Nach einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Beichte und ihrer aktuellen pastoralen Situation soll nun im Hauptteil der Arbeit untersucht werden, welche Bedeutung das Bußsakrament in der Spiritualität der von P. Josef Kentenich gegründeten Schönstatt- Bewegung hat. Dabei ist nach den originellen Akzenten zu fragen, die hier gesetzt sind. Die Gründung der Schönstatt-Bewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts fällt in eine Zeit, die als Höhepunkt der Beichtpraxis gilt. Von daher verwundert es nicht, dass das Sakrament nahezu selbstverständlich zum Vollzug der Frömmigkeit in der Bewegung gehörte.
Schon in seiner Tätigkeit als Spiritual am Studienheim der Pallottiner zählte es zu Kentenichs Aufgaben, für die Schüler als Beichtvater zur Verfügung zu stehen. Bis dahin muss er offensichtlich immer wieder Beichtaushilfen in Pfarreien übernommen haben.[94]Sein ganzes Leben hindurch blieb er ein gefragter Gesprächspartner für seelsorgliche Gespräche, die meist mit dem Bußsakrament verbunden waren. Zahlreiche Zeitzeugen berichten gerade im Zusammenhang mit der Beichte über eindrückliche Erfahrungen mit dem Seelsorger Pater Kentenich.
In der Schönstatt-Bewegung erfuhr die Beichte im Rahmen der „Seelenführung“ auch eine organisatorische Verankerung im sog. „aszetischen System“ Schönstatts, das jedes Mitglied der Bewegung ab einem bestimmten Grad von Bindung und apostolischem Engagement übernimmt.[95]Das aszetische System ist als eine Art Rahmen von spirituellen und pädagogischen Hilfsmitteln zu verstehen, die helfen sollen, das geistliche Leben einer Person zu sichern. Das Modell sieht eine Kombination aus Selbstkontrolle und Fremdkontrolle vor. Die regelmäßige Selbstkontrolle der inneren Entwicklung und des geistlichen Lebens geschieht durch einen besonderen Vorsatz („Partikularexamen“) und die „Geistliche Tagesordnung“. Sie wird ergänzt durch eine selbst gesetzte Fremdkontrolle, die über eine monatliche Beichte bzw. Seelenführung gesichert werden soll.[96]Im Hintergrund dieses Konzeptes steht, dass Kentenich einen engen Zusammenhang zwischen apostolischem Wirken und dem „Heiligkeitsstreben“ der betreffenden Person, also ihrem Wachstum im geistlichen Leben, sieht.[97]Vor der Darstellung dieses pädagogisch-aszetischen Systems der Schönstatt-Bewegung erfolgt ein kurzer Überblick über das Leben und die Gründung Josef Kentenichs, der helfen soll, die weiteren Ausführungen besser einordnen zu können. Auch nach den Quellen, die zum Thema Beichte und dem Kontext von Schuld und Sünde herangezogen werden können, wird zu fragen sein.
Josef Kentenich, geboren am 16. November1885 in Gymnich bei Köln, trat 1904 in das Noviziat der Pallottiner in Limburg ein. Nach seiner Priesterweihe 1910 war er zunächst als Lehrer am Gymnasium seiner Gemeinschaft in Koblenz-Ehrenbreitstein eingesetzt. 1912 wurde er zum Spiritual am Studienheim in Vallendar-Schönstatt ernannt. Dort gründete er mit den Schülern im April 1914 eine Marianische Kongregation. Am 18. Oktober 1914 hielt er in einer kleinen Kapelle, die der Kongregation inzwischen zur Verfügung gestellt worden war, einen Vortrag, dessen erster Teil später als „Gründungsurkunde“ der Schönstatt-Bewegung bekannt wurde. Er sprach darin die Idee aus, ob dieser Ort auf die Initiative der Mitglieder der Kongregation hin nicht zu einem Wallfahrtsort werden könne, an dem die Gottesmutter besondere Gnaden wirke.[98] Als kurz darauf viele Schüler im 1. Weltkrieg als Soldaten eingezogen wurden, fand die Idee – unterstützt durch die Bildung von Gruppen, rege Briefkontakte und die Herausgabe einer Zeitschrift – rasche Verbreitung. Aus der daraus entstehenden „Außenorganisation“ wuchs die Initiative zur Gründung des „Apostolischen Bundes“ im Jahr 1919, in den bald darauf auch die ersten Frauen aufgenommen wurden. Ab 1920 bildete der Bund zusammen mit der „Apostolischen Liga“ die „Apostolische Bewegung von Schönstatt“. Kentenich war von seiner Gemeinschaft bereits seit 1918 für seine Gründung freigestellt worden und konnte sich so ganz ihrer weiteren Entfaltung widmen.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten erfolgte eine weitere Ausdifferenzierung des Werkes, u. a. durch die Gründung verschiedener Gemeinschaften, die das Leben der Bewegung unterstützen und sichern sollten.
