Welt

Welt

Maria Freitag

1. Biblisch
2. Spiritualitätsgeschichte
3. Neuzeitliche Entwicklung
4. Zweites Vatikanisches Konzil
5. Weltsicht und Weltverständnis P. Kentenichs

1. Biblisch

Nach der Heiligen Schrift ist die Welt Schöpfung Gottes. Als solche ist sie Zeugnis seiner Größe, Weisheit und Liebe und ihrem Ursprung und Wesen nach gut. Andererseits unterliegt sie dem Einfluss des Bösen. So kann sie die Gottesbeziehung des Menschen gefährden. Durch dessen Schuld und Unglaube ist sie verwundet und gleichzeitig in Gegnerschaft zu Gott (Genesis, Paulus, Johannes).

Im Neuen Bund wird die Trennung zwischen Gott und der Welt grundsätzlich und ein für allemal überwunden. In seiner Inkarnation hat Gott sich in unüberbietbarer Weise für die Welt entschieden, sie bleibend angenommen und gleichzeitig in ihrer Eigenwertigkeit anerkannt.

2. Spiritualitätsgeschichte

Das Verhältnis von positiver und negativer Sicht der Welt wurde im Laufe der Kirchengeschichte deutlich hin zur negativen Sicht verschoben. Durch die Inkulturation des Christentums in den hellenistischen geistigen Raum verbanden sich weltkritische biblische Gedanken mit denen einer dualistisch geprägten Philosophie und Weltauffassung. Das führte in der Folge zu einer teils ängstlichen, teils aggressiven Haltung der Weltverneinung, Weltdistanz und Weltflucht. Nachfolge Jesu wurde weithin gleichbedeutend mit Verlassen der Welt, Flucht aus der Welt und deren Versuchungen. Da entsprechende Voraussetzungen nur für Ordensleute gegeben waren, entwickelte sich ein Zwei-Stände-Denken mitsamt einer Zwei-Stufen-Spiritualität. Wer hinter Mauern der Welt entsagte, galt im Vergleich mit dem Laienchristen, der naturgemäß stärker der Welt zugewandt war, als höher stehend, als Gott wohlgefälliger.

3. Neuzeitliche Entwicklung

Ein gewisser Dualismus verstärkte sich noch, seit im Laufe der Neuzeit die Wissenschaften sich immer mehr verselbständigten und den Menschen in Anwendung ihrer Forschungsergebnisse zum Aufbau einer durch Technik bestimmten Sekundär-Welt befähigten. Anstatt die in der Schöpfung angelegte relative Autonomie der irdischen Wirklichkeiten ins rechte Licht zu rücken und zur Erkundung freizugeben, wehrte sich die Kirche weithin gegen die Emanzipation der Wissenschaften aus der zu engen Umklammerung durch die Religion und allen Vorgaben eines Glaubens an Transzendenz. Statt die Christen zu ermutigen, die Herausforderung von Schöpfung und Evangelium anzunehmen und die sich wandelnde Welt dynamisch und produkiv mitzugestalten, brachte sie durch einseitige Warnungen und Verurteilungen nicht wenige in die Konfliktsituation einer inneren Gespaltenheit.

4. Zweites Vatikanisches Konzil

Die Erkenntnis der wachsenden Kluft zwischen Kirche und Welt, zwischen Glaubens- und Welterfahrung veranlasste Papst Johannes XXIII. zur Einberufung eines Konzils (1962-1965), dessen zentrales Thema das „Aggiornamento“, das Heutigwerden des Glaubens, der Dialog der Kirche mit der Welt wurde. Wie revolutionär sein Anliegen war, zeigt die Genese des bis heute bekanntesten Konzilsdokuments, der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ über die Kirche in der Welt von heute. Dass die Kirche, die sich selbst als Teil der Welt verstehen lernte, die proklamierte Öffnung zur Welt in der nachkonziliaren Zeit nicht hinreichend leistete bzw. deren Auswirkungen nicht genügend bewältigte, hat viele Gründe, führte aber zu einer neuen Krise. Immerhin ist das Bewusstsein gewachsen, dass die Kirche wie der einzelne Christ in der Freiheit der Kinder Gottes der Welt begegnen könne und solle. Die Welt ist ihm von Gott gegeben und aufgegeben (>>Kirche).

5. Weltsicht und Weltverständnis P. Kentenichs

P. Kentenich begrüßt die Konstitution des Konzils über das Verhältnis von Kirche und Welt und bezeichnet sie als „Magna Charta“ der durch das Konzil zu erneuernden Kirche. Seine Überzeugung, dass vieles noch in den Anfängen steckt und dass das Konzil „aufgehört hat, wo es hätte anfangen müssen“, minderte nicht seine Dankbarkeit für die erfolgte indirekte Bestätigung seines eigenen Denkens und Wirkens. In einer Zusammenfassung der wichtigsten Linien seiner Spiritualität, wie er sie Ende 1965 in Rom formuliert, sieht er alle Getauften als „Weltchristen“ mit einem je spezifischen Auftrag in der Welt. Sein zusammenfassender Imperativ ist: „Weltfähig werden!“

