CS16 CAUSA SECUNDA Text 16

CS16 CAUSA SECUNDA Text 16

Aus: Marianisch-pädagog. Kurs. Spezielle Prinzipienlehre einer modernen kath. Jugend-Erziehung 1932

Marianische Gebundenheit.

Das ist ein Punkt, den ich Ihnen mit großer Liebe darlegen möchte und dessen Verständnis eine neue herrliche Welt erschließt. Doch will ich eine recht nüchterne Darstellung geben.

Zwei Gedanken:
1. Was heißt marianische Gebundenheit,
2. was bedeutet marianische Gebundenheit?

1. Was heißt marianische Gebundenheit? Ich wähle dafür 3 Ausdrücke:
1. in schlichter Weise an die Person der Gottesmutter gebunden sein,
2. eine kindliche Marienverehrung,
3. das Leben in der Gottesmutter.

Wenn Sie das verstehen, dann haben Sie eine ganz moderne Psychologie und Pädagogik vor sich. Ich bin mit allen Fäserchen meiner Seele an die Person der lieben Gottesmutter gebunden.

1. Wir suchen zunächst Verbindungslinien mit dem, was wir in der allgemeinen Prinzipienlehre sagten. Wir sprachen von Gebundenheit an den Führer, von priesterlicher Väterlichkeit und Mütterlichkeit. Wir suchten da letzten Gesetzmäßigkeiten nachzuspüren. Das Verhältnis zum priesterlichen Führer beruht auf dem Gesetz der Dbertragung und Loslösung.

a) Gesetz der Übertragung.

Denken Sie einmal nach, ob Sie einen edlen gottgesandten Erzieher hatten. Was hat da das Gesetz der Obertragung zu bedeuten? Ein überaus starkes Geborgenheitsbedürfnis liegt bei den Menschen metaphysisch begründet in der Geschöpflichkeitswirklichkeit, nicht etwa im Gehorsam. Naturgemäß sollte dies Bedürfnis in der Jugend bei den Eltern befriedigt werden. Es kommt aber dann die Zeit, wo der jugendliche Mensch dies Anlehnungsbedürfnis nicht mehr bei den leiblichen Eltern befriedigen möchte, sondern bei geistlichen Eltern: der Kindesaffekt und das Anlehnungsbedürfnis wird übertragen. In diesem Zusammenhang müssen wir marianische Gebundenheit deuten. Wenn wir von marianischer Gebundenheit sprechen, heißt das: hier fängt das Gesetz der Übertragung zu funktionieren an. Mein Anlehnungsbedürfnis will bei Maria befriedigt werden. Das Kind der Mutter gegenüber wird bei mir wach. Welche große Bedeutung hat das?

1) Der Mensch sieht durch den, an den er gebunden ist das ganze Weltbild. Nicht bloß verstandesmäßig, so wird es auch triebmäßig inne. Das sind ganz wesentliche Dinge. Wenn Sie das verstehen, ahnen Sie welche Schlüsse wir ziehen dürfen, welche große Bedeutung und Wirkung die Gebundenheit an Maria hat. Das bedeutet die ideenmäßige und triebmäßige (Lösung) aller großen Lebensprobleme in einer Person. Ja, das ist etwas ganz wichtiges. Der Weg über Maria geht schnurstracks in den Schoß des dreifaltigen Gottes. Wer daher eine kindliche Marienverehrung geschaffen hat, hat das Kernproblem der Erziehung gelöst. Es macht mir große Freude, ganz alte Wahrheiten aus neuen Erkenntnissen heraus sagen zu dürfen.

2) Man fühlt sich geborgen in der Person, an die man gebunden ist, auch wenn die Person nicht mehr lebt. Schon die Erinnerung z.B. an den gestorbenen Lehrer befriedigt das Geborgenheitsbedürfnis.

b) Das Gesetz der Loslösung .

Was heißt das? Ist das Gesetz der Loslösung ein Losreißen, ein wirkliches, totales sich abwenden von dieser Person? Das kann es nicht sein und soll es nicht sein. Ich will das Gesetz so formulieren: Das Gesetz der Loslösung bedeutet Lockerung und Weiterführung. Ich bin z.B. an den Erzieher gebunden. Ich reife heran, der Erzieher, als echter Erzieher tritt zurück. Er will sich loslösen und an Gott binden. Ist das nun eine vollständige Entbindung? Nein, sondern eine Lockerung und Weiterführung. Die Bindung wird zu einem höheren dritten weitergeleitet. Wir müssen diese Gesetze klar einsehen, um so den ganzen Organismus vor uns zu haben.

