2. Erkenntnistheoretische Unterscheidungen – ein interdisziplinäres Vorgehen

2. Erkenntnistheoretische Unterscheidungen – ein interdisziplinäres Vorgehen

In der Kairologie geht es um die hermeneutische  Aufgabe, bedeutende Zeiterscheinungen auf ihren von Gott intendierten Sinn hin zu befragen. Dies erfordert freilich eine konkrete Methode. Jeder Methode liegt nun auch eine Erkenntnistheorie zugrunde. In einer interdisziplinären Arbeit sollen hierzu die Ansätze von Niklas Luhmann und von Josef Kentenich vorgestellt werden. Beide Ansätze werden zunächst für sich stehend dargestellt. Dabei wird versucht, ihr jeweiliges Anliegen herauszuarbeiten und ihrem Anspruch sowie auch ihrem Nichtanspruch gerecht zu werden. In einem weiteren Schritt wird der Versuch unternommen, die beiden Perspektiven miteinander zu verbinden. Ziel dieses Vorgehens ist dabei weniger eine soziologische Aufklärung der Theologie, als vielmehr eine theologische Rezeption der Sozialtheorie N. Luhmanns. Dabei sollen Elemente der Erkenntnistheorie N. Luhmanns in den theologischen Ansatz von J. Kentenich integriert und für seinen Vorschlag einer kairologischen Methode fruchtbar gemacht werden. Theorieelemente von N. Luhmann werden dabei zum Teil auch kritisch reflektiert und weiterentwickelt. Somit wird ein Typus der Auseinandersetzung zwischen Theologie und N. Luhmann verfolgt, den Günter Thomas und Andras Schüle von früheren Formen der Rezeption Luhmanns abgrenzen und als einen „wichtigen Fortschritt“ beschreiben, da „hier von einer Kritik der Theorie zur kritischen Frage nach deren Bedeutung für spezifische Themen und Problemstellungen der Theologie in ihren unterschiedlichen Disziplinen übergegangen wird.“[66]

2.1 Niklas Luhmanns Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung

2.1.1 Unterscheidung von Kommunikationssystemen und Bewusstsein

N. Luhmann (1927-1998) war Jurist und Soziologe und zählt als der deutsche Begründer der funktionalen Systemtheorie zu den Klassikern der Sozialwissenschaften. N. Luhmann beschreibt die moderne Gesellschaft in ihren funktional differenzierten Teilbereichen wie z.B. Wirtschaft, Politik, Religion, Liebe und das Erziehungswesen in ihrer relativen Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit. In jedem dieser systemischen Teilbereiche beobachten und kommunizieren die Menschen unter einer spezifischen Unterscheidung, die eine je eigene Logik und je eigene Sprachcodes zur Folge hat.[67]

Dadurch ordnet sich das Leben, es wird vorhersehbarer und sicherer für den Menschen. Kontingenz wird so in Erwartbarkeiten überführt und Komplexität wird reduziert. Bei diesen Unterscheidungsvorgängen werden dabei zwangsläufig blinde Flecken produziert, also Sinn-bereiche die mit der Unterscheidung nicht thematisiert werden. Der Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung geht es nun darum, von einer Metaebene aus zu beobachten, wie in verschiedenen Kontexten beobachtet wird. Auch die „Zeichen der Zeit“ zeigen sich in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten. Der Theologe Jochen Ostheimer schließt aus dieser Tatsache: „Folglich empfiehlt sich eine Erkenntnistheorie, die sich nicht mit Sacherkenntnis, mithin Was-Fragen befaßt, sondern untersucht, wie andere Beobachter beobachten, was diese auf Grund ihrer Beobachtungen und Beobachtungsbedingungen sehen können und wo ihre blinden Flecken liegen.“[68] In der vorliegenden Arbeit wird folglich auch die Aufgabe sein, die Operationen der Religion, also v.a. ihre Kommunikation und Beobachtungsweise zu beobachten, zu erklären und auf ihre Bedingungen und Möglichkeiten hin zu befragen.

Für die Systeme ist die äußere Welt ihre Umwelt. Für die Religion ist dies also z.B. die Wirtschaft, die Politik. Überraschenderweise sind dabei auch die psychischen Systeme, also die Menschen, Umwelt dieser Kommunikationssysteme.  Dies hat bei Luhmann nichts mit einer mangelnden Wertschätzung der Menschen zu tun, sondern ergibt sich konsequent aus dem Systemdenken bzw. aus der empirischen Tatsache der Eigengesetzlichkeit und relativen Unabhängigkeit von Kommunikation.[69] Insofern Menschen an Kommunikationssystemen partizipieren, sind sie freilich unabdingbar für die Systeme. Jedoch interessiert nur sekundär, was sie denken.  So sagt Luhmann: „Wir müssen deshalb Kommunikation als eigenständige Operationsweise begreifen, die zwar ein Bewusstsein der Beteiligten voraussetzt so wie dies die Lebensbedingungen auf der Erde voraussetzt; aber mit solchen Voraussetzungen ist nur die Angewiesenheit auf Umwelt bezeichnet und nicht eine Komponente der eigenen Operationsweise der Gesellschaft bzw. des Religionssystems.“[70] Wichtig zu betonen ist, dass Luhmann keinerlei Anspruch auf ontologische Aussagen macht, sondern wertfrei Prozesse beschreibt, wie sie sich in dieser Perspektive zeigen. Wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, sind auch die „Zeichen der Zeit“ weniger als punktuelle Ereignisse, als vielmehr als Prozesse aufzufassen. Es besteht also eine unauflösliche Kopplung von Ereignissen mit dem Vorgang des Verstehens bzw. der Bewusstwerdung.[71] Was die einzelnen Personen, die an einem Ereignis beteiligt waren, intendiert haben, ist aus dieser Perspektive jedoch zweitrangig.[72]

Kommunikation ist dabei zu verstehen als laufende, von Ereignis zu Ereignis fortgesetzte Synthese von Information, Mitteilung und Verstehen. Zum Abschluss kommt Kommunikation dann, wenn sie so viel Verstehen erreicht, wie zur Fortsetzung der Kommunikation erforderlich ist. Diese Beschreibung kann nun sehr leicht auf einen Dialog zwischen zwei Menschen bezogen werden. Dabei können immer auch nonverbale Zeichen verwendet werden, die vom Gegenüber dann gedeutet werden. Missverständnisse darf es dabei auch geben. Aber wenn die Kommunikation ausschließlich aus nicht- und missverstandenen Zeichen besteht, wird sie schnell an ein Ende kommen.

2.1.2 Religiöse Kommunikation und Beobachtung als Kairologie

Das Deuten von „Zeichen der Zeit“ ist nach N. Luhmann als eine bestimmte Form von Kommunikation zu beschreiben, die sich von anderen unterscheidet. Es sind bei ihm nun drei Versionen zu finden, religiöse Kommunikation zu spezifizieren:[73]

Zum einen kann dort religiöse Kommunikation auftreten, wo Unvertrautes und Unbestimmtes in Vertrautes überführt wird und die Welt damit bestimmbar gemacht wird. Luhmann schreibt diese Unterscheidungs- und Weltaneignungstätigkeit vor allem frühen, also segmentären Gesellschaften zu.[74] Zweitens beschreibt er die religiöse Kommunikation: „Stelle jeder positiven und jeder negativen Erfahrung einen positiven Sinn gegenüber! Wenn und soweit Du das kommunizieren kannst, kommunizierst Du im System der Religion.“[75] Doch N. Luhmann stellt selbst fest, dass mit dieser „Minimalinterpretation“ religiöse Kommunikation noch nicht hinreichend spezifisch bestimmt ist. So grenzt er religiöse Kommunikation drittens – und in seinen letzten Publikationen am häufigsten – durch die Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz weiter ein. Diese Unterscheidung kann dann auch als der spezifische Code des Religionssystems aufgefasst werden. In einer paradoxen Form wird hier aus einer weltimmanenten Position heraus über Transzendenz verhandelt. Diesen Wiedereintritt der Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz in der Immanenz bildet die wichtige Theoriefigur des Re-entry. Religiöse Kommunikation „beruft sich auf einen Sinn, der von außen […] an die Welt herantritt und gerade dadurch der Immanenz einen Sinn zu verleihen sich zumutet, der sich aus der Immanenz der Welt selbst nicht gewinnen läßt.“[76] Dabei garantiert die Immanenz dem Code die Anschlussfähigkeit an die Erfahrungen des täglichen Lebens, welche von der Transzendenz in ein anderes Licht gesetzt werden und Reflexion ermöglicht. „Die Unterscheidung Immanenz/Transzendenz codiert die Horizonthaftigkeit allen Sinnes. Aktualer Sinn entfaltet sich in Horizonten. [… ] Während der aktual erlebte Sinn ständig wechselt, ist der durch Horizonte gehaltene Möglichkeitsspielraum stabil, aber nicht aktualisierbar.“[77]

Potentiell jedem Ereignis, bzw. jeder Beobachtung kann dabei eine übernatürliche Bedeutung beigemessen werden. Dies können sowohl Glückserlebnisse sein, wie Kontingenzerfahrungen von  Krankheit oder Tod. Luhmann stellt weiter fest:  „Bei religiöser Kommunikation geht es um einen besonderen Fall, den wir […] als Realitätsverdopplung bezeichnen können. Irgendwelchen Dingen oder Ereignissen wird eine besondere Bedeutung verliehen, die sie aus der gewöhnlichen Welt (in der sie zugänglich bleiben) herausnimmt und mit einer besonderen „Aura“ mit besonderen Referenzkreisen ausstattet.“[78]

2.1.3 Theologie als Reflexionssystem

Die Theologie leistet schließlich die Reflexion des Religionssystems, in der Beziehung auf sich selbst, quasi als Rückbeziehung auf die eigene Identität. Das Religionssystem verfügt in der Theologie über Operationen, die systemeigene Operationen beobachten können. Die dabei praktizierte Beobachtung zweiter Ordnung findet aber im System selbst statt. Luhmann bezeichnet diese Form von Selbstorganisation und Selbstthematisierung eines sozialen Systems, in dem systemimmanent nach eigenen Regeln und Kriterien operiert wird, als „doppelte Schließung“. Diese ist ein strukturelles Erfordernis für die Autonomie des Systems. „Sie [die doppelte Schließung] spaltet das, was wir pauschal religiöse Kommunikation genannt hatten, in einen Bereich der unmittelbaren Frömmigkeit und einen Bereich der die Frömmigkeitspraxis ‚kritisch’ (=unterscheidend) beobachtet.“[79]  Letzteres betrifft nun den Tätigkeitsbereich der Theologie und im Fall dieser Arbeit im Speziellen den Bereich der Kairologie. Es ist dabei also die Ebene der Praxis der Zeichendeutung zu unterscheiden von der Reflexion über diese Praxis.

