Nach einer ausführlichen Darlegung der Gedanken Kentenichs zum Bußsakrament ist nun zu fragen, ob diese Antworten auf Fragen der heutigen Beichtpastoral, wie sie im ersten Kapitel betrachtet wurde, liefern können oder ob es sich eher um Sondergut aus der Spiritualität der Schönstatt-Bewegung handelt, das im Wesentlichen für deren Mitglieder von Interesse ist.
Bei einer Betrachtung der Themen, die Kentenich berührt, lässt sich feststellen, dass er zwar terminologisch einige Eigenprägungen verwendet, dass aber seine Ausführungen für das Menschsein bzw. Christsein insgesamt Anregungen bieten können. Es ist keine exklusive Spiritualität, die Kentenich im Blick auf die Beichte entfaltet, sondern geradezu der Versuch einer großräumigen Einordnung des Sakraments in den Kontext von Glaubens- und Lebenserfahrungen und damit einer Belebung von innen her.
Selbst dort, wo von Begriffen ausgegangen wird, die aus der Spiritualität der Schönstatt-Bewegung stammen, können im Kontext der Beichte auch Impulse von allgemeiner Bedeutung abgeleitet werden. So kann etwa die Perspektive des Persönlichen Ideals bzw., allgemeiner ausgedrückt, der menschlichen Reifung eine Weitung für die Beichte bedeuten, die sie aus dem Zwielicht einer einseitig negativen Fixierung auf die Sünde herausholt.
Wenn nun aus den Überlegungen Kentenichs Impulse für eine Erneuerung der Beichtpastoral entwickelt werden sollen, dann werden dabei verschiedene Ebenen zu betrachten sein. So wie Kentenich selbst gleichsam „Tiefenbohrungen“ vornimmt und die Beichte mit ganz grundlegenden Inhalten in Verbindung bringt, wird auch hier zu Fragen sein, auf welchen Fundamenten die heutige Beichtpastoral gründen kann. In einem zweiten Schritt ist zu fragen, welche inhaltlichen Elemente für die Verkündigung wichtig sind, um zu einer Belebung der Beichte beitragen zu können. Anschließend wird zu klären sein, was für die Gestaltung der Beichte und ihres pastoralen Kontextes selbst wichtig erscheint. Aus den Ergebnissen, die aus der Spiritualität Kentenichs gewonnen wurden, sollen so – ergänzt durch weiterführende Überlegungen – möglichst konkrete Ideen für die Beichtpastoral abgeleitet werden.
Will man zu einer Erneuerung der Beichtpastoral beitragen, so scheint zunächst einmal eine Präzisierung der Fragestellung angebracht. Dazu ist an den von Ursula Silber angeregten Perspektivenwechsel zu erinnern.[225] So sollte das Ziel aller Bemühungen nicht einfach in einer „Rettung“ der Beichte liegen, sondern in erster Linie auf den Menschen ausgerichtet sein. So groß die Bedeutung der Sakramente in der Tradition der Kirche auch sein mag, kann sich ein Sakrament doch nie aus sich selbst heraus legitimieren. Deshalb kann sich auch das Anliegen einer Neubelebung der Beichte nicht allein daraus begründen, dass das Sakrament in einer Krise steckt.
Es ist vielmehr zu fragen, ob und ggf. wie das Sakrament Antworten auf Fragen der Menschen von heute geben kann. Der Mensch sollte also, wie in der Pastoraltheologie überhaupt, im Zentrum aller Überlegungen stehen.
Doch auch hier muss noch weiter präzisiert werden. Das Sakrament der Versöhnung kann nämlich nur dann in seiner vollen Bedeutungsfülle erschlossen werden, wenn der Mensch als religiöses Wesen im Blick ist. Es geht somit wesentlich um den Menschen in seiner Beziehung zu Gott.
Die präzisierte Fragestellung, welche für die Erneuerung der Beichtpastoral leitend sein kann, könnte man also etwa wie folgt formulieren: Wie kann die Beichte heute Antwort geben auf Fragen und Bedürfnisse der Menschen in ihrer Beziehung zu Gott? Hier kann nun leicht an die methodischen Überlegungen zu Kentenichs Ausführungen zur Beichte angeknüpft werden.[226] Wir haben gesehen, wie wichtig ihm das Anliegen war, dass das Bußsakrament seinen Zuhörern im Kontext ihrer eigenen Lebens- und Glaubenserfahrung in seiner Bedeutung zugänglich wird. Er stellt die Beichte gerade nicht als bloße religiöse Übung dar, die einfach zum christlichen Leben dazu gehört, sondern versucht, seinen Zuhörern ihre existenzielle Bedeutung zu erschließen.
Die Sakramente müssen heute mehr denn je im Gesamtgefüge des Glaubenslebens verstanden werden, wenn sie nicht als beliebige Segmente christlicher Religiosität erscheinen sollen. Ihre Bedeutung wird sich aber auch daran erweisen, ob sie wirklich als Erfahrungen der „Begegnung mit Gott“[227] erlebt werden. Für das Sakrament der Beichte bedeutet dies, dass es immer wieder neu mit den Fundamenten des christlichen Glaubens in Verbindung gebracht werden muss. Die Erfahrungen des eigenen Lebens sollen der konkrete Ort sein, an dem der Mensch Gott begegnet. Die vor Gott gebrachte eigene Begrenzung soll so gleichsam zu einem Verdichtungspunkt des eigenen Glaubens werden, wo Gnade auf das Leben eines Menschen trifft und „empirisch“[228] wird.