Das war eine Erinnerung an Dinge aus der allgemeinen Prinzipienlehre.

2. Ich darf diese Gedanken nun illustrieren und vertiefen an dem Leben von Bischof Joh.Mich. Sailer. An seinem Verhältnis zu seiner Mutter und Schwester. In unserer Sprache würden wir dafür sagen: seine Gebundenheit an Mutter und Schwester. Die Gebundenheit an Mutter und Schwester hat ihn in der Religion festgehalten. Der große Mann fühlte sich geborgen in der Bindung an diese schlichten Persönlichkeiten. Die größten Probleme löste ihm, dem Gelehrten die Mutter. Er war weit über ihre geistige Höhenlage hinausgewachsen. Aber seine ganze Haltung zum Leben wurde aus dieser Gebundenheit heraus bestimmt. Keine Schwierigkeit, keine Sünde, konnte ihn abwendig machen.

Können wir unsern Kindern etwas Schöneres mitgeben als eine tiefe Marienverehrung, die das Geborgenheitsbewußtsein befriedigt? Wenn wir doch das verständen, was ich hier wissenschaftlich psychologisch auseinandersetze! Wenn wir doch unsern Kindern alles wären, damit sie an uns gebunden würden und durch uns die Umwelt sähen und erkännten! Wir würden uns eine dreifache Unsterblichkeit sichern: im Himmel, im Herzen der Kinder und auch dadurch, daß ihr Leben eine ständige Gebundenheit an uns darstellt. Sehen wir die Kirche mit Maria an der Spitze. Das ist der gesunde Weg, auf dem dem Kinde das Göttliche beigebracht wird. Durch die Gebundenheit an die Mutter. Sollte es nicht so sein, je mehr Maria als Mutter der Kirche erkannt wird?

Das wäre einiges. zum Gesetz der Gebundenheit und den Wirkungen dieser Gebundenheit. Michael Sailer, der so viele Dinge bei sich und andern hat durchkämpfen müssen, er hat sie gelöst bekommen durch seine Mutter. Zu seiner Schwester hatte er ein ähnlich tiefes und feines Verhältnis. Alle Schwierigkeiten löste ihm ein Blick in das Herz seiner Mutter.

Marianische Gebundenheit: nachdem ich so den Boden vorbereitet habe, will ich zeigen, was das im Einzelnen heißt.

 

Vierter Vortrag.

In der Wesensdefinition (der) marianischen Erziehung haben wir ein dreifaches Moment unterschieden: Marianische Haltung oder marianischer Lebens-und Arbeitsstil, marianische Gebundenheit, die Verbindung zwischen marianischer Haltung und Gebundenheit. Wir stehen an der marianischen Gebundenheit, und haben die Frage aufgeworfen: was heißt marianische Gebundenheit? Wir suchten dafür verschiedene Ausdrücke und fanden dafür: innere seelische Gebundenheit an die Person der Gottesmutter.

Um das in größere Zusammenhänge zu stellen, haben wir Gedankengänge des letztjährigen allgemeinen pädagogischen Kursus wiederholt. Wir sprachen von der seelischen Gebundenheit an eine Person und ihre Bedeutung und gaben dazu eine Illustration.

Nun wollen wir diese Gedankengänge auf die seelische Gebundenheit an die Gottesmutter anwenden. Dieselben allgemein gültigen Gesetzmäßi,,,gkeiten sind hier zu übertragen auf das kindliche Verhältnis. zur Gottesmutter.

a) Das Gesetz der Übertragung.

