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DAS GRUND- UND BAUGESETZ SCHÖNSTATTS
Die Studie geht von den augenblicklichen Auseinandersetzungen um Schönstatt aus. Diese hat nicht bloß die Organisation, sondern auch Geist und Leben zum Gegenstand. Es schickt sich deshalb, daß ich dem für beide Teile geltenden metaphysisch letzten Grund- und Baugesetz eine Form gebe, die die Anwendung auf alle einschlägigen Fragen und das mitklingende Lebensgefühl erleichtert. So entsteht der Merksatz:
Sinngemäße organisatorisch-juristisch starke Machteinschränkung oder Entmachtung, verbunden mit außergewöhnlich reicher lebensmäßiger Machtfülle.
Damit haben Sie die Metaphysik Schönstatts vor sich, ob Sie es als nüchterne Organisation oder als lebendigen Organismus auffassen. Deswegen in der Formulierung die beiden stark betonten Merkworte »organisatorisch-juristisch« und »lebensmäßig«. Der Hierarchie ist es begreiflicherweise um Wahrung der eigenen Rechts- und Machtfülle zu tun, und die Hauptsorge des Visitators gilt nachweisbar der vielgestaltigen Entmachtung Schönstatts. Deshalb in der Formulierung das Gegensatzpaar »lebensmäßige Machtfülle« und »organisatorische Machteinschränkung oder Entmachtung«.
Der erste Teil des so formulierten Grund- und Baugesetzes weist auf das letzte Organisationsprinzip hin. Es hat nachweisbar von Anfang der Familiengeschichte an durch alle Etappen hindurch bis zum heutigen Tage meine organisatorische Tätigkeit getragen, inspiriert und bestimmt. Ich wollte in alleweg nur soviel juristisch gesicherte Organisation, als absolut notwendig war, um /
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das Ganze für alle Zeiten, Zonen und Situationen trag- und widerstandsfähig zu erhalten: mag es sich dabei um die Familie in ihrer Eigenständigkeit oder in ihrer Gliedhaftigkeit im Rahmen der bereits bestehenden hierarchischen Ordnung handeln. Organisation war für mich immer nur ein Netz von Kanälen, das zwar bedeutungsvoll ist, aber nicht als Hauptsache angesprochen werden kann. Hauptaugenmerk und Hauptsorge galt immer dem durchflutenden machtvollen Strom. Organisation war Nebensache; Organismus – das will heißen: Geist und Leben – blieb in allen Lagen mein Hauptanliegen. Deswegen der zweite Teil der Formulierung des metaphysischen Grund- und Baugesetzes: »außergewöhnlich reiche lebensmäßige Machtfülle«.
Lebensmäßige Machtfülle
Soweit ich bisher – ob aus dem Vorder- oder Hintergrund – in den augenblicklichen Streit eingegriffen habe, hat es sich immer um Rettung, Sicherung und Vermehrung dieses Lebensstromes gehandelt. Darum das ewige Ringen um Anerkennung und Benutzung des außergewöhnlich reichen Gnadenstroms aus unserem Heiligtum – früher haben wir dafür »Schönstattgeheimnis« sagen dürfen[5] -, um die Erziehung des neuen Menschen /
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in der neuen Gemeinschaft und um unsere Erziehungsmethode. Das Generalstatut nimmt dazu keine ausdrückliche Stellung, wohl nennt es unser Heiligtum, setzt sich aber mit seiner Bedeutung nicht auseinander und kümmert sich nicht um seinen Eigenwert und Symbolgehalt. Das ist ein Standpunkt, den man nur dann vertreten kann, wenn man sich in unserem Lebensstrom wohlfühlt wie ein Fisch im Wasser. Man kann die Idee vertreten: Organisation ist Organisation und Leben ist Leben. Beides soll in Formulierung und Darstellung getrennt sein. Das will nicht heißen, der entgegengesetzte Standpunkt sei nicht auch vertretbar. So beschäftigte sich denn das Generalstatut ausschließlich mit Organisationsfragen.
Juristische Machteinschränkung
[[4]] Man hat mich in die Verbannung geschickt, (…) – und das alles mit der ausdrücklichen Begründung, »daß die Bewegung ad mentem visitatoris[6] und nicht ad mentem Patris Kentenich geführt werden müsse«. Bei Gelegenheit des Tischgespräches am Gründonnerstag in der Marienau erklärte der Visitator: »Eine juristische Abgrenzung für das Gesamtwerk müsse auch aus dem Grunde geschaffen werden, damit Sie (gemeint bin ich) bei Ihrer Rückkehr unter keinen Umständen bestimmte Grenzen überschreiten können.« So würde der Visitator nicht sprechen und denken, wenn er meine persönliche Einstellung auch nur in etwa in sich aufgenommen hätte!
