Pater Kentenich Familien gegenüber:
Wir wollen heute abend einmal nur die Frage lösen: Wie nimmt denn der echte Christ, der echte Katholik Stellung zu den Fragen der Zeit? Nicht wahr, die Frage ist gleichbedeutend mit der anderen: Wie sieht denn ein echter Christ, ein echter Katholik praktisch aus? (Ich) will nun eine ganze Menge von Antworten zusammentragen, die uns nachher tiefer einführen in unser eigenes inneres Leben. Es fragt sich also: Wie sieht ein echter Christ, ein echter Katholik aus?
Nicht wahr, Sie kennen den Unterschied: Man spricht gerne von Taufscheinkatholiken und von lebendigen Katholiken. Ein Taufscheinkatholik, das ist eben ein Katholik, der getauft ist und den Schein, daß er getauft ist, beim Pfarrer haben darf und kann. Man sagt dafür schon einmal scherzhaft: Da hat das Taufwasser nur die Haut berührt, aber nicht die Seele berührt.
Es ist klar, wenn das Taufwasser also bloß die Haut berührt hat, dann bedeutet das nichts, dann kann ich mich nicht einen echten Christen, einen echten Katholiken nennen.
Was versteht man denn im Gegensatze dazu unter einem lebendigen Christen? Ja, das ist eben ein Christ, ein Katholik, bei dem das Taufwasser die Seele berührt hat, bei dem also die Seele durch die Taufe gewandelt worden ist. Wir können natürlich auch sagen: Das ist ein Christ, ein Katholik, der schlechthin aus dem Geiste des Glaubens lebt. Nicht wahr, dafür sagt der Apostel Paulus so in seiner Weise: Justus autem meus ex fide vivit.1 Das heißt: Wer durch meine Schule gegangen ist, der lebt aus dem Glauben. Der hat nicht nur Glauben, der lebt aus dem Glauben. Wir können besser sagen: Der lebt aus dem Glaubensgeiste.
Wir wollen uns einmal schnell wieder daran erinnern, daß wir gerne von drei Sehorganen sprechen: zunächst Fliegenaugen, Engelsaugen, Gottesaugen. (Mit) Gottesaugen ist das (gemeint), was wir nennen: Geist des Glaubens. Damit haben wir schon einmal eine Antwort, die einfach und doch tiefgreifend ist. Also ein echter Katholik ist ein Katholik, der aus dem Glauben lebt. Das heißt im einzelnen: der alle Dinge des Lebens mit Gottesaugen sieht. Es mag sich also handeln um die großen Weltkatastrophen, oder es kann sich drehen um persönliche Schwierigkeiten, Überraschungen meines Lebens, Enttäuschungen meines Lebens …
Nun darf ich fragen: Wie sehen denn Fliegenaugen alle diese Ereignisse? Dann zweitens: Wie sehen Engelsaugen alle diese Dinge? Und dann: Wie sehen Gottesaugen alle diese Dinge?
Also mit Gottesaugen alle Dinge des Lebens, alle Enttäuschungen, alle Freuden, alle Schwierigkeiten sehen, aber (sie) auch mit Gottes Herzen meistern!
(…) Die konkrete Frage lautet nun so: Was muß ich denn praktisch tun, damit ich mit den Augen Gottes alle Ereignisse sehen und mit dem Herzen Gottes alles umfangen lerne? Ich gebe zwei einfache, schlichte Antworten. Die erste Antwort lautet so: Wir müssen lernen, überall in unserem Leben und hinter allen Geschehnissen einen klaren Ruf, eine klare Entscheidung, die klare Stimme Gottes zu hören und zu beantworten. Also ich muß lernen, hinter allen Ereignissen Gottes Stimme zu hören. Dann zweitens: Ich muß lernen, allüberall die Hand Gottes zu erblicken, die mich berühren will.
