Werktagsheiligkeit

Werktagsheiligkeit

Hubertus Brantzen

1. Schönstattgeschichte
2. Spiritualitätsgeschichtliche Hinweise
3. Das Buch „Werktagsheiligkeit“ – Das Leben aus der Werktagsheiligkeit ist / soll sein:
3.1. gottgefällig
3.2. harmonisch
3.3. affektbetont
3.4. dauernd
4. Aktualität

Werktagsheiligkeit ist neben der >>Bündnis- und >>Werkzeugsfrömmigkeit eine der Grunddimensionen schönstättischer >>Spiritualität. Während traditionell Heiligkeit und Vollkommenheit eher von einzelnen durch eine Flucht aus der Welt angestrebt wurde, ist Werktagsheiligkeit für jeden Christen in jeder Lebenssituation und jedem Lebensstand ein selbstverständliches und normales Ziel (vgl. LG, V. Kapitel: Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit). Werktagsheiligkeit hebt sich als Alltagsspiritualität ab von einem christlichen Leben, das nur auf die Erfüllung der Sonntagspflicht reduziert ist. P. Kentenich wollte gerade durch das Ziel der Werktagsheiligkeit Glauben und Leben miteinander verbinden und ein Auseinanderklaffen von Religion und Kultur, von religiösem und alltäglichem Leben verhindern.

1. Schönstattgeschichte

Die Vorgründungsurkunde von 1912 (>>Gründungsurkunden) sagte, dass die Gemeinschaft das Ziel „Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze Mariens selbst zu erziehen zu festen, freien, priesterlichen Charakteren“ nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch anstrebt: „Wir müssen Hand ans Werk legen jeden Tag, jede Stunde“ (VGU 1912).

In der ersten Gründungsurkunde von 1914 forderte P. Kentenich von jedem den denkbar höchsten Grad standesgemäßer Vollkommenheit und Heiligkeit. Nicht das Große und Größere, sondern das Größte soll Gegenstand des gesteigerten Strebens sein (1GU 1914)

Verschiedene Studien der 30er Jahre beschäftigten sich mit der Werktagsheiligkeit. So stellt Alexander >>Menningen 1936 in „Die Erziehungslehre Schönstatts“ 1936 Josef >>Engling als Persönlichkeit vor, die nach dem Ideal der Werktagsheiligkeit strebte. 1937 erschien das grundlegende Werk „Werktagsheiligkeit“ von Annette Nailis, das eine Wiedergabe von Vorträgen P. Kentenichs zu einem zeitgemäßen Heiligenideal darstellte. Als Antwort auf dieses Buch wird dem Jahr 1937 die Jahresparole „Werktagsheiligkeit“ gegeben und das Bändchen „Schlüssel zur Werktagsheiligkeit“ verfasst. In Hermann Schmidts „Organische Aszese“ 1939 werden >>“Persönliches Ideal“ und Werktagsheiligkeit zusammen gesehen.

In einer Reflexion über das aszetische und pädagogische System Schönstatts (>>Erziehung) in der zweiten Gründungsurkunde 1939 beschreibt P. Kentenich die >>Blankovollmacht als die „vollständige Ergebung und Gleichförmigkeit mit dem göttlichen Willen“ als Ziel des Heiligkeitsstrebens (vgl. 2GU 1939, 31 ff.). Er signalisiert als Ziel „den neuen Menschentyp, den neuzeitlichen Werktagsheiligen, wie der liebe Gott ihn offenbar durch die heutigen Zeitverhältnisse von uns verlangt und in Josef Engling als Vorbild vor Augen stellt“ (2GU 1939, 90) Zugleich wird die Selbstheiligung mit dem Gedanken des Gnadenkapitals (>>Beiträge zum Gnadenkapital) verknüpft und dadurch das Heiligkeitsstreben in den Dienst der Sendung und des >>Apostolates gestellt (vgl. 2GU 1939, 91 ff.).

In der Dachauzeit besteht das Ideal der Werktagsheiligkeit die Bewährungsprobe in den extremen Bedingungen eines Konzentrationslagers. Hier entsteht z.B. innerhalb des Schönstatt Offiziums die sog. „Nazareth Hore“ (Prim), die das Schönstatt Heiligtum als „Nazareth“ bezeichnet, in dem „stille, starke Werktagsheiligkeit“ geschenkt wird.

