Am 6. April 1951 schrieb ich eine kurze Studie für eine kirchliche Stelle. Da heißt es unter anderem:
” Zur Klärung seien kurz zwei Gedanken herausgestellt. Der eine will als Leitsatz, der andere als dessen Anwendung auf einige praktische Fragen aufgefaßt werden.
Erstens Leitsatz: Schönstatt sieht heute seine Aufgabe darin, im Dienste der Kirche an der inneren Überwindung des Bolschewismus – vornehmlich in Deutschland – durch sorgfältige Pflege eines ausgesprochenen natürlichen und übernatürlichen Bindungsorganismus mitzuwirken.
Erklärung: Der Bolschewismus zerstört mit allen Mitteln freventlich alle bewährten üblichen organischen Lebensgebilde. Er trennt nicht nur die Natur von der Übernatur, er atomisiert auch die Natur und reißt den natürlichen Bindungsorganismus auseinander, mag es sich dabei um gesunde lokale, personale oder ideenmäßige Gebundenheit handeln. Die moderne Geistesgeschichte hat für dieses Zerstörungswerk reichlich Vorarbeit geleistet. Nicht nur der Materialismus, Vitalismus und Existentialismus haben dabei Pate gestanden. Auch der philosophische Idealismus – unterstützt durch Protestantismus und Illuminatentum – hat das Seinige dazu beigetragen. So mag es verständlich sein, daß eine Bewegung, die die bolschewistische Geistigkeit aushöhlen und innerlich überwinden helfen will, sich sorgfältig bemüht um Rettung des übernatürlichen, um Sicherung des natürlichen Bindungsorganismus und um gesunde Wechselwirkung zwischen beiden.
Wie Sankt Thomas seinerzeit die arabische Philosophie fürs Abendland durch die aristotelische Lehre von den Zweitursachen überwand und so das Christentum retten half, so müssen heutige christliche Erneuerungsbewegungen die Auflösungstendenzen allen organischen Lebens illusorisch machen. Das geschieht auf die oben besagte Weise. Die Aufgabe ist also ungleich größer als zur Zeit des Mittelalters. Der Grund ist leicht ersichtlich: Auf totale Auflösungstendenzen kann nur eine ganzheitliche Rettungsarbeit erfolgreich antworten.
Da die Zukunft des Bolschewismus allem Anscheine nach sich vornehmlich im deutschen Raume entscheidet, will hier der Kampf in erleuchteter Weise aufgenommen und bis zum Ende durchgeführt werden. Richtunggebend mag dabei ein Merkwort des heiligen Augustinus sein: Utamur haereticis, ut contra eorum errores veram doctrinam catholicam asserentes tutiores et firmiores simus.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, allen angeführten modernen irrigen Lebensauffassungen und deren versteckten und offenen Auswirkungen im deutschen Raum den Kampf anzusagen. Nachlässigkeit oder gar Begünstigung bedeutet Lähmung der Widerstandskraft gegen den christlichen Weltfeind. Darum ist es überaus bedauerlich und gefährlich, daß in deutschen führenden katholischen Kreisen starke Überbleibsel des philosophischen Idealismus sich eingenistet und nicht selten in der Gestalt der liturgischen Bewegung eine religiöse Verbrämung gefunden haben. Sie sind – wenn auch unbewußt und ungewollt – Schrittmacher des Bolschewismus und Totengräber des christlichen Lebens.
Ihr mechanistisches Denken, das Erst- und Zweitursachen voneinander trennt und im organischen Zusammenhang nicht sehen kann, ihre separatistische Geistigkeit, die Idee und Leben auseinanderreißt, macht sie ferner unfähig, einer tiefgehenden Marienverehrung den gebührenden Platz im Kampf gegen den Bolschewismus und in der Vollentfaltung des katholischen Lebens einzuräumen. Überall steht das Gespenst der Furcht vor ihnen, Christus und Gott könnten dadurch in den Hintergrund gerückt werden. Die Weihe an die Gottesmutter wird ihres historisch bedingten und erfahrungsgemäß fruchtbaren Inhalts beraubt, weil man in ihr bloß das Eingehen eines Schutzverhältnisses, aber keine vollkommene Hingabe kennen und anerkennen will; solche Hingabe sei nur an Gott möglich. Nachdem die Diözesen dem heiligsten Herzen Jesu geweiht, wagt man nicht, der Gottesmutter einen ähnlichen Tribut zu zollen. Man hat Not, dadurch würde zum Ausdruck gebracht, die Gottesmutter brächte bei der Erneuerung der Diözesen fertig, was dem Heiland nicht geglückt. So weit geht das separatistische Denken, für das romanische Geistigkeit kein Organ hat.