Ich wiederhole das noch einmal, das sind zwei praktische Antworten: Aus allem Zeit- und Weltgeschehen, auch den Ereignissen meines Lebens muß ich lernen, Gottes Stimme zu hören und eine Antwort darauf zu geben. Dann zweitens: Ich muß in allen Lagen und hinter allen Lagen die Hand Gottes erblicken, die mich persönlich berühren will, und dann diese Hand ergreifen, ganz gleich und einerlei, wie die Hand im einzelnen aussieht. (…) Ich will Ihnen erst einmal ein kleines Beispielchen erzählen, damit unser Gemüt noch tiefer von der Fragestellung erfaßt wird. Da war ein kleiner Franzose. Der hat halt, wie das manche brave und religiöse Kinder tun, recht viele Missionszeitschriften gelesen. Und sehr bald war China und waren die Chinesen seine Lieblingsbeschäftigung. Er hat dann nachgeschlagen oder hat sich das erzählen lassen, wo denn eigentlich China liegt. Man hat dann sehr bald herausgefunden: Das ist genau am anderen Ende der Welt. Und so, wie Kinder das tun, jetzt hat er den Plan: Ich muß zu den Chinesen! Und so, wie Kinderweisheit das fertigbringt, er läuft dann, wenn er Freizeit hat, in den Garten des Hauses und fängt an zu graben und zu graben, was das Zeug nur hält. Was wollte er? Ein Loch durch die Erde graben.
Er wollte an das andere Ende der Welt kommen. Man kann sich das gut vorstellen, Kinderweisheit bringt so etwas fertig, nicht wahr.
Die Mutter hat erst gar nichts dahinter gefunden, hat gesehen, der Junge spielt halt draußen.
Aber wie dann die Mutter sieht, daß das Tag für Tag weitergeht und mit einem heiligen Ernst gegraben, der Dreck weggeschaufelt wird, da ist sie schließlich doch berechtigt zu fragen: Ja, hör mal, Kind, was machst du denn da eigentlich?
Nun kommt die überaus schöne Antwort, von der ich ausgehen will. Da müssen Sie sich den Kleinen vorstellen mit rotem Gesicht, so voller Begeisterung; und er hat seine großen Pläne vor sich, läßt sich durch die Mutter nicht stören. Dann sagt der Kleine: Mutter, sei nur ja still! Da hör doch mal; hör doch mal zu! Hörst du nicht? Die Chinesen rufen mich! Die Chinesen rufen mich! Die Geschichte geht dann so weiter: Der liebe Gott hat ihn tatsächlich zu den Chinesen gerufen. Er ist später Chinamissionar geworden, ist dort des Märtyrertodes gestorben.
Das kleine Sätzchen des Jungen, das möchte ich jetzt mir und Ihnen einprägen. Nicht wahr, wir hören ja auch heute in der Welt soviel Stimmengewirre. Ja, was sagt uns die Politik nicht (alles)? Wieviel Stimmen dringen da an unser Ohr? Was sagen uns die einzelnen politischen Parteien? Ja, was weiß uns das television2 und das Radio nicht alles zu erzählen?
Sehen Sie, was hat der kleine Mann seiner Mutter gesagt? Mutter, sei still! Wir müssen wieder stille werden lernen. Ja, weshalb stille werden? Es sind zu viele Geräusche, die in die Seele hineindringen. Und diese Geräusche, die bringen uns allezeit durcheinander. Wir wissen nicht mehr rechts und links. Sehen Sie, deshalb soll die Mutter stille sein (deswegen) sagt er: Hörst du denn nicht, die Chinesen rufen mich!
Wer ist hier gemeint? Nicht die Chinesen, der liebe Gott spricht zu uns. Wodurch spricht er zu uns? Durch alle Lagen unseres Lebens, durch alle Geschichtsereignisse. Jetzt müssen Sie hören: Zu mir sagt er das, also nicht nur irgendwie zu jemand – ich weiß nicht, zum Papste oder zum Präsidenten -, nein, zu mir persönlich. Aber wir sind nicht still genug, wir hören das deswegen nicht. Wir verstehen die Sprache Gottes durch die Ereignisse nicht mehr.
