CmL1996 IV A 1 Kind des Vaters im Arbeiten, Beten und Leiden

CmL1996 IV A 1 Kind des Vaters im Arbeiten, Beten und Leiden

J. Kentenich, aus: Vorträge für Ehepaare in Milwaukee, USA, 9. und 23. Juli 1956

Heute bleiben wir bei dem einen Punkte stehen: in einzigartiger Weise Kind des Vaters. Jetzt sehen wir einmal den Heiland vor uns: Wir beobachten ihn in seinem Arbeiten; zweitens, wir beobachten ihn in seinem Beten; drittens, wir beobachten ihn in seinem Leiden.

1. Verstehen Sie, worauf es uns hier besonders ankommt? Ich glaube, ich darf das extra Ihnen sagen: nicht so sehr auf das äußere Tun, sondern auf die innere Gesinnung. Sehen Sie, äußerlich hat er gearbeitet, hat gepredigt; das wissen wir, aber das interessiert uns nicht so sehr. Was uns interessiert, das ist die Frage: Was lebte, während er arbeitete, auf dem Grunde seiner Seele? Wir dürfen fast sagen: Was ist die Grundeinstellung, während er gearbeitet, während er gepredigt hat? Woraus können wir das denn schließen?

Wenn wir die Heilige Schrift aufschlagen, dann merken wir: Manchesmal, da kommt so ganz spontan aus dem Munde des Heilandes ein Wort, das uns seine ganze innere Welt aufschließt. Das ist ähnlich so, meinetwegen, ich habe einen Steinhaufen, ein Gestein hier. Sehen Sie, und dann auf einmal da und dort, da ist eine Ritze im Stein. Ich schau durch die Ritze hindurch, und dann seh ich da unten eine ganze große Welt.

Sehen Sie, das ist genauso beim Heiland, wenn man so plötzlich einmal ein Wort von ihm hört. Das ist wie eine Ritze, die uns tief hineinschauen läßt auf den Grund seiner Seele. Und wenn wir all die Worte so zusammenfassen, die uns einen Einblick in die Seele des Heilandes verschaffen, dann stehen wir auf einmal vor der großen Welt: Der Heiland hat weiter nichts getan als immer „Ja, Vater“ (Lk 10,22) gesagt. Also wenn er gepredigt hat, weshalb? Wenn wir genauer sehen, nicht etwa, weil er das Bedürfnis hatte, sondern (weil) der Vater das wollte. Genauer gesagt, das ganze Seelenleben des Heilandes hat immer um den Himmelsvater gekreist.

Wenn wir einmal einen Spaziergang durch die Heilige Schrift hindurch machen, dann merken Sie: Zunächst einmal das „Morgengebet“ des Heilandes, das heißt: Was hat der Heiland gesagt, nachdem die Gottesmutter ihr Fiat gesprochen und er Fleisch angenommen hat unter ihrem Herzen, in ihrem Schoße? Sehen Sie, der Apostel Paulus hat uns dieses Gebet aufgezeichnet. Was das heißt? Im Mutterschoße hat er schon gebetet. Was war das denn für ein Gebet? Ein wunderbar schönes Gebet: „Schlacht- und Sühnopfer hast du nicht gewollt, aber einen Leib hast du mir gegeben“ (Hebr 10,5). Was heißt das, einen Leib hast du mir gegeben? Ich soll dir diesen meinen Leib zurückschenken als Opfer am Kreuze. Und nun kommt das Gebet: „Siehe, Vater, ich komme, deinen Willen zu erfüllen“ (Hebr 10,9). Was heißt das? Ich bin vom Himmel in den Mutterschoß hinabgestiegen. Und weshalb bin ich hinabgestiegen? Um deinen Vaterwillen zu erfüllen. Und was ist dieser Vaterwille? Ich soll mich am Kreuze für die Menschen töten lassen. Kreist er um den Vater? Er kann ja gar nicht anders, es ist immer der Vater, der Vater, der Vater.

