II. Es besteht eine ständige Wechselwirkung zwischen Diesseits und Jenseits
Wir können diese Wahrheit von zwei Seiten aus betrachten: vom Diesseits und vom Jenseits aus. Je nachdem bekommen die Formulierungen eine andere Gestalt.
1. Vom Jenseits aus betrachtet
Da haben Sie eine Kette von drei selbstverständlichen, aber tiefgründigen Wahrheiten.-(S.31)-
c. Gott tut es für gewöhnlich durch Zweitursachen
Zweitursachen. Das ist zunächst der Gottmensch Jesus Christus. Das ganze übernatürliche Reich mag vor uns aufmarschieren: die Gottesmutter, die Schutzengel, die Armen Seelen im Fegfeuer. Wenn wir Fühlung halten mit der jenseitigen Welt, dann spüren wir sofort die Konsequenz auf den Nägeln brennen: Wir wollen nicht nur Fühlung halten mit dem rein geistigen Gott, auch wenn es der Vatergott wäre. Nein, wir wollen auch alle Zwischenglieder berücksichtigen. Es soll doch Fühlung sein mit der ganzen jenseitigen Welt. Wieweit wir praktisch dazu berufen sind, das mag Gott durch die Verhältnisse zeigen. Es mag der Mühe wert sein, wenigstens skizzenhaft erneut uns zum Bewußtsein zu bringen in diesem Vortrag: Gott kümmert sich um uns, er regiert die Welt und unser Leben gemeiniglich durch Zweitursachen. Da denken wir mit großer Dankbarkeit an die Güte Gottes. Gott kann alles allein machen. Er will aber nicht alles allein machen. Er sieht seine Ehre vor allem darin, durch Zweitursachen zu wirken. Er ist die Allursache, aber er will nicht Alleinursache sein. In irgendeiner Weise muß alles durch meine Hand, durch meinen Kopf und durch mein Herz gehen, aber nicht alles allein durch mich. Meine Größe besteht darin, das Bild Gottes nachzuformen: möglichst wirken durch Zweitursachen, möglichst viel durch freie Tätigkeit anderer, durch eigenständiges, zweitursächliches Wirken. Warum betone ich das so stark? Weil es sich um ein großes Gottesgeschenk handelt, weil eine göttliche Praxis vor uns liegt, die uns erneut in den Stand setzt, Gottes Ehrfurcht zu erfahren und eine unermeßliche Ehrfurcht vor der Persönlichkeit der Menschen in uns großzuziehen. In einer Zeit der Vermassung gibt es keine Ehrfurcht vor dem Individuum. Gott denkt ganz anders.
Zwei Gedanken will ich in Erinnerung rufen: Die Gesetzmäßigkeiten will ich aufschließen, ihnen nachtasten, wonach der gütige Gott der Zweitursachen sich bedient, um sodann den einen oder anderen praktischen Wink für die Auswirkung dieser Gesetzmäßigkeiten zu geben.
1) Die vier Gesetzmäßigkeiten
In der Zweiten Gründungsurkunde sind diese namhaft gemacht. Da stehen nebeneinander: Das Weltregierungsgesetz, das Weltordnungsgesetz, das Weltvervollkommnungsgesetz und das Weltanpassungsgesetz. Die Dinge fallen sofort .ins Gehör. Hat denn der liebe Gott Gesetzmäßigkeiten, nach denen er gemeiniglich vorgeht?
a) Das Weltregierungsgesetz
Philosophisch ausgedrückt, wie der hl. Thomas sagt: „Deus operatur per causas secundas liberas – Gott wirkt durch freie Zweitursachen“.
Psychologisch ausgedrückt ist es das Gesetz der organischen Übertragung, Weiterleitung und Oberleitung.
Wir studieren das im praktischen Leben. Das vierte Gebot. Der liebe Gott hätte uns Menschen auch unmittelbar erschaffen können. Er tut es nicht, er gebraucht unsere Eltern. Da spricht die Ehrfurcht vor der Person der Eltern. Organische Übertragung. Gott wirkt durch freie Zweitursachen. Gott überträgt auf die Eltern etwas von seinen Eigenschaften, von seiner Macht, Güte und Weisheit. Das Gesetz der organischen Übertragung.