Gerade die Beichte als Element der Einzelseelsorge bietet die Chance, einen individuellen Weg zu gehen, durch den im Dialog zwischen dem Beichtenden und dem Beichtvater allgemeine Glaubensüberzeugungen in den konkreten Lebenskontext des Gläubigen „übersetzt“ werden. Es ist ein Unterschied, ob Jesus Christus ganz allgemein die Menschheit erlöst und dadurch Heil gewirkt hat oder ob jemand diese Zusage auch auf sich selbst beziehen und sagen kann: „Ich bin erlöst.“
Erlösung soll von der Idee zur Erfahrung werden, haben wir im Blick auf Kentenichs Überlegungen festgehalten.[229] Die Beichte kann in besonderer Weise zu einem Ort werden, wo sich eine Verbindung von menschlichen Erfahrungen und religiösen Überzeugungen vollzieht. Sie kann so zu einem Prozess der persönlichen Aneignung und Verinnerlichung des Glaubens beitragen. Dieser Aspekt sollte bei allen berechtigten Überlegungen, wie für das über lange Zeit stark individuell geprägte Bußsakrament der Bezug zur Gemeinschaft der Kirche wieder deutlicher hervorgehoben werden kann, nicht übersehen werden. Auf diese Frage wird später noch einmal zurückzukommen sein.[230]Man wird auf der anderen Seite freilich bedenken müssen, dass jemand, der in seinem Glauben eher unsicher ist, sich möglicherweise leichter damit tun wird, in Glaubensfragen etwas distanzierter über allgemeine Aussagen zu sprechen als in der ersten Person darüber zu reden. An dieser Stelle sollte man sich vor Bewertungen zurückhalten. Der Seelsorger sollte den Grundsatz berücksichtigen, dass der Gesprächspartner selbst das Maß bestimmt, was er zu glauben und über was er zu reden bereit ist.
Ein weiser Seelsorger wird sich als Wegbegleiter verstehen, der ein Stück des Lebensund Glaubensweges seines Gegenübers mitgeht. Er wird darauf bedacht sein, den Gläubigen nicht mit zu hohen Erwartungen zu überfordern. Nicht alles kann und muss man von einem einzigen Gespräch erwarten. Doch selbst von einem einmaligen seelsorglichen Kontakt kann eine bleibende Wirkung ausgehen, wenn jemandem bewusst wird, dass der Glaube tatsächlich mit seiner eigenen Lebenswirklichkeit zu tun hat. Letztlich darf der Seelsorger aber auch darauf vertrauen, dass längst nicht alles von ihm abhängt, sondern dass Gott selbst derjenige ist, der den gesamten Weg des Gläubigen begleitet.
Ein weiterer Aspekt, der an die Fundamente der Beichtpastoral rührt, hat mit der Art und Weise zu tun, wie über die Beichte gesprochen wird. Es sollte deutlich werden, dass das Grundanliegen nicht durch ein negatives Ziel wie die Überwindung von Sünden und Schwächen, sondern mit einer positiven Perspektive ausgedrückt wird. Kentenich stellt immer wieder in einer deutlichen Weise das Wachstum der Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Gerade dort, wo der Mensch sich in seinen Sünden und mit seinen Grenzen erlebt, wo er sich diesen Erfahrungen bewusst stellt und sie vor Gott hinhält, kann er als Persönlichkeit reifen. Ohne eine solche positive Perspektive ist es schwierig, den eigentlichen Wert der Beichte zu verdeutlichen.
Je nach Lebensphase kann es unterschiedliche „Wachstumsthemen“ geben, die im Vordergrund stehen. Bei Jugendlichen z. B. wird vor allem der Themenkomplex der Selbstfindung eine wichtige Rolle spielen. Solche vorrangigen Themen der eigenen Entwicklung können auch die Beichte bereichern, zumal durch sie nicht selten auch Fragen nach den eigenen Grenzen in den Blick kommen.
Man kann am Ansatz Kentenichs kritisch hinterfragen, ob die positive Perspektive des Bußsakramentes statt in der Persönlichkeitsentfaltung nicht primär in der Umkehr, die ja nicht nur Abkehr vom Bösen, sondern vor allem auch eine bewusste Hinwendung zu Gott ist, liegt. Jedoch scheint sich bei genauerer Betrachtung eine solche Alternative für Kentenich gar nicht zu ergeben, denn die Perspektive des „Persönlichen Ideals“ beinhaltet bereits beide Aspekte. Die Ausrichtung am Ideal bedeutet nicht nur Selbstentfaltung, sondern auch Neuorientierung am Anspruch Gottes an jeden Einzelnen und auf diese Weise eine Erneuerung der Beziehung zu ihm.
Es bleibt schließlich noch zu fragen, wo eine Erneuerung der Beichtpastoral am besten ansetzen kann. Bei Kentenich haben wir gesehen, wie er häufig zu Priestern über die Beichte spricht, um bei ihnen ein vertieftes Verständnis zu wecken. Auch Hubert Windisch sieht einen wichtigen Ansatz zur Erneuerung des Sakraments beim Beichtvater.[231] Nur Priester, die selbst einen Zugang zur Beichte haben, werden auch als Beichtväter überzeugen können. Dazu ist, wie Windisch ebenfalls feststellt, auch in die Ausbildung in diesem Bereich zu investieren.[232]Jedoch reicht es nicht aus, allein bei den Beichtvätern anzusetzen. Die Bußpastoral braucht in ihrer gegenwärtigen Situation eine umfassende Erneuerung, eine „Wurzelbehandlung“[233], wie Windisch es ausdrückt. Es ist auch nach Wegen zu suchen, wie die Gläubigen in einer neuen Weise mit dem Thema Beichte in Berührung kommen können. In der Verkündigung sollte deshalb die Beichte und ihr Kontext häufiger in einer Art und Weise Erwähnung finden, welche den Gläubigen hilft, neue Zugänge zu finden.
Noch wichtiger als die Verkündigung mit Worten wird es aber sein, ein pastorales Klima zu fördern, in dem das Beichtsakrament aus seiner derzeitigen Randposition wieder mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.
