Wie steht es nun um die Zukunft der Beichte? Bleibt sie ein „vergessenes“ Sakrament[292] oder wird es gelingen, ihre Bedeutung heute neu zu erschließen?
Wir haben uns zu Beginn ausführlich mit der „Krise“ der Beichte und ihren Ursachen beschäftigt.[293] Dabei fiel bereits auf, dass es keineswegs nur Negatives zu berichten gibt. An manchen Stellen lassen sich durchaus hoffnungsvolle Aufbrüche in der Beichtpastoral beobachten. Zum Abschluss sollen nun einige solcher Hoffnungszeichen in den Blick genommen werden, die Mut machen können, weiterzudenken und kreativ nach neuen Wegen in der Beichtpastoral zu suchen.
Einige interessante Beobachtungen lassen sich in der Jugendpastoral machen. Zwar wäre es etwas voreilig, von einer Trendwende zu sprechen, denn an vielen Stellen spielt das Bußsakrament nach wie vor nur eine marginale Rolle. Aber es lässt sich doch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen so etwas wie eine „neue Unbefangenheit“ der Beichte gegenüber feststellen.
Auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln konnte man beobachten, dass es an vielen Stellen Beichtangebote gab, die auch rege wahrgenommen wurden. Hier mag es sicher eine Rolle gespielt haben, dass das Sakrament in anderen Ländern noch einen höheren Stellenwert hat als bei uns, aber die öffentliche Präsenz der Beichtgelegenheiten, etwa während der Katechesen oder in einem eigenen Beichtzelt auf dem Marienfeld während der Abschlussveranstaltung, hatte doch auch eine Wirkung auf deutsche Jugendliche. Manch einer, der lange nicht mehr gebeichtet hatte, fasste hier Mut, es wieder einmal zu probieren.
Eine ähnliche Beobachtung konnte man bei den Jugendveranstaltungen der Schönstatt- Bewegung in den letzten Jahren machen. Unmittelbar vor dem Weltjugendtag fand ein Internationales Jugendfestival mit dreitausend Teilnehmern am Wallfahrtsort Schönstatt, einem Ortsteil von Vallendar bei Koblenz, statt. Die Planungen sahen ein Beichtangebot im geistlichen Zentrum vor, das etwas abseits vom Zentrum des Festivalgeländes lag. Als es am ersten Tag kaum wahrgenommen wurde, entschied man sich, das Angebot auf den Platz rund um das „Urheiligtum“, das Zentrum des Wallfahrtsortes zu verlegen. Dort standen dann an mehreren Stellen deutlich sichtbar Priester zum Beichtgespräch zur Verfügung, was nun auch in großer Zahl von Jugendlichen wahrgenommen wurde.
Beim Jugendfest der Schönstattjugend in München im Juni 2007 mit etwa 600 vorwiegend deutschen Teilnehmern im Alter von 16 bis ca. 25 Jahren hatte man aus der Erfahrung gelernt. Das Beichtangebot wurde gleich auf dem Festgelände im Freien platziert, öffentlich wahrnehmbar, aber doch mit der nötigen Diskretion. Auch hier wurde es von den Teilnehmern gut angenommen.
Ein weiteres Beispiel aus München zeigt, dass es nicht nur Menschen mit einer ausgeprägten religiösen Praxis sind, die sich bei entsprechendem Angebot auf die Beichte einlassen. Zum dritten Mal fand Anfang Dezember 2007 die Veranstaltung „Stay and Pray“ in der Bürgersaalkirche in Zusammenarbeit von der Katholischen Jugendseelsorgestelle Innenstadt, der Diözesanstelle für Geistliche Berufe und verschiedenen katholischen Gruppen und Bewegungen statt. Es handelt sich dabei um eine Art Stadtmission, bei der an einem Nachmittag bis in den Abend hinein Passanten in der Fußgängerzone in die Kirche eingeladen werden, wo ein Programm aus gestalteten Gebetszeiten, Gesang und Stille angeboten wird. Daneben gibt es auch die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch und zur Beichte. Daniel Lerch, Jugendseelsorger in der Münchener Innenstadt, berichtet von seinen Erfahrungen als Beichtvater bei den bisherigen Veranstaltungen, dass das Beichtangebot auffälligerweise von vielen wahrgenommen wurde, die bis dahin über längere Zeit keine Beichtpraxis hatten. Vielfach seien so ganz beeindruckende Gespräche entstanden.
Ein Faktor für die Krise der Beichte mag auch darin zu suchen sein, dass es, ausgelöst durch die vielfältigen, bereits genannten Gründe, eine Tendenz gegeben hat, das Sakrament etwas verschämt in den Binnenraum der Kirche zurückzuziehen und es nicht mehr als unbedingt nötig zu thematisieren. Doch die Beispiele sprechen dafür, dass es sich lohnen kann, die Beichte wieder mehr ins Zentrum der pastoralen Aufmerksamkeit zu rücken.
Vor allem zwei Faktoren scheinen bei den beschriebenen Erfahrungen beachtenswert: Zum einen war das Beichtangebot bewusst niedrigschwellig gestaltet, d. h. es war jeweils öffentlich sichtbar, dass es die Möglichkeit zur Beichte gab und dass diese auch von anderen wahrgenommen wurde. Bei der Veranstaltung „Stay and Pray“ gab es alternativ auch die Gelegenheit, im Beichtstuhl zu beichten, was besonders im Blick auf diejenigen, die einen höheren Grad an Diskretion wünschen, sinnvoll erscheint. Zum zweiten war das Beichtangebot in allen Fällen in ein Rahmenprogramm mit einer betont geistlichen Atmosphäre integriert. Wo diese Faktoren berücksichtigt werden, scheint sich das positiv auf die Akzeptanz der Beichte auszuwirken.
Man sollte aber damit rechnen, dass wohl nicht alle Versuche, die man in dieser Richtung unternimmt gleich einen großen Erfolg mit Breitenwirkung erzielen werden. Das Sakrament der Versöhnung setzt in der Regel eine bewusste Entscheidung des Beichtenden voraus. Schon von daher scheint eine Rückkehr zu einer volkskirchlichen Beichtpraxis, wie sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts ihren Höhepunkt fand, eine überhöhte Erwartung zu sein, die weder realistisch noch erstrebenswert ist.
Sicherlich braucht es, wie bei allen pastoralen Veränderungsprozessen vor allem Geduld und Freude auch an kleinen Erfolgen. Für jeden, dem der Weg zur Beichte wieder neu oder auch zum ersten Mal überhaupt eröffnet wird, kann das ein großer Gewinn sein. Es geht um das Wachstum und die personale Reifung des ganzen Menschen. Es geht darum, das konkrete Leben mit dem Heil in Verbindung zu bringen, das Gott uns schenkt. Wenn das die zentrale Perspektive der Beichtpastoral ist, dann ist jeder Schritt für ihre Erneuerung keine nebensächliche Frage inmitten von ohnehin schon sehr komplexen pastoralen Herausforderungen, sondern ein echter Dienst an den Menschen unserer Zeit.
[292] Vgl. den Titel von Klaus Demmer: „Das vergessene Sakrament“.
[293] Vgl. Kap. 1 dieser Arbeit.