der Geschichtspsychologe … Der Geschichtstheologe weiß gläubig, daß Gott letzten Endes seinen Heilsplan siegreich durchführt.

Sie (erg.: die mechanistische Denkweise) zerfasert das Leben, reißt es aus seinen letzten, feinsten Zusammenhängen heraus. Sie hat Krankheitserscheinungen des untergehenden christlichen Abendlandes auf dem Gewissen; wird sie nicht überwunden, so stellt sie seiner künftigen Entwicklung eine bedenkliche Prognose. Weil sie kein organisches Ganzheitsgefüge kennt und blind ist, wo es sich um lebendige Zusammenschau von Erst- und Zweitursachen, zwischen Religion und Leben … handelt, hemmt sie den vollen Einfluß der Religion auf das Leben, lähmt dadurch die Widerstandskraft in Klerus und Volk gegen den anstürmenden Kollektivismus, den Todfeind der Kirche in unserem Jahrhundert, wird, ohne es zu wissen und zu wollen, wie bereits hervorgehoben – nach dem Gesetz des Pendelschlages der geistigen Kulturströmungen – sein bester und fruchtbarster Wegbereiter im eigenen Lager. Nach Gottes Absicht soll er die Kirche zwingen zur Oberwindung dieser mechanistischen Geistigkeit im eigenen Schoß und sie weit öffnen und empfänglich machen für Christi Wiedergeburt, für Gott und alles Göttliche. Solange diese Geistigkeit nicht überwunden ist, bedeuten alle Gegenmaßnahmen nichts Durchgreifendes. Im Gegenteil! Sie streuen Sand in die Augen. Sie täuschen über den Abgrund hinweg, der sich für die abendländische Kultur, für die Fruchtbarkeit des Christentums und seine Sendung in heutiger Zeit geöffnet hat. -(S.25f)

Dieses (erg.: das innere Gesicht der Kindlichkeit) kann von zwei Seiten aus betrachtet werden: vom Gegenstand (ratione obiecti) und vom Träger aus (ratione subiecti).

Das katholische Kind, das zum Gebrauch der Vernunft gelangt ist, hat für seine kindliche Haltung, d.h. für seine kindlichen Affekte und Handlungen immer gleichzeitig ein doppeltes Objekt: Gott und dessen irdisches Transparent – Gott und Eltern. Bald steht das eine, bald das andere stärker im Vordergrund des Bewußtseins, immer aber sind und bleiben sie unzertrennlich miteinander verbunden. Das ist genau wie beim christlichen Gehorsam, der die Eltern nie von Gott trennt. Es ist genau, wie nach theologischer Auffassung Gottes- und Nächstenliebe immer miteinander verbunden sein müssen. Die innere Verbindung zwischen Erst- und Zweitursache kann eine habituelle, d.h. ein selbstverständlicher Dauerzustand sein. Sie kann eine virtuelle und eine aktuelle sein. Alle Formen wirken zusammen, damit die Grundhaltung immer dieselbe bleibt.

Das Gesetz das diesem Vorgang zugrunde liegt, ist das Gesetz der organischen Übertragung und Weiterleitung. Beide zusammen nennt man das große Weltregierungsgesetz. Danach überträgt Gott Rechte und Eigenschaften – in diesem Falle einen Teil seiner väterlichen Schöpfermacht und Güte – auf andere. Er tut es aber vorzüglich im Interesse des Kindes…, bleibt also nicht bei den Eltern stehen. Er sieht, beabsichtigt, berücksichtigt und liebt in ihnen und mit ihnen das Kind. Umgekehrt überträgt das Kind seine Pflichten, die es Gott gegenüber hat: Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam, auf die Eltern, gleichzeitig aber in ihnen und durch sie auf Gott. Bliebe Gott bei den Eltern, blieben die Kinder bei den Eltern stehen, so hätten wir das Gesetz der mechanischen Übertragung … Das widerspricht dem Weltregierungsgesetz.