Er denkt aber dabei nicht nur an die Eltern, sondern auch an die Kinder. Gott überträgt aus Liebe zum Kind und aus Liebe zu den Eltern. Aus Liebe zum Kind überträgt er auf die Eltern alle diese Eigenschaften. Wie wäre die Welt kalt, wenn Fleisch und Blut nicht Fleisch und Blut erzeugten! Wie wäre die Welt kalt, wenn jeder Mensch so unmittelbar aus Gottes Hand hervorginge! Es wäre nicht zwangsläufig dieses Aufeinander eingestellt sein vorhanden. Gott ist weise und gütig. Um dem Kind die Entwicklung zu sichern, hat er das Kind durch die Eltern ins Leben gerufen. Wieviel Liebe, Geborgenheit und Sicherheit ist auf diese Weise für das Kind gewährleistet! Was Gott tut, ist immer weise. Was Gott anfängt, das setzt er zielstrebig fort und vollendet es auch.
Auch ich muß übertragen. Was letzten Endes Gott gehört, muß ich auf die Eltern übertragen: Ehrfurcht, Liebe und Gehorsam. Ich übertrage es organisch. Während ich das den Eltern schenke, werde ich mir bewußt, daß ich es gleichzeitig dem lieben Gott schenke. Je reifer meine Seele, desto mehr lebe ich und erlebe ich die Wahrheit des Wortes, das seinerzeit der Täufer gesprochen hat: „Christus muß wachsen, ich aber muß abnehmen“. Die Zweitursache tritt in meinem Leben mehr und mehr zurück. Gott selber tritt mehr und mehr in den Vordergrund. Ich hänge noch an den Eltern. Aber während ich zuerst Gott hinter den Eltern gesehen habe, sehe ich jetzt die Eltern in Gott. Das ist das Gesetz der organischen Übertragung und Weiterleitung.
Dasselbe gilt, wo es sich handelt um den Gottmenschen und die Gottesmutter: Gott überträgt auf die Gottesmutter eine ganze Menge Eigenschaften. Und ich übertrage das, was Gott gebührt, auf die Gottesmutter. Gott ist uns gegenüber also wohlwollend. Damit ist natürlich gerechtfertigt: „Siehe da deine Mutter“. Damit ist auch gerechtfertigt, wie und weshalb ich der Gottesmutter usw. meine ganze Liebe schenken kann, ohne daß der geistige Gott dabei zu kurz kommt.
b) Das Weltordnungsgesetz
Das ist im Kern auch schon dargelegt. Gott ist ein Gott der Ordnung. Darum hat er seine Eigenschaften stufenmäßig in die Kreatur hineingeschaffen und verschenkt. Er will nicht allen gleichzeitig alles geben, er möchte Abwechslung haben.
So sehen wir es auch in der Natur des Menschen. Er ist eingefügt in die vegetative, sensitive und intellektuelle Ordnung.
Als Spitzenleistung der menschlichen Gesellschaft steht nach biblischer und dogmatischer Auffassung die Gottesmutter vor uns. Sie ist aber auch die Stellvertreterin der ganzen Schöpfung.
Darüber hinaus ragt der Gottmensch. Aber dieser ragt in die göttliche und menschliche Ordnung gleichzeitig hinein.
Von hier aus mögen Sie auch verstehen, wie es verschiedene. Ordnungen gibt, auch der Größe nach, wo wir von den Engeln sprechen. Es gibt auch hier verschiedene Stufen. Je nachdem habe ich das Recht, mich zu binden. Statt Gott unmittelbar und allein zu geben, gebe ich es Gott durch Zweitursachen.