Was wird übertragen: unser Geborgenheitsbedürfnis wird auf die Gottesmutter übertragen. Das heißt nicht, als ob das nicht vorher schon irgendwie dagewesen wäre, etwa Gott oder dem Heiland gegenüber. Ähnlich wie es in der natürlichen Ordnung ist; ehe es eine Dbertragung gibt, war vorher bereits etwas da. Es gibt keine marianische Gebundenheit, wo nicht Christusgebundenheit vorhanden ist. Sonst ist sie entweder Häresie oder ein rein natürlich Ding. Es braucht vorher Christusgebundenheit, es handelt sich ja nach der Definition um Fähigkeit und Bereitschaft als Kind Gottes und Glied Christi aus marianischer Gebundenheit heraus zu leben. Es wird also etwas vorausgesetzt. Das schließt nicht aus, daß einer vorzüglich gebunden ist an die Gottesmutter. Ob der Heiland dabei ins Hintertreffen kommt? Wenn wir die inneren Zusammenhänge klar sehen und die Fähigkeit besitzen, sie anzuwenden, löst sich alles.

Marianische Gebundenheit schließt an sich eine Übertragung eines ganzen Geborgenheitsbedürfnisses an die liebe Gottesmutter ein. Das schließt ein Doppeltes in sich: nicht nur, daß wir uns geborgen fühlen, wir sehen zweitens auch, in dem Maße als wir an sie gebunden sind durch ihre Person, das ganze Weltbild. Wir erkennen das nicht bloß verstandesmäßig, wir werden es auch triebmäßig inne. Will ich marianische Haltung haben, dann muß ich marianische Gebundenheit suchen. Habe ich die, dann habe ich Haltung zu Gott, zum Leben, zu mir selbst. Dann verstehe ich, daß das Kabinettstück der marianischen Erziehung die kindliche Marienliebe ist. Das wird so viel abgelehnt, besonders in liturgischen Kreisen. Wir müssen das scharf herausstellen.

b) Das Gesetz der Loslösung.

Ich antworte auf die Schwierigkeit: ist es eines Christus (Christen?) und eines Mannes unwürdig, das Geborgenheitsbedürfnis an die Gottesmutter zu hängen: das ist ja schon Gebundenheit an den Heiland, die muß ja schon da sein. Wir übertragen es nur für kurze Zeit, um es nachher um so nachhaltiger an Gott zu binden. Stimmt das nicht? In dem Ausmaße als ich an die Gottesmutter gebunden bin, bin ich gebunden an das, an was sie gebunden ist. Wir wollen die Bahn freilegen. Ich sehe durch ihre Person nicht nur die Welt, ich werde auch triebmäßig die ganze Welt und das Lebensbild inne.

Eine zweite Antwort: Das Gesetz der Loslösung bedeutet nicht Entfremdung, höchstens Lockerung zu Gunsten einer Weiterführung, einer Weiterleitung. Das Gesetz der Loslösung muß in diesem Fall sicher wirksam werden, wirksam werden aus psychologischen Gründen. Aber auch, weil die Gottesmutter die Aufgabe hat, Christusgestalterin zu sein. Wenn sich mir jemand schenkt, muß ich dafür sorgen, daß diese Bindung weitergeleitet wird, entweder durch seine Persönlichkeit oder Tätigkeit zu Gott, dem Ziel unseres Seins. Wenn ich mich der Gottesmutter hingebe, erzieht sie mich, löst mich, führt mich weiter. Sie ist ja die Christusbringerin. Genau wie ich als Erzieher die mir Anvertrauten weiterleiten muß.

Wir wollen hier stehen bleiben, weil wir den Boden vorbereitet haben für die Lösung der modernen Probleme. Wir treffen damit einen ganzen Komplex von Schwierigkeiten. Wir haben das Empfinden, wenn wir längere Zeit Marienverehrung gepflegt haben, daß die Heilandsliebe aufbricht. Dies Nebeneinander glaubten wir nicht aushalten zu können. Das ist eine verkehrte Analyse. Wir empfinden das nur in unserer Enge als ein Nebeneinander, ähnlich wie wir den Einbruch jeder neuen Persönlichkeit und jeden Erlebnisses empfinden. Es scheint das ein Nebeneinander zu sein, es ist aber kein Nebeneinander. Was ist es, was muß es sein? Es ist ein Ineinander. Wenn jemand auf irgendeiner Tagung in Süddeutschland sagte, daß auf eine Zeitlang Marienverehrung Heilandsverehrung oder etwas anderes folgen müsse, so ist dazu zu bemerken: hier wird das geistliche Leben als Mechanismus, nicht als Organismus betrachtet. Es wirkt ja das Gesetz der Weiterleitung. Es ist nicht ein Nebeneinander, sondern ein Ineinander. Paulus nennt sich in einem Briefe die forma gregis. Ist aber nicht Christus die forma gregis? Wenn die geistlichen Kinder an Paulus gebunden sind, sind sie dann nicht auch an den Heiland gebunden, an den er gebunden ist? Es ist ein wundersam feines Ineinander. So stelle ich mir auch die visio beata vor. Ich bin an einen Menschen gebunden, ich sehe in ihm einen Strahl göttlicher Herrlichkeit. Durch ihn bin ich an das Göttliche gebunden. Werde ich dadurch nun von den Menschen losgelöst? Nein, ich erlebe in ihm und durch ihn das Göttliche. So erlebe ich aus dem Gebundensein an die Gottesmutter die Bindung an das Göttliche. Wie wird hier doch der soziale Trieb gebunden! Wir sind alle ineinander und damit Gott verbunden. Eine große, weite, tiefe Einheit.