Die Aufgabe der Theologie besteht nach Luhmann darin, die zeitliche und soziale Identität zu sichern. Dies geschieht vor allem durch Dogmenbildung. In dieser Form der Selbstbeschreibung werden die religiösen Funktionen und Leistungen der Kirche begründet und gerechtfertigt.[80] Im Blick auf die „Zeichen der Zeit“ stellt sich dabei die Frage, inwiefern Umweltereignisse mit einer spezifischen Beobachtung wahrgenommen werden und dann auch in das Innen integriert werden können.[81]

2.1.4 Bezugsprobleme und kontingente Lösungen

Die Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung untersucht in einer funktionalen Analyse  Funktionssysteme sowohl auf ihre Bezugsprobleme sowie auch auf dafür passende Lösungen hin. Für das religiöse Kommunikationssystem wird das Bezugsproblem häufig als Kontingenzerfahrung bzw. Kontingenzbewältigung beschrieben und dann nach Lösungsansätzen, Strategien, Programm befragt. Der Soziologe Armin Nassehi bemerkt, dass diese klassisch genannte Funktion der Religion als Kontingenzbewältigung sehr allgemein und zugleich unscharf sein kann und innerhalb der Theorie deshalb auch umgekehrt nach spezifischeren Bezugsproblemen gefragt werden muss. Er entgegnet damit auch dem Vorwurf, dass beim systemtheoretischen Ansatz das empirisch Beobachtbare letztlich nur aus der Theorie deduziert würde:

„Funktionalistische Forschungsansätze tun oft so, als würden sie bereits die Funktion kennen und müssten dann nur noch bestimmen, ob etwas funktional oder dysfunktional ist, als gebe es ein zentrales Bezugsproblem mit passender Lösung. Dies entspricht nicht mehr dem state oft the art.Eine Neubestimmung der Funktionsfrage kann den Zusammenhang von (Bezugs-)Problem und Lösung neu bestimmen, indem man sich Lösungen ansieht und von dort aus auf Bezugsprobleme schließt.“[82]

So wurde beispielsweise im vorigen Kapitel das Konzept der „Zeichen der Zeit“ als Lösungsansatz nach dem ihm zugrunde liegenden Bezugsproblem befragt. Dabei wurden drei solcher Bezugsprobleme identifiziert: die Problematik, die Menschen von heute in der Verkündigung nicht mehr zu erreichen, die Frage nach einer Aktualisierung der Glaubenslehre und die prekär gewordene Frage nach Gott selbst. Wobei sich die ersten beiden Handlungsprobleme eher dem Religionssystem als ganzem stellen. Die Frage nach Gott und seinem Willen für das persönliche Leben ist primär ein Problem des gläubigen Individuums, kann und sollte jedoch auch eine entscheidende Frage für kirchliche Kollektive und die Gesamtkirche sein.

Das Leben, die Geschichte und auch die kirchliche Lehre erscheinen dem Menschen heute als kontingent und deutungsbedürftig. Es gibt nun sicher eine Reihe von Möglichkeiten, Strategien bzw. Programme, mit dieser Kontingenzerfahrung umzugehen. Sich ein rein wissenschaftliches Weltbild anzueignen wäre eine Möglichkeit, nach dem Willen Gottes zu fragen ist eine andere. So oder so kommt man nicht daran vorbei, Ereignisse auszudeuten und ihnen einen Sinn zuzuschreiben.

2.2 Josef Kentenich –  Erkenntnisquellen des Willens Gottes

2.2.1 Zur Person Josef Kentenich und seinem Werk

Pater Josef Kentenich (1885-1968)[83] ist der Gründer der internationalen Schönstattbewegung. Mit seinem Werk verfolgt er das Ziel einer grundlegenden Erneuerung von Kirche und Gesellschaft. Ausgangspunkt dazu ist für ihn die sittlich-religiöse Erneuerung des Einzelnen, wozu er eine originelle Spiritualität und Pädagogik entwirft. Sein Menschen- und Gesellschaftsbild bringt ihn in Konflikt mit dem NS-Regime. Er wird von 1942-1945 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Einige für die damalige Kirche irritierende Wesens-züge seines Ansatzes bringen ihn in Konfrontation mit der kirchlichen Autorität, die ihn dann für 14 Jahre ins kirchliche Exil nach Milwaukee/USA schickt. Mit dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dezember 1965 wird er vollständig rehabilitiert. Ihm bleiben noch knapp drei Jahre, um dem Ideen- und Lebensgebilde Schönstatt wichtige Impulse zu geben.

„Idee und Leben“ ist bei J. Kentenich ein wichtiges Begriffspaar. Er studierte in erster Linie Lebensvorgänge, reflektierte diese dann aber auf unterschiedlichen Ebenen und führte sie auf letzte Prinzipien zurück. So war er Philosoph, Soziologe, Psychologe und Theologe – aber dann doch mehr Pädagoge und Gründer einer weltweiten Bewegung als systematischer Wissenschaftler. Als Seelsorger und Gründer schrieb er unzählige Briefe und hielt tausende Vorträge. In diesen spricht er immer in eine bestimmte Situation hinein und zu bestimmten Menschen. In nur wenigen Büchern und Briefen behandelt er grundsätzliche Fragen systematisch.[84] So hat er auch die Theorie und Methode der Zeitenstimmendeutung nirgends systematisch ausgefaltet. Er selbst galt als großer Meister dieser Disziplin. In der Arbeit soll es u.a. darum gehen, seine oft sehr global-intuitiven Darstellungen durch verschiedene Unterscheidungen zu entflechten sowie durch die Ergänzung einiger Unterscheidungen von Niklas Luhmann zu systematisieren und für die Praxis fruchtbar zu machen.

2.2.2 Erkenntnisquellen im praktischen Vorsehungsglauben

Erkenntnisinteresse und Weltanschauung von Josef Kentenich sind freilich andere als die von N. Luhmann. Der größte Unterschied besteht darin, dass er damit rechnet dass Gott in die Wirklichkeit eingreift und zu einem realen Kommunikationspartner wird. Da Gottes Wesen zuinnerst Beziehung und Liebe ist, drängt es ihn dazu, sich den Menschen mitzuteilen. Offenbarung als Selbstmitteilung Gottes[85] äußert sich für Kentenich dann entsprechend der Lehre der Kirche in Gottes Worten und Taten (DV 2). Die regulären Quellen für den katholischen Glauben und den Willen Gottes sind dabei Heilige Schrift, Tradition und Dogma. Kentenich anerkennt freilich diese wie er sagt „allgemeingültigen Erkenntnisquellen“, entwickelt jedoch ein neues Schema von „speziellen Erkenntnisquellen“[86] für den göttlichen Willen. Es ist der originelle und m. E. bahnbrechende Dreiklang von Zeit – Seele – Sein.[87]

Wie Luhmann war auch Kentenich daran interessiert, Wirklichkeit in ihrer Kontingenz besser zu verstehen und zu erklären. Auch Kentenich beschäftigte sich mit der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Erkennens. Jedoch hat er hierbei ein anderes Erkenntnisinteresse: Es ist letztlich die Frage nach dem Wille Gottes, und dies im Blick auf die Verwirklichung der eigenen und der universalen Heilsgeschichte, die für ihn miteinander verflochten sind: „Wir sind eingegliedert in den universellen Heilsplan Gottes! Das große Drama der Heilsgeschichte ist ein universelles.“[88] Dieses Drama ist für J. Kentenich prinzipiell zwar offen, wird aber maßgeblich von den Plänen Gottes durchwirkt. So bringt er das (nie genau zu bestimmende) Verhältnis von menschlicher und göttlicher Freiheit und Macht auf den Begriff des „praktischen Vorsehungsglaubens“. Der Praktische Vorsehungs-glaube ist wesentlicher Teil der Spiritualität und Weltanschauung Schönstatts. Demnach kann der Mensch in wachem Glauben dem „Gott des Lebens und der Geschichte“ begegnen und im Bund mit ihm Geschichte gestalten. Der Ansatz J. Kentenichs will also vermitteln zwischen den falschen Anschauung des Determinismus oder Fatalismus und einer Vorstellung, dass sich Gott nicht (mehr) in die Geschicke der Welt einmische. Gott respektiert die Freiheit des Menschen, wirbt aber um dessen schöpferische Mitgestaltung der Geschichte. Dies wird v.a. dort möglich, wo der Mensch ständig nach dem Willen Gottes fragt und sein Handeln an ihn angleicht. [89] Der gläubige Christ kann nun dem Ideal der Werkzeuglichkeit folgend nach dem Willen Gottes fragen, diesen erkennen und beantworten. Der Schönstattpater Lothar Penners stellt hierzu in seiner Dissertationsschrift fest: „Werkzeuglichkeit aber muß nach den kognitiven Voraussetzungen für ihr Wirken fragen, sonst mag eine noch so große Hingabe nur blind zu handeln. […] Werkzeuglichkeit muss nach den Zeichen fragen, unter denen die Vorsehung ihren Willen kundtat.“[90]

Die drei Erkenntnisquellen sind aufeinander zugeordnet, gleichwertig und ergänzen sich gegenseitig. Dabei haben Zeit und Seele eine gewisse zeitliche Vorrangstellung. Der erste Blick geht bei J. Kentenichs induktivem Vorgehen in das Zeitgeschehen. Zeit hat eine eigene Autorität, die J. Kentenich häufig mit dem Satz „Vox temporis, vox dei“ beschreibt.

