Übertragung und Weiterleitung
Paul Vautier
1. Übertragung
P. Kentenich formulierte 1934 ein „Gesetz der organischen Übertragung und Weiterleitung“. Es beschreibt Wurzeln, Bedeutung und Entwicklung menschlicher Bindungen (Beziehungen) und ist Kernpunkt seiner >>“Zweitursachenlehre“. Eine Vorstufe davon ist das Gesetz der Übertragung und Loslösung (JPT 1931, 114-129). „Übertragung“ wird von P. Kentenich in verschiedenem Sinn gebraucht:
- Als Aussage über Gott: Gott überträgt von seinen Vollkommenheiten auf die Geschöpfe.
- Als Beschreibung eines psychologischen Vorganges, aber auf theologischem Hintergrund: Der Mensch überträgt die auf Gott angelegte Liebe zunächst auf die Geschöpfe. Diese beiden Weisen beschreiben die Entstehung echter und positiv gewerteter menschlicher Beziehungen.
- Übertragung wird von P. Kentenich später aber auch in einem neutral beschreibenden Sinn gebraucht (oft „Gefühls“-, „Affektübertragung“): Der Mensch überträgt, projiziert seine (oft unzutreffenden) Gefühle und Vorstellungen auf andere oder auf Gott. Diese Bedeutung ist mit dem Übertragungsbegriff, wie er im Anschluss an S. Freud in der Psychotherapie geläufig ist, verwandt, wenn auch nicht deckungsgleich: Von Übertragung wird hier gesprochen, wenn eindeutig eine (inhaltlich positive oder negative) Projektion vorliegt, die nicht in der Beziehungsperson begründet ist. Übertragungen müssen daher therapeutisch erkannt und aufgelöst werden.
- Im Wort „Lebensübertragung“ erscheint bei P. Kentenich ein weiterer, ganz anderer Gebrauch von „Übertragung“: in einer gelungenen (normalen oder pädagogischen, therapeutischen) Beziehung kommt es zu einer Weitergabe von oder Partizipation an Werten, Fähigkeiten, Erkenntnissen etc.
2. Weiterleitung
Weiterleitung beschreibt das Entstehen einer neuen Beziehung bzw. die Verstärkung derselben aufgrund einer Erstbeziehung. Im Gegensatz zu „Loslösung“ betont „Weiterleitung“ das Weiterbestehen der Erstbeziehung. Die erste Beziehung wird nicht verlassen, sondern besteht weiter, tritt allenfalls in den Hintergrund. Hauptaussageabsicht ist: Wir lernen zuerst lieben in Beziehungen zu Menschen, Ideen, Orten. Wir werden weitergeleitet zur Gottesliebe, aber deswegen sollen die genannten Erstbeziehungen nicht aufhören.
Literatur:
- J. Kentenich, Ethos und Ideal in der Erziehung. Vorträge der Jugendpädagogischen Tagung (28.-31. Mai 1931), Vallendar 1972, 379 S., 114-129
- J. Kentenich, Marianische Erziehung. Pädagogische Tagung (22.-26. Mai 1934), Vallendar-Schönstatt 1971, 286 S., 155-162
- J. Kentenich, Marianische Werkzeugsfrömmigkeit (geschrieben 1944 in Dachau), Vallendar-Schönstatt 1974, 40 ff.
- J. Kentenich, Studie aus dem Jahr 1949. Brief vom 31. Mai 1949. ‚Antwort auf den Bericht‘, verv.W, A 5, 421 S., 26. 294-306
- J. Kentenich, Grundriß einer neuzeitlichen Pädagogik für den katholischen Erzieher. Vorträge der Pädagogischen Tagung 1950, Vallendar-Schönstatt 1971, 188
- J. Kentenich, Daß neue Menschen werden. Eine pädagogische Religionspsychologie. Vorträge der Pädagogische Tagung 1951. Bearbeitete Nachschrift, Vallendar-Schönstatt 1971, 264 S., 45-52
- P. Vautier, Maria, die Erzieherin, Vallendar 1981, 287 294
Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
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Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de