In den 1930er Jahren erreichte Kentenich durch große Tagungen und Exerzitienkurse weite Kreise und konnte zusammen mit einer wachsenden Zahl von Mitarbeitern zur Entfaltung und Verbreitung des Gedankengutes beitragen.
Während der Zeit des Nationalsozialismus geriet die Schönstatt-Bewegung zunehmend in Bedrängnis. Kentenich wurde im September 1941 von der Gestapo festgenommen und nach einer mehrmonatigen Haft in Koblenz, davon vier Wochen Dunkelhaft, in das Konzentrationslager Dachau gebracht, wo er bis zu seiner Entlassung im April 1945 interniert war. Nach seiner Freilassung setzte er sich auf mehreren Weltreisen für die internationale Ausbreitung seines Werkes ein.
Nachdem es bereits vor dem zweiten Weltkrieg einige kritische Anfragen seitens kirchlicher Autoritäten gegeben hatte, strebte Kentenich v. a. nach seiner Freilassung aus Dachau eine kirchliche Anerkennung seiner Gründung an und ging dabei in der Absicht, seine Überzeugungen darzulegen, freimütig auf die kirchlichen Autoritäten zu.[99] Statt der erhofften Klärung kam es jedoch zu weiteren Missverständnissen, welche die Stellung seiner Person sowie einige Fragen der konkreten Ausgestaltung der Gemeinschaften und der Bewegung betrafen. 1951 wurde Kentenich nach einer apostolischen Visitation seiner Ämter enthoben und erhielt vom Heiligen Offizium die Weisung, Europa zu verlassen, worauf er mehr als 13 Jahre in Milwaukee in den USA verbrachte. Dort wirkte er als Seelsorger der Deutschen Gemeinde und verfasste eine ganze Reihe von Schriften, mit denen er vor allem zu einer Klärung der Anfragen an seine Gründung beitragen wollte. Indessen kam es zu einer Zunahme konfliktreicher Spannungen zwischen der Gemeinschaft der Pallottiner und Kentenich bzw. der Schönstatt-Bewegung, bis 1964 schließlich die rechtliche Trennung erfolgte. Kentenich trat daraufhin aus der Gesellschaft der Pallottiner aus und gehörte die letzten Jahre seines Lebens dem Klerus der Diözese Münster an.[100]
1965 konnte Kentenich aus dem Exil zurückkehren und wurde durch Papst Paul VI. rehabilitiert, nachdem die Auseinandersetzungen um seine Person weitgehend geklärt werden konnten. Er übte daraufhin auch seine bisherigen Funktionen als Gründer wieder aus, bis er am 15. September 1968 in Schönstatt starb.