2.2.2.1 Zeit

Bei J. Kentenich gibt es zwei Auffassungen von Zeit: Zeit als Geschichte und Zeit als Zeitlage oder Organismus. Zeit als Geschichte meint ihre unableitbare Ereignishaftigkeit, das Nacheinander von kontingenten Ereignissen, die zu bestimmten Zeitpunkten geschehen. Biblisch-theologisch betrachtet gibt es darin auch den rechten Moment, den Kairos, und damit die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen.

Ereignisse können nun auch Ausdruck sowie Ursache von bestimmten (Geistes-) Strömungen sein. Beispiele im Makrobereich[91] der Gesellschaft sind die ökologische Bewegung, die Frauenbewegung, Individualisierung oder der Zug zur Freiheit. Die momentanen Strömungen bzw. Mainstreams[92] innerhalb der katholischen Kirche sind etwas schwieriger auf einen prägnanten Begriff zu bringen. Man könnte beispielsweise die Polarisierungsströmung nennen.[93] Aber auch die geprägten Zeiten des Kirchenjahres, wie z.B. die Fastenzeit, können als Strömung bezeichnet werden. Ein anderes Beispiel sind bestimmte Theologien bzw. theologische Mainstreams an der Universität.[94]

Das organische Gesamt solcher Strömungen, Meinungen, Moden einer bestimmten Zeit nennt J. Kentenich in der Regel „Zeitlage“ oder „Lebensgebilde“. Man kann auch von einem lebendigen „Organismus“[95] sprechen, der aus den Elementen von Strömungen und Ereignissen besteht.[96]Zeit wird hier also auch als Zeit-Raum aufgefasst. Dieser ist also immer auch mehr oder weniger stark an konkrete Menschengruppen und Orte gebunden. So kann es sog. Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Kulturen und Gesellschaften geben. Oder wenn innerhalb einer Diözese der Entkirchlichungsprozesse an manchen Orten mehr und an anderen weniger stark fortgeschritten ist, wenn es an manchen Orten gar geistliche Aufbrüche gibt. Zeit kann für bestimmte Menschengruppen, Milieus oder Gebiete, aber auch für die Großgesellschaft als zusammenhängendes Gebilde wahrgenommen werden, mit Gemeinsamkeiten, die es erlauben von einer bestimmten Zeit, Epoche oder auch Generation zu sprechen. Zeitdiagnostiker sprechen dann  von der „Generation Golf“[97], „Generation Porno“[98], „Generation Facebook“[99] sowie von einer „flüchtigen Moderne“[100] und „Netzwerkgesellschaft“[101], um nur einige Beispiele zu nennen.

Im Anschluss an neuzeitliches Geschichts- und Kulturdenken (Herder, Hegel, Dilthey u.a.) geht J. Kentenich davon aus, dass jede Epoche von einem objektiven Geist getragen und geprägt wird. Damit ist eine bestimmte „Denk- und Empfindungsweise“, auch ein „allgemeines Lebensgefühl“ der in einer Epoche lebenden Menschen gemeint. J. Kentenich spricht auch von einer „apriorischen Voreinstellung“ in unserem Verhältnis zu uns selbst, zu anderen Menschen, zu Gott und zur Welt.[102] D.h. vieles davon ist eher unbewusst und unreflektiert. Dennoch hat der objektive Geist eine große Wirkung auf das Denken der Menschen. „Mit Recht sagen die modernen Soziologen, daß die so geprägte öffentliche Meinung zu den mächtigsten soziologischen Wirkgrößen gehört“.[103]Konkrete Gestaltwerdung des objektiven Geistes sind dann bereits erwähnte Geistes- und Meinungsströmungen oder auch Grundzüge einer Zeit. Kentenich betont: „Die mitmenschlichen Beziehungen untereinander, die werden ob wir wollen oder nicht wesentlich bestimmt durch die Art und Weise wie jeweils in einer Zeitlage, Zeitsituation das Verhältnis zum Mitmenschen empfunden, gelebt wird, auch ohne Reflexion“[104]. Als Kinder unserer Zeit können und sollen wir uns diesem objektiven Geist nicht entziehen. Weder der einzelne Mensch noch die Kirche sind als geschlossene Monade zu denken.[105] Manche dieser Gestaltwerdungen entwickeln sich über einen längeren Zeitraum, andere kommen schneller auf und verschwinden auch wieder. Sie können sich in großen soziologischen Einheiten (z.B. Kontinent, Land, Weltkirche) aber auch in überschaubaren Gebilden (z.B. Gruppe, Familie, Stadt) ereignen.

Innerhalb des objektiven Geists, und hierbei wiederum z.T. auf bestimmte (zeitliche oder soziale) Segmente begrenzt, können bestimmte Werte oder Begründungen sehr leicht plausibel gemacht werden und andere wiederum nicht. Man könnte auch von Selbstevidenzen sprechen, die kaum mehr einer Reflexion oder Begründung bedürfen, obwohl die Dinge oft gar nicht so klar liegen, wie sie scheinen. Dies gilt sehr allgemein in der heutige Zeit für den kaum hinterfragten Wert der Autonomie. Es scheint, dass diesem Wert alles andere untergeordnet, manchmal auch „geopfert“ wird.[106] In weiten Kreisen schwer plausibel zu machen ist es heute jedoch, wenn jemand zugunsten eines religiösen Lebens bewusst auf Freiheiten und eigene Vorteile verzichtet, oder wenn er oder sie sich zu einem weitreichenden Gehorsam verpflichtet.[107]

Beim objektiven Geist geht es also nicht primär um die Faktizität von Vorgängen und Strömungen in der Geschichte, sondern vor allem um deren Einwirkungen auf den Menschen. Kentenich unterscheidet diese Aspekte auch als zeitsoziologische- und zeitpsychologische Gesichtspunkte. Dadurch gewinnen diese Phänomene die Wertigkeit von Zeichen. Der Schönstattpater Angel Strada führt über die Zeitenstimmen aus: „Sie sind Ausdrucksformen einer neuen Mentalität, neuen Wertung und Einstellung. Gleichzeitig sind sie deren bewirkende Ursache.“[108]

Die Gestaltwerdungen des objektiven Geistes können von Humanwissenschaften beobachtet und analysiert werden. Sie sind auch zunächst rein phänomenologisch in ihrer innerweltlichen Eigengesetzlichkeit zu betrachten. Auf der Ebene des Weltlichen gilt es also zunächst, ein tieferes Verstehen dieser Vorgänge zu gewinnen, ohne sie vorschnell zu spiritualisieren und sie so möglicherweise in ihrem Sosein und Eigenwert nicht genügend zu erfassen. Eine tiefere Dimension erlangen solche Zeichen dann im Licht des Glaubens, wenn dabei das Wirken des Heiligen Geistes erkannt werden kann. Zeit kann so also auch zur Stimme werden und zielt auf eine vollkommenere Verwirklichung des Reiches Gottes.[109] Bereits im Jahre 1952/53 stellt Kentenich die Zeitenstimmen  in ihrer Bedeutung als Dolmetscher des göttlichen Willens heraus:

„Daß wir aus Zeitforderungen heraus entstanden und Antwort auf Zeitnot und Zeitbedürfnis zu geben berufen sind, ist eine allgemein geläufige Familienüberzeugung […] So fällt helles Licht auf unser ausgeprägtes Gespür für Zeitströmungen und Zeitfragen, für Zeitgeist und Geist der Zeit, kurz für Zeitenstimmen als Dolmetscher des göttlichen fordernden oder ablehnenden Willens.“[110]

Zu betonen ist also, dass Ereignisse, Strömungen und Vorgänge in der Zeit zunächst in ihrer Eigengesetzlichkeit zu betrachten sind. Gleichzeitig geht J. Kentenich  von einem Ineinandergreifenvon natürlicher und übernatürlicher Dimension aus. Auch ist eine Gleichzeitigkeit bzw. Spannung von Unheils- und Heilsgeschichte in der erlösungsbedürftigen Welt nicht aufzulösen. Phänomene in der Zeit sind daher immer als ein Gemisch zu verstehen, zwischen Gutem und Schlechten bzw. Einseitigem. Dies ist eine fundamentale Einsicht Kentenichs, die zu der wichtigen Unterscheidung zwischen Geist der Zeit (also das Gute) und Zeitgeist (das Böse, Unchristliche) führt.[111] Der „objektive Geist“ ist hierbei das Umfassende, der aus diesen beiden Elementen besteht.

2.2.2.2 Seele

Die Seele des Menschen als Erkenntnisquelle des göttlichen Willens aufzufassen mag zunächst überraschen. Mit der Seele wird auch der Bereich der Psychologie berührt, dem die katholische Kirche auch heute noch häufig Argwohn entgegenbringt. Besonders, wenn ihr eine eigene Autorität zugemessen wird, die der kirchlichen Lehre etwas sagen will.

Seele steht für die gesamte Personalität des Menschen. Im Kontext der Zeitenstimmen-deutung ist damit v.a. die psychologisch-emotionale Seite des Menschen gemeint.[112] In der spirituellen Tradition des Katholischen haben Seelenstimmen jedoch immer eine Rolle gespielt. Ignatius von Loyola hat diese mit der Unterscheidung der Geister wesentlich profiliert. Sie wird unter dieser Bezeichnung bis heute in der Kirche praktiziert. Dabei stehen jedoch vor allem Fragen der Klärung und Entscheidungen für den individuellen Berufungs- und Heilsweg im Blickpunkt des Interesses und nicht explizit Rückschlüsse auf die Situation der Zeit oder gar das Straffen auf Seinsgesetze hin. [113]

Wenn man nun die Frage nach den „Zeichen der Zeit“ stellt, kommt man aber an den Seelen der Menschen nicht vorbei. Die Situation der Zeit umfasst immer auch die Menschen und ihre Seelen, deren Situation zu verbessern schließlich auch Ziel des Deutens von Zeitzeichen ist. Die Ausdrücke Zeitlage und Seelenlage gehören für Kentenich eng zusammen. Für ihn ist die Seele Ausdruck sowie „individueller Spiegel von Zeitvorgängen.“[114] Das Zweite Vatikanische Konzil fordert das Volk Gottes dazu auf, „in den Ereignissen, Bedürfnissen und Wünschen, die es zusammen mit den übrigen Menschen unserer Zeit teilt, zu unterscheiden, was darin wahre Zeichen der Gegenwart oder der Absicht Gottes sind.“ (GS 11)

Um die „Zeichen der Zeit“ zu verstehen, gilt es deshalb auf die Menschen zu schauen und auf die Vorgänge und Äußerungen ihrer Seelen zu achten, insofern aus ihnen etwas Typisches für die (alte und neue) Zeit spricht.[115] Der Blick in die Zeit wiederum fragt und sucht nach Ereignissen, die in den Seelen der Menschen einen Widerhall finden[116]. So können manche Äußerungen von Menschen in besonderer Weise symptomatisch sein für das Denken, Fühlen und Handeln einer Generation, können Symbol oder Zeichen sein von etwas Zeittypischem. Kentenich sagt: „Die Zeit gibt Ansatzpunkte, lässt Leuchtkugeln aufsteigen, von denen aus wir wieder und wieder das Gelände um uns herum richtig sehen und deuten lernen.“[117] Soziologisch betrachtet kann von einer Wechselwirkung gesprochen werden zwischen Ereignissen auf der  Makro- und Mikroebene, zwischen kollektiver und individueller Ebene. Strömungen, wie sie eben beschrieben wurden, finden immer in den Seelen der Menschen statt, können aus ihnen hervorgehen und sie (z.T. von außen kommend) auch prägen.