Wie ersichtlich, ist im Gesetz der organischen Übertragung immer und allezeit das Gesetz der organischen Weiterleitung einbegriffen: sowohl bei Gott als auch beim Kinde. Trotzdem spricht man noch eigens vom Gesetz der organischen Weiterleitung per eminentiam, wenn man nicht so sehr im Menschen Gott, sondern mehr Gott im Menschen sieht und liebt, wenn der Mensch aus dem bewußten Seelenleben mehr – aber nicht ganz – zurücktritt, ohne daß jedoch das seelische Ineinander irgendwie gestört wird. Es handelt sich nur um eine andere Seite desselben Lebensvorganges. Kindliche Gottesliebe nimmt die Eltern immer mit hinein in Gott – auch in der visio beata. Diese ist nicht nur ein geheimnisvolles seelisches Ineinander zwischen Gott und Seele, sondern auch zwischen Seele und Seele in Gott. Ähnlich wie die poena damni nicht bloß im seelischen Gegeneinander zwischen Mensch und Gott besteht, sondern auch zwischen Mensch und Mensch … So tief und innig sind Gott und Mensch … Gottesbild und Menschbild … Gottesliebe und Menschenliebe … Gotteshaß und Menschenhaß … miteinander verbunden.

Der innerseelische Vorgang, der durch das Doppelgesetz treffend wiedergegeben ist, orientiert sich an der Theologie und Philosophie.

Was Bibel und Dogmatik vom Verhältnis zwischen Gottes- und Nächstenliebe lehrt, gilt in gleicher Weise – weil es sich um einen konkreten Sonderfall handelt – von Gottes- und Elternliebe. Die Werktagsheiligkeit faßt alles Wesentliche darüber kurz zusammen: …… (Seite 230f / 179)

Die Philosophie kleidet das Weltregierungsgesetz in die kurze Form: Deus operatur per causas secundas. – Wie und weil Gott durch Zweitursachen zu wirken pflegt, weil er uns auch durch Zwischendinge und Zwischenwerte an sich ziehen will, darum spricht man von einer Reiz-, Weiterleitungs- und Enttäuschungsfunktion von Dingen und Menschen. Bonaventura nennt alles Geschaffene manutergium Dei, Augustinus nutus Dei. Das sind Grundwahrheiten, die als tragfähige Grundlage angesprochen werden müssen für eine brauchbare Weltpriester- und Laienaszese. … Die Werktagsheiligkeit gibt den Grund dafür an:

„Wer draußen lebt, kann den Geschöpfen, den Dingen nicht ausweichen. Auf Schritt und Tritt begegnet er ihnen. Er ist ihren Einflüssen stärker ausgesetzt als Ordensleute und soll sie selbst wiederum beeinflussen und gestalten. Darum ist die prophetische Dinggebundenheit eine der wichtigsten Forderungen für den Werktagsheiligen in der Welt.

Es ist also bloß ein Teil, vielleicht der geringere Teil echter prophetischer Dinggebundenheit, wenn die Geschöpfe uns an Gott und Göttliches erinnern; sie müssen und sollen auch gleichzeitig unser Herz und unsern Willen für Gott gewinnen.“ (Seite 162f / 125f)

Das Doppelgesetz gibt der christlichen Familie strahlenden, übernatürlichen Glanz, herzliche Wärme, sicheren Halt und ewige Dauer. Liebe, die nicht ganz in Gott gegründet ist und zu ihm zurückflutet, zerbricht und erstirbt mit der Zeit: aus dem seelischen Ineinander wird langsam, aber sicher ein seelisches Neben- und letzten Endes ein Gegeneinander. Das Heim wird zum Kosthaus …, zur Kaserne …, zur Räuberhöhle …, zur Hölle. Daraus schließe man, daß es sich hier nicht um Kleinigkeiten handelt, sondern um wesentliche Lebensfragen, um Rettung des Abendlandes. Alle Einsichtigen sehen in Erneuerung der christlichen Familie die dringendste Zeitaufgabe. Wer die geschilderten, feinsten Lebensvorgänge nicht sieht und gar leugnet, ist ein Zerstörer der Familie, ein Totengräber und kein Geburtshelfer des christlichen Abendlandes.

Wie bei jeder christlichen Nächstenliebe verhält es sich auch mit der Kindesliebe. Man liebt Gott im Menschen und den Menschen in Gott. Gott ist also und Gott bleibt der Gegenstand der Kindesliebe in allen Stadien, solange sie christlich ist.