Und das erste Wort, was er selber in der Heiligen Schrift spricht, das kennen wir bereits. Wie heißt das Wort? Denken Sie jetzt wieder an das Gestein, an das Hinabschauen, das Wort ist wie ein solches Gestein. Jetzt klingt das Wort wieder ganz anders: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?“ (Lk 2,49). Sehen Sie, im Mutterschoße, da hat er erklärt: Mein Leben gebe ich gerne dem Vater wieder. Und hier, wo er zum ersten Mal als Mensch auftritt in der Heiligen Schrift, was erklärt er da? Mutter, ich muß auf dich verzichten, wenn der Vater das will. Immer der Vater, der Vater, der Vater im Mittelpunkte. Aber Sie dürfen das nicht übersehen, das war keine Spielerei. Es ist immer etwas Herbes damit verbunden. Sehen Sie, vielleicht verstehen Sie jetzt auch besser, was er uns vorgebetet hat im Vaterunser. Er hat uns nur vorgebetet, was er selber immer getan hat: „Dein Wille geschehe wie im Himmel, also auch auf Erden“ (Mt 6,10).

Aber später schauen wir einmal in das Heilandsleben noch tiefer hinein und hören einmal, was blitzt uns da und dort bei Gelegenheit nicht an, um uns Einblick zu geben in sein Innerstes? Sehen Sie, da hat er bei einer Gelegenheit in wunderbar schöner Weise uns sein Persönliches Ideal entschleiert. Wie hieß das Ideal? Das ist wie ein Dreikönigsgestirn über seinem ganzen Leben, klingt wunderbar schön: „Fiat quae ei placita sunt semper facio.“ Das heißt: Das, was dem Vater Freude macht, das tue ich allezeit (vgl. Joh 8,29). Er sagt nicht: Was der Vater gebietet, das tue ich. Das ist selbstverständlich. Das ist sein Lebensprogramm. Und wenn der Vater will, daß er am Kreuze stirbt, was sagt er dann? Und wenn der Vater will, daß er auf seine Mutter verzichtet, was antwortet er? „Fiat quae ei placita sunt semper facio.“ Das, was dem Vater Freude macht, das tue ich allezeit.Wissen Sie, wie ein Vaterkind aussieht? Das ist kein schwächliches Kind, sondern das ist etwas Kraftvolles, kreist mit seinem Denken, kreist mit seinem Herzen immer um ein Letztes, um den Vater. Und weiter: Dürfen wir nicht sagen, ein Vaterkind ist das Kind einer einzigen großen Liebe? Und wie sieht die eine große Liebe aus? Die eine große Liebe heißt: Vater, Vater, Vater. In allen Situationen: Vater, Vater, Vater. (…)

Und wenn Sie einmal weiter überlegen, wenn der Heiland auch bei den Aposteln angefangen hat, vom Vater zu sprechen, o, da wurde er ganz begeistert. Da konnte er so wunderbar schön erzählen. Denken Sie einmal an die wunderschönen Parabeln. Da hat er das Leben des Menschen verglichen mit dem Leben der Vögel oder mit dem Leben etwa der Lilien. (Der Vater) sorgt für sie alle. Um wieviel mehr wird er für dich sorgen! Du da, mit deinem Namen! Das alte, bekannte Wort: Nicht mal ein Härchen fällt herunter, ohne daß das im Plan des Vaters steht (vgl. Lk 21,18; Apg 27,34). Sehen Sie, deswegen wurde er begeistert, wenn er vom Vater sprach. (…) Darf ich zusammenfassen? Während die Hand des Heilandes gearbeitet, während sein Mund gesprochen, da schlug sein Herz für den Vater; alles (hat) ständig gekreist um den Vater.

2. Ja, und wenn wir jetzt einmal fragen: Wie war es denn mit dem Beten des Heilandes? Und die Antwort? O, das ist wunderbar schön, wie der Heiland gebetet hat. Ja, jetzt müßten wir eigentlich einmal die Gebetsmuster des Heilandes studieren.

Sehen Sie, zunächst einmal, bei einer Gelegenheit, da war es halt so, da hat man sich gewundert, was die einfachen Leute alles verstanden haben von dem, was der Heiland gelehrt hat. Jetzt sagte der Heiland: Ja, von wem haben die das? Die Antwort: Das haben sie vom Vater. „Vater, ich danke dir“, betet er dann, „ich danke dir, daß du das den Kleinen geoffenbart hast“; aber den Gelehrten, den Satten, denen hast duÕs Türchen zugemacht, die kapieren nichts davon (vgl. Mt 11,25). An wen hat er sich also gewandt im Gebete? Immer zum Vater! (…)

Ja, jetzt aber, wenn Sie nochmal ganz tief in das Seelenleben des Heilandes hineinschauen wollen, dann müssen Sie das Hohepriesterliche Gebet (Joh 17) einmal auf sich wirken lassen. Sehen Sie, das ist ähnlich so, nehmen Sie einmal an: Der Vater von uns, der weiß, meinetwegen, er muß zur Schlachtbank geführt werden, wird getötet. Jetzt sitzt die Familie beieinander und feiert Abschied. Ja, da wird nichts Nebensächliches, Oberflächliches gesprochen. Gerne würden dann (später) Kind und Kindeskinder wissen, was da gesprochen worden ist.