Das Seelische ist bei J. Kentenich also im Kontext der „Zeichen der Zeit“ sowohl für konkrete Handlungsoptionen von Individuen oder Kollektiven[118] eine große Bedeutung, wie auch im Blick auf eine Neulesung der kirchlichen Tradition und der Weiterentwicklung der kirchliche Lehre. Die Frage nach dem Verhältnis von Dogma und Zeit soll in Kapitel 3.2. vertieft werden. Dabei wird zu sehen sein, dass das Seelische bei den meisten Theologen kaum eine Rolle spielt. Hier sieht Kentenich jedoch eine absolute Notwendigkeit. Für das Thema „Zeichen der Zeit“ deuten ist diese Frage zwar sekundär. Aber doch wieder alles andere als unwichtig. Im Kap. 4.1. wird deutlich werden, dass unser Sehen immer von Ideen und Theorien vorgeprägt ist – also auch von Dogmen und Theologie. Insofern gilt es auch die Brille der Zeitenstimmendeutung in einem ständigen Prozess immer wieder neu an der Zeit (die Seelenstimmen eingeschlossen) nachzujustieren, zu schärfen. Der Schönstattpater Herbert King beschreibt diesen Zusammenhang: „Die Seele ist der Ort, an dem er [J. Kentenich] ihr Sein, wie überhaupt das Sein erkennt  […] Die Strukturen des Seins sind in die Seele des Menschen eingeschrieben und zeichnen sich in dieser ab.“[119] Wenn Kentenich sagt: „Wir müssen die Welt wieder neu sehen, die ganze heutige, auch die christliche Welt wieder neu sehen“[120], dann meint er sehr stark, dass vom Gesichtspunkt des Seelischen aus neues Licht auf die Zeitlage fällt.[121]

2.2.2.3 Sein

Es würde zu weit führen J. Kentenichs Seinsverständnis hier ausführlich darzustellen. Da es auch nicht Thema der Arbeit ist, sollen nur ein paar Aspekte genannt werden, die im Blick auf das Deuten von „Zeichen der Zeit“ relevant sind.[122] J. Kentenich erkennt in der Zeit, in den Dingen, in der Schöpfung eine allgemeine (Seins-)Ordnung mit entsprechenden philosophischen, theologischen, auch psychologischen und soziologischen Gesetzlichkeiten. Der Schöpfer selbst hat diese Ordnung in die Dinge hineingelegt und offenbart dadurch auch seinen Willen: „Ordo essendi est ordo agendi: die objektive Seinsordnung ist bis in alle Einzelheiten hinein Norm für unsere gesamte Lebensordnung. Dabei gehen wir von dem Gedanken aus, dass die geschaffenen Dinge nicht nur inkarnierte Gottesgedanken, sondern auch Gottes Wünsche sind.“[123] Wirklichkeit ist bei J. Kentenich immer eine Verbindung von natürlicher und übernatürlicher Seinsordnung.

Gott hat diese übernatürliche Seinsordnung, sowie auch die Verbindung zur natürlichen Ordnung v.a. in seinem Sohn, im Gottmenschen Jesus Christus, offenbart. Der Kirche wurde und wird der Erkenntniszugang zu diesem Sein und den Lebensgesetzen, die damit zusammenhängen, im Heiligen Geist zuteil. Insofern sind Traditionen, Heilige Schrift und kirchliche Lehre in einem engen Verhältnis zum Sein zu sehen und können  im Verständnis von Josef Kentenich dem Sein zugeordnet werden.[124]

Im Blick auf das Verhältnis des Seins zur Zeit ist zu betonen, dass Kentenich das Sein nicht statisch versteht. Er spricht von „Seinsrhythmus“ und von „Seinsdynamik“: „Damit ist in Sein und Leben ein vielgestaltiges Entwicklungsgesetz anerkannt, ohne deswegen jedoch einen unveränderlichen Seins- und Wesensgrund zu leugnen.“[125] Der Schönstattpater Hans-Werner Unkel beschreibt den Begriff „Sein“ im Verständnis Kentenich als den „ontische[n] Kern oder die Dichte eines sich im geschichtlichen Wechsel durchhaltenden Wesens; es ist das was im Wandel mit einer gewissen Konstanz als durchtragende Gesetzmäßigkeit(en) bleibt.“[126] Mit dem Hinzukommen des Faktors Zeit räumt Kentenich dem Sein, bzw. auch der Idee des Seins, wie z.B. des „Menschseins“ oder des „Frauseins“ Möglichkeiten der Entwicklung, der historischen Entfaltung ein. Wobei er der konkreten historischen Entwicklung auch sehr kritisch gegenübersteht. Er stellt hier einen Zerfall fest und begründet diesen  v.a.  mit der Tatsache, dass die Frage nach dem Sein abgelehnt und so das Vertrau-en in dieses verloren geht. Daher fordert er: „Der vollkommenen Seinsrevolution muß eine vollkommene Seinstreue gegenübergestellt werden.“[127] Benedikt XVI. mahnte bei seiner Apostolischen Reise nach Deutschland im September 2011, auf die Sprache der Natur zu hören: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann.“[128]

Die objektive Seinsordnung (hierbei nun v.a. Ethik und Dogma) fungiert nun im Blick auf die Zeitenstimmen als eine Art negative Norm: „Zeitströmung oder Seelenregung kann niemals gegen die Seinskonstitution gerichtet sein, wenn sie Gottes Wort sein will; wohl hingegen können Zeiten- und Seelenstimmen den normativen Rahmen füllen und strukturieren.“[129] Wie kann in einem „nachmetaphysischen Zeitalter“ überhaupt noch über das Sein und auch über Wahrheit gesprochen werden? Das Selbstverständnis der Moderne ist hier eindeutig: nur im Modus und der Relativität des Zeitlichen, im Modus des Perspektivischen und Subjektiven. Kentenich würde dabei nicht widersprechen und zeigt sich so als sehr moderner Denker. Doch bedeutet Subjektivität und Zeitlichkeit nicht Beliebigkeit, und ist von Kontingenz nicht auf die Nichtexistenz von Wahrheit und Zielgerichtetheit zu schließen.

2.3 Vergleich und Verschränkung der Perspektiven

Der augenfälligste Unterschied zwischen der Perspektive von  J. Kentenich und N. Luhmann liegt darin, dass N. Luhmann den Bereich des Seins (also auch Gott) und der Seele aus seiner Beobachtung ausklammert. Luhmann ist weder an einer Ontologie, noch an einer Fokussierung auf psychische Systeme interessiert. Doch er schließt deren Existenz und Relevanz für die Beschreibung von Sozialem auch nicht kategorisch aus. Im Gegenteil: Damit die Religion überhaupt existieren kann und ihre Funktion – sei es für den Menschen oder für die Gesamtgesellschaft – erfüllen kann, muss sie letztlich auf ein Absolutes rekurrieren. Wie gezeigt wurde, macht dies überhaupt erst die spezifisch religiöse Kommunikation aus. Doch sie kann nicht erwarten oder einfordern, dass andere Funktionssysteme ebenso von Gott sprechen.[130] Die Soziologen Armin Nassehi und Irmhild Saake bemerken dazu: „Nun besteht die strukturelle Paradoxie des Religiösen darin, dass religiöse Kommunikation einerseits von Ganzheitschiffren und -beobachtungen nicht lassen kann, dass es aber andererseits keinen gesellschaftlichen Ort mehr gibt, von dem her sich die Ganzheit des Ganzen so kommunizieren ließe, dass die Anschlussfähigkeit nicht völlig verloren geht.“[131] So kann die Religion weltlichen Strukturen eine eigene Dignität zuschreiben. Sie sind auch Teil der Schöpfung und haben in ihrer Eigengesetzlichkeit eine wichtige Funktion für das (heilvolle) Leben der Menschen. Kentenich spricht hierbei immer wieder von den Zweitursachen.[132]

N. Luhmann  will weder die Religion in ihrer Substanz vollständig beschreiben noch den Menschen in seinem ganzen Wesen.[133] Zu beachten ist also eine grundlegende Perspektivendifferenz zwischen Theologie und Soziologie. Die Unterscheidung bzw. Nichtüberführbarkeit von Selbst- und Fremdbeobachtung ist dabei in die Theorie N. Luhmanns selbst eingeschrieben. Vor diesem Hintergrund braucht es nicht zu beunruhigen, dass N. Luhmann selbst nicht an die Möglichkeit einer Kommunikation mit Gott glaubte. Für ihn sind weder Offenbarung noch Gebet als Kommunikation zu denken. Denn „je mehr sinnhafte Kommunikation als Humantechnologie ausgearbeitet wird und je deutlicher die Gesellschaft sich darin von allen anderen Systemen unterscheidet, desto schwieriger wird es, sich vorzustellen, daß religiöse Mächte sich irgendwo und irgendwie an diesem Kommunikationsnetz beteiligen.“[134] Freilich ist die Gesellschaft komplex und ausdifferenziert. Doch kann sie (natur-)wissenschaftlich in vielen Punkten nur begrenzt dekonstruiert werden. Außerdem würde man Gott doch sehr klein denken, wenn man es ihm nicht zutraut, dass er in und durch dieses dichte und komplexe Netz von Kommunikationen und Humantechnologie nicht in der Lage oder willens ist, sein schöpferisches Wort durch die Geschichte hindurch immer wieder neu mitzuteilen. Jedenfalls ist in Luhmanns Theorie kein Grund auszumachen, warum Kommunikation mit Gott nicht möglich sein sollte.[135]