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Kaum jemand aus unseren Reihen steht so stark auf dem Boden der juristischen Entmachtung Schönstatts wie ich, weil ich immer im Sinne des oben bezeichneten ersten Teilprinzips an der juristischen Machteinschränkung der Zentrale und der Genossenschaft der Pallottiner festgehalten habe. Nicht selten mußte ich mir deswegen den harten Vorwurf gefallen lassen, ich würde die Gesellschaft an die Bewegung verraten. Das geschah besonders damals, als die Verbände selbständig wurden und in der historischen Entwicklung der Dinge der Zeitpunkt gekommen war, den Standort der Liga in ihrem Verhältnis zu Pfarrer und Bischof juristisch abzugrenzen. Weil ich auch jetzt an der juristischen – nicht an der lebensmäßigen – Entmachtung des Institutes der Verbandspriester festhalte, sind nicht nur Meinungsdifferenzen, sondern auch Stimmungsschwierigkeiten von deren Seite mir gegenüber entstanden. Ich würde mich nicht wundern, wenn infolgedessen da und dort jemand die Meinung ausspräche: »Gott sei Dank, daß er jetzt nicht hier ist! So können wir unsere Auffassung nach unserem Geschmack durchsetzen.«
Hierher gehört gleichfalls mein wirksames Bestreben nach persönlicher Entmachtung. Als die Verbände mir nach ihrer Verselbständigung eine juristische Machtstellung anboten, habe ich sie bewußt abgelehnt. Und als man mir durch die Gefolgschaftsströmung ein gleiches Recht über alle Gliederungen zuerkennen wollte, schlug ich konsequenterweise in dieselbe Kerbe und nahm lediglich eine Vertrauensstellung an, wie sie einem überzeitlichen Haupt und Gründer einer Familie naturgemäß unter allen Umständen eignet.
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So glaube ich denn feststellen zu dürfen, daß der Visitator und der Episkopat in Festlegung und Durchführung des Organisationsnetzes kaum einen besseren Bundesgenossen und Garanten gefunden hätten als mich. Der Grund liegt in sorgfältigster Berücksichtigung der gesamten objektiven Seinsordnung, sowohl der vergangenen als auch der gegenwärtigen und zukünftigen. Ich denke da vor allem an das Amt des Episkopats, das göttlichen Rechtes ist, und an seine historisch gewordenen und verbrieften Formen und Rechte, denke aber auch an die Gestaltwerdung des Ordens- und Vereinslebens im Raume der gegenwärtigen Kirche, denke endlich und nicht zuletzt an das klar geschaute Zukunftsbild unserer Gemeinschaff in seiner Endform und an seine möglichst reibungslose innige Verbindung mit den bestehenden Organisationsformen. Das alles ist weiter nichts als eine konkrete Anwendung unseres alles beherrschenden Grundsatzes: Ordo essendi est ordo agendi, das heißt die Seinsordnung bestimmt die Lebensordnung; das Sein lenkt das Sollen und das Wollen.
Der erste Teil des Grund- und Baugesetzes
Die Schwierigkeiten mit den kirchlichen Instanzen liegen auf einer anderen Seite: dort, wo es sich um Geist und Leben handelt. Wie Episkopat und Visitator darüber denken, ist auf anderen Blättern verzeichnet. Wenn spätere Geschichtsschreiber ein Wort über den Einfluß Schönstatts [[5]] in gegenwärtiger Zeitepoche zu sagen wissen, so werden sie erklären müssen, daß dieser Einfluß nicht im Organisationsnetz, sondern in der außerordentlich starken Dynamik des Schönstätter Lebensstromes zu finden ist, der aus unserem Heiligtum auf- /
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bricht, durch die Lande rauscht, auf seinem Rücken Kähne und Schiffe aller Gattungen und Formate trägt und tragen möchte und wiederum dorthin zurückflutet.
Weil es sich in der Studie hauptsächlich um den Statuten-Entwurf handelt, nimmt sie vornehmlich Stellung zum ersten Teil des metaphysischen Grundgesetzes. Der zweite Teil ist in den letzten Monaten so oft und so klar von mir dargestellt worden, daß es sich erübrigt, hier noch einmal ausführlicher darauf einzugehen. Nebenbei mag an gegebener Stelle Rücksicht darauf genommen werden. Zum besseren Verständnis der folgenden Gedanken empfiehlt es sich, den Vortrag, den Pater Menningen am 7. Januar 1948 über »die soziologische Struktur der Schönstattfamilie« gehalten hat, zur Hand zu nehmen, besinnlich durchzulesen und selbständig durchzustudieren. Ich beschränke mich darauf, das besagte Teilprinzip in seiner inneren Substanz, in seiner historischen Entwicklung und in seiner praktischen Ausprägung in den verschiedenen Leitbildern skizzenhaft zu umreißen.
Aus: Joseph Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts. I. Teil: Geist und Form, Vallendar-Schönstatt 1971, 242 S. – www.Patris-Verlag.de
[5] Der Begriff »Schönstattgeheimnis« geht zurück auf eine Äußerung des Generalpräses Prälat Wolker gegenüber einem Schönstattpriester aus dem Jahre 1930, hinter das Geheimnis Schönstatts sei er noch nicht gekommen (Mater ter admirabilis 1931, 65 f.). Als die Gymnasialjugend im Studienheim Schönstatt am 8. 12. 1933 ein Spiel über das Geheimnis Schönstatts aufführte, prägte P. Kentenich diesen Begriff in »Schönstattgeheimnis« um. Nachgebildet ist er dem »Geheimnis Mariens« Grignions. Im Laufe der Visitation wurde dieser Begriff beanstandet und einige Zeit nicht benutzt.
[6] Im Sinne des Visitators.
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