Jetzt müssen Sie einmal das Gebet nachbeten. Es ist wunderbar schön. Immer wendet er sich an den Vater: Gerechter Vater! Gütiger Vater! Und dann gibt er sich selber Rechenschaft. Vater, sagt er, alle, die du mir gegeben hast, die habe ich bewahrt. Und alle gebe ich dir wieder zurück, außer dem einen, dem Sohn des Verderbens (vgl. Joh 17,12).

Sehen Sie, und auf der anderen Seite wiederum die Rechenschaft: Ja, was habe ich getan? Vater, deinen Namen – deswegen bin ich auf die Welt gekommen, um deinen Namen den Menschen kundzutun (vgl. Joh 17,26), den Vaternamen. Sehen Sie, (er hat sich) immer an den Vater gewandt, in allem, allem an den Vater gewandt. Im Arbeiten gekreist um den Vater, im Gebet gekreist um den Vater.

Jetzt meine ich fast, ich sollte Sie bitten, wenn Sie nach Hause kommen oder mal Gelegenheit haben, beten Sie bitte einmal das Hohepriesterliche Gebet, die Abschiedsrede des Heilandes bei Johannes, und prüfen Sie einmal, wie oft der Heiland „Vater, Vater“ sagt. Es ist, als wenn er gar kein anderes Wort sprechen könnte als immer nur: Vater, Vater, Vater. (…)

Und der letzte Atemzug, das letzte Gebet seines Lebens: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Also immer wieder: Vater, Vater, Vater.

Sie müssen einmal überlegen: An wen richtet sich denn mein Gebet? Jedenfalls verstehen wir jetzt viel besser, nachdem der Heiland in seinem Beten immer um den Vater kreiste, weshalb er auch das Gebet, das er uns empfohlen, wieder an den Vater adressiert hat.Es ist eigenartig, die Apostel waren Juden und haben deswegen als Juden beten gelernt, und sie haben den Heiland so häufig beobachtet, daß er sich zurückgezogen hat ins Gebet, zum Gebete. Deswegen auf einmal die Frage: Herr, Meister, lehre du uns doch beten nach deiner Art (vgl. Lk 11,1). Und was sagt der Heiland? „Wenn ihr betet, dann sollt ihr so sprechen: Vater unser“ (Lk 11,2). Alles ist an den Vater adressiert. Und wessen Wille soll geschehen? Wessen Reich soll hier auf Erden ausgebreitet werden? „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name“ (Mt 6,9), der Vatername. Dein Reich soll zu uns kommen, das Vaterreich. Dein Wille soll geschehen, wie im Himmel also auch auf Erden (vgl. Mt 6,10). Sie verstehen, alles kreist wieder und wieder um den Vatergott. Es ist also fast so, als wollte der Heiland sagen: Weg vom Ich, hin zum Vater!

Darum wieder die Frage: Wie ist das bei mir? Kreise ich nicht zu stark um das kleine Ich? Stehe nicht ich immer im Mittelpunkte? Und wer sollte im Mittelpunkte stehen? Der Himmelsvater! „Vollkommen sollt ihr sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt 5,48). Alles in allem also: Der Heiland kreist bei seinem Arbeiten und in seinem Gebete immer um den Vatergott.

3. Wir kennen noch einen dritten Bestandteil der christlichen Lebensordnung, das ist das Leid, Kreuz und Leid. Und das ist halt so etwas: Im allgemeinen vergessen wir heute gerne, daß wir nicht christlich leben können, ohne zu leiden. (…)

Und dann die ganze öffentliche Meinung, die ist im großen und ganzen auch darauf eingestellt: Nur ja kein Kreuz, nur ja kein Leid, weg von Kreuz und Leid! Und trotzdem müssen wir festhalten: Zum Wesen der christlichen Lebensaufgabe gehört weitaus zum großen Teile auch Kreuz und Leid. Jeder Mensch und jede Familie hat einen ganz großen Bestandteil an Kreuz und Leid auf die Schultern zu nehmen.