Das Doppelgesetz läßt uns katholische Heiligenverehrung richtig verstehen, gläubig beurteilen und ehrfürchtig werten. Sie ist Ausdruck und Mittel – niemals aber Gegner – echter tiefer Gottesverehrung. Das ist nur da der Fall, wo die Übertragung eine rein mechanistische ist. Das darf aber beim katholischen Volk niemals angenommen werden, auch dann, wenn es nach außen so scheint. Ich weiß nicht, wie es manchen deutschen katholischen Volksführern zu Mute wäre, wenn sie südamerikanische Frömmigkeit an Ort und Stelle studieren dürften, wenn sie die weit, weit ausgebreitete, alles überwuchernde Heiligenverehrung von Volk und Führern, von Klerus und Laien auf sich wirken ließen. Sie würden sich wahrscheinlich schütteln, alles als fragwürdig finden, wenn nicht gar als Götzendienst erklären. Und doch ist das nicht der Fall. Das Doppelgesetz gibt uns den Schlüssel zur Erklärung in die Hand. Das Volk denkt und empfindet organisch. Es ist nicht verbildet…

Besonders helles Licht fällt durch dieses Gesetz auf die Marienverehrung. Weil Gott seine Eigenschaften in denkbar höchstem Grade auf das negotium saeculorum übertragen hat, auf das opus Dei, quod omnia alia opera Dei maxime antegreditur (Bernhard v. Clairvaux), ist es selbstverständlich, daß warmblütige katholische Kindesliebe in ähnlicher Weise ihre Gottes-liebe in Form einer Hochverehrung auf sie überträgt, um so sicherer wieder in ihn einmünden zu können.

Von hier aus dürfte die communicatio idiomatum alles Anstößige verlieren.

Katholische Frömmigkeit ist ganz und gar auf Ganzheit eingestellt. Sie denkt, liebt und lebt immer organisch… Organische Denkweise ist allein fähig, sie ganz in sich aufzunehmen und heilbringend zu lehren. Mechanistische Art ist stets in Gefahr, zu fälschen und in Irrtum zu führen, „Häretiker des praktischen Lebens“ zu werden – zu großem Schaden für die unsterblichen Seelen, für Kirche und Vaterland… In Zeiten, wo ein mechanistisches Welt-, Gesellschafts- und Menschenbild einen unvorstellbar großen Siegeszug durch die Welt antritt, kann sie nicht ernst genug genommen werden… Sie raubt dem Katholizismus die Lebensfülle und Widerstandskraft, die er im Kampf mit dem Weltfeind dringend notwendig hat. Wenn hier nicht zeitig eine umfassende und tiefgreifende Reform einsetzt, fällt das Abendland der drohenden Katastrophe zum Opfer… Die nächsten vier fünf Jahre dürften den Beweis dafür nicht schuldig bleiben…

Mechanistische Denkart ist ein trauriges Erbe des philosophischen Idealismus, das sich in religiöser Verbrämung in vielen sonst anerkennenswerten Strömungen – ich denke an manche Zweige der liturgischen Bewegung – festgesetzt hat und ihre volle Durchschlagskraft mindert. Es gibt katholische Volksführer, die für sich persönlich organisch denken, lieben und leben, in ihrer Lehre sich aber – um Übelstände im christlichen Raum abzustellen, oder aus anderen Gründen – so mechanistisch geben, daß ihre Gefolgschaft schweren Kämpfen entgegengeht. Deren Seele ist nicht mehr so urwüchsig und gesund, daß sie eine falsche oder zweifelhafte und einseitige Lehre ohne bedenklichen Schaden vertragen kann. Es gibt Erzieher, die sich lustig machen über Kreuzweg und Rosenkranz, ihn aber selber treu beten, wie sie es von Kindheit an gelernt. Ihre Schüler übernehmen nicht die Praxis des Betens. Sie nehmen nur die abfällig Kritik mit…

Mechanistisches Denken löst sich vom Leben. Tritt es formend hinein ins Leben, so zerstört es das Leben. Wie Klages in seiner Philosophie die Konsequenz gezogen hat aus den Folgen des philosophischen Idealismus, wie er den früher angebeteten Geist als Todfeind des Lebens gebrandmarkt und so den Vitalismus auf den Plan gerufen hat, so wird sich mechanistisches Denken in religiösen Kreisen mehr und mehr als Feind gesunden, katholischen Lebens ausweisen, es wird dem religiösen Irrationalismus und betäubenden Mystizismus den Weg bahnen und dem Bolschewismus ohne sonderliche Widerstände zum Opfer fallen. Es ist anerkennenswert, wenn die „Verkündigungslehre“ hier Wandel schaffen will. Damit ist aber das übel nicht in der Wurzel gefaßt und ausgehoben… -(S.134-140)-

vervielfältigt/Wachs, 191 Seiten A4, S.13f; S.25f; S. 134-140 ***