Weiter könnte man hier anfragen, ob der Import dieser Theorie für die Theologie denn nicht bedenklich sei. Entgegen dieser Befürchtung wird hier jedoch die Auffassung vertreten, dass sich Theorieimporte für das Christentum während seiner gesamten Geschichte als fruchtbar erwiesen haben. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man in der Lage ist, verschiedene Ebenen zu unterscheiden[136] sowie sich seiner Identität genügend bewusst zu sein und sich zu nichtidentischen Elementen in Differenz setzen zu können, um so von Fremdem nicht vereinnahmt zu werden.[137] Im Blick auf die hier verwendete funktionale Analyse sei stellvertretend auf die Arbeit von Johann Hafner verwiesen. In seiner Studie zur Gnosis legt er nicht nur die Verträglichkeit dieser Methode mit dem christlichen Glauben dar, sondern stellt sogar eine grundsätzliche Isomorphie von Religion und der Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung fest. Denn indem das Christentum die Welt auf eine andere, höhere Wirklichkeit zurückführt, erklärt sie diese somit als kontingent. „Von außen betrachtet ist Religion ein System, das auf Gott sieht, aber in ihrem Selbstverständnis ist Religion die Weise, die Welt zu sehen, wie Gott sie sieht. Was der Funktionalismus methodisch betreibt, macht Religion von Haus aus, sozusagen ohne es zu wissen: Sie erfüllt die Funktion der Kontingentierung.“[138]

Kairologie ist in diesem Verständnis kontingentes Deuten[139] von kontingenten Ereignissen. Entscheidend ist, dass darin damit gerechnet wird, dass Gott etwas zu mir sagen könnte. Aufzuzeigen, dass solche Deutungen zwar immer subjektiv, aber  deswegen nicht beliebig sein müssen, wird im weiteren Verlauf die Aufgabe sein. Jochen Ostheimer hält dazu fest: „Kontingenz bezeichnet die Einheit des Verzichts auf Notwendigkeit und Unmöglichkeit, sie wird universalisiert und damit entpersonalisiert und entmoralisiert und dadurch vom gängigen Vorwurf der Beliebigkeit und Willkür rehabilitiert.“[140] Die Möglichkeit von Intention und Intervention durch eine göttliche, schöpferische Macht ist hier ausdrücklich nicht ausge-schlossen. So scheint die Theorie auch kompatibel zu sein mit dem Denken einer göttlichen Vorsehung.

Die Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung kann schließlich auch helfen, nach den Bedingungen des Deutens von „Zeichen der Zeit“ zu fragen. Man kann nun verschiedene Bedingungskomplexe in den Blick nehmen.[141] In dieser Arbeit sind diese vor allem: der Glaube und das Kirchenbild als Referenzsystem[142], die Verwendung von beobachtungs-leitenden Unterscheidungen[143]  sowie die Bedingungen, die mit der Persönlichkeit der deutenden Person verbunden sind.[144]

Nachdem grundsätzlichen Einwänden gegen eine Verbindung der zwei Ansätze begegnet wurde, sollen einige weitere konkrete Verbindungslinien und Ergänzungsmöglichkeiten zwischen dem systemisch-funktionalen Ansatz N. Luhmanns und dem organismischen von J. Kentenich aufgezeigt werden. Bei J. Kentenich werden Individuen und Kollektive als dynamische Organismen aufgefasst, auf die verschiedene Faktoren bzw. Kräfte einwirken. Eine erste Unterscheidung wäre die zwischen natürlichen und übernatürlichen Kräften. J. Kentenich anerkennt beide zunächst in ihrer Eigengesetzlichkeit. Dabei wird er anschluss-fähig für die funktionale Methode von N. Luhmann, der zwischen organischen, psychischen und sozialen Systemen unterscheidet. Auch J. Kentenich betont immer wieder die Notwendigkeit einer biologischen, psychologischen und soziologischen Durchdringung der Welt und auch des Lebens- und Ideengebildes Schönstatt. Bei ihm tritt schließlich noch die übernatürliche Seins- und Lebensordnung hinzu, die zwar analytisch getrennt betrachtet werden kann, aber gleichzeitig in Verbindung zum natürlichen Organismus steht und in diesen hineinreicht. Im Blick auf den von ihm sehr häufig wiederholten Grundsatz ordo essendi est ordo agendi schreibt er: „Wie dieses Gesetz für die Natur- und Gnadenordnung [gesondert gesehen] gilt, so will es auch richtungsgebend sein für die Verbindung von beiden. Hier nimmt es die konkrete Form an: Gratia non destruit, sed perficit et elevat naturam.“[145] Somit hat alles Seiende bei J. Kentenich einen Eigen- und einen Symbolwert. H-W. Unkel erläutert: „Der Eigenwert eines Seienden ist jene Dimension, die mit Hilfe der Methoden der rationalen empirischen Wissenschaften erforscht und dienstbar gemacht wird. Damit ist unablösbar und gleichzeitig eine Symboldimension verbunden, die nicht im Sachlich-Objekthaften endet, sondern darüber hinaus ins Personale, letztlich auf die Person Gottes verweist.“[146]

Die Begriffe Organismus und System bzw. Funktionalität sind also keine grundsätzlichen Gegensätze. Kentenich spricht selbst davon, dass der Organismus „funktioniert“[147] und ein „geschlossenes System“[148] ist, auch wenn er in seiner genauen Funktionsweise bisher nicht vollständig in alle Richtungen reflektiert wurde. In einem Vortrag von 1963 sagt er:

„Darf ich wieder bitten, schauen Sei einmal wie umfassend der Organismusgedanke bei uns ist. Der ist so durchgedacht, nicht einmal zunächst reflexiv, sondern nachdem der mal gegriffen ist -! Das ist, wie wenn man mal einen Schlüssel hat, dann kann man alles aufschließen. Den braucht man immer nur ins Loch hereinzutun, auf einmal, da funktioniert ja alles.“[149]

Die Theorie des Systems ist schließlich als eine Annäherung, als ein Erklärungsversuch von Wirklichkeit zu verstehen.[150] Dabei wird Komplexität auf ein Maß reduziert, die der Wirklichkeit noch gerecht wird, die aber auch ein möglichst gutes Verstehen zulässt. Gleiches macht im Grunde J. Kentenich, wenn er v.a. auf empirisch-induktivem Wege aus der Wirklichkeit Lebens- und Seins-Gesetzlichkeiten ableitet.[151]  Schließlich hält er auch am Ordo-Gedanken fest, in den er jedoch das Prinzip der Lebendigkeit, also eine Dynamik hineindenkt. Auch ein Organismus funktioniert also nach Gesetzen. Wobei es sich hier nicht nur um systemerhaltende Gesetze handelt, sondern auch um Wachstumsgesetze. Diese sind letztlich mit einer Zielgerichtetheit, mit einem göttlichen Plan verbunden. Darin unterscheidet sich dann doch das Systemdenken Luhmanns vom Organismusdenken Kentenichs wesentlich. Für Organismen eröffnet sich nach Kentenich somit nicht nur die Möglichkeit von Evolution und Weiterentwicklung, sondern es ich auch ein normativer Anspruch damit verbunden. Dies gilt sowohl für den einzelnen Menschen, wie auch für Kirche und Welt bzw. die Zeit. J. Kentenich spricht hierbei von einer „gesunden Evolution“ der Kirche, in der zwar überzeitliche Elemente der Tradition bewahrt werden, die aber auch durch die Zeitenstimmen weiterentwickelt und erneuert wird.[152]

Der Organismus ist im Vergleich zum System vielleicht offener für Neues und Überraschendes, das er integriert. Dies geschieht aber nicht auf zufällige oder beliebige Weise. Er überlebt nur bzw. kann seine Identität nur erhalten durch Differenzsetzung und Selektion. Dies entspricht dann auch dem Systemdenken von Niklas Luhmann, der auch von einer sozialen Evolution spricht.[153]

Denkt man die Zeit bzw. die Wirklichkeit in der Welt als ein Ineinander von natürlicher und übernatürlicher Ordnung, steigert sich freilich die Komplexität – jedoch auch wieder nicht ins Unermessliche.[154] Um die Wirklichkeit zu verstehen ist es daher nötig, nicht nur die natürliche Welt in ihrer biologischen, psychischen und soziologischen Dimension zu betrachten[155], sondern auch die übernatürliche Welt und von da aus – man könnte auch sagen: im „Lichte des Evangeliums“ – dann wieder die natürliche.

In einem zirkulierenden hermeneutischen Vorgang von Beobachtung, Reflexion (also Induktion auf Gesetzlichkeiten und Deduktion von bestehenden Gesetzen) und Anwendung der Einsichten geschieht also Verstehen, genauer gesagt: Sinnverstehen.[156] Und darum geht es schließlich bei dem Unternehmen der Deutung von „Zeichen der Zeit“. Wesentlich dabei ist, dass zur psychologischen und soziologischen Analyse dann auch die theologische hinzutritt. Dass also auch nach dem von Gott intendierten Sinn im Erlebten gefragt wird. Um mehr zu sehen, gilt es dabei richtige  bzw. hilfreiche Unterscheidungen zu treffen.[157]

Beim Ertasten von Zeitenstimmen geht es entsprechend der funktionalen Analyse darum, hinter beobachtbaren Phänomenen und Ereignissen Bezugsprobleme ausfindig zu machen. Dieses von A. Nassehi beschriebene Vorgehen entspricht auch exakt dem J. Kentenichs. Er beobachtet die Menschen bzw. die Seelen und schließt daraus auf allgemeine zeitspezifische, wie überzeitliche Bezugsprobleme, bzw. „Zeitbedürfnisse“ und „Zeitnöte“, die letztlich auch in der Spannung von Unheils- und Heilssituation des Menschen stehen.[158] Als Pädagoge zeigt J. Kentenich aber neben den faktisch beobachteten Lösungsansätzen dann auch andere Möglichkeiten auf. Diese mögen aus soziologischer Perspektive als funktional äquivalent erscheinen, aus theologisch-pädagogischer Sicht werden sie jedoch als ‚besser‘, ‚gesünder‘, im Blick auf bestimmte Ziele ‚wirkungsvoller‘ oder ‚mehr dem Willen Gottes entsprechend‘ gewertet. Die soziologische Analyse kann dann jedoch wiederum dabei helfen, zu erklären, welche Varianten sich (unter den Kommunikationsbedingungen der heutigen Zeit) durchsetzen und durchsetzen lassen.