Wer nach einer monographischen Abhandlung Kentenichs über die Beichte sucht, wird bald feststellen, dass sich eine solche nicht finden lässt. Ähnliches gilt übrigens auch für viele andere Themen. Hier zeigt sich ein Charakteristikum seines hinterlassenen Werkes: Kentenich hatte als Gründer seiner Bewegung weniger ein explizit theologisches Interesse an den einzelnen Themen, sondern behandelt diese oft im Zusammenhang seines gesamten erzieherisch-spirituellen Systems. Auffällig ist, dass er selbst kaum „schriftstellerisch“ tätig wird, denn das heute schriftlich vorliegende Werk besteht zu einem großen Teil aus Vorträgen, die entweder zu einzelnen Anlässen oder im Rahmen von Tagungen und Exerzitienkursen gehalten wurden. Von Mitschriften oder Tonbandaufnahmen konnten später Nachschriften erstellt werden, die zunächst vervielfältigt und dann zum Teil auch publiziert wurden. Schriftliche Darstellungen überlässt Kentenich vor allem während der Phase der großen Tagungen in den 1930er Jahren seinen Mitarbeitern, die sich teilweise auf seine Ausführungen beziehen.[101]
Authentisches schriftliches Material findet sich vor allem in Briefen, heimlich diktierten Texten aus dem KZ Dachau, verschiedenen Studien und in zahlreichen Aufzeichnungen aus der Exilszeit in den USA.
Zum Thema Beichte äußerte sich Kentenich überwiegend in Exerzitienkursen und Tagungen für Priester. So kommt es, dass v. a. Texte aus zwei Phasen seines Lebens betrachtet werden müssen: aus den Vortragstätigkeiten in den 1930er Jahren und aus der letzten Phase seines Lebens nach der Rückkehr aus dem Exil, also nach 1965. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema findet sich aber auch in einer Schulung von künftigen Mitgliedern der Schönstatt-Patres während des Exils in Milwaukee im Jahr 1963.[102]
Offensichtlich war es Kentenich ein Anliegen, den Priestern, die in der Rolle als Beichtväter in ihrer Seelsorgstätigkeit immer wieder mit dem Bußsakrament zu tun haben, Anregungen zu geben, die das Verständnis der Beichte vertiefen können. Dabei ist er auch aufmerksam für die Zeichen der Zeit und beobachtet bereits sich anbahnende Veränderungen, Unsicherheiten und Schwierigkeiten in der Beichtpraxis.[103]
Kentenich betont bereits sehr früh die Bedeutung der Entwicklung der individuellen Persönlichkeit. In seiner ersten Ansprache als Spiritual für die Schüler des neuen Studienheimes in Schönstatt erhebt er die Erziehung zu festen und freien Charakteren zum Programm.[104] Bereits wenige Jahre später taucht erstmals der Ausdruck „Persönliches Ideal“ auf – ein Begriff, der in der Schönstatt-Bewegung später sehr häufig rezipiert wird.
Das aszetische und pädagogische System der Bewegung stellt das Persönliche Ideal ganz in den Mittelpunkt. Religiosität ist so ganz eng verbunden mit der Entwicklung der Persönlichkeit; sie soll sich „als die Vollendung und Krönung der Persönlichkeitsentfaltung“[105] erweisen.
Was ist nun aber näher unter dem Persönlichen Ideal zu verstehen? Drei Aspekte[106] lassen sich für eine Definition festhalten:
Zunächst wird das Persönliche Ideal als die „Uridee Gottes von jedem Menschen“[107] beschrieben. Es steht die Vorstellung dahinter, dass jeder Einzelne in seiner Einmaligkeit und Einzigartigkeit von Gott gewollt ist, dass er von ihm „ein ganz persönliches Lebensideal, eine ganz persönliche Lebensaufgabe erhalten hat“[108]. Kentenich verwendet, wenn er vom Persönlichen Ideal spricht, häufig Vergleiche mit dem Wachstum einer Pflanze. Er drückt damit aus, dass es sich dabei nicht um etwas handelt, was außerhalb der Person läge und erst von ihr erworben werden müsste, sondern um etwas, was bereits keimhaft in ihr angelegt ist und zur Entfaltung drängt. Das Persönliche Ideal nimmt so die konkrete Lebensrealität der Persönlichkeit ernst und setzt bei ihr an. Im Blick auf die menschliche Freiheit lässt sich festhalten, dass das Persönliche Ideal nicht der Vorstellung eines unerbittlich zu erfüllenden Planes entspricht, sondern vielmehr zur freien Entfaltung der Persönlichkeit führen soll.
