Es sind zwei große, geheimnisvolle Wahrheiten, die wir in uns tragen, die wir verkörpert erleben: Gotteskindschaft und Christusgliedschaft. Beide bedingen einander. (…)
Durch das Geheimnis der Christusgliedschaft, in das wir durch die Taufe hineingezogen werden, das durch jede heilige Messe in einzigartiger Weise erneuert und vertieft wird, nehmen wir seinsgemäß – das ist jetzt das Wichtigste – teil am leidenden und verklärten Heilandsleben. Es besteht eine geheimnisvolle seinsgemäße Zweieinheit zwischen uns und dem Heiland. Wodurch? Durch das Geheimnis der Taufe, das seine Vollreife erfährt, wie es die Lehre der Liturgischen Konstitution erneut wiederholt, in der Teilnahme nicht nur am leidenden, sondern auch am verklärten Heilandsleben. (…)
Christusgliedschaft, im Glauben erfaßt, weist uns zunächst hin auf die übernatürliche Erfassung des Urtriebes der Kindlichkeit. Wenn wir uns als Kinder des Vaters auffassen, können wir auf den Urtrieb in unserer Natur zurückgreifen, das ist der Kindlichkeitstrieb. Das ist in sich schon etwas Großes, aber das allein reicht nicht. Beim Christen wollen alle Triebe „getauft“ werden, so auch hier. Dadurch, daß wir seinsgemäß in die Teilnahme am Kindsein des Eingeborenen hineingehoben werden, wird der Kindlichkeitstrieb übernatürlich gefärbt, mehr noch: er wird ganz und gar in die übernatürliche Sphäre hineingehoben. Meine Kindlichkeit darf also nicht nur eine stark oder stärker gefärbte natürliche Kindlichkeit sein – das soll sie auch sein, aber sie will immer mehr gesehen werden als emporgehoben in die jenseitige, übernatürliche Wirklichkeit, in eine Welt also, die der heutige Mensch, auch der heutige Christ, kaum noch recht kennt. Also der Kindestrieb wird durch die Gliedschaft emporgehoben in die übernatürliche Wirklichkeit. Ich nehme dadurch in geheimnisreicher Weise an der Sohnschaft, an der Kindschaft des Heilandes dem Vater gegenüber teil. So ist der Begriff „Kind des Vaters“ umfassend, er schließt eine ganze geheimnisreiche Welt in sich.
Ein Zweites: Hier finden Sie letztlich auch die Erhebung des Triebes zur Mütterlichkeit oder zur Väterlichkeit in die übernatürliche Ordnung begründet.
Drittens: Die Gliedschaft erhebt den Jungfräulichkeitstrieb oder das Jungfräulichkeitserlebnis in die jenseitige, übernatürliche Welt und Wirklichkeit.
Darf ich wenigstens kurz in Erinnerung rufen, was das bedeutet? Der Vater- oder Muttertrieb steckt in der Natur, in der Natur des Mannes beziehungsweise in der Natur der Frau. Dadurch, daß wir am Leben des Heilandes teilnehmen, dadurch, daß wir Glieder am Leibe des Heilandes werden, ist unser Verhältnis zum Vater neu geordnet. Wir sind übernatürlich in die Sohnschaft des Heilandes hineingegliedert, und damit ist die Grundhaltung zum Vater neu fundamentiert. Wenn wir den Eingeborenen nachahmen wollen, wenn Christus in uns leben soll, dann muß seine Sohnschaft, seine Kindschaft in einzigartiger Weise in uns leben.
Wenn Sie einmal überlegen, worin denn nun eigentlich unser originelles Heilandsbild fundiert ist und wie es aussieht, dann haben Sie hier eine Teilantwort: in seiner Grundeinstellung dem Vater gegenüber. Das ist unser spezifisches Heilandsbild.Um eine vollgültige, allgemein gültige Antwort zu geben, die allerdings jetzt nicht hierher gehört: Darin haben wir auch das Grundverhältnis zu seiner Mutter – aber die Mutter hier gesehen als Symbol für das Kreatürliche schlechthin: auf der einen Seite das Kind, der Sohn des Vaters, und auf der anderen Seite der gute Hirt, der sich in einzigartiger Weise verschenkt an seine Mutter als Symbol für das Verschenktsein an uns alle. – Wir müssen diese Gedanken tiefer durchdenken, auch durchbetrachten, nicht nur, weil dann eine natürlich-übernatürliche Grundhaltung in uns vertieft wird, wir verstehen auch einander besser.
Erschienen in:
Joseph Kentenich
Christus mein Leben
Ausgewählte Texte zum Christus-Jahr 1997
Herausgegeben von Günther M Boll, M. Pia Buesge, Peter Wolf
Patris-Verlag Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de
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