Eine ähnliche Entwicklung machte die Werkzeugsfrömmigkeit durch. Ausgesprochener Werkzeugscharakter ist die zweite Eigenschaft, die unsere Heiligkeitsform mitgeprägt hat. Abgesehen von metaphysischen Erkenntnissen, die in alleweg allen Dingen auf den letzten Grund zu sehen sich bemühen, abgesehen auch von theologisden Erwägungen, die um eine Ganzheitsschau aller Lebensvorgänge rangen, ist es die Marianische Kongregation, die uns hier ein wertvolles Stück Erbgut überlassen und zur systematischen Verarbeitung und allseitigen Verwirklichung anvertraut hat. Der Niederschlag in der Gründungsurkunde ist unverkennbar. Auf ihrem höchsten Höhepunkt läßt sie die Gottesmutter das vielsagende Wort sprechen: ‚Bringt mir fleißig Beiträge zum Gnadenkapital …. dann will ich künftig von hier aus die jugendlichen Herzen an mich ziehen, sie erziehen zu brauchbaren Werkzeugen in meiner Hand.‘ Der Werkzeugsgedanke hat sich so stark in das Lebensgefühl der Familie eingeprägt, daß er die erste und ursprünglichste Form des Familienideals geworden ist. Sie lautet: ‚Als vollkommenes Werk und Werkzeug in der Hand unserer Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt wollen wir uns rastlos und restlos einsetzen für die religiös-sittliche Erneuerung der Welt von Schönstatt aus . .. Dachau hat uns zusammenfassend ein wohlgeordnetes und geschlossenes System der Werkzeugsfrömmigkeit gebracht, das die Werktagsheiligkeit ergänzt und abrundet…
In ähnlicher Weise wurzelt unsere Bündnisfrömmigkeit im Boden der Marianischen Kongregation, genauer ge- /
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sagt in der dort lebendigen Auffassung der Weihe als contractus bilateralis gratuitus. Sie hat in der Gründungsurkunde eine originelle Form angenommen; sie hat sich in der Folge langsam zu einem System ausgewachsen, das im Dachauer Schrifftum eine wissenschaffliche Fassung… gefunden hat und das ganze Familienleben wie eine Sonne beherrscht. Schon rein äußerlich, der Form nach, gipfelt die Gründungsurkunde in einem Bündnis: ‚Ich liebe die, die mich lieben. Beweist mir erst…. dann will ich mich hier niederlassen,. Die Gottesmutter verspricht, im Heiligtum sich niederzulassen, von dort eine große Erneuerungs- oder Erziehungsbewegung ins Leben zu rufen und zu leiten und Ort und Träger der Bewegung als Werkzeug zu benutzen, um ihre ‚Herrlichkeit der Welt zu offenbaren‘. Wir versprechen, uns von ihr umformen zu lassen bis zur Ganzhingabe oder die ‚Anforderungen aufs höchste‘ zu steigern, uns ihr als vollkommenes Werkzeug zur Verfügung zu stellen und Schönstatt als unsere unveräußerliche geistig-geistliche Heimat zu betrachten, zu schützen und zu künden … Wer die geschichtliche Entwicklung der drei Seiten unserer Heiligkeitsaszese kennt, erfaßt leicht und schnell die inneren Zusammenhänge … Betont die Werktagsheiligkeit stärker die Ausrichtung im Alltag des Lebens, so knüpft die Werkzeugsfrömmigkeit bewußter die Verbindung mit Gott, die durch die Bündnisfrömmigkeit deutlicher den Charakter eines ausgesprochenen Liebesverhältnisses zwischen zwei Liebespartnern erhält.«
Nach diesem kurzen Gesamtüberblick wird leichter verständlich, inwiefern Pater Kentenich Bündnisfrömmigkeit die »metaphysische Grundlage« seiner dreidimensionalen Spiritualität nennen konnte. Für ihn wurzelt alles in der grundlegenden Wirklichkeit eines histo- /