Wenn für die bußpastorale Erneuerung der Blick auf den Menschen in seiner Beziehung zu Gott die leitende Perspektive ist, dann muss das auch in der Verkündigung deutlich werden. Es reicht sicher nicht aus, immer wieder einmal über die Beichte selbst zu reden. Vielmehr ist auch hier „Wurzelarbeit“ zu leisten. Die Frage ist nicht in erster Linie, wie oft auf die Möglichkeit der Beichte hingewiesen wird, sondern wie ihre existenzielle Bedeutung für den Menschen deutlich werden kann. Ein wichtiger Ansatz dazu ist in den Überlegungen zum Menschen- und Gottesbild zu suchen.
Die Beichte scheint immer noch unter dem Image zu leiden, sie wolle den Menschen durch die Konfrontation mit der Sünde klein machen. Das Bild des reuigen Sünders, der ängstlich vor einen richtenden Gott tritt, mag manchem im Hinterkopf sein.
Das christliche Menschenbild kennt aber ganz andere Bilder. Das Gleichnis vom heimkehrenden Sohn und dem barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) kann als biblisches Beispiel dienen. Hier korrespondiert dem Schuldbewusstsein des Sohnes, der nach allem, was er durchlebt hat, nicht mehr an seine Sohneswürde zu glauben scheint, die aufrichtende Liebe des Vaters: „Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.“[234] Sogleich macht er ihm seine Würde durch das Anlegen des besten Gewandes und das Anstecken eines Ringes auf anschauliche Weise deutlich.[235]Hier wird etwas sehr schön ausgemalt, was auch im Zusammenhang mit der Beichte von Bedeutung ist. Der Mensch mit seiner Schulderfahrung erfährt seine Würde nicht einfach dadurch, dass er seine Vergangenheit von sich abschüttelt, sondern sie wird ihm von Gott her wieder neu zugesagt und geschenkt. Wenn man sich das verdeutlicht, erkennt man, dass das Grundanliegen der Beichte das genaue Gegenteil davon ist, den Menschen klein machen zu wollen. Sie will ihn vielmehr in der Begegnung mit Gott neu aufrichten und ihm seine Würde verdeutlichen.
Wird die Sündhaftigkeit des Menschen zu einseitig betont, schadet das dem Verständnis der Beichte genauso wie der gegenteilige Versuch, sich vom Gedanken der Schuld freimachen zu wollen.[236] Die Geschichte der Beichte zeigt, dass es Verkürzungen in beide Richtungen gegeben hat. Umso wichtiger erscheint es, darauf hinzuweisen, dass die Verkündigung den ganzen Menschen im Blick haben soll.
Zur Lebensrealität des Menschen gehören sowohl Erfahrungen von Größe und Würde als auch solche des Kleinseins und der Begrenzung. Der Weg, den Kentenich aufzeigt, besteht in einer Integration beider Wirklichkeiten. Für ihn sind Schwäche und Kleinsein, sofern sie vor Gott anerkannt werden, ein „Mittel zum Großwerden“[237]. Hier lässt sich erkennen, wie er das Verhältnis zwischen Mensch und Gott sieht, das er häufig im Bild von Vater und Kind ausdrückt:
„Wichtig für uns ist nur Gott, der Vater und seine barmherzige Liebe. Letzten Endes liebt er uns nicht einmal so sehr […], weil wir gut und brav gewesen (sind), sondern weil er eben unser Vater ist oder weil er uns seine barmherzige Liebe dann am reichsten zuströmen lässt, wenn wir unsere Grenzen, unsere Schwächen und Armseligkeiten freudig bejahen und als wesentlichsten Titel für die Öffnung seines Herzens und das Durchströmen seiner Liebe innewerden.“[238]Das Menschenbild, das die christliche Verkündigung prägt und von da aus auch einen neuen Zugang zur Beichte erschließen will, soll also integrativ sein und sich nicht menschlichen Erfahrungen verschließen. Die Realität von Schuld in unserem Leben sollte weder verharmlost noch verurteilt werden.[239] Das Ziel einer solchen Integration ist letztlich, den Menschen frei zu machen. Die Theologie spricht hier von Erlösung.
Auf der Suche nach Ursachen für die Beichtkrise wurden auch sogenannte „dysfunktionale Erfahrungen“[240] aufgeführt. Das Argument, die Beichte bewirke ja doch nichts, was man daran erkennen könne, dass diejenigen, die regelmäßig beichten gehen, auch keine besseren Menschen würden, ist in der ein oder anderen Form immer wieder zu hören. Es gibt aber auch eine persönliche Variante dieses Arguments: Jemand macht die Erfahrung, mit einer echten Reue zur Beichte zu gehen, vielleicht auch mehrmals, aber mit der Zeit stellt er resigniert fest, dass er immer wieder die gleichen Sünden beichtet. Auf einem solchen Hintergrund ist es verständlich, wenn die Frage aufkommt, was die Beichte eigentlich bewirkt, wenn sie im Leben keine Veränderung zur Folge hat.
Die Beichte kann zwar auch nicht einfach als Heilmittel verstanden werden, das mit einem Mal das Leben verändert. Ein solches Verständnis wäre eine schlichte Überforderung an das Sakrament. Aber auf der anderen Seite muss doch sein Lebensbezug deutlich werden, wenn es für die Menschen von heute eine Bedeutung haben soll.
Kentenichs Sicht der Beichte als Erziehungsmittel will deutlich machen, dass es begleitende Prozesse auf der natürlichen Ebene braucht, wenn sich die übernatürliche Wirkung des Sakraments voll entfalten soll.
