GdL-1965-12 Problematik der Dunkelheit in unserem Leben

GdL-1965-12 Problematik der Dunkelheit in unserem Leben

Aus: Vortrag 1. Dezember 1965

Wir stehen immer noch bei der zweiten Strophe unseres Dankes- oder Fesselliedes:

„Auf schwerer Pilgerreise
hat Gott sich groß und weise
zu seinem Ruhm und Preise
erwiesen unserem Kreise.“

„… hat Gott sich groß und weise“ – wie sieht der Gott aus, der hier formell und unmittelbar gemeint ist? Das ist der Gott des Lebens, der die Zügel der Weltgeschichte, der Familiengeschichte und unserer persönlichen Lebensgeschichte allezeit in mächtigen und gütigen Vaterhänden hält. Des Lebens also, das uns so unerforschliche, vielgestaltige Rätsel aufgibt. Hier kommt eben alles darauf an, nie zu vergessen, daß auch trotz all der unerforschlichen Rätsel der ewige Vatergott die Lösung in Händen hat und daß er mächtig ist, seine Pläne und Planungen im Welt-, Familien- und Lebensgeschehen durchzuführen.

Wir haben die Gelegenheit benutzt, die Problematik der Ungewißheit, der Dunkelheit unseres Lebens in besonderer Weise zu beleuchten. Woher kommt diese Dunkelheit? Wir haben drei Beziehungen hergestellt.

Zunächst einmal: Gott hat seine Planung, die Planung mit uns, mit dem Weltgeschehen, mit dem Familiengeschehen, im Wesentlichen – menschlich gesprochen – in seinem Kopfe bewahrt. Er hat sie uns nicht deutlich entschleiert.

Warum nicht? Er will unsere Kindesgesinnung gleichsam herauf zwingen. Wir sollen das alles nicht selber wissen, wir sollen uns blind ihm anvertrauen. Nur Kindlichkeit blickt durch die Wolken, nur Kindlichkeit bringt es fertig, in allen Situationen, auch in all den unerforschlichen, unerklärbaren, scheinbar sich widersprechenden Situationen, ein Ja zu sagen zum Vaterwillen.

Unerforschlich, undurchdringlich sind diese Planungen auch deshalb, weil der liebe Gott ein ganz konkretes Ziel für uns hat, das wir erst in der Ewigkeit erreichen. Es ist also nicht nur ein Ziel für diese Welt, sondern ein Ziel, das in die Ewigkeit hineinragt. Und wer schaut in die Ewigkeit hinein? Deswegen die tiefe Überzeugung: Wenn Gott wirklich Gott ist – ich meine, das Wort reicht für uns, um zu wissen, was gemeint ist -, dann ist es selbstverständlich, daß er alle Fügungen und Führungen zu dem unerkannten individuellen Ziel in der Ewigkeit strafft. Er schenkt uns ja nicht nur die visio beata ganz allgemein, wohl auch, sondern jedem in individueller, origineller Form. Auf diese Weise fällt also Licht über das Unerforschliche, über das vielgestaltige Undurchdringliche unseres Lebens.

Und dann der dritte Grund, der all die anderen Gründe in eigenartiger Weise in ein höheres, übernatürliches Licht stellt. Es ist die große Wahrheit, die wir uns gar nicht tief genug einprägen können für alle Situationen: daß der ewige Vater uns alle behandelt wie seinen eingeborenen Sohn. Ja, der eingeborene Gottessohn soll nach des Vaters Plan sein historisches Leben noch einmal in uns nachleben, aber – jetzt müssen Sie wieder beifügen – in origineller Weise. Wenn ich also nicht weiß, wozu das alles, brauche ich nur auf den Heiland zu schauen, er hat dasselbe durchgekostet. Dann brauche ich also nicht metaphysisch letzte Gründe zu suchen; der konkreteste Grund ist und bleibt: der Vater will mich seinem Sohne gleichschalten.

Aus: Vortrag 1965, 1. Dezember (C)

in: Rom-Vorträge 24. Nov. – 3. Dez. 1965, o.O., o.J., 249-280, Seite 251 – 253