JoBr52-06_189-197 Die Deutung des Schönstätter Mariengeheimnisses II

JoBr52-06_189-197
Die Deutung des Schönstätter Mariengeheimnisses II

Maria ist die amtliche Schlangenzertreterin – Maria überwindet die Massendämonie

Maria ist die amtliche Schlangenzertreterin

Weil die Gottesmutter von Amts wegen Christusdienerin, Christuserzeugerin und -erzieherin ist, muß sie in gleicher Weise, das heißt von Amts wegen, auch Schlangenzertreterin sein. So steht ihr Bild am Anfang und Ende der Heilsgeschichte(16). Grignions Blick ist besonders vom Marienbild des Protoevangeliums gebannt. Das Wort »inimicitias ponam inter te et mulierem(17)« hat es ihm angetan. Für ihn ist im Weibe, so wie es hier gemeint ist, in prophetischer Vorausschau Maria als amtliche Schlangenzertreterin gemeint(18). Das heißt, die Aufgabe, der Schlange den Kopf zu zertreten, hat sie nicht etwa nur durch einen persönlichen Willensentschluß oder durch einen persönlichen Vorsatz, sondern schlechthin kraft ihres Amtes. Man kann sie schlechthin das personifizierte Antidiabolicum nennen. Deshalb durfte sie auch nie ein Bündnis mit dem Satan eingehen, sie durfte nicht einmal einen Augenblick seinem Einfluß ausgesetzt sein. Sie mußte vielmehr stets im vollkommenen Gegensatz, in Feindschaft zu ihm stehen.

Von hier aus fällt, wie leicht ersichtlich, helles Licht auf das Dogma von der unbefleckten Empfängnis und auf den Charakter ihrer Gesamtpersönlichkeit. Und alle, /

[190]

die ihres Samens sind, das heißt alle, die in Christus zu ihrer übernatürlichen Nachkommenschaft gehören, nehmen Anteil an dieser Frontstellung gegen Luzifer. Sie ist ja nicht nur die stellvertretende personale Spitze der Schöpfung Gott, sondern auch dem Teufel gegenüber; dort in ihrer positiven und hier in ihrer negativen Einstellung.

Wie wir alle in ihr das rechte Grundverhältnis zu Gott finden, so kommen wir in ihr und durch sie auch in die gottgewollte Frontstellung gegen den Teufel. All unser Kämpfen gegen ihn findet in ihr einen Sammelpunkt. Christus ist es, der dem Teufel das Haupt zertritt; er tut es aber als Same des Weibes, das heißt in engster Verbindung mit ihr. Christus ist gekommen, um das Reich und die Werke des Teufels zu vernichten. Wir tun es in ihm und mit ihm, tun es aber ähnlich wie er als Same des Weibes, das heißt im Bewußtsein unseres Weib-Samen-Charakters, genauer gesagt, im Bewußtsein unserer Verbindung mit ihr, dem großen Antidiabolicum, und in Abhängigkeit von ihr.

Diese ständige seelische Fühlung mit der Gebenedeiten unter den Weibern mag den Teufel reizen, sie mag ihn veranlassen, uns versuchsweise den Schaden zuzufügen, den er dem Weibe nicht antun kann, sie hat aber gleichzeitig an sich – auch ohne Rücksicht auf unsere beigefügten Wünsche – eine ausgesprochen exorzistische Kraft; das heißt, sie vertreibt den Teufel und macht seinen Einfluß unschädlich, mag er allein sein Unwesen treiben oder mit sieben anderen Geistern kommen, die schlimmer sind als er(19). Damit wächst die Stellung der /

[191]

Gottesmutter in Heilsplan und Heilsgeschehen ins Ungemessene; in gleicher Weise aber auch eine Marienverehrung, die sich dieser objektiven Seinsordnung anpaßt.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Grignion dem Fersesein im Protoevangelium. Nach ihm ist die Verwundung an der Ferse in ihrem symbolischen Charakter nicht nur Voraussetzung, sondern auch Bedingung des Sieges(20).