2. Spiritualitätsgeschichtliche Hinweise

Unverkennbar orientiert sich die Konzeption der Werktagsheiligkeit an der „Anleitung zum frommen Leben. Philothea“ des Franz von Sales (1567 1622). In Vorträgen und Ausführungen gehörten Aussagen dieser Quelle zum ständigen Zitatenschatz P. Kentenichs. Er sah die Eigenart und Sendung des Kirchenlehrers darin, dass dieser die Frömmigkeit von der üblichen Ordensform löste, auf das überzeitlich Wesentliche, die vollkommene >>Liebe, zurückführte und der persönlichen Individualität und originellen Lebensstellung anpasste. Er betrachtete Franz von Sales als Pionier der Werktagsheiligkeit für alle Stände, als Lehrmeister einer ausgesprochenen Laienaszese und als Vorkämpfer für die geistige Art der >>Säkularinstitute und aller verwandten Strömungen (TxtVG, 151).

In dem Bemühen um eine welthafte >>Spiritualität (>>Welt) greift P. Kentenich auf die Sicht des Ignatius von Loyola (1491 1556) zurück: „Gott suchen, Gott finden, Gott lieben in allen Dingen, Menschen und Ereignissen“.

Vinzenz >>Pallotti gibt ebenfalls nach dem Verständnis P. Kentenichs eine Anleitung zur individuellen, persönlichen Werktagsheiligkeit. Er zitiert Pallotti, der beispielsweise einen jungen Gelehrten und Priester mahnt: „Heiligen Sie sich, aber heiligen Sie sich in der Weise, wie Gott Sie heilig haben will. Gott will Sie nicht als einen Heiligen des Schweigens und der Strenge der Trappisten oder der Einsiedler. Er will, dass Sie sich inmitten der Welt heiligen, im Gesellschaftsleben, nötigenfalls auch in der Sommerfrische und beim Vergnügen. Die Heiligkeit besteht in der Erfüllung des göttlichen Willens.“ (OB 1949, 136 f.)

3. Das Buch „Werktagsheiligkeit“

Die von Annette Nailis verfasste Schrift „Werktagsheiligkeit“, die auch über den Kreis der Schönstatt Bewegung hinaus weite Verbreitung fand, will nach P. Kentenich das aszetisch-pädagogische Handbuch der Schönstattfamilie sein, weil in ihr die Grundzüge des >>neuen Menschen authentisch niedergelegt sind.

Die eingangs gegebene Definition von Werktagsheiligkeit legt Grundsichtweisen fest: Alles Geschöpfliche wird auf Gott hin durchsichtig gemacht, alle Beziehungen des Lebens auf Gott hin gedeutet. Werktagsheiligkeit ist „die gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gottes , Werk und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens“ (WH 1937, 14). In drei Hauptteilen wird >>Gottgebundenheit, >>Werkgebundenheit und >>Menschengebundenheit beschrieben, die Werkgebundenheit näherhin als Bindung an die >>Arbeit, die Dinge und die Schöpfung (>>Zweitursache) und an das >>Leid.

3.1. Das Leben aus der Werktagsheiligkeit ist „gottgefällig“. Es wendet sich einerseits gegen die Sünde, geht aber andererseits positiv auf die Wünsche und Bitten Gottes ein, die im >>Vorsehungsglauben erkannt werden. Der >>Gehorsam gegenüber Gottes Wünschen soll „hochgradig“, „heldenhaft“ sein (WH 1937, 19 f.).

3.2. Das Leben aus der Werktagsheiligkeit ist „harmonisch“. Die Bindungen an Gott, die Schöpfung und Dinge und an die Menschen werden nicht gegeneinander ausgespielt, sondern in einem „organischen“ Zusammenhang und einer ganzheitlichen Zuordnung gesehen und gelebt.

3.3. Das Leben aus der Werktagsheiligkeit ist „affektbetont“, bleibt also nicht kognitiv und intellektuell ideenbetont, sondern wird affektiv angenommen, willens und gemütbetont. Die Gefahr ist groß, „dass wir Wasserköpfe vom Wissen haben, aber eingeschrumpfte Herzen“. „Es darf nicht nur ein bloßes Kopfwissen sein. Es muss Grundhaltungen schaffen“ (PT 1951, 133). Die auch affektive Bindung an die Menschen und die Welt soll nicht einseitig als Hindernis, sondern vor allem als Weg zu Gott gesehen werden.

3.4. Das Leben aus der Werktagsheiligkeit soll „dauernd“ sein, d.h. in allen Situationen des Lebens verwirklicht werden. Es geht um die Verwirklichung der Religion im Alltag (PT 1951, 130). Diese Grundsicht wird besonders im Begriff der „Werktags“-Heiligkeit signalisiert.

