2.1. Die Vita Don Boscos

2. Don Giovanni Bosco

2.1. Die Vita Don Boscos

2.1.1. Kindheit und Jugend

Giovanni Bosco wurde am 16. April 1815 als dritter Sohn auf einem kleinen Bauernhof bei Castelnuovo ď Asti[1] geboren. Am darauf folgenden Tag wurde er auf den Namen Giovanni Melchiorre[2] getauft. Kurze Zeit später erwarb der Vater, Francesco Bosco (1784-1817), in Becchi einen Hof, auf den die Familie umsiedelte. Nach dem Tod seiner ersten Frau, mit dem er einen Sohn namens Antonio (1808) hatte, heiratete Francesco Bosco Margherita Occhiena (1788 – 1856). Mit ihr hatte er zwei weitere Söhne: Giuseppe (1813) und Giovanni (1815). Das Verhältnis zwischen dem Erstgeborenen und den beiden jüngeren Stiefbrüdern war gespannt. Vor allem gegenüber Giovanni wurde Antonio aus Eifersucht oft handgreiflich. Im Haushalt der Familie lebte auch Francescos Mutter.[3] Die Lebensverhältnisse der Familie werden als „nicht direkt erbärmlich“[4]beschrieben. Zwar lebte sie sehr bescheiden und nicht immer schuldenfrei, aber der Unterhalt war gesichert. Am 11. Mai 1817 starb Francesco Bosco an einer Lungenentzündung.[5] Dieses traumatische Erlebnis prägte Giovanni für sein Leben. Seit dem wünschte er sich nichts sehnlicher als einen Vater. Diese Sehnsucht sollte sich später in seiner Pädagogik niederschlagen.[6] Mit neun Jahren hatte Giovanni einen Traum, der ihn tief beeindruckte.[7] Er erzählte ihn den Mitgliedern seiner Familie, die darauf sehr unterschiedlich reagierten. Seine Mutter war der Überzeugung, Giovanni werde wohl einmal vielen Jungen helfen und veranlasste, dass er in den Wintern 1824/1825 und 1825/1826 im Pfarrhaus von Capriglio bei Don Giuseppe Lacqua lesen und schreiben lernte, um ihm so eine gewisse Bildung zu ermöglichen.[8] Unter den Dorfjungen war er wegen seiner Aufgewecktheit und seiner Geschicklichkeit, aber auch wegen seiner Klugheit und seines überzeugenden Auftretens sehr beliebt. Weil ihn seine Mutter im folgenden Winter wieder zur Schule schicken wollte, wurde sein ältester Bruder Antonio sehr wütend. Er konnte nicht verstehen, dass Bildung wichtiger sei als die Arbeit auf dem Hof. Die beiden Brüder gerieten so sehr aneinander, dass die Situation zu eskalieren drohte. Darum beschloss die Mutter, Giovanni als Jungknecht nach Moncucco auf ein großes Bauerngut der Familie Moglia zu schicken. Dort blieb er von Februar 1828 bis November 1829. Auch hier war Giovanni unter den Jugendlichen wegen seines apostolischen und stets freudigen Auftretens sehr gern gesehen.[9] Im November 1829 kehrte er in das elterliche Haus nach Becchi zurück. Zu dieser Zeit setzte sich im Nachbardorf ein Priester aus Chieri, Don Giovanni Melchiorre Calosso, zur Ruhe. Giovannis Mutter ging wohl auch bei ihm zur Beichte. Mehr und mehr wurde deutlich, dass Giovanni Priester werden wollte. So fügte es sich, dass er mit Don Calosso in Kontakt kam, der von seinen intellektuellen Fähigkeiten, speziell von seinem außerordentlichen Gedächtnis sehr beeindruckt war.[10] Um trotzdem bei der Arbeit zu Hause auf dem Hof helfen zu können, wurde Giovanni im Haus des Priesters unterrichtet. So konnte er bei Engpässen auf dem Hof einspringen.[11] Don Calosso wurde zu einer sehr prägenden Gestalt für Giovanni, vor allem durch seine väterliche Zuwendung.[12] Ein Jahr später verstarb der Priester plötzlich. Somit war die weitere Ausbildung Giovannis unsicher. Da sich die Familienverhältnisse änderten, weil Antonio heiratete und ein eigenes Heim bezog, lockerten sich auch die gespannten Beziehungen innerhalb der Familie etwas. So konnte Giovanni auf die Volksschule nach Castelnuovo geschickt werden. Wegen eines Lehrerwechsels war die Bildung dort allerdings von nicht besonders hoher Qualität.[13] Ende 1831 bekam Giovanni die Möglichkeit, nach Chieri zu ziehen, wo er das Gymnasium besuchen und später Theologie studieren konnte.[14]

