EK2004-30 – Uridee in sich wandelnden Formen

EK2004-30 – Uridee in sich wandelnden Formen

Aus: J. Kentenich, Terziat für Pallottinerpatres in Bellavista/Santiago, Chile, 1951.

Wir stehen am Ende einer 500 jährigen Entwicklung. Der Herrgott will die Kirche an ein ganz neues Ufer führen. Er hat seine Absicht mit der Entwicklung der Kirche. Normalerweise sucht er diese Absicht zu erreichen durch die Gegner. Vielleicht sind wir zu stark an alte Formen gebunden, sodass der Geist nicht genügend wirken kann. Auch die Kirche hat, bei aller Achtung vor der Autorität, als Träger Menschen. Utamur haereticis! (Augustinus) Die Kirche ist in einer gewissen Revolution, die wir alle miterleben, wissen aber noch nicht recht, wohin es geht.

Wie sieht die kommende Zeit aus, für die wir noch gar keinen Namen haben? Wie sieht die Kirche aus am anderen Ufer? Antwort kann ein Metaphysiker geben und ein Prophet. Der Metaphysiker, der sich bemüht, die Kirche zu sehen in ihrer wesentlichen Substanz und in ihrer historischen Form. Welche Formen sind als ewige gedacht, welche sind wandelbar? Der Metaphysiker löst zunächst einmal ideenmäßig die Prinzipien aus den historisch gewordenen Formen, kündet mit großer Inbrunst die alten Gedanken, wartet dann ab, was von den alten Formen beibehalten wird und welche neuen Formen sich bilden. Gott will die Kirche in ein ganz neues Stadium hineinführen. Hier kann der Metaphysiker eine Antwort geben, der vorsichtig alles auf alte Prinzipien zurückführt, wartet, bis daraus neue Formen entstanden oder die alten Formen wieder beseelt und tragfähig geworden sind.

Der zweite, der eine Antwort geben kann, ist der Prophet, d.h. der Mensch voller Gottergriffenheit, Sendungsergriffenheit und Zeitergriffenheit. Wir sowie alle strebsamen Gemeinschaften sind darauf angewiesen, aus einer klaren Ideologie zu leben. Dabei sind wir angewiesen auf Rückwärtsorientiertheit d.h. Traditionsgebundenheit, da es sich ja um einen objektiven Einbruch handelt. Wir müssen allerdings auch sehen, wie das Alte eine neue Form annehmen muss. Die Kirche muss heute stärker als bisher ihre Aufgabe in der Neuzeit sehen. In der Sprechweise des Hl. Vaters werden Sie diese Prinzipien immer wieder finden. Von hier aus ist auch die Parole zu verstehen, die seit mehr als 20 Jahren umgeht: Enteuropäisierung der Kirche, das ist Besinnung auf das Überzeitliche. Die Kirche ist bereit, Formen abzustreifen. Von hier aus verstehen wir: Nationalisierung der Kirche: einheimischer Klerus, Missionsmethoden. Die Kirche lässt heute z.B. Japan, China, Korea Kultdinge zu, für die früher Tausende ihr Leben gegeben. Sie ringt darum, sich zu lösen von alten und zeitbedingten Formen. Wenn der Herrgott eine Sendung gegeben, gilt die Parole: Wachet auf und wecket einander. Dann müssen wir sogar den Mut haben, da und dort ins Dunkel zu springen.

Ein anderer Ausdruck: Entterritorialisierung der Kirche. Morgen, ja, heute schon gibt es keine Abstände mehr. Was man heute drüben hustet, das pustet man morgen hier. Die Kirche muss in irgendeiner Form sehen, wie sie sich der Zeit anpasst und das Überzeitliche hinüberrettet. Es gibt keine gesicherten katholischen Territorien mehr. Selbst im Ordensleben ist keine chinesische Mauer mehr zu ziehen. Fast mag es einem Angst werden, die Dinge so in ihrer krassen Deutlichkeit zu sehen. Und wir leben zwischen beiden Stühlen, an den Ausläufern der Zeit, die elementar ringt um eine neue Form. Die Ausdrücke: Entpolitisierung und Entmaterialisierung gehören hierher. Die Kirche ringt darum, sich von den zeitbedingten Formen zu lösen, hält fest an der Uridee, ruft sie hinaus, aber lässt neue Formen entstehen. Es hat also einen Sinn, wenn wir uns neu orientieren.

Aus:
Peter Wolf (Hrsg.)
Erneuerte Kirche in der Sicht Josef Kentenichs
Ausgewählte Texte
Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de