Ja, in der russischen Seele steckt tatsächlich ein ausgesprochener Unendlichkeitsdrang. Hätten wir das nicht schon vorher gewußt, so hätten wir es heraushören müssen aus allem, was die heutige Feier uns gegeben hat. Wie endlos sehnsüchtig klang alles, was Herz und Ohr in sich aufgenommen hat! Dazu kommt – ich sage das wiederum mit einem Seitenblick auf die Steppe – ein großes Stück Jenseitsorientierung und Weltentrückung. Wer die Steppe kennt, der fühlt: das Irdische will und muß dort mit der Zeit wegfallen von der Seele und alles im Menschen drängt, ähnlich wie in der Steppe, nach oben. Haben wir nicht auch diese Weltentrücktheit aus den langgedehnten Feiern der östlichen Liturgie herausgehört? Römische Liturgie faßt sich kürzer. Sie ist, ähnlich wie die westliche Seele und das westliche Denken, mehr diesseitsorientiert. Sie ist stärker lebensnah, lebensformend und lebensgestaltend.
Hier mag wohl der Ansatzpunkt sein, wo die östliche und westliche Welt sich berühren und sich gegenseitig ergänzen können und sollen. Der Orient hat keinen hl. Thomas gekannt, der seine Sendung darin erblickt, das Jenseitig-Obernatürliche in die diesseitige Welt hereinbrechen zu lassen und Erst- und Zweitursache in Lehre und Leben in eigenartig tiefer Weise miteinander zu verbinden. Von hier aus ist verständlich, weshalb das abendländische Christentum ständig in Gefahr schwebt, ob seiner irdischen Lebensnähe fast die Jenseitsnähe zu verlieren.
gedruckt in: Maria Zeichen der Einheit für Orient und Okzident, (hrsg. von den Schönstattpatres o.J.) S.28f
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