2.1.2.Studium in Chieri und erste Tätigkeiten als Priester in Turin

Im November 1831 wurde Giovanni „Schüler der öffentlichen Grammatik-, Humanistik- und Rhetorikschule in Chieri“[15]. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nahm er mehrere Nebenbeschäftigungen an, unter anderem als Kellner und Nachhilfelehrer. Giovanni bestand als Klassenbester das Abitur. 1835 konnte er somit in das Priesterseminar von Chieri eintreten.[16]Dort studierte er in den Jahren 1835 bis 1841 Philosophie und Theologie. Am 5. Juni 1841 wurde er in Turin zum Priester geweiht. In den folgenden drei Jahren erhielt er am »Convitto Ecclesiastico« von Turin eine weitere Ausbildung für seine praktischen, pastoralen Tätigkeiten. In dieser Zeit wurde Giovanni (nun Don Bosco genannt) vor allem für den Katechismusunterricht der Jugendlichen eingesetzt, hielt Predigten und besuchte Jugendliche im Gefängnis.[17]

2.1.3. Die Anfänge des Oratoriums

In den Jahren seiner Weiterbildung entstanden die ersten Züge der »Oratorien«[18], die Don Bosco gründete und leitete. Sein Blick war immer auf die armen und vernachlässigten Jugendlichen gerichtet. Die Industriestadt Turin expandierte zwischen 1838 und 1848 um 17 Prozent. Das hatte zur Folge, dass unzählig viele Waise und Kinder aus armen Familien der ländlichen Umgebung zur Arbeit dort hin geschickt wurden, weil ihre Eltern sie nicht versorgen konnten. Don Bosco erkannte, dass diese Kinder und Jugendlichen ein Zuhause brauchten, in dem ihre existenziellsten Bedürfnisse befriedigt würden. Vor allem wollte er ihnen eine Bildungsmöglichkeit geben, sowohl in beruflicher, als auch in geistlicher Hinsicht.[19] Sein Ziel war es, „gute Christen und rechtschaffene Bürger“[20] zu erziehen. Ab 1844 wohnte Don Bosco als Kaplan in einer Einrichtung der Baronin Barolo, »Rifugio«[21] genannt. Da ihm die Jugendlichen auf Schritt und Tritt folgten, war Don Bosco auf der Suche nach einem geeigneten Ort, an dem er sich langfristig mit seinem Oratorium niederlassen konnte. Für kurze Zeit fand es sogar als »Wanderoratorium« im Freien statt. Im Frühling 1846 unterschrieb er dann einen Mietvertrag für ein Haus im Turiner Stadtteil Valdocco. Dort eröffnete er das erste Oratorium am Ostersonntag, den 12. April 1846. Ein halbes Jahr später wurde er aus der Einrichtung der Gräfin Barolo entlassen und zog zusammen mit seiner Mutter nach Valdocco.[22]

