So folgen wir denn sehr gerne der Ermunterung, der Mahnung der Hirten, wie wir sie eben im Evangelium (Lk 2,1-14) vernommen haben: Laßt uns hineilen nach Bethlehem, um aufzunehmen, was sich dort ereignet; um zu sehen, aufzunehmen, was der Herr uns gesagt hat! Und was hat der Herr gesagt? Was hat er durch die Engel verkündigt den Hirten? Sie sollten hingehen nach Bethlehem, dort fänden sie ein Kindlein, in der Krippe liegend, das ist der Gott. Der Gott also – Gott in Windeln. (…)
Gott in den Windeln! Was ist das für ein furchtbares, ein erschreckendes, kaum (zu) fassendes Geheimnis: Gott in den Windeln! Der Ewige, der Unendliche – von dem der heilige Johannes singt: von Ewigkeit ist er gewesen, Gott von Gott, Licht vom Licht (vgl. Joh 1); von dem wir wissen: er ist der Mittelpunkt der Heilsgeschichte und der Weltgeschichte; ja, von dem Johannes der Täufer uns zu sagen weiß: vor mir ist er gewesen, nach mir wird er kommen, und ich bin nicht würdig, seine Schuhriemen aufzulösen (vgl. Mk 1,7): der unendliche Gott – in Windeln. Wir mögen wohl verstehen, wie ein solch eigenartiges Ereignis gleich von Anfang an die Menschen in eine Unruhe versetzt hat; in eine Unruhe, die heute fortdauert, die fortdauern wird bis zum Ende der Zeiten. Unruhe – zum Teil ist das eine heilige, zum Teil eine überaus unheilige Unruhe.
Eine unheilige Unruhe. Ja wir brauchen uns nur zu erinnern an die Reaktion eines Herodes. Kaum hört er von einem Gott in Windeln, da sinnt er darauf, das Kind in den Windeln zu morden. Mordgelüste. Und nachdem er durch göttliche Fügung es nicht fertigbringt, den Gott in den Windeln zu töten, erfolgt der furchtbare Kindermord. Unruhe geht von der Krippe aus, unheilige Unruhe. Eine kritische Unruhe von den Priestern der damaligen Zeit, von den Schriftgelehrten. Kritisch überprüfen sie, was denn wohl in der Heiligen Schrift zu finden ist von diesem Kinde. Sie kommen nicht damit zurecht. Unruhe. Diese doppelte Unruhe hat sich im Laufe der Jahrhunderte bis heute immer wiederholt.
Darüber hinaus aber auch eine heilige Unruhe. Eine heilige Unruhe, wie sie in der Sehnsucht, in der ständig wachsenden Sehnsucht nach Verbindung mit dem Gott in den Windeln lebendig geworden ist und immer wieder neu lebendig wird. Wir finden diese Unruhe, die heilige Unruhe, auch im Stalle zu Bethlehem: teils im Herzen der lieben Gottesmutter, teils im Herzen des heiligen Josef. Wir finden diese Unruhe bei den Hirten: Sehnsucht nach Gott, nach dem Gott in den Windeln, treibt sie ja von der Arbeitsstätte hinein in den Stall. Sehnsucht, heilige Sehnsucht, heilige Unruhe treibt auch die drei Weisen aus dem Morgenlande hin zur Krippe.
Wenn wir nun fragen, andächtige Zuhörer: Wie sieht denn die Unruhe aus, die in unserm Herzen lebendig wird, wenn wir den Gott in den Windeln vor uns sehen? Der heilige Apostel Paulus, der uns ja so häufig Wegweiser ist für unser katholisches Denken, sagt einmal das klassische Wort – er denkt dabei an den Heiland als Gottmensch, an den Heiland, wie er gestorben ist, also an Gott in den Windeln und an Gott am Kreuze -: Den Juden zum Ärgernisse, den Heiden ist ein solcher Gott eine Torheit. Ja so hören wir es sogar gleich am Anfange der christlichen Zeit. Einer der ersten Häretiker, Marcion mit Namen, schüttelt den Kopf, erklärt glattweg: Ich will keinen Gott in den Windeln, ich will einen Gott der Herrlichkeit, einen Gott der Machtentfaltung! Da haben wir es wieder: Den Heiden eine Torheit, ja den Juden ein Ärgernis, uns aber, den Erwählten, ist dieser Gott in den Windeln und dieser Gott am Kreuze ein Erweis unendlicher göttlicher Weisheit und unendlich(er) göttlicher Macht (vgl. 1 Kor 1,23f.). Noch einmal die Frage, andächtige Zuhörer: Wie sieht die Unruhe hin zur Krippe, hin zu dem Gott in den Windeln, bei uns aus? Ich meine, wir dürften uns auf die Seite der lieben Gottesmutter, der Hirten stellen. Ich meine, wir dürften sagen, dieser Gott in den Windeln entschleiert uns auf der einen Seite in wundersamer Weise das Antlitz Gottes, das Gottesbild, und auf der anderen Seite das Menschenbild. Das sind ja die beiden Bilder, mit denen wir uns nunmehr Woche für Woche beschäftigt haben: Gottesbild und Menschenbild.
Ja wie sieht denn das Gottesbild aus, das uns entgegen leuchtet aus der Krippe? Gott in den Windeln! Da wird Gott entschleiert als der Gott einer unfaßbar göttlich-barmherzigen Liebe, als der Gott einer unfaßbar göttlich-herablassenden Liebe und einer überaus unfaßbar weisen göttlichen Liebe. (…)
Die Liebe, die der Gottmensch uns hier zeigt – Gott in den Windeln -, das ist eine überaus herablassende Liebe. Es ist nicht etwa nur so, daß er die menschliche Natur annimmt, also die Herrlichkeit des Himmels verläßt, Mensch wird. „Et Verbum caro factum est!“ (Joh 1,14: Und das Wort ist Fleisch geworden.). Er nimmt eine leidensfähige menschliche Natur an. Leiden will er können, leiden will er dürfen. Er nimmt eine überaus hilflose menschliche Natur an, die Natur eines Kindes. Und wir wissen, es dauert nicht lange, da nimmt er sogar die Gestalt des Brotes an. „Et exinanivit semetipsum“ (Phil 2,7) – so hören wir deswegen den Apostel Paulus summarisch wiederum bekennen -, er hat sich gleichsam vernichtigt, erniedrigt bis zum äußersten. Eine herablassende Liebe. Und mit dieser menschlichen Natur, leidensfähigen, hilflosen Natur, hat er alle Situationen durchgekostet, die die menschliche Natur bis zum Ende der Zeiten nur irgendwie auskosten darf und muß. Dahinter steckt ja das große Gesetz: Was von der menschlichen Natur des Gottmenschen nicht aufgenommen wird, nicht aufgenommen worden ist, das wird nicht erlöst. Und die Wirkung dieser endlosen Erniedrigung, die Wirkung dieser endlosen Herablassung? Gott in den Windeln, später Gott am Kreuze.
Erschienen in:
Joseph Kentenich
Christus mein Leben
Ausgewählte Texte zum Christus-Jahr 1997
Herausgegeben von Günther M Boll, M. Pia Buesge, Peter Wolf
Patris-Verlag Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de
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