Beim Beispiel „Zeitenstimme Frausein“ ist das Bezugsproblem wesentlich als Bedürfnis zu beschreiben, die eigene (geschlechtliche) Identität zu entfalten und auszudrücken. Werte wie Intelligenz, Beziehung, Erfolg im Beruf, Authentizität, Sexappeal, Beliebtheit bei bestimmten Leuten können als mehr oder weniger wichtig und wertvoll eingestuft werden. Entsprechend formt sich dann ein persönlichkeits- und zeitspezifischer Frauentyp.  Orientierungspunkte für die Ausbildung bzw. auch Konstruktion der eigenen Identität wären nach J. Kentenich (etwas undifferenziert verkürzt): Impulse und Erfahrungen der Zeit, Stimmigkeitsimpulse aus der eigenen Seele, sowie seinsmäßige Vorgaben aus der eigenen Natur und Struktur.


[66]    Thomas, Günter; Schüle, Andreas (2006): Einleitung, 2.

[67]    Für den Bereich der Politik ist die Leitunterscheidung der Kommunikation „Macht haben“ oder „nicht Macht haben.“ Entsprechend organisiert und ordnet sich in diesem Teilsystem das Beobachten und die Kommunikation.

[68]    Ostheimer, Jochen (2008): Zeichen der Zeit lesen, 40 In meiner Arbeit habe ich wertvolle Impulse aus dieser Dissertation erhalten. Ostheimer verbindet offensichtlich große Sachkenntnis aus den Disziplinen der Theologie und Soziologie.

[69]    Diese Beschreibung dürfte schnell einleuchten, wenn man auf die Erfahrung schaut, dass man in einem Gespräch nicht immer das sagen kann, was man denkt, sondern an das anzuschließen hat, was der andere sagt. Freilich kann theoretisch auch in der Situation Unangemessenes gesagt werden, doch dann bricht die Kommunikation in der Regel schnell ab.

[70]    Luhmann, Niklas (1998): Religion als Kommunikation, 136.

[71]    In diesem Vorgang der Bewusstwerdung kann schließlich auch das Sprechen und Mitwirken Gottes hineingedacht werden – was jedoch außerhalb Luhmanns Beobachtungshorizonts liegt (vgl. Kap 2.3.).

[72]    Dies entspricht zum einen der Erfahrung in Gesprächen, dass nicht alles gesagt wird, was gedacht wird. Zum anderen entstehen somit unverfügbare Ereignisse mit Sinnüberschüssen, die potentiell einen Raum freigeben können für ein Sprechen Gottes. Vgl. Kap. 4.2.

[73] Bei dieser Bestimmung beziehe ich mich auf den Soziologen Armin Nassehi, der bei Luhmann diese drei Arten religiöser Kommunikation ausmacht. Vgl. Nassehi, Armin (1995): Religion und Biographie, 120f.

[74]    Vgl. Luhmann, Niklas (1998): Gesellschaftsstruktur und Semantik/3, 272. Heute kann sicher nicht jede derartige Kommunikation als religiös bezeichnet werden. Beispielsweise leistet die Wissenschaft ebenfalls die Funktion, Unvertrautes in Wissen und somit Vertrautheit zu transformieren.

[75]    Luhmann, Niklas (1989): Die Ausdifferenzierung der Religion, 351. Nassehi folgt bei dieser Variante jedoch der Kritik von Michael Welker, der den Code wie folgt reformuliert: „Stelle jeder positiven und jeder negativen Erfahrung die Formulierung der Einheit von Anspruchserhaltung und Anspruchszurücknahme gegenüber!“ Welker, Michael (1992): Einfache oder multiple Kontingenz?, 269.

[76]    Nassehi, Armin (1995): Religion und Biographie, 121.

[77]    Luhmann, Niklas (1987): Soziologische Aufklärung/4, 238.

[78]    Luhmann, Niklas (2002): Die Religion der Gesellschaft, 58.

[79]    Luhmann, Niklas (1998): Religion als Kommunikation, 142.

[80]    Dabei wird „ohne Verbot des Gegenteils“ gearbeitet, d.h. es werden verschiedene Interpretationen bezüglich Glaubensinhalten zugelassen. „Sie [die Theologie] ist sich selbst genug, suisuffizient, aber sie beruht auf der Nichtthematisierung des Rahmens der Thematisierung und bleibt in dieser Hinsicht dekonstruierbar,“ was mit der oben beschriebenen doppelten Schließung zusammenhängt. Luhmann, Niklas (2002): Religion, 335. So vermag die religiöse Reflexion nicht, Glaubenssicherheit bzw. Authentizität zu kommunizieren.

[81]    Vgl. hierzu Kap. 4.6.2.

[82]    Nassehi, Armin (2009): Religiöse Kommunikation: Religionssoziologische Konsequenzen einer qualitativen Untersuchung, 178.

[83]    Ausführlicher über die Biographie von Josef Kentenich siehe z.B. Feldmann, Christian (2005): Gottes sanfter Rebell.

[84]    Vgl. zur Bewertung der verschiedene Gattungen und Quellen: Gerber, Michael (2008): Zur Liebe berufen, 152–156. Hier werden die verschiedenen Quellen entsprechend ihrer Zuverlässigkeit und Repräsentativität unterschieden und einem Kategoriensystem zugeordnet. Da mir nicht zu allen Quellen die Kategorisierung bekannt war, habe ich von dieser Differenzierung abgesehen. Insgesamt lässt sich bei J. Kentenich eine große Konstanz in seinem Denken beobachten. Brüche wurden bisher nicht ausfindig gemacht. Im Laufe der Zeit ergab sich jedoch eine zunehmende Systematisierung und Schärfung mancher Begriffe. Vgl. ebd.

[85]    Vgl. Kap. 3.1.1.

[86]    Vgl. Kentenich, Josef (1967): Weihnachtstagung, 41f.

[87]    Begrifflich ist anzumerken, dass Kentenich weniger von Erkenntnisquellen, sondern von „Stimmen“ spricht: Seinsstimmen, Zeitenstimmen, Seelenstimmen. Inhaltlich muss eingeräumt werden, dass der Dreiklang der Erkenntnisquellen eine Reihe fundamentaler philosophischer und auch theologischer Fragen aufwirft. Allein die Rede vom Sein bedürfte eigentlich einer ausgiebigen Erörterung. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit leider nicht geleistet werden. Vgl. dazu Penners, Lothar (1983): Eine Pädagogik des Katholischen, 307–317.

[88]    Kentenich, Josef (1967): Predigt vom 18.03.1967, 165.

[89]    Vgl. Unkel, Hans-Werner (1996): Partikularexamen. Ausführlich hat sich Hans-Werner Unkel in seiner Dissertation mit der Theologie und Praxis des Vorsehungsglaubens nach J. Kentenich auseinandergesetzt. Sie ist in zwei Bänden erschienen, vgl. Unkel, Hans-Werner (1980): Theologische Horizonte des praktischen Vorsehungsglaubens; Unkel, Hans-Werner (1981): Leben aus dem praktischen Vorsehungsglauben. Vgl. auch Kap. 3.1.6 und 5.

[90]    Penners, Lothar (1983): Pädagogik des Katholischen, 306f.

[91]    Der Ansatz ist auch hier für Individuen und Kleingruppen anwendbar. So gibt es auch im persönlichen Seelen-leben Strömungen, die den Einzelnen eine Zeit lang prägen und tragen. Ausdruck davon kann z.B. auch das Partikularexamen sein, das in der Pädagogik Kentenichs helfen soll, im Sinne der Geistpflege und im Dienste der Selbstwerdung bedeutsame Zeitströmungen für das persönliche Leben lebendig zu halten. Vgl. Unkel, Hans-Werner (1996): Partikularexamen.

[92]    Weitere Nahbegriffe für Strömung sind neben Mainstream: Grundzug, Grundgestimmtheit, Grundbilder, Lebensgefühl, Triebkräfte, Moden.

[93]    Damit meine ich zunehmende Entfremdungs- und Abgrenzungsbewegungen zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb der katholischen Kirche und den damit verbundenen oft sehr ruppigen Umgangston. Beispielsweise also das Gegeneinander zwischen Konservativen und Progressiven, Bischöfen und Teilen des Kirchenvolkes, Traditionsorientierten und Moderneorientierten, Romzugewandten und Romabgewandten. Diese typisierenden und sich überschneidende Begriffe bedürften eigentlich einer weiteren Erläuterung. Dies würde den Rahmen dieser Arbeit aber sprengen.

[94]    Es kann jedoch auch sein, dass in einer Gesellschaft, Kirche, Fakultät oder in einem Priesterseminar kaum Strömungen auszumachenden sind. Dies ist als ein Hinweis darauf zu werten, dass die Vitalität des jeweiligen Kollektivs gestört ist, wofür es verschiedene Gründe geben mag.

[95]    Der Organismusgedanke ist bei J. Kentenich zwar eine zentrale Denkfigur, erfährt in diesem Kontext jedoch sicher nicht seine volle und eigentliche Bedeutung. Der Inhalt des Begriffs kommt wesentlich im Blick auf konkrete Lebensgebilde (z.B. Individuen, Gruppen, Kirche) innerhalb der Zeit zur Geltung und weniger als Zeit insgesamt. Deshalb ist der Begriff in diesem Zusammenhang hier eher als umschreibendes Bildwort zu verstehen, das deutlich machen soll, dass nicht nur geschlossene Lebensgebilde innerhalb der Zeit eine gewisse Ordnung und Lebendigkeit aufweisen, sondern auch eine Zeit und Epoche als Ganze. Siehe die weiteren Ausführungen dazu unter Kap. 2.3.