Von entscheidender Bedeutung für das Weltverständnis P. Kentenichs ist die von ihm weiterentwickelte und pädagogisch wirksam gemachte >>Zweitursachenlehre, wie sie Thomas von Aquin in Rückgriff auf Aristoteles entfaltet hat. Ihre Kernaussagen fasst er in den >>Weltgesetzen zusammen. Besonders zentral ist seine Lehre von der >>Werktagsheiligkeit und dem natürlichen und übernatürlichen >>Bindungsorganismus. Der von ihm formulierten Spiritualität liegt die Einsicht zugrunde, dass alles Welthafte – sei es unmittelbar von Gott geschaffen oder durch den Menschen mittels der ihm eingeschaffenen Fähigkeiten hervorgebracht – zum Ort der Gottesbegegnung werden kann. Es besitzt sowohl einen Eigen- wie einen Symbolwert (>>Symbol) und ebenso eine auf Gott hinweisende zweitursächliche Funktion. Besonders im >>Praktischen Vorsehungsglauben ergibt sich ein konkreter religiöser Umgang mit der Welt: „Gott suchen und finden in und hinter allen Dingen, Menschen und Ereignissen“ und ihm jeweils durch seins- und sachgerechtes Verhalten die Antwort der Liebe geben. Populär ausgedrückt: Es gilt, „überall die Leiter anzulegen und Gott auf deren Spitze zu sehen“. Wo und wenn Christen sich bemühen, die Anforderungen aus „Sein, Zeit und Seele“ zu beachten, nehmen sie mit der Eigengesetzlichkeit des Geschaffenen auch den Willen des Schöpfers ernst. Als Werdewelt hat der Gott des Lebens dem Menschen seine Schöpfung anvertraut, nicht als Fertigprodukt. Durch Alltagsheiligung soll er selbst zur Werktagsheiligkeit gelangen. Die >>Arbeit ist Teilnahme an der schöpferischen Tätigkeit Gottes.

So entschieden sich P. Kentenich „von den ewig Gestrigen“ und ihrer nostalgischen Verklärung des Vergangenen absetzt und Kirche und Welt am „neuesten Zeitenufer“ im Blick hat, so nachdrücklich wendet er sich auch gegen jede „Verweltlichung“ und „Weltseligkeit“. Er betont: Wer „in, aber nicht von der Welt sein“ will, muss sich auf das spannungsreiche, immer neu auszubalancierende Kräftespiel von rechter Weltbejahung und Weltdistanz einlassen und sich um die gesunde Mitte zwischen „weltflüchtig“ und „weltsüchtig“ bemühen. Um die gottgewollte Weltdurchdringung durch das Evangelium zu erreichen, sollte er „in der modernen Welt ganz zuhause“ und zugleich ein „Fremdling“, ein „Einsiedler“ in ihr sein. Die Dinge richtig sehen, gebrauchen und genießen gehört nach P. Kentenich ebenso zu einer welthaften >>Aszese wie das richtige Beherrschen und Verzichten. Für die notwendige „prophetische Ding- und Menschengebundenheit“ ist es P. Kentenich wichtig, zu sehen, dass Gottes Weisheit allem Geschaffenen neben ihrer „Reizfunktion“ auch eine „Enttäuschungs- und Weiterleitungsfunktion“ eingeschaffen hat.

Im Wissen um die Eigenart des Zusammenwirkens von >>Natur und Gnade kann er nicht genug betonen, dass das Engagement für eine christliche Weltgestaltung zwar unerlässlich ist, die Weltvollendung aber nicht menschliche Leistung, sondern Gottes gnadenhaft geschenkte Tat sein wird: „Heimholung der Welt durch Christus im Heiligen Geist zum Vater“. Der eschatologische Vorbehalt wirkt in mancherlei Hinsicht relativierend, auf die Bereitschaft zur Hingabe an Gott aber eher radikalisierend.

Schaut man auf die von P. Kentenich gegründete weltweite Bewegung, die beitragen möchte, dass die Kirche Seele auch der modernen Welt sein kann, so fallen im innersten Kern die >>Säkularinstitute auf. Sie wollen die spirituelle Sicht P. Kentenichs und in dieser besonders auch deren welthafte Dimensionen auf exemplarische Weise verdeutlichen. Inmitten der Welt und mit den Mitteln der Welt wollen sie sich einsetzen für ihre religiös-sittliche Erneuerung und Gestaltung.

>Psychologie der Zweitursachen, >>Werktagsheiligkeit, >>Zweitursache.


Literatur:

  • M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit. Ein Beitrag zur religiösen Formung des Alltags, Limburg 1937 (1964) – Vallendar-Schönstatt 1974
  • J. Kentenich, Marianische Werkzeugsfrömmigkeit (geschrieben 1944 in Dachau), Vallendar-Schönstatt 1974
  • J. Kentenich, Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, Vallendar 1970, 196 S.
  • J. Kentenich, Oktoberwoche 1967. Vorträge vom 14. bis 18.10.1967 an die Delegierten der internationalen Schönstattfamilie, verv.O, A 5, 223 S.
  • CS
  • Der neue Weltauftrag der Kirche, Regnum 24 (1990) 131-135.
  • G. Boll, Weltnahe Spiritualität, Regnum 27 (1993) 8-16
  • A. Menningen, Christ in welthafter Existenz, Vallendar-Schönstatt 1969
  • G. Pollak, Der Aufbruch der Säkularinstitute und ihr theologischer Ort, Vallendar-Schönstatt 1986, 172 ff.
  • H. Schlosser, Der neue Mensch – die neue Gesellschsaftsordnung, Vallendar-Schönstatt 1971.
  • K. Lehmann, Vom Dialog als Form der Kommunikation und Wahrheitsfindung in der Kirche heute (Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 17), Bonn 1994
  • J.B. Metz, Weltverständnis im Glauben, Mainz 1965
  • ders., Zur Theologie der Welt, München 1968.
  • Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“
  • Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam, 1964, besonders Teil 3
  • Johannes XXIII., Enzyklika „Pacem in terris“, 1963.

Schönstatt-Lexikon:

Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)

Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de

Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de

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