Für eine tiefgreifende Wandlung ist vor allem ein Blick auf den Menschen notwendig, der nicht an der Oberfläche stehen bleibt. Demmer weist darauf hin, dass „Einzelverfehlungen Symptome einer tief sitzenden Lebensverfehlung sind“[241]. Soll eine langfristige Wirkung erzielt werden, würde eine „Symptombehandlung“ aber zu kurz greifen. Es muss deshalb das Anliegen der Beichte sein, durch die Handlungen (oder Unterlassungen), welche der Beichtende mitteilt, zu den tieferen Schichten der Haltungen vorzustoßen.
Bei Kentenich finden wir dieses Anliegen in der Ausrichtung auf das Persönliche Ideal ausgedrückt. Letztlich ist es nicht die einzelne Handlung, auf die es ihm ankommt, sondern das Vordringen zum Kern der Persönlichkeit. Von dort her soll der Mensch verstanden werden.
Das hat auch Folgen für die Verkündigung. Es sollte nicht eine Moral der Buße gepredigt werden, die auf der Ebene der Handlungen stehen bleibt. Vielmehr sollte der Seelsorger in Wort und Tat erkennen lassen, dass er einen Blick für tiefer liegende Zusammenhänge hat.
Im Zusammenhang mit der Krise der Beichte wird häufiger auf ein „schwindende(s) Unrechtsbewusstsein“[242] bzw. „mangelndes Sündenbewusstsein“[243] verwiesen. Solche Aussagen haben sicher ihre Berechtigung. Sie stützen sich meist auf gesellschaftliche Beobachtungen. Dennoch ist zu fragen, ob sie wirklich uneingeschränkt gültig sind. „Global“ betrachtet scheint die These vom mangelnden Schuldbewusstsein schnell einsichtig. Unsere mediale Welt zeigt meist wenig Verständnis für das Eingeständnis von Schwäche. Andererseits kann man sich fragen, ob es nicht auch eine Wirklichkeit jenseits dieses öffentlichen Anscheins gibt.
Wendet man den Blick nämlich von der Öffentlichkeit auf die Beobachtung von individuellen Erfahrungen, lässt sich doch feststellen, dass nicht wenige Menschen an Situationen leiden, an denen die Grenzen ihrer selbst und anderer erfahren werden. Besonders dort, wo zwischenmenschliche Beziehungen betroffen sind, können leicht Fragen nach der (eigenen oder fremden) Schuld ins Spiel kommen, auch wenn diese nicht unbedingt immer klar artikuliert werden, sondern auch eher diffus sein können. Kentenichs Unterscheidung von der moralischen und der aszetischen Schuld[244] kann zum Verständnis solcher Vorgänge beitragen.
Windisch weist darauf hin, dass es für die Beichte darauf ankomme, die „situative Erlösungsbedürftigkeit“[245] zu artikulieren. Bei Kentenich sind wir bereits auf die gleiche Formulierung gestoßen.[246] Die Beichte soll Antwort geben auf das Bedürfnis nach Erlösung, das sich der Mensch nicht selbst erfüllen kann. Es handelt sich um einen zutiefst mystagogischen Zugang. Der Ausgangspunkt ist die menschliche Erfahrung. Es geht darum, dem Auftrag der Kirche gerecht zu werden, die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“[247] zu teilen. Von da aus soll das Geheimnis unserer Erlösung erschlossen werden.
Die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen ist nicht nur ein individuelles Phänomen, sondern kann z. B. auch im Blick auf die vielfältigen Nöte der Zeit erlebt werden. Sowohl das persönlich erfahrene als auch das überindividuelle Erlösungsbedürfnis soll aufmerksam wahrgenommen und artikuliert werden, um es betend vor Gott zu bringen. Ein solcher Dienst, der menschliche Erfahrungen mit der befreienden Botschaft des Evangeliums in Berührung bringt, ist eine wichtige grundsakramentale Aufgabe der Kirche, denn diese „ist dazu da, dass die Menschen von heute die befreiende und erlösende Liebe Gottes erfahren“[248].
In diesem Kontext ist dann auch die Beichte zu verstehen. Der Dienst, den die Kirche insgesamt leistet, kann im Sakrament mit einem besonderen Akzent auf der individuellen Erlösungsbedürftigkeit erfahren werden.
Es sei aber abschließend auch auf eine Gefahr hingewiesen: Wer das Erleben von Grenzen bzw. die Erlösungsbedürftigkeit so stark betont, der sollte sich bewusst sein, dass er an sehr sensible Themen rührt. Man sollte deshalb sorgsam darauf achten, dass nicht Schuldgefühle „eingeredet“ werden, wo keine sind. Vielmehr soll das tatsächliche Erleben des Menschen wahrgenommen und behutsam artikuliert werden, um es schließlich integrieren zu können.
Neben dem weiteren bußpastoralen Umfeld muss selbstverständlich auch der Beichte selbst Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wenn das Bußsakrament wieder mehr in das Zentrum der Aufmerksamkeit rücken soll, ist zunächst zu fragen, wo und in welcher Weise Menschen überhaupt mit ihm in Berührung kommen können. Welche Gesichtspunkte sind für das Angebot der Beichte zu beachten? An welcher Stelle könnte es sich „lohnen“, etwas in die Beichtpastoral zu investieren?
Zunächst einmal kann man sich aber fragen, welche Zielgruppe man im Blick hat, wenn man das Bußsakrament neu beleben will. Es wäre sicherlich vermessen zu glauben, dass eine ganze Gemeinde plötzlich Interesse an dem bisher kaum beachteten Sakrament entwickelt, nur weil der Pfarrer jetzt öfters dafür wirbt. Dass eine Erneuerung der Beichtpraxis gleich eine breite Massenwirkung auslöst, scheint doch eher unrealistisch. Wir haben gesehen, dass die Beichte die Fundamente des christlichen Glaubens berührt. Erfahrungen des konkreten Lebens sollen im Sakrament mit dem Glauben an das Heilshandeln Gottes in Verbindung gebracht werden. Es geht letztlich um eine „Bekehrung zum bewussten Glauben“[249]. Ohne diese Grundlage droht das Sündenverständnis und mit ihm die Beichte auf eine rein moralische Angelegenheit verkürzt zu werden.[250] Es scheint deshalb für die Erneuerung der Beichtpastoral geradezu notwendig, anstelle von moralischen Appellen eine geistliche Atmosphäre zu kultivieren.
