Im öffentlichen Leben des Heilandes sind drei Abschnitte leicht erkennbar: Die Zeit der Erfolge, der Mißerfolge und der Verklärung.
Nach seinem ersten öffentlichen Auftreten entsteht eine Volksbewegung. Alles eilt dem großen Wundertäter und weisen Lehrmeister nach. Es scheint, als wenn das Volk in Liebe und Glauben sich ihm ausliefern wollte. Das ist die beglückende Zeit und Seite im öffentlichen Heilandsleben. Sie dauert aber nicht lange. Sie wird schon bald abgelöst durch die erdrückende Wahrnehmung, daß erst die Führer des auserwählten Volkes und dann die große, breite Masse ihn ablehnen. Sobald diese Tatsache stärker in Erscheinung tritt, zieht der Heiland sich mehr aus dem öffentlichen Leben zurück und widmet Liebe, Zeit und Kraft der Schulung und Erziehung seiner Apostel und Jünger. Indessen ballen sich die Wolken über seinem Haupte zusammen, die Schlinge wird enger und enger gezogen, bis er am Karfreitag am Schandpfahl des Kreuzes sein Leben hergibt für die Erlösung der Welt. Am dritten Tag steigt er aus eigener Kraft aus dem Grab empor. Er steht vor der staunenden Welt als der glorreiche Held, der verklärte Sieger über Tod und Teufel. Diese dritte Seite in seinem Leben ist deshalb so entzückend, weil nunmehr auch seine menschliche Natur hineingezogen ist bis in die niederen Partien in den Glanz der visio beata und weil er diese Herrlichkeit für sich und seinen mystischen Leib verdient hat durch sein Leiden und Sterben.
Die Liturgie spricht darum von einer beata passio, und der Heiland selbst gibt die aufschlußreiche Erklärung: „Mußte nicht Christus das alles leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ (Lk 24,26). Die entzückende Seite seines Lebens umfaßt also nicht nur seine Auferstehung und Verklärung, sondern auch seine Leidenszeit – aber nur insofern, als sie Ursache und Kaufpreis ist für Auferstehung und Verklärung.Die Kirche ist der geheimnisvolle Leib Christi. Sie nennt sich selbst gern die Braut des Herrn und sieht in der lieben Gottesmutter und deren Brautschaft ihr vollkommenstes Vorbild und Abbild. Es ist leicht verständlich, daß der Leib dem Haupte, die Braut dem Bräutigam ähnlich werden sollen und wollen. Der Heiland beabsichtigt – so sagt man gern -, sein Leben in allen Abschnitten und Stufen in seiner Kirche nochmals zu leben. Füglich muß auch die Kirchengeschichte eine beglückende, erdrückende und entzückende Seite aufweisen.
Dasselbe gilt von unserer Familiengeschichte, weil wir uns in Demut und Dankbarkeit als vorzügliches Glied der Kirche auffassen dürfen. Mit Recht nenne ich darum unsere Familiengeschichte eine Heilandsgeschichte. Der Ausdruck ist uns weniger geläufig. Wir sind noch daran gewohnt, unser Familienleben als Marienleben, als ein Nachleben des historischen Marienlebens aufzufassen. Das ist aber nur deshalb möglich, weil die Gottesmutter das Heilandsleben in vollkommenster Weise ab- und nachgebildet hat. Beide bilden eine unzertrennliche Einheit. So erinnert der Rosenkranz, der eine Gesamtschau des Marien- und Heilandslebens gibt, in seinen drei Teilen sehr deutlich an die beglückende, erdrückende und entzückende Seite im Leben von beiden.
Es fällt uns nicht schwer, dieselbe dreifache Seite im Marienleben wiederzufinden, wo sie in ihrer Art den Heiland in seinem öffentlichen Wirken begleitet. Beide sind und bleiben in ihrem Sein und Wirken in geheimnisvoller Weise miteinander verbunden: wie Mutter und Kind, wie Braut und Bräutigam.
Wer solche Zusammenhänge vor Augen hat, der bleibt mit großer Liebe stehen vor den einzelnen Seiten unserer Familiengeschichte.
Erschienen in:
Joseph Kentenich
Christus mein Leben
Ausgewählte Texte zum Christus-Jahr 1997
Herausgegeben von Günther M Boll, M. Pia Buesge, Peter Wolf
Patris-Verlag Vallendar-Schönstatt
www.patris-verlag.de
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