In einer zweiten Annäherung an das Persönliche Ideal spricht Kentenich vom Grundzug und der Grundstimmung in der Seele des Menschen, „die […] sich ausreift zur vollen Freiheit der Kinder Gottes“[109]. Dabei versteht er unter Grundstimmung einen seelischen Zustand bzw. eine „seelische Atmosphäre“[110], die jemanden über einen längeren Zeitraum erfüllt und prägt. Sie ist das Lebensgefühl eines Menschen, das nicht ständig wechselt, sondern über längere Zeit konstant bleibt. Eine solche Grundstimmung kann und darf ausdrücklich auch eine religiöse Prägung haben. Jemand erfährt z. B. eine tiefe Geborgenheit in der Liebe Gottes, die ihn innerlich ruhig werden lässt, oder es gibt einen bestimmten Gedanken, der ihn nicht mehr loslässt und ihn in seinem religiösen Leben anregt.
Den Grundzug bezeichnet Kentenich als ein „Gezogenwerden nach der Grundstimmung“[111]. Es handelt sich dabei mehr um spontane Regungen oder seelische Zustände, die auch häufiger wechseln können. Ein solcher Grundzug soll sich aber vertiefen können. Er „muss so lange in der Seele verstärkt werden, bis er zur Grundstimmung wird“[112].
Das bewusste Umgehen mit Grundzug und Grundstimmung sind für Kentenich ein konkreter Weg, die bereits erwähnte Uridee Gottes im eigenen Leben zu erkennen. Das Ideal verweist den Menschen auf den Horizont seiner Sehnsucht. Es geht, ähnlich wie in der ignatianischen Unterscheidung der Geister, um ein sensibles Wahrnehmen innerer Anregungen, um zu erkennen, zu welcher konkreten Verwirklichung der Persönlichkeit man sich hingezogen fühlt.[113]Eine dritte – mehr spirituelle – Überlegung weist hin auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen. Danach ist das Persönliche Ideal eine „Abbildung und Nachbildung der göttlichen und gottmenschlichen Vollkommenheiten“[114]. Auch auf die personale Verbundenheit mit Jesus Christus wird so verwiesen.
Das Persönliche Ideal wäre aber gründlich missverstanden, wenn man es allein auf seine spirituelle Dimension verkürzen würde. Dagegen wurde es immer wieder in einen pädagogischen Horizont gestellt: Es soll helfen, eine seelische Grundhaltung zu schaffen, welche das sittliche Handeln des Menschen prägt. Dabei setzt es auf intrinsische Motivation statt auf rein äußerlich übernommene Werte.
Wenn nun die schönstättische Spiritualität das Persönliche Ideal so sehr ins Zentrum rückt, dann tut sie dies, weil sie die volle Entfaltung der Persönlichkeit zum Ziel hat. Sie ist davon überzeugt, dass der Mensch, der aus seinem Persönlichen Ideal heraus lebt, auf diese Weise wirklich zur Fülle seines Daseins gelangen kann.
Fragt man nach der praktischen Relevanz der Beichte in der Spiritualität der Schönstatt- Bewegung, so stößt man vor allem auf den Kontext von Seelenführung bzw. geistlicher Begleitung.
