GdL-1966-08 Das große Problem der heutigen Zeit

GdL-1966-08 Das große Problem der heutigen Zeit

Aus: Ansprache vor Schönstattpriestern in der Marienau – 04. August 1966

Sehen Sie, von hier aus gesehen, sollten wir und dürfen und müssen wir eigentlich konstatieren, daß Keime hineingesenkt sind in den Mutterboden unserer Familie, Keime, die bei der Entwicklung notwendig hinstreben mußten zum Vatergott. Wenn wir uns noch einmal erinnern, aus welcher Erkenntnisquelle wir allezeit getrunken – Antwort ist uns ja geläufig: das ist der praktische Vorsehungsglaube. Nicht wahr, Vorsehungsglaube an sich assoziiert notwendig als Partner, wenn es sich um einen göttlichen Vater handelt, den Vatergott. Das ist ja der Vater, der an sich der Träger, vielmehr der Träger des Vorsehungsglaubens ist. Wenn wir nun dazunehmen, dazurechnen, wie stark heute der Vorsehungsglaube gefährdet ist, und weil gefährdet, deswegen auch wie stark heute die Ablehnung ja sogar eines persönlichen Gottes und, (das) wissen wir, eines Vatergottes ist, dann spüren wir abermals, wie wir nicht nur den Wurzelboden unserer Familie einigermaßen durchackern, daß wir aber auch gleichzeitig den Wurzelboden der heutigen Kultur tiefer und tiefer zu erfassen trachten (müssen).

Das große Problem der heutigen Zeit, was ist das? Wie heute – ja (schon) die ersten Jahre unseres Zusammenseins haben wir davon gesprochen -, das ist auf der einen Seite die kosmische und die anthropologische Kälte der heutigen Menschheit und auf der anderen Seite der Gott des Lebens. Der Gott also, der die Fäden des ganzen Lebens, der großen Heilsgeschichte und meiner persönlichen Lebensgeschichte unlösbar in seiner väterlichen Hand hält. Vergessen wir bitte nicht – obwohl auch darin heute ein Wandel, ja ein Gestaltwandel am Werden ist -, vergessen wir (das) nicht! Gläubig ist das natürlich schwer, gläubig zu erfassen, meinetwegen den eucharistischen Heiland, also den Gott der Eucharistie, oder den Gott unseres Herzens. Das ist selbstverständlich (schwer) für den Geist, natürlich fällt das dem Geist außergewöhnlich schwer. Was aber für die Gestaltung des praktischen Lebens ungeheuer hart und schwer ist, das wissen wir: bei all den unverständlichen Tatsachen, die uns berühren, bei all den Grausamkeiten des heutigen Lebens, bei all den Ungeheuerlichkeiten, denen wir ausgesetzt sind, nunmehr zu glauben, daß die Hand, die uns rüttelt und schüttelt, daß die Hand, die uns zerzaust und zerzausen läßt durch Zwischenursachen, durch Zweitursachen, wirklich eine Vaterhand ist! Der Gott des Lebens ist heute das große Geheimnis! Sie ahnen das, wissen das, haben das erfahren, wenigstens zum Teile, zum geringeren oder größeren Teile: Wenn der heutige Mensch einmal anfängt zu fragen: Kann ich nicht das Leben mit seinen Ungeheuerlichkeiten auch, vielleicht noch besser, erklären, als wenn wir keinen persönlichen, zumal keinen persönlichen Vatergott anerkennen?, dann fängt der Baum des Glaubens an, (an) der Wurzel schwach zu werden. Das ist einfach das große Geheimnis, das große Problem, uns wieder in die großen Wahrheiten hineinzuführen, daß der Vatergott auch die Fäden meines Lebens, die Fäden der Heils- und Weltgeschichte festhält, auch dann, ja besonders dann, wenn das unerklärlich ist und scheint.

Wie häufig haben wir uns früher mit der Gedankenwelt dieser Wahrheit beschäftigt, daß Vaterhand immer eine warme Hand ist! Aber daß diese Vaterhand uns gemeiniglich nicht unmittelbar rührt und berührt, sondern daß sie, bildlich gesprochen, nicht selten, ja fast gewöhnlich eiserne Handschuhe anzieht. Und wie sehen diese eisernen Handschuhe für mich aus? Wie heißt das im Bild? Alle die Zweitursachen, Geschöpfe, welcher Art sie auch sein mögen … Weshalb? Der Vatergott tut das. Seine warmen Hände, väterlichen Hände aber sind verborgen in eisernen Handschuhen.