c) Das Weltvervollkommungsgesetz
Was Gott an natürlichen Bedürfnissen und Bestrebungen in uns hineingelegt hat, weiß er auch vielfach in der übernatürlichen Ordnung zu berücksichtigen, in die übernatürliche Ordnung emporzuheben. Der Muttertrieb, der Freundschaftstrieb, der Kindestrieb: all diese Triebe berücksichtigt Gott. Er hat uns einen Vater gegeben, eine Mutter. Diese sind Abglanz des himmlischen Vaters un der himmlischen Mutter. Er vervollkommnet durch die übernatürliche Ordnung die natürliche Ordnung. Deswegen, weil ein gesundes Mutterbedürfnis in mir steckt, ist der Sinn des Marianischen sofort geklärt. Wo in einem Volk das Mutterbedürfnis nicht mehr vorhanden ist: wie krank ist dann die menschliche Natur geworden! Und umgekehrt: Wo natürliche Kindlichkeit keine Antwort findet durch Väterlichkeit auf der Welt, können Sie sofort verstehen, wie der Vatergott für eine solche Generation ein undurchdingliches Geheimnis ist. Natur und Dbernatur sind zwei Ordnungen, die eine vervollkommnet die andere. Je gesünder ich in der einen Ordnung zuhause bin, desto stärker auch in der übernatürlichen Ordnung. Je urwüchsiger meine Verhältnis zur leiblichen Mutter ist, um so urwüchsiger ist normalerweise mein Verhältnis zur himmlischen Mutter. Das Meisterwerk Gottes besteht darin, daß er den Muttertrieb emporgehoben hat in die übernatürliche Welt, indem er Maria uns als geistige Mutter gegeben hat.
d) Das Weltanpassungsgesetz
Gott paßt sich an die Natur an. Weil der Mensch nicht nur ein geistiges, sondern etn geistig-leibliches Wesen ist, darum das Bestreben Gottes, darauf Rücksicht zu nehmen. Auch deswegen hat die Zweite göttliche Person die menschliche Natur angenonmen. Er hat uns konkret gezeigt, wie Gott aussieht. Er hat uns auch sein menschliches Antlitz gezeigt. Die Zweite Person Gottes ist das sinnenhaft uns zugewandte Antlitz des geistigen Gottes. Das ist Anpassung an die Sinnenhaftigkeit der menschlichen Natur.
Die große Linie Verbum Divinum incarnatum reicht noch nicht, um genügend Anschauungsunterricht uns zu geben und der Sinnenhaftigkeit unserer Natur genügend Rechnung zu tragen. Darum mit und im Heiland der ganze Chor der Heiligen. Sie sollen mit und durch den Heiland das sinnenhaft uns zugewandte Antlitz des himmlischen Vaters sein. Sie sind lauter Spiegelbilder des Göttlichen. Dasselbe gilt von der Gottesmutter, von den Heiligen.
Das gilt auch von den lebenden Menschen. Die große Aufgabe, die wir selber haben, ist: die Züge Gottes in unserem ganzen Wesen zeigen, damit es andern leichter fällt, durch uns zu Gott emporzusteigen. Die Menschen sind so sinnenhaft, sie haben kein Organ für Abstraktes. Wenn wir nun eine Inkarnation Gottes darstellen, dann fällt es in der heutigen Zeit wieder leichter, durch uns zum lebendigen Gott emporzusteigen.
Skizzenhaft ist das eine kurze Erinnerung an die großen Gesetzmäßigkeiten, die der Praxis Gottes zugrunde liegen, wo der große Gott durch Zweitursachen in das Leben der Welt und der Menschen eingreift, auch in mein eigenes Leben. Es ist naheliegend, einmal nachzudenken: Wo sind die Menschen in meinem Leben, die mir am stärksten Gott repräsentieren? Bin auch ich ein Repräsentant Gottes, ein mehr oder weniger vollkommenes Abbild Gottes? Ich möchte die geistigen Züge Gottes in den Exerzitien mehr und mehr mir einprägen. Das sind allgemeine Prinzipien.
