Lassen Sie mich hier wieder einen Augenblick stehenbleiben. Darf ich Sie daran erinnern, daß der praktische Vorsehungsglaube einen wesentlichen Bestandteil unseres Familiengeistes darstellt? Er ist von Anfang an seine lebendigste Grundform und hochragendste Zielgestalt gewesen. Bewußt oder unbewußt hat die Familie wieder und wieder den Vers aus »Himmelwärts« gebetet: »Wir kennen nur ein einzig Sehnen: führ’ uns nach deinen weisen Plänen[12].« Ob es nicht der Mühe wert ist, gerade in der jetzigen Situation sich darauf zurückzubesinnen? Schon die Gründungsurkunde weist auf diese Grundform nachdrücklich hin. Sie kennen den klassischen Text: »Wer die Vergangenheit unserer Kongregation kennt, dem wird es nicht schwer, zu glauben, daß die göttliche Vorsehung noch etwas Besonderes mit ihr vor- /
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hat[13].« Noch deutlicher kehrt diese Haltung im Inscriptio-Gebet Josef Englings wieder. Er betet: »Wenn es sich jedoch mit deinen Plänen vereinigen läßt, laß mich ein Opfer sein für die Aufgaben, die du unserer Familie gestellt hast[14].« Dieses Tasten und Suchen nach der göttlichen Planung, das sorgfältige Horchen auf Gottes Wünsche und das freudige Gehorchen ist allezeit das charakteristische Merkmal der Familie gewesen. Darum nennen wir auch die »Botschaft vom praktischen Vorsehungsglauben« schlechthin die Botschaft Schönstatts.
Müßten wir nicht im gegenwärtigen geistigen Wirrwarr um Wachstum und Mehrung und um Sicherstellung dieser Gnade bitten? Man hat sie unser Charisma genannt. Wir haben allen Grund, dieses Wort uns anzueignen. Haben wir in den verflossenen Jahren um Liebesbündnis und Werkzeugsgedanken gekreist, so dürfte nunmehr die Frage am Platze sein: Sollte die neue Jahresparole nicht auf den praktischen Vorsehungsglauben abgestimmt sein? Unsere Oktoberwochen pflegen sich auf die Grundkräfte unserer Familiengeschichte zurückzubesinnen. Darunter nimmt der Vorsehungsglaube wahrhaftig nicht den letzten Platz ein.
Schon lange habe ich unsere Hochschule gebeten, es möchte nebst dem Fachmann der Bündnistheologie[15] ein anderer Theologe erstehen, der seine Lebensaufgabe darin erblickt, die Providentia divina in theologisch /
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exakter Weise und in Anwendung auf Zeit- und Weltgeschichte, nicht zuletzt auf unsere Familiengeschichte, zu künden. Im übrigen fällt es leicht, mit Hilfe des Vorsehungsglaubens die ganze Geschichte der Familie von Anfang bis zum Ende neu zu sehen, lebendig in sich aufzunehmen und als Antrieb zu tatkräftiger Mitarbeit auszuwerten.
Bald sind es zehn Jahre, daß Pater Eise im Konzentrationslager sein Leben der lieben Gottesmutter für die Familie geschenkt hat[16]. Wir haben ihn früher gern mit einem Seitenblick auf eine geschichtliche Persönlichkeit den »Trommler der MTA« genannt[17]. Es ist leicht, auch in seinem Leben den praktischen Vorsehungsglauben als Grundform und Zielgestalt nachzuweisen. Ähnliches gilt von allen anderen Heldensodalen. Auch alle anderen Strömungen und Wünsche lassen sich unschwer im praktischen Vorsehungsglauben einfangen.
Zur Organisation Schönstatts
[[18]] Wenn wir an unser Organisationsnetz denken, unterscheiden wir gern den jetzigen Stand und die Endform. Letztere meinen wir vor allem, wenn wir vom Leitbild der Familie sprechen. Die augenblickliche Organisationsform entspricht bis in alle Einzelheiten der göttlichen Planung für hier und jetzt. Wie die Weiterentwicklung aussehen soll, hätten wir unter normalen Verhältnissen dem »Gesetz der geöffneten Tür« zur Entscheidung /
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überlassen. Durch Eingreifen des Heiligen Offiziums erhielt die Entwicklung eine Beschleunigung. Das Generalstatut gibt uns die allgemeinen Linien an, die das Heilige Offizium verwirklicht sehen möchte.