Auf diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, den Ansatzpunkt für die Erneuerung der Beichtpastoral dort zu wählen, wo es bereits Erfahrungen damit gibt, Glauben und Leben miteinander zu teilen.
So ist es zu verstehen, wenn Mindaugas Ragaisis in seiner Dissertation einen Ansatz bei den sogenannten „kommunikativen Glaubensmilieus“ wählt.[251] Der Begriff stammt von Medard Kehl und meint solche „Gruppen, Gemeinden, Gemeinschaften, geistlichen Bewegungen, Initiativen (wie z. B. „Exerzitien im Alltag“ oder Wallfahrten), Gesprächskreisen, geistlichen Zentren u. ä.“[252], in denen man sich über den Glauben auf existentielle Weise austauscht.
Für die Pastoral kann dies konkret bedeuten, mit einer Förderung der Beichtpastoral dort anzusetzen, wo bereits Anknüpfungspunkte für einen geistlichen Austausch vorhanden sind und somit ein stützendes Umfeld zu erwarten ist.
Unter der Voraussetzung, dass solche Gruppen und Initiativen eine grundsätzliche Offenheit „für neue Mitglieder, für neue Anfragen und Herausforderungen“[253] haben, kann von ihnen eine Wirkung auf den größeren Kontext einer Gemeinde ausgehen. Der Ansatz bei den „kommunikativen Glaubensmilieus“ sollte schließlich nicht in eine Elitefrömmigkeit führen, sondern die Perspektive haben, die Beichtpastoral insgesamt zu fördern.
Auf diesem Hintergrund können zielgerichtet anlassbezogene Angebote zur Beichte gesetzt und möglichst durch „Formen einer katechetischen Hinführung zum Bußsakrament“[254] unterstützt werden. Einige Beispiele:
– Gibt es in einer Pfarrei einen Besinnungstag z. B. für den Pfarrgemeinderat, eine bestimmte Gruppe oder auch als Angebot für die ganze Gemeinde, könnte dieser einen Impuls zur Beichte enthalten und ein Beichtangebot integrieren.
– Bei einer liturgischen Nacht oder einem Taizé-Gebet der Jugendlichen könnte in einer kurzen Hinführung der Hinweis erfolgen, dass ein oder evtl. mehrere Priester zum seelsorglichen Gespräch mit der Möglichkeit zum Empfang des Beichtsakraments zur Verfügung stehen.
– Ein Familienkreis bietet traditionell eine Fußwallfahrt zu einem nahe gelegenen Wallfahrtsort an. Der Pfarrer nimmt sich bewusst dafür Zeit und regt zu Beginn an, den Weg als Chance einer bewussten Neuausrichtung des eigenen Lebens zu verstehen. Unterwegs steht er – mit einem angemessenen Diskretionsabstand vom Rest der Gruppe – für (Beicht-) Gespräche zur Verfügung.
Am Ziel gibt es zusätzlich die Möglichkeit, das Beichtangebot des Wallfahrtsortes zu nutzen. Bei solchen anlassbezogenen Angeboten solle darauf geachtet werden, dass sie möglichst niedrigschwellig sind. Dadurch, dass sie mitten im Geschehen einer Gemeinde oder einer geistlichen Gemeinschaft angeboten werden, wird auch zum Ausdruck gebracht, dass die Beichte ins Zentrum des christlichen Lebens gehört. Anlassbezogene Beichte kann darüber hinaus auch bedeuten, dass das Bußsakrament an besonderen Stationen des Lebens wieder mehr in den Blick kommt und ausdrücklich zum Angebot gemacht wird. Zu denken wäre z. B. an die Ehevorbereitung[255], an die Seelsorge mit alten und kranken Menschen, aber auch an die Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in wichtigen Phasen der Identitätsfindung. Neben dem anlassbezogenen Beichtangebot ist aber auch eine regelmäßige Beichtgelegenheit sinnvoll. Diese sollte unabhängig davon angeboten werden, ob sie tatsächlich genutzt wird.[256]
Hinweise im Pfarrblatt, dass es eine Beichtgelegenheit „auf Anfrage“ gibt, sollten der Vergangenheit angehören, denn wenn man den Priester zunächst um einen Termin bitten muss, um zu beichten, ist die Zugangsschwelle extrem hoch angesetzt. „Die regelmäßige öffentliche Präsenz des Beichtvaters, die gleichzeitig die Anonymität des Bußsakramentes gewährleistet, hat zu tun mit der offenen Tür im Haus des barmherzigen Vaters (vgl. Lk 15).“[257]
In den Überlegungen zur Erneuerung der Beichtpastoral in den letzten Jahrzehnten wurde häufig der Dialogcharakter hervorgehoben; dem Beichtgespräch wurde zunehmend Aufmerksamkeit geschenkt.[258] Man wollte gegen einen stark formalisierten bzw. ritualisierten Ablauf der Beichte ihre Lebensnähe besonders dadurch zum Ausdruck bringen, dass das Gespräch als menschlicher Grundvorgang stärker betont wird.