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rischen Bündnisschlusses zwischen Gott und Mensch in Schönstatt. In der vorliegenden Studie kennzeichnet er dieses Bündnis als »eine originelle, konkrete Form des Bundes, den Gott mit den Menschen im Paradies geschlossen hat und durch die Heils- und Weltgeschichte verwirklichen will.« Das ist der heilsgeschichtliche Zusammenhang, der das Eingreifen Gottes in Schönstatt mit der durchhaltenden Grundstruktur des gott-menschlichen Verhältnisses im Alten wie im Neuen Bund verknüpft. Er bringt es in innere abbildliche Nähe zu den geschichtlichen Bündnisschlüssen, von denen uns die Bibel berichtet und die auch nach Christus nicht einfach »aufgehört« haben – eingeordnet freilich in das Bleibende der Kirche mit ihrer lebensmäßigen wie rechtlichen Verfaßtheit. Auf die theologischen Fragen, die mit dieser Auffassung gegeben sind, kann hier nicht eingegangen werden. Aber wenn Hans Urs von Balthasar einmal die Frage stellt, warum in der Kirche noch nie eine Spiritualität auf dem Bundesgedanken aufgebaut hat – in Schönstatt liegt sie vor. Pater Kentenich kann deswegen sagen: »Der Bündnisgedanke ist so tief in unser Bewußtsein und Lebensgefühl hineingewachsen, daß wir ihn unbedenklich als unsere Grundform, unseren Grundsinn, unsere Grundkraft und unsere Grundnorm bezeichnen dürfen.« Der vergleichende, prüfende Blick inspiriert die Frage: »Ich weiß nicht, ob es irgendeine religiöse Gemeinschaft in der Neuzeit gibt, die das im selben Ausmaß von sich sagen kann.« Nach allem, was wir aus der Geschichte der Kirche von schöpferischen Neuaufbrüchen solcher Art wissen, wird früher oder später von diesem Grundansatz aus auch ein entsprechender Einfluß auf die Ausrichtung der Theologie ausgehen. Gewöhnlich gehen theologische »Schulen« mehr lebensmäßigen Einflußzentren parallel. –
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Wenn Pater Kentenich im ersten Teil der Studie dieser Grundausrichtung seiner Spiritualität nachgeht, beschäftigt sich der ausführlichere zweite Teil mit der marianischen Modalität dieser konkreten Ausprägung des heilsgeschichtlichen Gottesbundes in Schönstatt. Hier stößt er dann zur eigentlichen Originalität seiner Gründung vor, hier erheben sich darum auch die wohl stärksten Schwierigkeiten des modernen Menschen angesichts der Spiritualität Schönstatts.
Für Pater Kentenich enthält das Glaubensbewußtsein der Kirche die Auffassung, daß Maria durch göttlichen Heilsratschluß an der Seite Christi eine helfende, aber wesentliche Rolle spielt im Erlösungsgeschehen des Neuen Bundes. So spricht er in dieser Studie davon, daß das »Christusgeheimnis« des von Gott beschlossenen und verwirklichten Heilsplanes auch ein »Mariengeheimnis« in sich schließt: daß nämlich Maria »die amtliche Dauergefährtin und Dauergehilfin Christi beim gesamten Erlösungswerk« ist. Ihre dienende und helfende Rolle im Heilsgeschehen für den Menschen heute besteht hauptsächlich darin, daß sie ihn in der liebenden Bindung an sich mithineinzieht in ihre einzigartige Verbundenheit mit Christus und dem dreifaltigen Gott. So versteht man, daß der Bund mit Gott in Schönstatt marianischen Charakter hat – nicht nach menschlichem Belieben, sondern kraft der historischen Form, die die göttliche Initiative im Gründungsgeschehen angenommen hat, aber in Anpassung an die Seinsordnung des Neuen Bundes. Die theologischen Grundlagen dieser Auffassung werden in der vorliegenden Studie nur verhältnismäßig knapp behandelt. Sie sind seit Jahrzehnten in Schönstatt auf vielen Tagungen und in vielen Schriften ausführlich dargestellt worden. Es kam Pater Kentenich /
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immer wieder darauf an, die Übereinstimmung seines Marienbildes mit den vielfältigen Äußerungen des kirchlichen Glaubensbewußtseins darzustellen, vor allem mit den Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes. Zu den vier bedeutsamen Mariendokumenten des zwanzigsten Jahrhunderts, die er zum bestätigenden Vergleich heranzieht, kommt nun natürlich das achte Kapitel von »Lumen Gentium« des Zweiten Vaticanums, in dem sehr deutlich die helfende Rolle der Gottesmutter beim gesamten Erlösungsgeschehen herausgestellt ist.