Werktagsheiligkeit ist die Antwort des gläubigen Menschen auf die Zuwendung Gottes. Innerhalb der schönstättischen >>Spiritualität wird diese Antwort im >>Liebesbündnis gegeben. Im >>Vorsehungsglauben lässt der Mensch sich durch Gott führen und gibt Antwort durch das Leben im Sinne der Werktagsheiligkeit. In der Werktagsheiligkeit werden die wichtigsten Aspekte der schönstättischen Spiritualität im Hinblick auf die alltägliche Lebenspraxis zusammengefasst und konkretisiert. Der „Sinn für Werktagsheiligkeit“ gehört nach P. Kentenich zu den Bedingungen, um diese Spiritualität überhaupt aufnehmen zu können (KW 1946, 84 f.).

4. Aktualität

4.1. Die Spiritualität der Werktagsheiligkeit vertritt schon früh das Anliegen des II. Vatikanischen Konzil von der Berufung aller Christen zur Heiligkeit (LG 32. 39 ff.).

4.2. Die Werktagsheiligkeit erdet die Zweitursachenlehre, in der es um die harmonische Verbindung von Natur und Gnade geht. Sie vermeidet in Theorie und Praxis einerseits einen Naturalismus („Naturvergötterung“), andererseits einen Supranaturalismus („Naturverachtung“). Das Anliegen trifft sich mit anderen heutigen spirituellen Entwürfen, die Glauben und Leben zu verbinden suchen. So wird etwa von „Spiritualität im Alltag“, „Mystagogie des Alltags“ (K. Rahner) oder „>>Mystik und Politik“ (J.B. Metz) gesprochen.

4.3. Leben aus der Werktagsheiligkeit ist das Gegenteil von Religionsausübung nach vorgefertigten Mustern. Insbesondere in einer säkularisierten Gesellschaft muss Religion dazu anleiten, „auf der ganzen Linie eine ständige Verantwortung zu tragen. Ich muss verantwortlich sein für die Verwirklichung der Religion im Alltag. Wir pflegen dafür zu sagen: für die Werktagsheiligkeit“ (PT 1951, 130).

4.4. Die Werktagsheiligkeit ist das typische Beispiel, dass schönstättische Spiritualität versucht, Ideen und Wertvorstellungen in konkrete Formen zu bringen, ganzheitliches Denken, Lieben und Leben zu fördern. „Wir versuchen überall, wo Ideen am Werden sind, dass sie Gestalt und Form im Leben annehmen. Deswegen (erstreben wir) das Leben der Werktagsheiligkeit“ (KW 1946, 136). „Werktagsheiligkeit ist der Geist des Ganzen…Die ganze objektive Welt soll erfasst werden…Aber auch der ganze Mensch mit all seinen Fähigkeiten soll erfasst werden, also Verstand, Wille und Gemüt.“ (Penners, Pädagogik, 70, Anm.45)

4.5. Werktagsheiligkeit als aszetische Lebensform hat auch Einfluss auf die Formung von religiösen Gemeinschaften mitten in der Welt. Die welthafte Spiritualität der Werktagsheiligkeit (>>Welt) hat in Schönstatt ihre Gemeinschaftsform besonders in den >>Verbänden (>>Säkularinstitute) gefunden.


Literatur:

  • M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit. Ein Beitrag zur religiösen Formung des Alltags, Limburg 1937 (1964) – Vallendar-Schönstatt 1974
  • J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: J. Kentenich, Texte zum Verständnis Schönstatts. Herausgegeben von Günther M. Boll, Vallendar-Schönstatt 1974, 148-228, 151
  • J. Kentenich, What is my philosophy of education?, in: Philosophie der Erziehung. Prinzipien zur Formung eines neuen Menschen und Gemeinschaftstyps. Bearbeitet von Herta Schlosser, Vallendar 1991, 39-89, 51-56. 89
  • A. Detscher, Großmacht Liebe, Schlüssel zur „Werktagsheiligkeit“, Vallendar-Schönstatt 1989
  • Zentrale Begriffe Schönstatts. Kleiner Lexikalischer Kommentar. Nach Schriften und Vorträgen Pater Josef Kentenichs bearbeitet von Herta Schlosser, Vallendar-Schönstatt 1977, 136 139
  • Franz von Sales, Anleitung zum frommen Leben. Philothea (Dt. Ausgabe der Werke, Bd. 1), Eichstätt-Wien 1959

Schönstatt-Lexikon:

Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)

Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de

Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de

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