Der christliche Gehorsam wird aus seinem wesenhaften Zusammenhang herausgerissen. Erst- und Zweitursachen werden voneinander getrennt, so daß blinder Gehorsam des Verstandes und Ganzhingabe des Willens als Persönlichkeitsentwertung und Menschenvergötzung aufgefaßt werden. Die Transzendenz Gottes wird so stark betont und die Immanenz so stark in den Hintergrund gedrängt, daß der Gottesgedanke in Gefahr ist, sich ideenmäßig zu verflüchtigen und letzten Endes ausgelöscht zu werden. Dasselbe gilt von der Christusgliedschaft, die als blasse Idee sich von der Person des Herrn löst und deswegen zu dessen Entpersönlichung Wesentliches beiträgt.
Die Gefährlichkeit einer solchen Haltung und die Dringlichkeit ihrer gründlichen Oberwindung verlangen nicht nur bewußt entgegengesetzte Lebensströmungen, sondern auch eine klare wissenschaftliche Auseinandersetzung. Das gilt besonders für die Eigenart germanischer Geistigkeit, die von Hause aus grundsätzlich eingestellt ist und aus jeder Kleinigkeit ein Prinzip machen möchte.
Schönstatt hat seit 1912 in bewußter Frontstellung gegen alle Formen des mechanistischen Denkens und Lebens sich mit beiden Füßen auf den Boden des Organismusgedankens gestellt. Deshalb galt von Anfang an sein Kampf dem philosophischen Idealismus. Bis 1945 geschah das mehr in zurückhaltender Weise und durch Pflege einer entsprechenden Lebensbewegung. Nach Rückkehr des Leiters aus Dachau wurde die Methode gewechselt. Das schien notwendig zu sein, weil die Weltgefahr größer wurde und im deutschen Raum idealistische Nester sich verhärteten.
Es darf nicht wundernehmen, daß bei Auseinandersetzung zwischen solch entgegengesetzten Lebensauffassungen manche von uns gebrauchten Formen als zu weitgehend bewertet werden. Das war im Laufe der Geschichte in ähnlichen Situationen immer so. Man denke an den heiligen Franziskus und seine Armutsbewegung oder an Ignatius und seine Auffassung vom Gehorsam. Geschichtliche Bewegungen müssen an Zeitenwenden immer mit solchem Schicksal rechnen. Das dürfte dieses Mal besonders stark in Erscheinung treten, weil es sich schlechthin um die Ganzheit des Lebens, sowohl des natürlichen als auch des übernatürlichen, handelt, nicht bloß um die eine oder andere Seite, um den einen oder anderen Vorgang. Erst spätere Zeiten vermögen zu urteilen, wie weit hinter allem Gottes Wunsch und Wille oder menschliche Selbsttäuschung gestanden.
Romanisches Denken deutet den Begriff ‘Stellvertreter Gottes‘ zweifellos richtig. Germanisches bleibt dort, wo es von seperatistischem Idealismus angekränkelt ist, entweder beim Ideenmäßigen stehen oder wirft – gewollt oder ungewollt – eine unüberwindliche Kluft auf zwischen Erst- und Zweitursachen. Darum ist es für den deutschen Raum so bedeutungsvoll, den Menschen – ob es sich dabei um die Gottesmutter handelt oder um andere Zweitursachen wie beim Gehorsam – sinngemäß möglichst in die Nähe Gottes zu rücken, ähnlich wie das Urchristentum das in selbstverständlich urwüchsiger Weise getan hat. Andernfalls wird der Sinn der Zeit und der Zeitkrise nicht genügend tief erfaßt und gottgefällig beantwortet. Wer die fraglichen praktischen Streitpunkte … kennt, wird von hier aus Schönstatts Handlungsweise besser verstehen. Jedenfalls ist sie immer bewußt von der Gegenströmung gegen mechanistisches Denken und Handeln und von dem Bekenntnis zu gottgewollter Ganzheit des Denkens und Lebens bestimmt worden. Nichts ist dabei zufällig und nebensächlich ins Kraut geschossen.