Wir erinnern uns vielleicht, wie der Heiland bei Gelegenheit seinen Zuhörern, den Juden, den Vorwurf gemacht hat: Ja, wenn ihr zum Beispiel abends hinausschaut auf den Sternenhimmel oder sonst die ganze Situation um euch herum auf euch wirken laßt, da könnt ihr sagen: Morgen wird wahrscheinlich das oder jenes Wetter sein. Aber die Zeichen der Zeit, die könnt ihr nicht verstehen.3
Sehen Sie, dafür würden wir sagen: Was der liebe Gott durch Zeitereignisse sagt, das verstehen wir nicht mehr. Das ist etwas Eigenartiges: Ein echter Vater, der hört aus dem Stimmengewirre ungezählt vieler Kinder die Stimme seines eigenen Kindes gut heraus. Aber auch umgekehrt: Ein echtes Kind, das an Vater und Mutter hängt, das mag mitten im Gewirre von soundso viel Kindern sein; wenn Vater und Mutter rufen – die andern hören das nicht, aber das Kind hört die Stimme.
Jetzt möchte ich hier einmal stehenbleiben und Ihnen einen Gedanken einprägen, der überaus bedeutungsvoll ist. Nicht wahr, wir sagen so gerne: Der Mensch denkt und Gott lenkt. Ja, der Mensch denkt und Gott lenkt. Man hat dann – wenigstens wir in Deutschland – daraus vielfach das Scherzwort gemacht: Der Mensch dachte und Gott lachte. Aber es ist nicht nur ein Scherzwort. Da steckt so viel Weisheit dahinter. Worin liegt die Weisheit? Sehen Sie, der Mensch hat seine Pläne, seine eigenen Pläne. Aber Gott hat auch seine Pläne. Der Mensch sucht seine Pläne durchzuführen. Wenn sie aber nicht mit den Plänen Gottes übereinstimmen, dann mißglücken die Pläne.
(…) Sehen Sie, so verstehen wir das Wort: Der Mensch denkt und Gott lenkt. Ja, der Mensch denkt, und Gott lenkt nach seinen Plänen. Ich denke natürlich und nach meinen Plänen. So verstehen Sie, daß das andere Wort auch einen Sinn hat: Der Mensch dachte und Gott lachte. Er hat gelächelt über die Pläne, die ich mir gemacht habe. Das sind ja so einseitige Pläne. Was hab ich mir etwa vor der Heirat vorgestellt, wie ich glücklich sein würde, gesunde Kinder bekäme. Sehen Sie, da hab ich eben die Pläne Gottes ganz ausgeschaltet.
Verstehen Sie, weshalb es darum so wichtig ist, daß wir lernen, stille zu sein? Weshalb sollen wir lernen, stille zu sein? Damit wir fähig werden, Gottes Stimme zu erkennen und aus seiner Stimme seine Pläne zu erkennen. Wann lebe ich also aus dem Geiste des Glaubens?
Wenn ich es fertigbringe, aus allen Lagen des Lebens – der Weltgeschichte wie meines eigenen Lebens -, die Stimme Gottes (heraus)zuhören und daraus seine Pläne zu erforschen. Sehen Sie, das ist so: Es wird selten sein, daß ich aus den einzelnen Ereignissen den Gesamtplan Gottes erkenne. Für gewöhnlich ist das so, daß er uns durch die Ereignisse nur eine kleine Ritze (zum Erkennen) seiner Pläne öffnet. Darum sprechen wir (vom) Gesetz der geöffneten Türe4. Er öffnet mir durch Ereignisse eine Ritze, daß ich hindurchschauen kann, um zu erforschen: Was will er im Augenblicke von mir? Verstehen Sie, welche heroische Größe darin besteht, in dieser Weise aus dem Geiste des Glaubens zu leben? Nicht wahr, damit haben wir eine Grundeinstellung, von der aus wir alle Dinge wieder neu sehen sollten.
1 Röm 1,17: Mein Gerechter aber lebt aus dem Glauben
2 Fernsehen
3 Vgl. Lk 12,54-57
4 Vgl. 2 Kor 2,12
Aus:
Pater Josef Kentenich:
Am Montagabend – Mit Familien im Gespräch, Bd. 21, (1. Mai 1961),
Schönstatt-Verlag, Hillscheider Str. 1, 56179 Vallendar
ISBN 3-920849-79-5
S. 156-176 auszugsweise
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