[96]    In der „Marianischen Werkzeugsfrömmigkeit“ verwendet Kentenich hierfür die Begriffe „Zeitströmungen“ und „Weltgeschehen“ Kentenich, Josef (1944): Marianische Werkzeugsfrömmigkeit, 51.

[97]    Vgl. Illies, Florian (2001): Generation Golf.

[98]    Vgl. Gernert, Johannes (2010): Generation Porno.

[99]    Vgl. Leistert, Oliver (2011): Generation Facebook.

[100]    Vgl. Bauman, Zygmunt (2005): Flüchtige Moderne.

[101]    Vgl. Castells, Manuel (2001): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft.

[102]     Vgl. Kentenich, Josef (1967): Exerzitien für Schönstattpatres vom 27.11. bis 1.12. 1967, 36 u. 43.

[103]    Kentenich, Josef (1956): Studie, 134.

[104]    Kentenich, Josef (1967): Exerzitien für Schönstattpatres, 43.

[105]    So ist auch die Kirche in diesem Sinn nicht einfach in einem Gegensatz zu jeglicher gesellschaftlichen Denk- und Empfindungsform zu sehen. Dies zeigt nicht zuletzt der sehr ruppige innerkirchliche Umgangsstil, der auch dem gesellschaftlichen Mainstream entspricht. Schließlich gibt es zwischen Kirche und Rest-Gesellschaft keine grundsätzlichen Kommunikationsgrenzen.  Freilich gibt es faktisch und von ihrem Anspruch her teilweise auch Unterschiede und Gegensätze. Doch suggeriert das von der Kirche häufig gebrauchte Gegensatzpaar „Kirche – Gesellschaft“, dass die Kirche neben oder außerhalb der Gesellschaf und dem objektiven Geist der Zeit stünde. Dies dürfte im Übrigen auch ein Grund dafür sein, dass die Kirche als weltfremd und nicht zeitgemäß wahrgenommen wird. Damit soll freilich nicht bestritten werden, dass sie Auftrag und Anspruch hat gegen den Zeitgeist zu opponieren.

[106]    Beispiele hierfür sind z.B. der Drang nach (finanzieller) Unabhängigkeit und damit verbunden die Zurück-haltung, sich in Gemeinschaften zu binden und damit Verpflichtungen einzugehen.

[107]    Dies mag für bestimmte Segmente der Gesellschaft etwas anders aussehen. So denkt man in der Kirche hier insgesamt doch noch etwas anders, wobei dann oft gar nicht mehr so sehr. Auch hier zeigt sich, wie sehr wir auch in der Kirche Kinder unserer Zeit bzw. Kinder des „objektiven Geistes“ sind. An dieser Stelle will ich noch bewusst bei diesen wertungsfreien Begriffen bleiben. Dies ist bei der Methode von großer Bedeutung, dass also erst im zweiten Schritt gewertet wird und der negative Zeitgeist identifiziert wird. Vgl. Kap. 4.6.1.

[108]    Strada, Angel (1996): Zeitenstimmen, 440.

[109]    Wie in Kap 4.4. ausgeführt wird, bildet das Reich Gottes zugleich den Verstehenshorizont und erhält bei J. Kentenich mit dem Konzept des „neuen Zeitenufers“ eine Konkretion.

[110]    Kentenich, Josef (1952): Studie, begonnen am 08.12.1952, 189f.

[111]    Die Ausführung dieser Unterscheidung erfolgt in Kap. 4.6.1. bei der Darlegung der Methode.

[112]    Vgl. Frömbgen, M. Erika (1996): Seele.

[113]    Für die Individuelle Ebene erkennt Kentenich auch die Notwendigkeit der Unterscheidung der Geister, um zu erkennen, was wirklich göttliche „inneren Eingebungen“  sind. Dabei lehnt er sich stark an die erarbeiteten Regeln des Ignatius an. Diese für ihn eher „ethische“ Unterscheidung ergänzt J. Kentenich mit den „mehr religiösen“ Unterscheidungen der Theresia von Avila. Er bezeichnet die schönstättische Synthese dieser Regeln als „philosophische Form“ bzw. „göttliche“ oder „schöpferische Resultante“. Dabei überschreitet „ein Akt, ein Zustand oder ein Lebensvorgang nach sorgfältigster Berücksichtigung aller Umstände das normale Maß menschlichen Könnens und Wollens und Wagens.“ Kentenich, Josef (1964): Studie 1964, 316ff.
Doch im Blick auf das Deuten der „Zeichen der Zeit“, sind die Regungen des Seelischen nur von Interesse, insofern sie etwas Zeittypisches aussagen. Kentenich spricht auch immer wieder von „Gemeinschaftsseele“ für soziale Gebilde. Dies ist für ihn aber nur dann angemessen, wenn es zu einem seelischen In-, Mit- und Füreinander gekommen ist. Vgl. Penners, Lothar (1983): Pädagogik des Katholischen, 313.

[114]    Unkel, Hans-Werner (1996): Praktischer Vorsehungsglaube, in: Schönstatt-Lexikon, 318.

[115]    Vgl. dazu den Vorgang des Vergleichens und Straffens unter Kap. 4.5.

[116]    Vgl. GS 1.

[117]    Kentenich, Josef (1953): Brief an P. Menningen vom 09.12.1953, 47. Als ein Beispiel für solch eine Leuchtrakete können die Selbstzweifel und Ängste von Whitney Houston gewertet werden, wie sie Kevin Costner in seiner Trauerrede vortrug: „Am I good enough? Am I pretty enough? Will they like me?“ Eine (Seelen-)Stimme, die wohl Millionen Frauen (aber auch Männern) aus der Seele spricht.

[118]    Beim Aufzeigen der Methode soll dieser Zusammenhang näher erläutert werden. Einen bemerkenswerten Einblick, wie Josef Kentenich die Methode beim Aufbau des Schönstattwerkes angewandt hat, kann seine Ansprache vom 15. August 1935 zum silbernen Priesterjubiläum geben: „Wenn Sie wissen wollen, worin das Geheimnis einer fast überreichen Fruchtbarkeit liegt, dann darf ich Ihnen sagen: Das liegt in dieser tiefen, gegenseitigen innerseelischen Verknüpfung. […] Was ich so lesen durfte in Ihren Seelen, das gab mir durchweg die Richtung an für die jeweiligen Teilziele, die wir erstrebten. Es mag ein nüchterner Geschichtsschreiber später einmal kritisch forschend nachweisen, daß die letzten Großziele und das bewußte Festhalten an diesen Zielen primär meine Aufgabe in diesen 25 Jahren gewesen. Aber die einzelnen Teilziele, die verwirklicht werden sollten, das Festhalten, das Herausstellen dieser Teilziele und das erleuchtete Ringen um die Verwirklichung, das, meine liebe Schönstattfamilie, ist schlankweg undenkbar ohne Sie. Und hier beginnt in tiefgreifender Weise die Verkettung des Handelns und Wollens, des Lebens und Liebens. So viel leben die Dinge noch alle in mir, daß ich Ihnen in den meisten fällen sagen kann: Das und das ist von dem und dem, das ist ein Stück von dessen Seelenleben. – Das ist die geheimnisvolle Quelle unserer tiefgehenden Gemeinschaft. Sie wissen, daß ich für gewöhnlich für gesellschaftliche Dinge keine Zeit gehabt habe, und zwar deshalb, weil die innerseelische Verbindung auf einem so tragfähigen Fundament ruhte. […] Jeder entdeckt sich selbst wieder, das Beste seiner Seele, in der Familie.“ Kentenich, Josef (1935): Ansprache zum Silbernen Priesterjubiläum am 15. August 1935, 4ff.

[119]    King, Herbert (1998): Josef Kentenich. Ein Durchblick in Texten, 256.

[120]    Kentenich, Josef (1967): Exerzitien für Schönstattpriester vom 19.-24.11.1967, 28.

[121]    Vgl. dazu auch Kap 3.2.2., in dem Zeit und Seele als Quelle theologischer Erkenntnis, als loci theologici qualifiziert werden.

[122]    Vgl. ausführlicher zum Seinsverständnis von Josef Kentenich den Artikel im Schönstattlexikon: Schlosser, Herta (1996): Sein, Seinsordnung.

[123]    Vgl. Kentenich, Josef (1944): Werkzeugsfrömmigkeit, 39–45. Bei den Priesterexerzitien „Der heroische Mensch“ aus dem Jahre 1936 bringt Kentenich diesen Sachverhalt noch pointierter auf den Punkt: „Der Indikativ des Seins muss uns werden zum Imperativ des Sollens. Oder noch anders: Die stumme Sprache der gesamten geschöpflichen Ordnung muss für uns werden zu einem heiligen Müssen. Das Wissen um diese feinen letzten Sinn- und Seinszusammenhänge muss letztlich für uns zu einer Gewissenspflicht werden.“ Kentenich, Josef (1936): Der Heroische Mensch. Vorträge zu Priesterexerzitien, 82.

[124]    Das Verhältnis zwischen Sein, Heiliger Schrift und kirchlicher Lehre wird im Kap. 3.1.4. näher angeschaut, müsste jedoch im Detail noch geklärt werden. Kentenichs Ansatz vom Dreiklang hat sich so erst mit der Zeit herausgebildet. In der im KZ in Dachau angefertigten Studie über die „Marianische Werkzeugsfrömmigkeit“ aus dem Jahre 1944 hatte Kentenich noch von vier Erkenntnisquellen gesprochen und dabei die Heilige Schrift als eigene Quelle expliziert. Vgl. Kentenich, Josef (1944): Werkzeugsfrömmigkeit, 39–56.

[125]    Kentenich, Josef (1961): What is my philosophy of education?, 44.

[126]    Unkel, Hans-Werner (1981): Leben aus dem Vorsehungsglauben, 130f.