Dem Kenner der Verhältnisse leuchtet ein, daß die dadurch angedeutete Endform sich in sehr vielen Punkten in der Katholischen Aktion wiederfindet und wiederfinden muß. Der Grund dafür liegt darin, daß sich hüben und drüben Gleichheit des Zieles mit der Gleichheit der Grundlage verbindet. Die Gesetze in der menschlichen Natur und Gemeinschaft sind ja im wesentlichen dieselben; und Menschen und Gemeinschaften sollen ja die Träger der großen Aufgaben sein. Wenn Aufgaben und Träger im großen und ganzen die Organisation wesentlich mitbestimmen, so verstehe man die Ähnlichkeit der beiden Institutionen. Bei uns wird der Apparat komplizierter durch den Einbau eigengesetzlicher Körperschaften – ich denke an die Pallottiner und an die übrigen Verbände. Die dadurch bedingten Unterschiede in der Seinsstruktur rechtfertigen eine Akzentverschiebung im Kräftespiel der Organisation. Dasselbe trifft zu, wenn wir an unser originelles letztes Organisationsprinzip denken, das wir so ausführlich dargestellt haben. Die Anwendung stößt deswegen auf besondere Schwierigkeiten, weil wir ja nicht nur eine Eigengesetzlichkeit in uns und unter uns, sondern auch eine vielgestaltige Gliedhaftigkeit gegenüber dem hierarchischen Organismus berücksichtigen müssen. Hier liegt auf die Dauer das verwickeltste Problem.
Pallotti hat sich schon dagegen verwahrt, der Leitung der Bewegung ein kirchliches Amt im eigentlichen Sinne des Wortes zuschreiben zu wollen. Er empfand – ähn- /
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lich wie wir – die Schwierigkeit der Harmonisierung zwischen Hierarchie und maßvoll eigengesetzlicher Bewegung mit ihrer Zentrierung. Vielleicht ist dem deutschen Episkopat die Organisation der Katholischen Aktion in romanischen Ländern weniger geläufig; so dürfte sich seine »Scheu vor einem so weit verzweigten Ding« erklären.
Wir unsererseits müssen festhalten: Es mag gut sein, wenn wir jetzt bei Festlegung der Organisation auf der Hut sind. Wir wollen auch die wesentlichsten Belange der einzelnen Gliederungen nach dem Spannungsgesetz retten helfen. Meine persönliche Meinung jedoch geht dahin: Auf ein bißchen mehr oder weniger kommt es nicht an. Vorausgesetzt, daß keine unheilbaren Strukturfehler begangen werden, die eine Durchblutung des ganzen Organismus unmöglich machen, ist und bleibt die Hauptsache: der machtvoll flutende Lebensstrom aus unserem Heiligtum. Den müssen wir eifersüchtig bewachen, sorgfältig pflegen und nach allen Richtungen hin verteidigen. Eine mangelhafte Organisation mit reichem Leben kann besser existieren als eine vollendete Organisation mit schwindsüchtigem Leben. Das beweist nicht nur die Geschichte der Katholischen Aktion, [[19]] sondern auch anderer Verbände und Vereine.
Aus: Joseph Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts. I. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 242 S. – www.Patris-Verlag.de
[12] Himmelwärts, Neuwied 1945, 14. In diesem Büchlein sind Gebete zusammengefaßt, die P. Kentenich im Konzentrationslager Dachau für die dortigen Schönstatt-Kreise verfaßt hat.
[13] Schönstatt, Die Gründungsurkunden, 24.
[14] H. Schulte, Omnibus omnia, Lebensbild einer jugendlichen Heldenseele aus Schönstatts Gründungstagen, Limburg ²1937, 372. Im Urtext heißt es: »… die du unserer Kongregation gestellt hast.« Die Hervorhebung stammt von P. Kentenich.
[15] Gemeint ist P.H.M. Köster SAC.
[16] P. Albert Eise war seit dem Ersten Weltkrieg Mitarbeiter P. Kentenichs. Er starb am 3.9. 1942 in Dachau an Hungerruhr.
[17] M. Becker hatte über Adolf Kolping einen Roman mit dem Titel “Der Trommler Gottes” geschrieben, Paderborn 41948.
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