GdL-1966-07 Anbetende Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott

GdL-1966-07 Anbetende Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott

Aus: Vortrag vor der Frauenliga und Mädchenjugend, 10.07.1966

Das Leben benutzen, um zum Gott des Lebens zu kommen! Ich berühre damit einen Gegenstand, der unserer heutigen Jugend (und) der heutigen Menschheit mehr und mehr abkommt. Was will ich damit sagen? Anbetende Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott! Das ist ja eigentlich die große und größte und größere Tatsache der heutigen Menschheit, zumal der kommenden Jugend: keine Ehrfurcht mehr oder nicht genügend Ehrfurcht, nicht genügend Ehrfurcht vor dem Jenseitigen, vor dem Göttlichen.

Ich weiß es ja nicht, wie weit unsere Jugend, die hier vertreten ist, sich eingelebt und eingeliebt hat in einen Lieblingsgedanken der Familie. Wir sprechen so gerne vom „Gott des Lebens“. Gott des Lebens – wir hören noch einmal Gegensätze, Spielarten – Gott der Altäre, Gott unseres Herzens. Ich glaube, der Ausdruck „Gott unseres Herzens“, der wird wohl langsam tiefer und tiefer von unseren Schönstättern gefaßt, wenigstens dorten, wo man ein wenig Verständnis hat für die „Baustelle Heiligtum“. Baustelle Heiligtum – gemeint ist Urheiligtum. Baustelle Heiligtum – gemeint sind an sich Filialheiligtümer, sind Hausheiligtümer. Baustelle Heiligtum – unser Herzensheiligtum. Das vergessen wir nicht, darin liegt ja der ganze große Adel, daß(3) wir unsere Gegenüber (und) uns selber wie ein Heiligtum, Dreifaltigkeitskirche, Marienkirche auffassen und behandeln. Das ist der ganze Adel, der von einer Frau, von einem Mädchen ausstrahlt. Leider Gedanken, die heute verschüttet sind, wenig bekannt, die aber uns als Schönstattkinder in besonderer Weise auszeichnen sollen.

Sehen Sie, deswegen der Gott des Lebens, das heißt Gott, wie er im Leben uns begegnet. Der Gott des Lebens – wie begegnet er uns denn? Ja, das ist schwer zu sagen. Was hat er nicht alles in der Hand! Nicht immer den Freudenbecher, überaus häufig auch den Leidensbecher. Der Gott des Lebens – wie häufig läßt der zu Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit!

(Es ist) an sich ein schönes Bild, das die Familie so gerne wiederholt, was eigentlich in der ganzen Tradition unserer Familiengeschichte lebendig ist seit Jahr und Jahrzehnten. Da sehen wir halt: Der liebe Gott als Vater, das ist der Gott des Lebens. Der liebe Gott als Vater hat als Vater immer eine warme Hand. Da sollte man meinen, ja, das Leben, das würde uns nur etwas Genehmes, Angenehmes geben, wir brauchten überhaupt nicht zu fürchten, daß das Leid uns berührt, ehe wir dafür vorbereitet sind.

Aber nun kommt die Weiterentwicklung des Bildes: Diese warme Hand versteckt sich vielfach im eisernen Handschuh. Wie sieht der eiserne Handschuh aus? Das sind die Menschen, die uns Übles (an)tun. Wie sieht der eiserne Handschuh aus? Das mag ein Ungewitter der Natur sein. Wie sieht der eiserne Handschuh aus? Das kann Vater und Mutter sein, kann Lehrer sein, (kann) Vorgesetzter sein. Sehen Sie, das Kunststück des Lebens besteht nun darin, daß wir uns beugen ehrfürchtig anbetend dem Willen des Vatergottes, das heißt durch den eisernen Handschuh hindurch schauen und im Handschuh die warme Vaterhand Gottes zu entdecken (suchen).