Von diesem Standpunkt aus lassen sich ähnliche Probleme lösen. Eine ganze Menge derartiger Schwierigkeiten liegen in der Luft. Welch gefährliche Dinge sind das vor allen von Seiten der Volksführer, wenn sie in diesen Fragen nicht sicher sind. Wenn man sagt: Marienverehrung hast du mal gehabt, jetzt hast du Heilandsverehrung. Marienverehrung brauchst du jetzt nicht mehr; – es ist das total verkehrt.

Wie weit es eine hochstrebende Seele in diesem Punkte bringen kann, sehen Sie an Kardinal Newman. Er war früh an Gott gebunden. Er erlebte das Gesetz der Obertragung. Er entdeckte in Christus das Antlitz des geistigen Gottes. Er bekam eine persönliche Liebe zum Heiland. Und wie lang brauchte er, bis er ein Organ für Marienverehrung und Heilandverehrung hatte. Wie wurde er doch später kindlich. Er machte Litaneien zu allen Heiligen. Da war alles ineinander. Wenn er sagte: heiliger Antonius, bitte für uns, dann klang alles mit. Wir müssen das Ineinander erleben. Ich hänge am dreifaltigen Gotte, du hast den heiligen Antonius gern. Ich muß nur irgendwo in den Organismus hineinspringen und schwimmen. Wir müssen den ganzen Organismus in seiner Totalität erleben. Das ist katholische Weitzügigkeit. Dogmatisch und psychologisch orientiert.

Aber wie ist es mit dem Empfindungsmäßigen? Ich habe früher eine zarte Liebe zum Heiland gehabt; seitdem die Marienverehrung da ist, schwindet sie. Das ist aus der Enge des Bewußtseins zu erklären. Wir können über ein gewisses Maß von Gefühlswärme nicht hinaus. Damit ist die Heilands-liebe aber noch lange nicht minder. Es dreht sich nicht um Gefühlsliebe, sondern um die Willensliebe. Weshalb lieben wir denn die Mutter Gottes? Des Heilandes wegen. Wie oft kommt es vor, daß einer einen Menschen gefühlsmäßig lieber hat als Gott.

Was heißt also marianische Gebundenheit?

1. innerliches, seelisches Gebundensein an die Gottesmutter. Das haben wir jetzt dargestellt. Wir haben früher noch zwei andere Ausdrücke dafür genannt:

2. kindliche Marienverehrung,

3. das Leben in Maria, ein Ausdruck, der besonders bei Mitgliedern der liturgischen Bewegung verpönt ist. Wenn ich einem Menschen verbunden bin, dann lebe ich in ihm. Psychologisch sehen! Wenn wir uns zur Weite erzogen haben, dann haben wir keine Abwehrgefühle mehr dagegen, Ausdrücke, die auf den Heiland angewandt werden, auf die Gottesmutter zu übertragen. So haben es die Heiligen gemacht. Etwa: per ipsum, cum ipso, in ipso. Wenn uns das in der Liturgie auf die Gottesmutter angewendet begegnet, so stört uns das nicht, wir können es auch auf sie deuten. Per ipsam, et cum ipsa ist gleich marianische Haltung. In ipsa bedeutet marianische Gebundenheit. Wir müssen frei werden von der Engbrüstigkeit, oder wenn Opferung, Wandlung, Kommunion auf ihr Leben angewandt wird. …. Das ist die letzte metaphysische Welt.

vervielfältigt/Wachs, 62 Seiten A4, S.16-20 *