Stärker als auf diesen heilsgeschichtlichen Aspekt der Sendung Mariens geht die Studie ein auf ihre zeitgeschichtlichen Auswirkungen. Hier liegt wohl der Schwerpunkt der Aussagen des Textes. In eindringlichen Analysen werden sowohl psychologische wie soziologische Zusammenhänge aufgehellt, die eine besondere Zeitsendung Mariens verständlich machen, wie Pater Kentenich sie gesehen und von Schönstatt aus mitverwirklichen helfen wollte. Dabei stößt er auf Fehlhaltungen der modernen Geistigkeit, die auch verständlich machen, warum unverkürzt gelebte Frömmigkeit – und speziell marianische Frömmigkeit – auf so starke Widerstände stößt. Aber diese Diagnose steht ganz im Dienst einer zeitgemäßen Therapie. Für Pater Kentenich ist realistisch begründete und psychologisch echt gelebte Marienverehrung das Heilmittel für vielerlei seelische Krankheitskeime des modernen Menschen. Dieser kann komplexe Zusammenhänge von Lebensgebilden oft nicht mehr festhalten, tendiert vielmehr zur separatistischen Auflösung solcher organischen Zusammenhänge. So fällt es ihm schwer, im Bereich der Frömmigkeit Christus- und Marienfrömmigkeit zusammenzusehen, Gottesdienst und Menschenliebe miteinander zu verbinden, /
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ohne seinsmäßige Unterschiede zu verwischen. Ihre erregende Aktualität erhalten solche Überlegungen aber, wenn es um die soziologischen Auswirkungen dieser Krankheitssymptome geht. Pater Kentenich sah das Endstadium der neuzeitlichen Geistesgeschichte in einer zerfallenden Gesellschaftsordnung, die gekennzeichnet ist durch die »Trennung von Mensch und Mensch, von Mensch und Gott«. Diese »Atomisierung der Gesellschaft« ist für ihn das Erlebnis des mechanistischen Denkens und Lebens, wie es seit Jahrhunderten gepflegt wurde und sich langsam in seiner zerstörerischen Gewalt ausgewirkt hat. So verstandener »Kollektivismus« ist nach ihm die Zeitkrankheit. Das diagnostische wie das therapeutische Denken Pater Kentenichs kreist demgegenüber unablässig um den seinsnotwendigen Zusammenhang der beiden Großordnungen, der Welt Gottes und der geschaffenen Welt des Menschen. Weil das separatistische Denken einen Spalt zwischen diese beiden Welten getrieben hat, weil die geschaffene Welt in ihrem Autonomiestreben das Band zur Welt Gottes gelöst hat, darum ist der Zerfall auch der innerweltlichen Ordnungen unaufhaltsam. Hier herrscht das Gesetz »Abfall ist Zerfall«: die geschaffene Welt ist Teil eines Gesamtorganismus, der sich nicht aus sich selbst in der Balance halten kann. Es mutet eigenartig an, daß er angesichts dieser Riesenaufgabe einer Neugestaltung der menschlichen Gesellschaftsordnung der Verehrung Mariens, so wie er sie versteht, eine einzigartige heilende und helfende Macht zuschreibt. Ihre Stellung in der Heilsordnung des neuen Bundes erhält so eine besondere Aktualität in der Sendung, die sie für unsere Zeit hat. In der Bindung unseres Herzens in Glaube und Liebe an die Gottesmutter als einer »Zweitursache« im Organismus des natürlichen und übernatürlichen Lebens sieht er das /
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Mittel und den Weg, den modernen Menschen wieder bindungsfähig zu machen. Das wird sich nicht nur in den Bindungen des übernatürlichen Organismus zwischen Mensch und Gott, sondern auch in den naturhaft-natürlichen Bindungen von Mensch zu Mensch auswirken. Das kann entscheidend mithelfen, daß der Mensch seinen personalen Selbstand gesund und tragfähig halten kann, andererseits ihn aber auch kontaktfähig machen, je nach seiner Eigenart als Mann oder als Frau, als Vater oder als Mutter seine soziale Aufgabe seinsgerecht zu erfüllen.
So gewinnt Marienverehrung über alles »Statische« einer isoliert verstandenen Privatfrömmigkeit hinaus eine dynamische und zukunftsorientierte Funktion in Schönstatt. Es dreht sich um die Zeitsendung der Gottesmutter, für die sich Pater Kentenich mit seinem Werk zeit seines Lebens einsetzen wollte. –
Die Veröffentlichung der vorliegenden Studie möchte mithelfen, die Stimme Pater Kentenichs im vielstimmigen Chor der Gegenwart allmählich zu Gehör zu bringen. Innerhalb seiner geistlichen Familie kann sie anregen, sich mit dem reichen Geisteserbe intensiv zu beschäftigen, das uns nicht nur gegeben, sondern aufgegeben ist im Sinne des oft zitierten Goethe-Wortes: »Was ihr ererbt von euren Vätern habt, erwerbt es, um es zu besitzen!« Nur so können wir zu »Mitgründern« werden, die die Botschaft Schönstatts verständlich und glaubhaft weitertragen können. –
Die Bearbeitung geschah nach den Gesichtspunkten, die in der »Einführung« des ersten Bandes bereits dargelegt wurden.
GÜNTHER M. BOLL
Aus: Das Lebensgeheimnis Schönstatts. II. Teil: Bündnisfrömmigkeit, Vallendar-Schönstatt 1972, 278 S. – www.patris-verlag.de
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