Im Sinne der bisherigen Überlegungen ist diese gewachsene Sensibilität für den Gesprächscharakter der Beichte sehr zu begrüßen. Wenn die Beichte auch ein „Erziehungsmittel“ sein soll, wie Kentenich immer wieder ins Feld führt, dann wird der Erziehungsvorgang, der das Wachstum der Persönlichkeit im Blick hat, nicht ohne einen echten Dialog zwischen Beichtvater und Beichtendem auskommen. Allerdings erfordert die Betonung des Dialogcharakters auch eine besondere Verantwortung vom Seelsorger. Es ist zu bedenken, dass das Beichtgespräch einen relativ hohen Grad an Selbstreflexion und sprachlicher Ausdrucksfähigkeit voraussetzt.[259]259 Rituelle Formen können gerade beim Bekenntnis der Schuld auch sehr hilfreich und entlastend sein. Dialogischer und ritueller Charakter der Beichte dürfen deshalb keinesfalls gegeneinander ausgespielt werden. Es geht vielmehr um eine Verbindung von beiden.
Zudem sollte der Beichtvater stets darauf achten, dass er den Beichtenden nicht überfordert oder durch bohrendes Nachfragen unter Druck setzt. Zum Dialogcharakter gehört schließlich auch, den Gesprächspartner in seiner Autonomie ernst zu nehmen.
Die Entwicklung der Bußpraxis zur Einzelbeichte hat ihren ekklesialen Bezug weitgehend in den Hintergrund treten lassen. In den letzten Jahren wurde dagegen unter Verweis auf den Gemeindebezug des altkirchlichen Bußwesens immer wieder eine Erneuerung der gemeinschaftlichen Dimension der Feier der Versöhnung gefordert.[260] Die Autoren verweisen dabei meist auf den Reformauftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils im Blick auf das Bußsakrament. In der Liturgiekonstitution heißt es: „Ritus und Formeln des Bußsakraments sollen so revidiert werden, dass sie Natur und Wirkung des Sakraments deutlicher ausdrücken.“[261]Der Bezug zur Gemeinschaft der Kirche macht einen wesentlichen Aspekt des Sakraments aus, denn Versöhnung ist ein „Lebensvollzug der Kirche“[262]. Die Frage, wie die gemeinschaftliche Dimension der Beichte im sakramentalen Vollzug wieder stärker zur Geltung kommen kann, entspricht daher tatsächlich dem Auftrag des Konzils.
Auf der anderen Seite sprechen aber auch gute Gründe dafür, den individuellen Aspekt der Beichte durch solche Überlegungen nicht einfach aufzugeben. Besonders im persönlichen Zuspruch der Vergebung liegt eine große Chance, dass der Glaube in seiner existenziellen Bedeutung für den Einzelnen erfahren werden kann. Das Ziel einer Überarbeitung des Bußritus müsste also in einer Integration von individuellem und gemeinschaftlichem Charakter liegen. Beide sollten in ein gewisses Spannungsverhältnis zueinander gebracht werden.
Eine Möglichkeit dazu ist die gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit Bekenntnis und Lossprechung der Einzelnen, wie sie bereits in der Studienausgabe „Das Sakrament der Buße nach dem neuen Rituale Romanum“ von 1974 vorgeschlagen ist.[263] Otto Mittermeier berichtet Erfahrungen mit Feiern nach einem solchen Modell in München.[264] Er beschreibt, wie in den Jahren 2000 bis 2002 eine solche Feier dreimal durchgeführt und jeweils anhand der bisherigen Erfahrungen modifiziert wurde. Die Bußliturgie sah jeweils nach der Eröffnung und einem Wortgottesdienst mit Homilie eine Zeit vor, in denen die einzelnen Gläubigen im Chorgestühl und mehreren Beichtstühlen in der Kirche die Möglichkeit hatten, ein Einzelbekenntnis abzulegen und die Lossprechung zu empfangen. Anschließend endete die Feier mit einem Lobpreis Gottes, dem Segen und der Entlassung.
Auch wenn es im Vorfeld durchaus noch Vorbehalte und praktische Anfragen an eine solche Feier gab[265], konnte am Ende ein positives Resümee gezogen werden. Es „zeigt sich ein gangbarer pastoralliturgischer Weg, der gemeinschaftlichen Dimension der sakramentalen Feier der Versöhnung neu Ausdruck zu verleihen.“[266]266 Die Feier bewirkte nach Mittermeier bei den Gläubigen eine „Solidarisierung in der Vergebungsbedürftigkeit“[267]267.
Die Erfahrungen zeigten u. a., dass nicht erwartet werden kann, dass das Angebot zum Einzelbekenntnis und zur Lossprechung von allen Teilnehmern wahrgenommen wird.[268]268 Jedoch stellt Mittermeier fest, dass selbst für diejenigen, denen die Hemmschwelle dafür zu hoch war, die Feier gerade mit der integrierten Möglichkeit zum Einzelbekenntnis einen Zeichencharakter hat.[269]269
Bemerkenswert scheint die Tatsache, dass den Feiern jeweils der Erzbischof der Diözese München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter, vorstand. Wo eine solche zentrale Feier der Versöhnung mit dem Diözesanbischof regelmäßig, etwa in der Fastenzeit, stattfindet, kann dies auch eine Signalwirkung für die Pfarreien vor Ort haben.
Mittermeiers Anmerkung, dass eine Neueinführung solcher liturgischen Modelle einerseits einer Hinführung der Gemeinde durch die Seelsorger und andererseits auch der Geduld bedarf, darf jeden ermutigen, der nicht gleich beim ersten Versuch die erhoffte Resonanz erzielt.[270]
Die Beichte ist als Sakrament auch auf Zeichen angewiesen. Versöhnung braucht Riten, die nicht nur auf dem Weg rationaler Erkenntnis verdeutlichen, worum es im Sakrament geht. Die Zeichenhaftigkeit der Beichte ist Ausdruck ihrer ganzheitlichen Bedeutung für den Menschen.