Die nicht selten eigenartig anmutende dogmatische Einstellung in führenden deutschen Kreisen hat ihre Wurzel recht häufig nicht einmal so sehr in dogmatisch begründeten Auffassungen als vielmehr in krankhafter seelischer Anlage. Was der Heiland uns von der Fruchtbarkeit des Saatkornes sagt, gilt von jeder Wahrheit: Sie ist nicht nur von den inneren Triebkräften, sondern auch von der Aufnahmefähigkeit des Bodens abhängig. Germanisches Denken ist weithin angekränkelt. Was der romanischen Seele so selbstverständlich ist und was sie so stark fürs Katholische empfänglich macht, fehlt weithin der germanischen. Gesunde Natur kennt ein symbolhaftes, ein organisches, ein universelles und ein zentriertes Denken. Alle vier Eigenschaften finden sich vielfach beim Germanen mechanistischer Prägung entweder gar nicht oder in sehr beschränktem Maße. Das halte man sich vor Augen, wenn man überlegt, wie man etwa dem Deutschen die Stellung der Gottesmutter im Heilsplane schmackhaft machen kann. Hindernisse, die beseitigt werden müssen, liegen hier bedeutend mehr in der Seele als im Objekt selber. So verstehe man den Ernst, mit dem Schön-statt gegen den Einbruch des philosophischen Idealismus ins religiöse und kirchliche Leben anzugehen sich bemüht.
Hat organische Denk- und Lebensweise im Kampf gegen den Mechanismus sich bis zu einer vorwärtsdrängenden Eigengesetzlichkeit ausgereift, so findet sie vielfach für die eigenen Lebensvorgänge Ausdrucksformen, wie sie in Liturgie und Heiliger Schrift vorkommen. Simile simili gaudet. Offenbar handelt es sich hüben und drüben um denselben Prozeß. Soll die ins Krankhafte gesteigerte transzendentale Auffassung des mechanistischen Denkens überwunden werden, so darf man solchen Strömungen Spielraum lassen. Sie haben ein Regulativ in sich selber. Sie brauchen deshalb – auch wenn sie da und dort vorübergehend über die Ufer schäumen – keine bedenkliche dauernde Fehlentwicklung zu fürchten. Im Gegenteil! Auf diese Weise dürfte die Trennung zwischen Religion und Leben wirksam überwunden werden.
Mechanistischem Denken ist es ein Greuel, das ‘per ipsum et cum ipso et in ipso’ auf die Gottesmutter zu übertragen und ihm so die Form zu geben: ‘per ipsam et cum ipsa et in ipsa’, so wie es sich im Wappen einer belgischen Stadt findet. Die mechanistische Trennung von Erst- und Zweitursache hat für eine solche communicatio idiomatum kein Verständnis. Darum findet Grignionsche Marienverehrung, die praktisch auf dieses Merkwort abgestimmt ist, keine Gnade vor ihrem Richterstuhle. Noch viel weniger wird verstanden, daß jede tiefere innere Liebe das seelische Ineinander in der Form des ‘per et cum et in’ kennt und erstrebt und gern in solchen Ausdrücken ausruht.
Alles in allem: Schönstatt kann nur verstanden werden, wenn es im Zusammenhang mit dem Bolschewismus und dem deutschen idealistischen Humanismus gesehen und gewertet wird.” -( I.Teil, S.201-207)-
Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts, Band I, Vallendar, I.Teil 1971, S. 201-207; ***
blaue links führen zur Seite,
grüne Links führen zum Lexikon