2) Auswirkungen dieser Gesetzmäßigkeiten
a) Der Gottmensch Jesus Christus
Jetzt wollen Sie verstehen, woher es kommt, daß nach Ausweis der Apokalypse Gott Vater dem Heiland, dem Lamm, die Zügel der Weltgeschichte in die Hand gegeben hat. In der Apokalypse steht im Hintergrund „der, der auf dem Throne sitzt“, der absolut ruhig ist. Einen Thron gibt es da noch. Das Lamm ist wie geschlachtet zu seinen Füßen. Diesem Lamm wie geschlachtet wird nun das Buch mit den sieben Siegeln in die Hand gegeben, das große Schicksalsbuch der Völker. Dieses Buch ist von innen und aussen beschrieben, hat also einen reichen Inhalt. Wer weiß nun, was in dem Buche steht? Niemand als nur das Lamm. Wer hat das durchzuführen, was der ewige Vater in seinen Liebesplänen beschlossen hat? Niemand als das Lamm. Der Heiland steht im Vordergrund des Weltgeschehens. Der Vater hat dem Sohn, dem Gottmenschen, die Zügel in die Hand gegeben. Unser heißes Sehnen müßte darin bestehen, an Christus uns anzuschließen, von ihm zu erwarten, daß er die Welt führt, hinführt zum Vater. Das ist der johanneische und paulinische Gedanke. Nicht der Vater, der Sohn steht im Vordergrund. Ist die Zahl der Auserwählten erfüllt, dann steigt der Heiland, das Haupt, mit seinem durchgöttlichten Leib empor zum Vater und stellt sich mit diesen Auserwählten dem Vater vor. Dann erst ist der Vater alles in allem. Wir spüren die Stellung des Heilandes in der Weltregierung. Die Schrift sagt: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“
Theresia von Avila ist vorübergehend dem Irrtum verfallen, wenn eine gewisse Höhe des geistlichen Lebens erreicht ist, käme man ohne den Gottmenschen aus. Dann wäre der Gottmensch wie ein Wegweiser, der zurückbleibt, während wir weitergehen. Das ist aber falsch. In allen Stadien müssen wir an der lebendigen Fühlung mit dem Heiland festhalten. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wir werden immer diesen Weg beschreiten müssen. Die hl. Theresia wurde sehr bald inne, wie verfehlt ihr Weg war. So wurde sie davor bewahrt, andere diese Irrpfade zu führen. In allen Stadien muß unser Leben an den Gottmenschen gebunden sein. Das ist das Große: Was das Verbum Divinum nicht berührt, kann nicht geheiligt werden. Alles ist geheiligt im Gottmenschen, auch das Geschlechtsleben. Daraus die Folgerung, die ganz dem Jahresprogramm entspricht: Es soll im wesentlichen ein Jahr der Christusinnigkeit und Christusergriffenheit werden. Wenn Gott durch Zweitursachen regiert, durch Christus, den großen Welterlöser und Mittler zwischen dem Vater und uns, dann ist es selbstverständlich, daß wir in allem den Weg zu ihm finden müssen.
Was muß ich tun, um Christus innig kennen und lieben zu lernen? Bibellesung, Betrachtung aus der Hl. Schrift. Wollen wir das wieder in unser Lebensprogramm stellen! Wenn schon das Gesetz der organischen Übertragung in diesem Fall von Gott aus gilt, dann ist klar: Wir wollen auch übertragen die Liebe, die dem Vater gebührt, auf den Gottmenschen Jesus Christus. Wie lange brauchen wir, bis wir sagen können: Nichts, aber auch gar nichts trennt uns von der Liebe zu Christus! Wie schnell sind wir gelöst von der Liebe zu Christus! Angeklebte Marke ist diese Liebe zu Christus, eine kleine Trübsal schon wischt sie weg. Wie wenig bodenständig und innig ist unsere Christusliebe! – Wenn schon Gott nach dem Gesetz der Übertragung den Heiland uns geschenkt hat, müssen wir nach demselben Gesetz im Heiland zum Vater gehen. Wie muß es uns drängen zur hl. Messe, zu allen liturgischen Übungen, zum geheimnisvollen heiligen Tun Jesu Christi! Durch die Liturgie steigen wir nicht unmittelbar, sondern durch Christus zum Vater. Das ist das Originelle der katholischen Liturgie. Es ist unser geheimnisvolles Mitwirken, aber mit und in Christus. Die Bitte wollen wir erneuern: während des Jahres unsere Christusliebe zu vertiefen und zu verinnerlichen. Man spricht so viel vom Christ-Königtum. Das ist die praktische Anwendung dessen, was ich berührt und angedeutet habe. –(S.84-94)-
Vervielfältigt/Offset, 267 Seiten A5, S.31; S. 84-94 *
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