Wenn das Bußsakrament auch als „Feier der Versöhnung“ bezeichnet wird, dann will diese Bezeichnung auf den existentiellen Charakter des sakramentalen Vorgangs hinweisen. Die Versöhnung bzw. die erneute Hinwendung Gottes zum Menschen, die in der Beichte deutlich wird, will tatsächlich „gefeiert“ werden.
Das drückt auch das bereits erwähnte Gleichnis in Lk 15,11-32 aus: Das Mastkalb wird geschlachtet und es wird ein „fröhliches Fest“[271]271 gefeiert. Die Freude des Vaters über die Bekehrung seines jüngeren Sohnes kommt in der Feier zum Ausdruck. Diese kann im Erleben des Sohnes vertiefen, was allein mit Worten nur unvollkommen ausgedrückt werden könnte.
Für das Bußsakrament ist auf diesem Hintergrund zu fragen, ob die Form, wie es heute vielfach gespendet wird, dem Feiercharakter genügend Rechnung trägt. Auch in dieser Hinsicht bietet die „gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit Bekenntnis und Lossprechung der Einzelnen“[272]272 einige Möglichkeiten, gehört es doch zum typischen Charakter einer Feier, dass sie in Gesellschaft begangen wird. So scheint die klassische Form der Einzelbeichte schon von Natur aus in ihren Ausdrucksmöglichkeiten beschränkter zu sein.
Möglichkeiten, der Feier Ausdruck zu verleihen, ergeben sich insbesondere in der Ausgestaltung des Wortgottesdienstes und in der musikalischen Gestaltung. Vor allem der „Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes“[273]273 im Anschluss an das Bekenntnis und die Lossprechung der Einzelnen kann in feierlicher Weise gestaltet werden.
Bei dem „Münchener Modell“ wurde bei den Feiern in der österlichen Bußzeit zusätzlich nach dem Wortgottesdienst und der Gewissenserforschung ein Taufgedächtnis integriert, um zum Ausdruck zu bringen, „dass Versöhnung aufgrund der Taufgnade geschieht“[274]274.
Bedenkenswert scheint aber auch der Hinweis Mittermeiers, dass eine Häufung zu vieler zeichenhafter Elemente dem meditativen Charakter der Feier nicht unbedingt zuträglich sei.[275]275 Auch hier gilt es wohl, einen guten Mittelweg zu finden.
Auch in der „Feier der Versöhnung für Einzelne“[276]276 käme es darauf an, der Zeichenhaftigkeit des Sakraments in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Der Begrüßungsritus etwa bietet die Möglichkeit zu einem frei gesprochenen Gebet durch den Beichtvater, das dem Schuldbekenntnis vorausgehen kann.[277]277 Eine „Lesung des Wortes Gottes“ ist zwar freigestellt[278]278, kann aber zum Ausdruck bringen, dass es eine direkte Verbindung zwischen dem Sakrament und dem Heilshandeln Gottes gibt. Für die sakramentale Lossprechung ist in der Studienausgabe „Die Feier der Buße“ vorgesehen, dass der Priester seine Hände über dem Gläubigen ausbreitet. Jedoch wäre eine Handauflegung ebenso denkbar und als Rückgewinnung der ursprünglichen Form der Rekonziliation durchaus wünschenswert.[279]279
Auch der Lobpreis Gottes im Anschluss an die Lossprechung sollte eine besondere Würdigung erfahren. Hier fällt auf, dass die bisherigen Vorschläge in „Die Feier der Buße“ in Form und Ausdruck sehr schlicht gehalten sind.[280]280
Im Zusammenhang mit Kentenichs Überlegungen zum unterbewussten Seelenleben sind wir bereits auf Fragen um das Bußwerk (satisfactio) gestoßen.[281]281 In der Vergangenheit wurde es häufig vor allem in der Form der Gebetsbuße gepflegt. Diese Praxis ist aber nicht unumstritten.[282]282
Wenn die Bußauflage mehr sein soll als „ornamentales Beiwerk“[283]283, dann ist eine Besinnung auf seine ursprüngliche Aufgabe angebracht. Die Buße soll deutlich machen, dass Schuld nie ohne Folgen ist, sondern dass sie „auf irgendeine Weise Leiden bewirkt, zuerst beim Opfer, aber auch beim Täter selbst“[284]284. Im Beichtsakrament wird dem Sünder die Vergebung seiner Schuld zugesprochen, das Bußwerk will aber deutlich machen, dass damit die (persönlichen und sozialen) Folgen sündhaften Handelns nicht einfach aufgehoben sind. Sie bedürfen weiterhin der „Reinigung“. Man kann die Schuld und ihre Folgen „nur überwinden, wenn man bereit ist, sie auszuleiden“[285]285.
Darüber hinaus steht das Bußwerk auch im Lichte des Neuanfangs, der im Sakrament geschenkt ist: Es soll „aus der Kraft der Vergebung ein erneuertes, mit Gott und den Menschen versöhntes Handeln auch persönlich ausdrücken“[286]286.
Die Funktion des Bußwerkes ist also keineswegs nebensächlich. Daher verdient es eine besondere Aufmerksamkeit. Vor allem wäre darauf zu achten, dass zwischen dem Sündenbekenntnis des Beichtenden und dem Bußwerk ein Zusammenhang besteht. „Immer nur ein Gebet als Bußwerk aufzugeben, ist sicher zu oberflächlich und wird weder dem Gebet noch dem Versöhnungsvorgang gerecht.“[287]287 Dagegen braucht es einen „kreativen Umgang mit dem Bußwerk“[288]288, der am Versöhnungsvorgang orientiert ist und den im Sakrament geschenkten Neuanfang verdeutlicht.
Klaus Demmer hat darauf hingewiesen, dass die Sinnspitze des Bußsakraments in der Rekonziliation liege, d. h. in der Vergebung schwerer Sünden.[289]289 Damit verlieren die Formen der Andachts- und Seelenführungsbeichte nicht ihre Berechtigung. Vielmehr kann der klare Fokus auf die eigentliche Wiederversöhnung zu einer deutlichen Profilierung des Bußsakraments beitragen.