Im Heilands- und Marienleben will Leidensfähigkeit der Natur als Wunde an der Ferse aufgefaßt werden. Adam und Eva waren im vorerbsündlichen [[167]] Zustand frei von Leid und Todesnot. Des Vaters Wille hat es aber für den Sohn in göttlicher Weisheit und Güte anders bestimmt. Er sollte durch sein Leiden und Sterben den Teufel überwinden, den Vater versöhnen und den Menschen den verschlossenen Himmel öffnen. Die Gottesmutter durfte als seine amtliche Dauergefährtin und Dauerhelferin ihm in ihrer Art gleichgeschaltet und gleichgestaltet werden. Darum die mater dolorosa(21), darum das Leid in ihrem Leben.

Auch wir müssen – wir sprechen im Sinne von Grignion – an der Ferse verwundet werden, wenn die Heilsordnung sich an uns verwirklichen soll(22); das heißt ohne Opfer, ohne Verluste in der natürlichen Ordnung können wir nicht mithelfen, dem Teufel das Haupt zu zertreten und unser Heil zu wirken. Die Ferse ist das niedrigste, das unterste Glied am Körper, es kommt mit /

[192]

der Erde unmittelbar in Berührung; es trägt deshalb den Körper. Das will besagen: Ohne selbstlosen Dienmut in und mit Maria, ohne Zugeständnisse unseres Kleinseins und unserer Abhängigkeit in ihr und mit ihr können wir das Reich Gottes nicht in uns und um uns aufbauen noch das Reich des Teufels wirksam vernichten.

Das apokalyptische Weib trägt dieselben antidiabolischen Gesichtszüge. Die Geheime Offenbarung schildert den Riesenkampf zwischen Himmel und Hölle, zwischen göttlichen und diabolischen Großmächten unter dem Bilde von zwei großen Zeichen. Das eine ist das Weib, mit der Sonne bekleidet, den Mond unter den Füßen, auf dem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Das Weib ist die Kirche, ist Maria(23). Das andere Zeichen ist der feuerrote Drache mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und sieben Kronen auf den Köpfen. Der Drache ist der Teufel(24). Das besagt: Apokalyptische Zeiten haben einen starken Zug ins Marianische und Luziferische. Anders ausgedrückt: Es sind nicht rein natürliche Mächte, die jetzt um die Herrschaft ringen: Himmel und Hölle messen ihre Kräfte miteinander. In apokalyptischen Zeiten ist der Teufel aus der Hölle gelassen, er kann sein Unwesen treiben. Was liegt da näher, als sich auf das große Antidiabolicum zu besinnen, auf Maria, die Schlangenzertreterin oder das apokalyptisehe Weib?

Apokalyptische Zeiten sind luziferische, sie sind aber auch marianische Zeiten. Darum wächst vielerorts die /

[193]

Überzeugung: Mariens Zeit ist jetzt gekommen; sie muß auf dem Kriegsschauplatz erscheinen und ihre Aufgabe als amtliche Teufelsüberwinderin und Christusgebärerin und -erzieherin lösen. Das kann sie aber um so nachhaltiger, je vorbehaltloser die Menschen sich ihrem erzieherischen Einfluß öffnen, je eindeutiger ihre Stellung im Heilsplan erkannt und anerkannt wird.

Mit den umrissenen Gedanken bewegen wir uns in der Welt, in der Grignion zu Hause ist, aus der heraus er lebt und strebt und seine große marianische Zukunftsschau konzipiert hat. Seine echt menschliche Einstellung, die durchaus mit seiner übernatürlichen Instinktsicherheit vereinbar ist, läßt ihn zwei weitere Momente in der göttlichen Pädagogik hoch anschlagen: Die Gottesmutter soll nach seiner Auffassung hier auf Erden schon für ihre Demut belohnt(25), und Gott selber will jetzt schon für das Meisterwerk seiner Allmacht, Weisheit und Liebe gelobt und anerkannt werden(26). Deshalb die starke Umstellung in göttlicher und menschlicher Behandlung ihrer Vorzüge: Gott wird nicht müde, sie vor aller Welt zu verherrlichen, und die Menschen wetteifern in der Ganzhingabe an ihre Person und Sendung. So bewahrheitet sich das Wort: »Et exaltavit humiles(27).«