Sehen Sie, so war es auch beim Heiland. Der Heiland hat gelitten und viel gelitten. Ja, wir wissen sogar, daß er formell durch sein Kreuz und Leid, zumal durch sein Sterben die Welt erlöst hat. Und nun die große Frage: Wie hat er sein Kreuz und Leid getragen? Ich meine, ich müßte zwei Antworten geben. Die erste Antwort: So echt menschlich! Das heißt, er hat zum Ausdrucke gebracht, daß Kreuz und Leid ihm wehtut. Sehen Sie, er hat sich also nicht etwa gegeben oder benommen wie ein Indianer, sondern so ganz echt menschlich.

Wir haben das beobachtet, wie die Gottesmutter sich gegeben hat. Wir hören das Wort noch einmal: „Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich, wir haben dich mit Schmerzen gesucht“ (Lk 2,48).

Und wie war das beim Heiland? Sehen Sie, der Heiland hat eine eigene Leidensstunde für uns alle eingerichtet: das ist die Ölbergstunde (Mk 14,32-42). Und das ist eine furchtbar harte Stunde gewesen. Wir wissen das ja, der Heiland hat innerseelisch so gelitten, daß er nicht nur geschwitzt hat, sondern als Mann in der Vollreife der Jahre Blut geschwitzt hat. Sehen Sie, Sie spüren, er hat nicht den starken Mann gespielt, er ist zusammengebrochen.Wenn wir nun einmal überlegen: Was hat ihn denn zusammenbrechen lassen, und zwar wirklich, auch körperlich zusammenbrechen lassen? Es heißt ja eigens in der Heiligen Schrift, daß er niedergesunken, zusammengebrochen ist. Was war das denn für ein Leid, das er innerlich durchgekostet hat? Die Göttlichkeit seines Wesens hat sich gleichsam ganz zurückgezogen und hat die menschliche Natur das Leid bis zum äußersten austrinken lassen. Sehen Sie, das mag sein, daß er sich vorgestellt hat, was ihn jetzt erwartet, daß er also gegeißelt, gekreuzigt, mißhandelt würde. Und wir wissen das ja alle, manches Kreuz und Leid, das drückt viel tiefer, wenn man davorsteht, als in dem Augenblicke, wo es einen wirklich ereilt.

Sicher, das mag ihn schwer gedrückt haben. Aber noch viel schwerer war halt das Bild: welcher Schmutz durch alle Jahrhunderte hindurchzog. Und diesen Schmutz der Sünde hat er auf sich genommen. Und er hat diese Sünden so erlebt, als hätte er sie alle selber begangen. Und deswegen fällt er nieder und schwitzt Blut. Es ist so echt menschlich, jetzt geht er hin zu seinen Aposteln und bettelt um ein bißchen Trost; so ganz menschlich ist das alles. Und was findet er bei den Aposteln? Sie schlafen, haben kein Interesse an ihm. Nun geht er wieder zurück. Nun wendet er sich an den Vater. Sehen Sie, wie menschlich: „Vater, laß diesen Kelch doch, wenn es geht, an mir vorübergehen!“ (Lk 22,42). An wen wendet er sich also? An den Vater! Und Sie dürfen sich nicht vorstellen, daß er das so ein-, zwei-, dreimal gesagt hat. Nein! So wie die Heilige Schrift uns das andeutet, hat das sehr lange gedauert. Immer wieder (hat er) mit dem Vater gekämpft: Laß doch diesen Kelch an mir vorübergehen! Sehen Sie, das ist dieser kindlich-menschliche Aufschrei zum Vater. Aber dann gleich im Hintergrunde das majestätische Wort: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ (Lk 22,42). Verstehen Sie, was ich sagen will? Das ganze Leben des Heilandes (hat) in allen Situationen um den Vater gekreist.

Sehen Sie, das ist das Beispiel, das der Heiland seiner Mutter gegeben hat. Wir können verstehen, wie auf diese Weise die Gottesmutter in einzigartiger Weise im Heiland und mit dem Heiland ein Kind des Vaters gewesen ist, daß auch sie ständig um den Vater gekreist in allen Situationen des Lebens.

Erschienen in:
Joseph Kentenich
Christus mein Leben
Ausgewählte Texte zum Christus-Jahr 1997
Herausgegeben von Günther M Boll, M. Pia Buesge, Peter Wolf
Patris-Verlag Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de