Hier ist zunächst eine Differenzierung angebracht, denn wie bereits gezeigt wurde, ist ja zwischen geistlicher Begleitung und Beichte durchaus zu unterscheiden.[115] Auch Schmidt betont bei seiner Darstellung des schönstättischen pädagogisch-aszetischen Systems, dass die Seelenführung mit der Beichte nicht identisch sei, jedoch mit ihr verbunden werden könne.[116]Kentenich spricht in späteren Jahren eher vom Anschluss an einen ständigen Beichtvater als an einen Seelenführer.[117] Hin und wieder weist er in einer recht deutlichen Weise darauf hin, dass eine besondere Seelenführung nur dann notwendig sei, „wenn man außergewöhnlich begnadet ist oder wenn man [seelisch] krank ist“[118]. Schmidt nennt darüber hinaus noch die Jugendlichen im Reifealter als dritte Zielgruppe der Seelenführung.[119]Bei Kentenich wird aber andererseits auch deutlich, dass er Beichte und Aspekte der Seelenführung sehr eng zusammen sieht. Durch die Ausrichtung auf das Persönliche Ideal kommt ein weiterer Kontext in den Blick als nur die negative Orientierung an der Sünde. Sowohl die Reifung an positiven Erfahrungen als auch an negativen wie der Sünde hat ihren Platz, wenn es darum geht, das eigene Wachstum auf das Ideal hin in den Blick zu nehmen.[120]Wenn von der Beichte bzw. Seelenführung im Kontext des aszetischen Systems die Rede ist, ist zu bedenken, dass sich dieses besonders an religiös motivierte Menschen richtet, die sich apostolisch engagieren möchten, denen es also ein Anliegen ist, ihren Glauben an andere weiterzugeben. Bei Schmidt wird jedoch auch deutlich, dass die regelmäßige Beichte keineswegs als Exklusivübung für die besonders Strebsamen gedacht ist, sondern dass sie in der damaligen Zeit noch zum selbstverständlichen Vollzug katholischer Frömmigkeit gehörte.[121]Da dies heute nicht mehr der Fall ist, wäre noch einmal neu zu fragen, wo nun für das aszetische System eigentlich der stärkere Akzent liegt: in der sakramentalen Beichte oder in der geistlichen Begleitung. Eine eindeutige Antwort fällt hier aber schwer. Zwar betont Kentenich in seinen späten Aussagen mehr die Beichte, gleichzeitig wird aber deutlich, dass er sie vor allem im Sinne der Seelenführungsbeichte verstanden wissen will. Es besteht also eine enge Verquickung zwischen beiden Aspekten.
Sofern das Ziel der regelmäßigen Überprüfung der eigenen Entwicklung im geistlichen Leben im Blick bleibt, scheint mir, dass dem Einzelnen eine größtmögliche Freiheit in dieser Frage eingeräumt werden kann. Nicht unerheblich wird dabei auch die Frage sein, in welchem Rahmen jemand die nötige Gesprächsatmosphäre finden kann, die für ein vertrauensvolles Gespräch nötig ist. Andererseits wäre aber auch in der geistlichen Begleitung zu fragen, ob nicht das Sakrament der Beichte von Zeit zu Zeit ergänzend in Betracht kommt. Dies gilt natürlich in besonderer Weise, wenn beim Vorliegen schwerer Sünden eine Rekonziliationsbeichte angebracht scheint.
Neben der Beichte bzw. Seelenführung gehören zwei weitere Elemente zum aszetischen System Schönstatts: die „geistliche Tagesordnung“ und das sog. „Partikularexamen“. Unter dem Partikularexamen versteht Kentenich einen besonderen Vorsatz, den der Einzelne frei wählen kann. Der Ausgangspunkt dafür ist sein Persönliches Ideal. Es geht darum, besondere Aufmerksamkeit auf ein Teilgebiet der persönlichen Reifung zu legen. Dies kann entweder darin bestehen, „einen bestimmten Fehler [zu] bekämpfen oder bei positiver Gestaltung eine bestimmte Tugend [zu] pflegen“[122]. Kentenich betont unter psychologischen Gesichtspunkten jedoch bevorzugt den positiven Zugang.[123] Das Partikularexamen in seiner Ausrichtung am Persönlichkeitskern soll helfen, sich immer wieder neu am Persönlichen Ideal zu orientieren. Dazu dient die tägliche, evtl. sogar mehrmals täglich vorgenommene schriftliche Kontrolle des Vorsatzes. Die „Geistliche Tagesordnung“ beinhaltet selbst gewählte, über den Tag verteilte geistliche Übungen, die ebenfalls am Abend schriftlich kontrolliert werden. Auch die Aufnahme anderer Punkte, die z. B. der sportlichen oder kreativen Betätigung dienen, ist möglich.