Die von Grignion geschaute und aufgezeigte große visionäre marianische Linienführung scheint den Plänen und Wünschen Gottes für die heutige Zeit abgelauscht zu sein. Als Beweis dafür mag die [[168]] Tatsache stehen, /

[194]

daß Leo XIII. und Pius X. sich im wesentlichen seiner Auffassung angeschlossen haben. Das gilt besonders von Pius X., wie seine Jubiläumsenzyklika(28) dokumentiert, die in allen Teilen von Grignionscher Lehre inspiriert ist. Nach derselben Richtung weist der große marianische Strom, der pegenwärtig durch die Welt rauscht und vor den Toren Deutschlands nicht haltmachen möchte. Gespeist wird er vorzüglich durch die Ereignisse in Fatima und durch die von Pius XII. geförderte Weihebewegung an das unbefleckte Herz Mariens, die durch die Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens neue Antriebe erhalten hat.

Es erübrigt sich, auf alle diese Lebensäußerungen näher einzugehen. Sie sind uns bekannt. Nur auf eines sei hingewiesen: In ihnen kommen deutlich die zwei Hauptanliegen Grignions zum Ausdruck: Entschleierung von Würde und Sendung der Gottesmutter und vollkommene Abhängigkeit von ihrer Person und ihrem erziehlichen Einfluß durch die Weihe. Sie dürfen deshalb als Beweis für die Richtigkeit der Grignionschen Schau, für den übernatürlichen Charakter der dritten Seite seines Mariengeheimnisses aufgefaßt werden.

Maria überwindet die Massendämonie

Die Weihe wird ans Herz Mariens getätigt. Man vergesse nicht: Es handelt sich dabei um einen gegenseitigen vollkommenen Güteraustausch, um vollkommenen gegenseitigen Liebesaustausch oder um vollkommene gegenseitige Herzensverschmelzung. Dadurch /

[195]

erhält diese Art Weihebewegung eine Note, die die Sendung der Gottesmutter zur Überwindung der modernen Massendämonie eindeutig klar hervorhebt, sie wirksam werden läßt und auf diese Weise Grignions Auffassung abermals neu beleuchtet.

Geistliche Schriftsteller gebrauchen zur Kennzeichnung der heutigen Lage gern den Ausdruck »corpus diabolicum(29)«. Das Wort ist dem »corpus Christi mysticum« nachgebildet. Die Inhalte decken sich jedoch nur teilweise. Durch solche Gegenüberstellung sollen die beiden kämpfenden Fronten abgegrenzt und charakterisiert werden. Hier handelt es sich um das Banner Christi, dort um das Banner Satans. Das sind die beiden hintergründigen Großmächte, die einander bekämpfen und hier auf Erden um Werkzeuge werben: Christus und Luzifer. Wie Christus seine Glieder, die mit ihm, dem Haupte, zu einer geheimnisvollen Einheit, zu seinem mystischen Leibe zusammengeschmolzen sind, mit seinem Geiste, dem Heiligen Geiste, erfüllt, so will der Affe Gottes auch eine sichtbare Körperschaft bilden, die er als seinen »Leib« ständig beeinflußt, die er als sein »Reich« stetig lenkt und führt und für seine Zwecke mißbraucht.

Will Christus seine Glieder zum Vollbewußtsein ihrer Würde, zum Adel der Gotteskindschaff emporbilden, so geht die Absicht Satans dahin, seine Anhänger zu entpersönlichen und in der Masse aufgehen zu lassen. Weil er die Masse nach seinem Gutdünken durch die »Antichristen(30)« in Bewegung setzt, spricht man von einer /

[196]

Massendämonie, das heißt von einer Masse, die vom Dämon regiert wird.