[127]    Kentenich, Josef (1949): Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, 62.

[128]    Benedikt XVI. (2011): Ansprache Seiner Heiligkeit Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag, 37.

[129]    Penners, Lothar (1983): Pädagogik des Katholischen, 310. Dieser Sachverhalt betrifft beispielsweise das (Seins-)Faktum „Geschlecht“. Dieses ist bei der individuellen Lebensgestaltung und Identitätskonstruktion nicht negierbar. Damit soll jedoch auch nicht einer Überbetonung der Geschlechtsunterschiede oder starren Rollenmustern das Wort geredet werden.

[130]    So würde es z.B. auch jeden vernünftigen religiösen Menschen nur irritieren und beunruhigen, wenn ein Arzt seine Anwendungen und Medikamente damit begründet, dass er soeben zu Gott gebetet habe, der ihm in einer Eingebung zu eben dieser Medikation geraten habe.

[131]    Nassehi, Armin; Saake, Irmhild (2004): Die Religiosität religiöser Erfahrung, 71.

[132]    J. Kentenich lehnt sich in seiner Lehre von den Zweitursachen vor allem an die Philosophie des Thomas von Aquin, der auch die relative Autonomie und Eigengesetzlichkeit der Schöpfung anerkannte. J. Kentenich durchbricht aber die scholastische Denkweise und denkt ein organisches Verhältnis von Erst- und Zweitursache, zu dem er vor allem den Beitrag einer „Psychologie der Zweitursachen“ liefert. Vgl. Vautier, Paul (1996): Zweitursache.

[133]    Leistungsgrenzen der Theorie im Blick auf Religion zeigen sich zum Beispiel darin, dass sie die Kommunikationsform von Riten oder nicht direkt Beobachtbares wie Mystik kaum näher beschreiben kann. Vgl. dazu z.B. Beyer, Peter (2001): Religion as Communication in Niklas Luhmann’s „Die Religion der Gesellschaft“.

[134]    Luhmann, Niklas (1987): Soziologische Aufklärung, 229. Diese Begründung wirkt im Grunde doch eher als Folge aus der Tatsache, dass er und mit ihm freilich viele andere gläubige und nichtgläubige Menschen Gottes Stimme schlichtweg nicht vernehmen. Es ist wohl auch nicht auszuschließen, dass Luhmann deshalb Kommunikation mit Gott ausschließt, weil er sonst eine „Eingemeindung Gottes in die Gesellschaft“ vollziehen müsste und sich dadurch eine nicht beobachtbare und die Theorie somit destabilisierende Kommunikation einhandeln würde. Luhmann, Niklas (1987): Soziologische Aufklärung, 229.

[135]    Diese Ansicht vertritt z.B. auch der kanadische Soziologe Peter Beyer: „Accordingly, if communication is not to be seen as ‚two-person’ transmission but rather as ‚three-selection’ synthesis, then attributing communication to God, gods or other non-human partners, should be unproblematic for this theory“ Beyer, Peter (2001): Religion as Communication in Niklas Luhmann’s „Die Religion der Gesellschaft“, 52f. Noch differenzierter argumentiert Günter Thomas. Er kritisiert v.a. die Unterscheidung von Immanenz/Transzendenz als Irrweg und der christlichen Religion nicht angemessen. Mit der Theorie-Figur des Re-entry argumentiert er sozusagen mit Luhmann gegen Luhmann und arbeitet theorieimmanent ein neues Unterscheidungsschema aus, innerhalb dessen Offenbarung und Kommunikation mit Gott eben doch möglich und (freilich begrenzt) beobachtbar werden. Vgl. Thomas, Günter (2006): Kommunikation des Evangeliums – oder: Offenbarung als Re-entry .

[136] In diesem Fall wären dies die Ebene des Wesens und die ihrer operativen Ausprägungen. Auch Josef Kentenich betonte immer wieder, dass das Christentum und auch die Schönstattbewegung offen ist für neue Ideen und diese unter Wahrung der eigenen Identität in ihren Ideenorganismus integriert.  Eine hilfreiche Unterscheidung kann hierbei auch die von Geist und Form sein. Vgl. Penners, Lothar (1996): Geist und Form. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren betonte Kentenich, wie wichtig es für die Bewegung ist, den von ihm entwickelten Ideenkosmos weiterzuentwickeln, wissenschaftlich zu durchdingen und in organischer Weise mit neuen Denkrichtungen anzureichern. So sagte er beispielsweise 1963 in einem Vortrag: „Die Familie braucht ja immer Zufuhr, Zufuhr an Ideen. Doppelt, wenn wir uns einmal durchgesetzt haben, doppelt, wenn wir einmal anerkannt sind so, wie wir glauben, im Plane Gottes zu existieren – dann müssen wir ja weit geöffnet sein allen modernen Strömungen gegenüber.“ Kentenich, Josef (1963): Vortrag 11, 11. Im Oktoberbrief von 1948 sagt er auch: „Die gesicherten wissenschaftlichen Resultate, einerlei von welcher Seite sie kommen, sollten in unseren Reihen Gestalt und Form annehmen.“ Kentenich, Josef (1948): Brief zum 18.10.1948, 34.

[137]    Hiermit ist bereits eine wesentliche Fähigkeit beim Deuten von Zeitenstimmen benannt, die unter 4.6.2. näher ausgeführt wird.

[138]    Hafner, Johann (2003): Selbstdefinition des Christentums, hier: 62.

[139]    Die Wahl, die Theorie der Beobachtung als Grundlage für eine Methode zur Deutung der Zeichen der Zeit anzuwenden, ist freilich eine kontingente. Alternativ zu diesem wahrnehmungswissen Ansatz wäre auch ein handlungswissenschaftlicher denkbar. Vgl. dazu Lechner, Martin (2004): Pastoraltheologie als Wissenschaft.

[140]    Ostheimer, Jochen (2008): Zeichen der Zeit, 88.

[141]    In seiner Analyse über erkenntnistheoretische Bedingungen der Kairologie konzentriert sich Jochen Ostheimer auf die vier Bedingungskomplexe: Kirchenbild, praktisch-theologische Theorieansätze, pastorale Handlungsräume und nicht-theologische Referenzwissenschaften. Vgl. Ostheimer, Jochen (2008): Zeichen der Zeit. In dieser Arbeit spielen diese Bedingungen auch einer Rolle, erfahren jedoch eine andere Akzentuierung.

[142]    Vgl. Kap 4.3. und 4.4.

[143]    Vgl. Kap. 4.6.

[144]  Vgl. Kap. 4.7.

[145]    Kentenich, Josef (1944): Werkzeugsfrömmigkeit, 50; Hervorhebung G.Z.. Die Gnade zerstört also nicht die Natur, sondern macht sie vollkommen und erhebt sie. Der Frage in welcher Weise dies geschieht, müsste gesondert nachgegangen werden.

[146]    Unkel, Hans-Werner (1980): Theologische Horizonte, 127f.

[147] Der Begriff Funktion kommt bei Kentenich immer wieder vor. Beispielsweise wenn er im Blick auf ein Gemeinschaftsleben nüchtern von „Reizfunktion, Enttäuschungsfunktion, Weiterleitungsfunktion“ spricht Kentenich, Josef (1963): Vortrag 8, 131; Hervorh. G.Z.

[148]    Damit ist zunächst gemeint, dass die von Kentenich erkannten Gesetzmäßigkeiten alle miteinander zusammenhängen und so ein großes Ganzes bilden. Vermutlich ist weniger eine systemische Schließung im Sinne Luhmanns gemeint. So schreibt Kentenich in einem Brief an P. Memmingen 1955 über die Marienschwestern: „Ihr ungesundes und weit sich öffnendes Seelenleben entschleierte wie ein Vergrößerungsglas nach allen Richtungen hin Gesetzmäßigkeiten, Tiefen und Weiten, die den wachen pädagogischen Blick und die die tastende Erzieherhand dauernd in Bewegung und Spannung hielten und die sich – fast wie von selbst – mit der Zeit zu einem geschlossenen System verbanden.“ Kentenich, Josef (1955): Brief an P. Menningen 1955, 15.

[149]    Kentenich, Josef (1963): Vortrag 2, 41.

[150] Luhmann hat selbst in einem Vortrag über Edmund Husserl von einer „Theorie unzuverlässiger Systeme“ gesprochen. Die Quelle steht mir im Original nicht zur Verfügung. Der Ausdruck stammt aus einem Buch von Peter Fuchs, der bei Luhmann studiert hat. Fuchs, Peter (2005): Das Gehirn ist genauso doof wie die Milz, 68f.

[151]    Dabei geht Kentenich in seiner Methode beim Vorgang des Straffens durchaus auch deduktiv vor, jedoch ist der Grundansatz eher ein induktiver. Vgl. Kap. 4.5.

[152]    Kentenich, Josef (1965): Grundsteinlegung Rom, 10.

[153] Luhmann geht davon aus, dass sich die Gesellschaft in einem Prozesse der Differenzierung von einer segmentären Form, über eine stratifizierte hin zu einer funktional differenzierten entwickelt hat. Erst dann haben sich die gesellschaftlichen Subsysteme, so auch die Religion, in ihrer relativen Eigenständigkeit entwickelt. Vgl. Luhmann, Niklas (1989): Die Ausdifferenzierung der Religion, 259ff.

[154]    Wie bereits weiter oben angesprochen, ist es ja genau die Aufgabe der Theologie als Reflexionssystem hier Aussagen über das Sein und Handeln Gottes zu treffen und somit Komplexität wieder zu reduzieren.

[155]    An die Adresse der Theologie gesprochen, wäre eher dieser Halbsatz zu betonten.

[156]    Ausführlich dazu vgl. Kap. 4.5.

[157]    Vgl. Kap. 4.6.

[158]    Dieses Vorgehen wird beispielsweise bei folgender Aussage deutlich: „Und die metaphysische Einstellung hat dann immer aus jeder Lebensregung sehr schnell das letzte Prinzip herausgelesen. Damals schon war mein Tasten: Was ist notwendig?“ Kentenich, Josef (1965): Rom-Vorträge. Vorträge für die Leitung der Schönstätter Verbände in Rom, gehalten vom 17.11. bis 21.12.1965, 46.

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