Geistliche Tagesordnung und Partikularexamen wollen im Rahmen des aszetischen Systems als ein Weg zur Konkretisierung des Zieles der originellen Persönlichkeitsentfaltung verstanden werden.
Kentenich verweist hin und wieder auch auf ihre Bedeutung im Zusammenhang mit der Gewissensbildung und der Beichtpraxis. Das Partikularexamen vergleicht er auch mit einem Beichtvorsatz, der bei der regelmäßigen Beichte als Orientierung bzw. als eine Art individueller Beichtspiegel dienen kann.[124] Die Geistliche Tagesordnung versteht er als eine Möglichkeit, sich im Alltag immer wieder mit Gott zu verbinden[125]. Er stellt sie aber auch in den Zusammenhang mit einer Gesinnung der Buße, welche im täglichen Leben vorbereiten soll, was in der Beichte einen Höhepunkt erfährt.[126]Auch für eine abendliche Gewissenserforschung können Geistliche Tagesordnung und Partikularexamen als Orientierung dienen.
[94] Vgl. die Ausführungen in: Kentenich, Vorgründungsurkunde, 22.
[95] Konkret ist dies in der Struktur der Bewegung von Mitgliedern der Apostolischen Liga gefordert. Entsprechendes gilt für alle, die den organisierten Gemeinschaften (sog. Bünde und Verbände) der Bewegung angehören. Vgl. Hug / Schmiedl, Schönstatt – Struktur.
[96] Vgl. Kentenich, Schlüssel, 191.
[97] Vgl. Kentenich, Chile-Terziat, 111.
[98] Vgl. Kentenich, Gründungsurkunde, 291.
[99] Vgl. Schmiedl, Kentenich, 194.
[100] Vgl. ebd., 195.
[101] Zu nennen wären hier z. B. Nailis, Werktagsheiligkeit oder Schmidt, Organische Aszese.
[102] Vgl. Kentenich, Milwaukee-Terziat VI. Zu beachten sind v. a. die beiden Vorträge vom 5. Februar 1963.
[103] Vgl. u. a. Kentenich, Exerzitien für Schönstatt-Patres, 99.
[104] Vgl. Kentenich, Vorgründungsurkunde, 23. Im Wortlaut heißt es dort: „Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze Mariens selbst zu erziehen zu festen, freien und priesterlichen Charakteren.“
[105] Schmidt, Organische Aszese, 30.
[106] Kentenich spricht von einer philosophischen, einer psychologischen und einer theologischen Definition. Im heutigen Verständnis der wissenschaftlichen Disziplinen erscheint diese Einteilung jedoch etwas ungenau, weshalb ich diese Terminologie hier nicht übernehme. Vgl. Kentenich, Prinzipienlehre, 135f.
[107] Schmidt, Organische Aszese, 46.
[108] Vgl. ebd., 47.
[109] Kentenich, Prinzipienlehre, 139.
[110] Ebd., 143.
[111] Ebd., 144.
[112] Ebd.
[113] Vgl. Schmidt, Organische Aszese, 52.
[114] Ebd., 53.
[115] Vgl. Kapitel 1.1.3 dieser Arbeit.
[116] Vgl. Schmidt, Organische Aszese, 458.
[117] Vgl. Kentenich, Leitung und Selbständigkeit, 197.
[118] Ebd.
[119] Vgl. Schmidt, Organische Aszese, 456.
[120] Vgl. ebd., 458.
[121] Vgl. ebd., 456.
[122] Vgl. ebd., 447.
[123] Vgl. Kentenich, Kindsein, 155.
[124] Vgl. Nailis, Werktagsheiligkeit, 75.
[125] Vgl. Kentenich, Exerzitien für Schönstatt-Patres, 145.
[126] Vgl. Kentenich, Liturgische Werktagsheiligkeit, 22.