Zweifelsfrei gibt es Lebenssituationen, die der Versöhnung bedürfen. Nicht selten erleben Menschen Schuld als wirkliche Belastung. Vergangenes stört den seelischen Frieden und hat oft genug noch weitere Folgen für die Beziehungen, in denen man lebt. Dennoch finden nur wenige den Weg zum Sakrament der Versöhnung.[290]290
Wer der Beichtpastoral dienen will, der sollte nicht darüber klagen, dass die Menschen kein Interesse an der Beichte zeigen, sondern ihnen mit offenen Armen entgegengehen. Dies gilt sicherlich nicht nur für die Priester als potenzielle Beichtväter, sondern stellt einen Anspruch an eine Kultur der Versöhnung in der gesamten Kirche dar.
Wenn in der Glaubensgemeinschaft der Kirche und bei ihren einzelnen Gliedern deutlich wird, dass auch denen, die schwere Schuld auf sich geladen haben, weiterhin mit Wertschätzung vor ihrer menschlichen Würde begegnet wird, kann ein Klima des Vertrauens wachsen. Hier liegt eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen sich für die Realität ihres eigenen Lebens öffnen können. Eine behutsame Begleitung kann so dazu beitragen, dass Menschen in der „Schuldfähigkeit“ und damit in der „Wahrheitsfähigkeit“ ihrem eigenen Leben gegenüber wachsen.
Wer in diesem Sinne zu einer Kultur der Versöhnung beiträgt, darf sich nicht nur menschlicher Lebensweisheit, sondern auch dem Anspruch Jesu verpflichtet wissen, der den Sündern mit einer großen Wertschätzung begegnete, ohne dabei ihre Schuld zu verharmlosen. Gerade dadurch wurden sie zu einer vertieften Selbsteinsicht und zur Bekehrung fähig.[291]
[225] Vgl. Silber, Buße und Beichte, 130. Siehe auch: Kap. 1 dieser Arbeit.
[226] Vgl. Kap. 2.5 dieser Arbeit.
[227] Wollbold, Gemeindepastoral, 448.
[228] Windisch, Umkehr, 155.
[229] Vgl. Kap. 2.4.4 dieser Arbeit.
[230] Vgl. Kap. 3.3.2.2 dieser Arbeit.
[231] Vgl. Windisch, Umkehr, 153.
[232] Vgl. ebd.
[233] Ebd. 154.
[234] Lk 15,20c
[235] Vgl. Lk 15,22.
[236] Vgl. Gemeinsame Synode, 93.
[237] Kentenich, Milwaukee-Terziat VI, 67.
[238] Kentenich, Weihnachtsbrief, 10f.
[239] Vgl. Windisch, Umkehr, 156.
[240] Wollbold, Gemeindepastoral, 364.
[241] Demmer, Sakrament, 25.
[242] Witti, Sakrament, 24.
[243] Schneider, Beichte, 187
[244] Vgl. Kap. 2.4.3 dieser Arbeit.
[245] Windisch, Umkehr, 154.
[246] Vgl. Kentenich, Priesterexerzitien, 89. Siehe auch: Kap. 2.4.4 dieser Arbeit.
[247] Gaudium et spes, 1.
[248] Windisch, Umkehr, 154.
[249] Ragaisis, Umkehr, 166.
[250] Die Problematik einer solchen Verkürzung wurde in Kap. 1.1.2 bereits angesprochen.
[251] Vgl. Ragaisis, Umkehr, 3.
[252] Ebd., 161.
[253] Ebd., 163.
[254] Wollbold, Gemeindepastoral, 371.
[255] Vgl. Wollbold, Gemeindepastoral, 372.
[256] Vgl. Windisch, Umkehr, 154.
[257] Ebd.
[258] Vgl. Ragaisis, Umkehr, 1.
[259] Vgl. Wollbold, Gemeindepastoral, 373.
[260] Vgl. Mittermeier, Feier der Versöhnung, 526.
[261] Sacrosanctum Concilium, 72.
[262] Feier der Buße, 11.
[263] Vgl. Feier der Buße, 35-47.
[264] Mittermeier, Feier der Versöhnung.
[265] Vgl. ebd., 521.
[266] Ebd., 536.
[267] Ebd., 535.
[268] Ebd., 536.
[269] Ebd., 535.
[270] Vgl. Mittermeier, Feier der Versöhnung, 536.
[271] Lk 15,24.
[272] Feier der Buße, 35.
[273] Mittermeier, Feier der Versöhnung, 530.
[274] Ebd., 533.
[275] Ebd., 535.
[276] Feier der Buße, 31.
[277] Vgl. ebd. Dort heißt es: „Der Priester ermuntert ihn mit folgenden oder ähnlichen Worten zum Vertrauen auf Gott.“ (Hervorhebung: FR)
[278] Vgl. ebd.
[279] Vgl. Mittermeier, Feier der Versöhnung, 534.
[280] Vgl. Feier der Buße, 33.
[281] Vgl. Kap. 2.4.2 dieser Arbeit.
[282] Vgl. Demmer, Sakrament, 96.
[283] Ebd.
[284] Demmer, Sakrament, 96.
[285] Ebd.
[286] Wollbold, Gemeindepastoral, 371.
[287] Windisch, Umkehr, 156.
[288] Ebd.
[289] Vgl. Demmer, Sakrament, 75.
[290] Vgl. Wollbold, Gemeindepastoral, 372.
[291] Mehrere biblische Erzählungen berichten davon. Vgl. etwa die Zachäus-Perikope (Lk 19,1- 10) oder die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin (Joh 8,1-11).