Welche Bedeutung der Bolschewismus der Masse beimißt, hat Stalin bei Gelegenheit durch Vergleich mit dem Riesen Antaeus veranschaulicht: Wie in der griechischen Sage der Riese Antaeus unbesiegbar blieb, solange seine Füße die Mutter Erde berührten, und nur erdrosselt werden konnte, weil Herakles ihn vom Boden hob, so ist die kommunistische Partei unbesiegbar, solange sie in den Massen verwurzelt ist. Losgelöst von den Massen aber wird sie geschlagen. Ein anderes Mal spricht er von der Notwendigkeit der Verbindung der Partei mit den Massen: Sonst ist es für die Partei unmöglich, nicht nur die Massen zu lehren, sondern auch von ihnen zu lernen; nicht nur die Massen zu führen und sie auf das Niveau der Partei zu heben, sondern auch auf die Stimmen der Massen zu lauschen und ihre brennendsten Nöte herauszufinden(31).

[[169]] Der Massenmensch feiert seine höchsten Triumphe im Bolschewismus. Dort ist er in Reinkultur anzutreffen, dort wird er auch bewußt in Reinkultur gezüchtet. Ihn meint man, wenn man von Gefahr aus dem Osten spricht. Der Massenmensch ist aber – wenn auch in geringerem Grade verwirklicht – schlechthin die Gefahr aus dem Westen und für den Westen. Als seelisches Problem gesehen ist er eine Gefahr, der der Durchschnittsmensch bedingungslos zu erliegen droht. Er schließt eine seelische Verhaltensweise in sich, die sein ganzes Wesen charakterisiert und zum Totengräber /

[197]

nicht nur der abendländischen, sondern jeglicher Kultur macht.

Er muß als seelische Krankheit angesprochen werden, die bis ins innerste Mark des Denkens und Wollens eingedrungen ist und das Gesamtverhalten zu allen Fragen des Lebens bestimmt. Für den oberflächlichen Beobachter zeigt sie sich nach außen als Gleichgültigkeit und Unwissenheit. Wer tiefer blickt, wer bis zur Wurzel der Krankheit vordringt, signalisiert deutlich und klar den Bazillus des Massenmenschen, der bereits viel seelische Verheerung und Verwilderung angerichtet hat und epidemischen Charakter annimmt; der alle Persönlichkeitsrechte, vor allem Recht und Pflicht persönlicher Entscheidung und Verantwortung, auf die Masse, benauer gesagt auf den Exponenten der Masse überträgt: auf den Führer oder den Diktator, oder wie man auch immer den Herrenmenschen, den Ordner der Masse nennen mag, der es versteht, die chaotischen Massen in Bewegung zu setzen und sie als williges Werkzeug zu benutzen, mit dem er nach Belieben spielt, um ihm dafür gelegentlich Brot und Spiele – panem et circenses – anzubieten.

Der so zum Glied einer Maschine herabgewürdigte Mensch denkt nicht mehr selbständig. Er kann es nicht mehr, er will es nicht mehr. Er läßt andere für sich denken: seine Zeitung, das Radio, Television, die Masse. Dafür sind seine Sinne wach, überwach geworden, sie sind hungrig, sie sind heißhungrig; sein ganzes Interesse gehört dem, was mit den Sinnen, den Augen, Ohren, Händen wahrgenommen wird. Alles andere hat für ihn wenig oder gar keine Bedeutung.

16. Vgl. Gn 3,15 und Apk 12.

17. Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe (Gn 3,15).

18. Vgl. Abhandlung, Nr. 51-52.

19. Vgl. Mt 12,45.

20. Vgl. Abhandlung, Nr. 54.

21. Die Schmerzensmutter.

22. Vgl. Abhandlung, Nr. 54.

23. Vgl. Apk 12,1.

24. Vgl. Apk 12,3.

25. Vgl. Abhandlung, Nr. 28.

26. Vgl. a.a.O., Nr. 50.

27. Und er erhöhte die Niedrigen (Lk 1,52).

28. »Ad diem illum« vom 2.2.1904 (ASS 36, 449-462).

29. Teuflischer Leib. Vgl. H.E. Hengstenberg, a.a.O., 31.

30. Vgl. 1 Jo 2,18.22.26f.; 4,1-3; 2 Jo 7 f.; 2 Thess 2,3 f.

31. Vgl. J. Stalin, Zu den Fragen des Leninismus, in: Fragen des Leninismus, Moskau 1947, 162 f.; und: Geschichte der kommunistischen Partei der Sowjetunion, Berlin 1946, 438.

Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. – www.patris-verlag.de