EK2004-40 – Hirt und Herde sind Volk Gottes

EK2004-40 – Hirt und Herde sind Volk Gottes

Aus: J. Kentenich, Exerzitien für den Verband der Schönstattpriester in Würzburg, 21.-25.11.1966.

Hintergrund ist natürlich auf der ganzen Linie die frühere Auffassung der Kirche von sich selber. Wenn wir sagen, sie sieht sich heute primär – so muss ich das Wort wohl beifügen – als Volk Gottes, dann heißt das gegenüber der früheren Auffassung: dorten hat sie sich gesehen als hierarchisch gegliedert. Da hat sie sich gesehen in voller Gegenüberstellung: hier die Führenden, die leitende Kirche, und dort die geleitete Kirche. Das ist besonders stark seit Konstantin dem Großen. Wir wissen ja, dass kraft göttlichen Rechtes die Kirche eine hierarchische Einstellung kennt, eine hierarchische Struktur, also einen Teil der Kirche, der primär Führungsfähigkeit, Führungsaufgabe hat. Durch Konstantin den Großen ist in die Hände des Episkopates auch per eminentiam die fürstliche Macht, die Staatsmacht hineingelegt. So haben wir also im Laufe der Jahrhunderte eine Hierarchie vor uns, die in einzigartiger Weise mit Macht ausgestattet war. …

Wir wollen also festhalten, dass es verständlich ist, in welchem Ausmaße die kirchliche Hierarchie der Gefahr des Missbrauches der Macht ausgesetzt war.

Nun inzwischen in der ganzen Weltgeschichte ein starker demokratischer Zug. Man hebt ja wohl hervor: durch die Französische Revolution sei dieser demokratische Zug auf den Schild erhoben worden. Und dem passt sich nun die Kirche bei der Selbstzeichnung an. Sie sucht einen Generalnenner, auf den beide Gliederungen zurückgeführt werden können: die Regierenden und die Regierten. Und der Generalnenner lautet: Volk Gottes!

Damit soll aber nicht gesagt sein, die Kirche wollte auf ihre hierarchische Struktur verzichten. Sie hebt nur das Gemeinsame wieder stärker hervor. Was ist das Gemeinsame? Hirt und Herde sind Volk Gottes. Gott steht über allen, und was alle miteinander verbindet, Hirt und Herde, das ist der Charakter des Volkes Gottes.

Wenn Sie einmal achten, was ansonsten auf dem Konzil als Leitlinie ausgegeben worden ist, dann werden Sie finden, dass diese Linie auf der ganzen Seite nach allen Richtungen immer wieder betont wurde. Deswegen auch die Gottesmutter, trotz ihrer Privilegien, will in derselben Leitlinie gesehen, beachtet und betrachtet werden, auch als Glied des Volkes Gottes. Sicher, das ist so stark betont worden, dass da und dort sogar sich eine gewisse Gefährdung bemerkbar machte bei der vollen Rechtfertigung der Stellung der Gottesmutter im Volke Gottes. Man hat zwar allgemein zugegeben: wo es sich um das Volk Gottes schlechthin handelt, da steht die Gottesmutter an erster Stelle. Aber dass sie darüber hinaus auch eine Mittlerstellung zwischen Gott und Volk Gottes eingenommen, dass sie darüber hinaus auch gleichsam einen Globus für sich, eine Welt für sich darstellte, dass sie darüber hinaus – um jetzt in der Terminologie des Konzils zu sprechen – nicht nur das vollendetste Glied der Kirche, der mater ecclesia, sondern auch mater ecclesiae ist und immer bleibt, war sogar vorübergehend in Gefahr, erkannt und anerkannt zu werden.

Sehen Sie, von diesem demokratischen Zug, den die Kirche in ihrer Wesensart entdeckt und stärker betonen will, dass von hier aus auch der Ausdruck Partnerschaft eine besondere Bevorzugung gefunden, liegt alles im selben Gedankengang. Oder der Gedanke der Bruderschaft, der Schwesternschaft, der Gliedschaft liegt alles in derselben Linie. Wir müssen nur festhalten: hier geht es um eine Akzentverschiebung, um eine stärkere Betonung, nicht als wenn es sich hier um etwas Neues, nie da Gewesenes handelt. Und wenn der Akzent nunmehr stärker auf das Volk Gottes gelegt ist, heißt das nicht, all das andere, was die Kirche früher von sich selber gesagt, existiert nicht mehr.

Im übrigen dünkt es mich, sollten wir uns wohl der heutigen Terminologie anpassen, aber nichts hineinlegen, was nicht darinnen liegt. Wenn also heute von Partnerschaft die Rede ist untereinander oder von Brüderschaft untereinander: das ganze Volk Gottes ist also durch das Band der Partnerschaft und Brüderschaft miteinander verbunden, so heißt das wahrhaftig nicht, darf nicht heißen wollen: es gäbe also keine Vaterschaft mehr.

Mich dünkt, schier umgekehrt müsste man sagen: im Ausmaße als Brüderschaft, Schwesternschaft, Partnerschaft betont wird, müsste auch die Vaterschaft betont werden. Wir sind ja gerade deswegen Brüder untereinander, Schwestern untereinander, Partner miteinander, weil wir denselben Vater haben. Ob es sich jetzt um Vaterschaft in der übernatürlichen oder auch um Vaterschaft in der natürlich-übernatürlichen Region handelt.

Wenn ich hier einen Augenblick innehalten darf, dann meine ich eine Lanze brechen zu müssen im Sinne der Vaterschaft zugunsten der Brüderschaft, zugunsten der Partnerschaft. Wie wir als Glieder einer einzigen großen Familie immer in Gefahr schweben, Extreme einseitig zu betonen, so auch hier. Ich meine, ich müsste so sagen: Gesunde Vaterschaft schließt in sich all das, was man heute sagen will mit Partnerschaft. Gesunde Vaterschaft.

Aus:
Peter Wolf (Hrsg.)
Erneuerte Kirche in der Sicht Josef Kentenichs
Ausgewählte Texte
Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de