Das ist wohl das größte Meisterstück in der heutigen Zeit. (Das) mag auch für uns, die wir noch jung sind, nicht so leicht fallen. Es ist halt so, wir leben ja in einer Zeit, die ja, ja bis zum äußersten von Mißgeschick auf Mißgeschick durchtränkt ist, in einer Zeit, die ihresgleichen sucht an Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Diktatur, Diabolismus. Und nun festzuhalten: der das uns alles zugedacht, ja wer ist das?, ist der Vatergott! Das ist der Vatergott, der alles aus Liebe tut! Und das soll so sein! Was soll alles so sein? Was wir erlebt haben. Wir brauchen bloß an unser junges Leben, die Älteren an das ältere Leben zu denken – wer von uns kann sagen, er hätte nicht in seinem Leben ungezählt viele Ungerechtigkeiten erfahren, ungezählt viel Kreuz und Leid, wofür er nicht vorbereitet (war), Kreuz und Leid, wofür er nicht tragfähig genug geworden (ist), wer kann das sagen? Und sehen Sie, da(rin) liegt es ja – ob wir jetzt in vorkonziliarer Zeit leben oder in nachkonziliarer Zeit -, die Dinge, die ich da berühre, gehören einfach zur Wesensstruktur unseres Seins und unseres Lebens!

An sich sollte ich jetzt wieder einen Augenblick bei dem Gedanken stehenbleiben: Wir verlernen an sich durchweg das staunende Sichverschenken. Ein Staunen. Oder wenn ich das (so) ausdrücken darf – ich spreche ja in der Hauptsache jetzt für Frauen -: Zum Wesen fraulicher Art gehört an sich ein ständiges Verehren, Verehrungswille, Verehrungsfähigkeit. Wenn die Frau nicht ehren und verehren kann, dann ist ihr Wesen in der Wurzel angekränkelt. Und die Gefahr, die ist heute allerorten. Ich mag jetzt nicht gelehrt sprechen und all die neuen Strömungen signalisieren, die durch die Welt hindurchjagen.

Man spricht ja von einem neuen Gottesbild. Was ist das für ein Gottesbild? Das ist Gott im Menschen. Aber was ist das für ein Gott? (Das) ist kein persönlicher Gott. Gott im Menschen, (d.h.) Gott über uns wird gestrichen. Gott über uns! Deswegen Anbetung des ewigen Vatergottes, sich beugen in Ehrfurcht, den lebendigen Gott verehren, ihm die Hand küssen, auch wenn er Gott weiß wie uns weh tut durch Verhältnisse!

Verstehen Sie, was ich jetzt alles sagen möchte? Es geht immer um denselben Gedanken. Wir mögen äußerlich noch so oberflächlich erscheinen, spielerich sein, ach, das Leben – auch in uns selber, das Denken, das Gären in uns selber – geht doch (eine) total andere Richtung. Wir mögen an sich Spielkinder genannt werden – wir haben ja auch ein gewisses Recht in unserem Alter, ausgelassen zu sein; (das) darf man auch in Schönstatt tun, auch wenn die Gottesmutter uns zuschaut, (die) hat nichts dagegen -, aber was Sie auf dem Grund der Seele innewerden, das wollen wir nicht totdrücken.

Also Antwort (auf die Frage): Sinn des Lebens? Ich meine, ich hätte jetzt eine Antwort gegeben; letztlich waren’s ja zwei. Ja, von dem Konzil aus gesehen: Was verlangt das Konzil von uns? Daß wir das Leben ernster nehmen als früher (und) daß wir es leichter nehmen. Eigentlich eine Gegensätzlichkeit. Aber um beides miteinander zu verbinden, schwer und leicht, dürfen wir nie übersehen: Es bleibt dem Strukturwandel unserer Natur entsprechend immer eigenartig selbstverständlich: Leben genießen ist nicht denkbar, ohne (auch) aufs Leben zu verzichten und den Gott des Lebens in unserem Leben ständig zu sehen, zu sichten und zu umarmen.

Aus: Vortrag vor der Frauenliga und Mädchenjugend, 1966, 10. 07. (B)

in: KENTENICH, Joseph, Propheta locutus est, Band VII 1966, Berg Sion 1990, S. 175-204, Seite 191 – 194