Und worin besteht deswegen unsere große, überaus große Aufgabe? Dafür zu sorgen, daß wir frommgläubig in diesen und hinter diesen eisernen Handschuhen die warme Vaterhand Gottes entdecken. Durchsichtigmachung! Durchsichtigmachnung alles Geschöpflichen, Durchsichtigmachung auch letzten Endes dieser eisernen Handschuhe.

Weshalb kreise ich nun so lange um diese Dinge herum? Um das große Problem der heutigen Zeit einsichtig zu machen. Worin besteht das größte Problem? Ach, das ahnen wir schon (und) wissen wir wohl auch aus der Seelsorge. Was wir gemeiniglich, wenigstens wir Älteren, immer am gewöhnlichen, einfachen Volke konstatieren durften: Der Vorsehungsglaube, der wurzelt am allerstärksten im einfachen Volksglauben. Deswegen die große Aufgabe, hier anzuknüpfen; die große Aufgabe, wie überhaupt in der gesamten Seelsorge, den Ansatzpunkt zu finden. Was müssen wir pflegen? Mir kommt es ja nur darauf an, uns zu Bewußtsein zu bringen, wie selbstverstänlich es für uns sein müßte, (für) unsere Familie – nachdem nun einmal der Vorsehungsglaube die Wurzel, der Wurzelboden unserer ganzen Erkenntnisquelle, Erkenntnisquelle für die Planung, für Wollen und Wünschen Gottes ist -, daß das naturgemäß in entsprechender gesunder Entwicklung (die) Familie radikal hinführen mußte, hineinführen mußte in das Herz des Gottes des Lebens.

Weil ich schon einmal über diese Dinge plaudere und dieweilen es ja auch für uns, wenn wir so beieinander sind, von großer Bedeutung ist, daß wir die Weltkonstellation, die Umorientierung (und) Umakzentuierung im heutigen geistigen Ringen einigermaßen verstehen, lassen Sie mich jetzt in diesem Zusammenhange darauf hinweisen, wie vielfach heute (ein) eigenartiges Gottesbild – auch dorten, wo der Gott des Lebens wahrgenommen wird – am Werden ist. Man sagt dafür ja wohlgelehrt: Man sieht heute den lebendigen Gott im Menschen. Was ist das für eine Linie? Die waagerechte. Gott im Menschen. Selbstverständlich entspricht das auch unserer katholischen Auffassung. Weil man aber heute die senkrechte Linie übersieht – das ist also die Hingabe an einen überzeitlichen Gott, das ist die Hingabe an einen persönlichen Gott, der über allem steht und alles in der Hand hält -, der Glaube ist mehr und mehr am Schwanken, zumal in den gelehrten Kreisen. Folgerung: Dafür, daß der heutige Mensch, die heutige Menschheit die Zweitursachen, die insgesamt … zwischen uns und der Erstursache sich bewegen -, daß der heutige Mensch auf dem Wege ist, sich selber als Schöpfer, als Schöpfer der Schöpfung aufzufassen. Zum großen Teile (ist das) auch wahr. Er ist Schöpfer, er wandelt die Schöpfung um. Und wie hat er sie umgewandelt! Folge davon: Senkrechte Linie ist am Schwinden. Folge davon: Gott des Lebens – ach nein. Das ist hier rechts und links Gott im Menschen. Zu groß die Gefahr, daß dieser Gott im Menschen voraussetzt den Atheismus oder den Materialismus.

Sie spüren also wiederum, von welcher Bedeutung das ist, wenn wir sagen, uns sagen lassen: (die) Familie ist in hervorragender Weise patrozentrisch eingestellt. Ich muß aber noch einmal wiederholen: Weshalb patrozentrisch? Weil sie marianisch eingestellt ist. Darum abermals: Wenn wir von marianischem Maximalismus in der Familie sprechen, wollen wir das nicht nur nicht leugnen -. (Sie) verstehen, was das heißt: Weil marianischer Maximalismus, deshalb christomystischer und patrozentrischer Maximalismus. (Das) sind Dinge, sind Wahrheiten, Zusammenhänge, in die wir uns tiefer und tiefer hineindenken und hineinleben müßten, schon allein (deshalb), damit wir nicht etwa – wie so viele Lehrer, auch Bischöfe, heutigen Tages – fliehen vor einer marianischen Tiefe, vor einem marianischen Maximalismus aus der Furcht, wir wären nicht modern genug. Halten wir das einmal fest, was wir früher so häufig in alten Zeiten haben lehren dürfen: Ohne marianische Einstellung werden wir niemals eine entsprechend gesicherte christomystische und patrozentrische Einstellung unser eigen nennen.

Aus: Ansprache vor Schönstattpriestern in der Marienau  –  04. August 1966