2.1.4. Ausformung seines Werkes

1847 entstand ein zweites Oratorium an der Porta Nuova und 1849 ein drittes in Vanchilglia. In den folgenden fünf Jahren entwickelten sich immer mehr Einrichtungen unter der Leitung Don Boscos. Darunter verschiedene Schulen, Berufsschulen und Lehrwerkstädten für handwerkliche Berufe, wie zum Beispiel Schneider, Drucker, Buchbinder und Schuster. Außerdem errichtete Don Bosco ein Heim für Jugendliche und ein Gymnasium. Nach und nach kaufte er Giuseppe Pinardi das bisher gemietete Haus ab, bis es ihm 1851 schließlich ganz gehörte und er es vollständig für seine Zwecke nutzen konnte.[23] Mit der Zeit wuchsen aus dem Kreis der Jugendlichen einige Kleriker hervor, die auf Don Boscos Schulen gegangen waren. Um diese weiter für seine Jugendarbeit als Seelsorger zu gewinnen, entschied sich Don Bosco 1854 eine Gemeinschaft zu gründen, die sich ganz „dem Wohl der Jugendlichen widmen“[24]. Ende der 50er Jahre breitete sich sein Werk innerhalb Turins immer mehr aus. Anfang der 60er Jahre wurde das erste Institut außerhalb der Stadt gegründet. Don Bosco erbaute außerdem drei Kirchen. Heute gilt die »Maria-Hilf-Basilika«[25] in Turin als Zentralheiligtum beziehungsweise Mutterkirche der weltweiten Don-Bosco-Familie.[26]

2.1.5. Die letzen Jahre seines Wirkens

In den 70er Jahren wuchs das Werk Don Boscos innerhalb Italiens. Es bildete sich auch eine Kongregation für Mädchen und junge Frauen. Von 1874 bis 1887 breitete sich das Werk „in Europa (Frankreich, Spanien, England) und auf dem südamerikanischen Subkontinent (Argentinien, Uruguay, Brasilien)“[27] aus. Don Bosco schickte aus seinen Kreisen Missionare in diese Gebiete. Er selbst jedoch wurde zunehmend schwächer und konnte in den letzten fünf Jahren seines Lebens nur noch wenig außer Haus gehen. Seinen Frohsinn und Witz behielt er sich aber bis zuletzt. Am Heiligen Abend 1887 übergab er – bereits von Krankheit sehr geschwächt – sein Testament an seine nächsten Vertrauten. Sein letzter Wille besagte unter anderem, dass sich sein Werk weltweit ausbreiten möge. Am 31. Januar 1888 starb er im Kreise seiner engsten »Söhne«.[28] Wegen seines außerordentlichen Einsatzes für die Jugend wurde er 1929 selig und am Ostersonntag 1934 heilig gesprochen.[29] Anlässlich des 100. Todestages schrieb Papst Johannes Paul II. in seiner Botschaft »Juvenum patris«: „Sein besonderes Geheimnis lag darin, daß er die tiefen Sehnsüchte der Jugendlichen (nach Leben, Liebe, innerer Weite, Freude, Freiheit und Zukunft) nicht enttäuschte und sie zugleich schrittweise und realistisch erfahren ließ, daß nur im Leben der Gnade, also in der Freundschaft mit Christus, die echtesten Ideale voll zu verwirklichen sind.“[30] Außerdem verlieh der Papst Don Bosco den Titel „Meister der Spiritualität für Jugendliche“[31] und „Vater und Lehrer der Jugend“[32].


[1] Heute: Castelnuovo Don Bosco, zirka 30 km östlich von Turin gelegen. Vgl. A. Birklbauer, Don Bosco, Lebensbild eines ungewöhnlichen Heiligen, S. 11.

[2] Zu Deutsch: »Johannes Melchior«, vgl. P. Stella, Don Bosco. Leben und Werk, S. 13.

[3] Vgl. G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S.16.

[4] G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S. 16.

[5] Vgl. T. Bosco, Don Bosco, S. 18.

[6] Vgl. G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S. 17.

[7] Näheres dazu in: P. Stella, Don Bosco. Leben und Werk, S. 19ff.

[8] Vgl. C. Salotti, Der Heilige Johannes Bosco, S. 27ff.

[9] Vgl. A. Birklbauer, Don Bosco. Lebensbild eines ungewöhnlichen Heiligen, S. 17ff.

[10] Laut Erzählungen konnte ihm Giovanni den Inhalt seiner gesamten Predigt wiedergeben. Vgl. W. Goderski, Ein fantastisches Leben, S. 11ff.

[11] Vgl. P. Stella, Don Bosco. Leben und Werk, S. 31ff.

[12] Vgl. G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S. 24.

[13] Vgl. C. Salotti, Der Heilige Johannes Bosco, S. 37ff.

[14] Vgl. G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S. 25.

[15] J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 7.

[16] Vgl. P. Stella, Don Bosco. Leben und Werk, S. 39ff.

[17] Vgl. J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 8.

[18] »Oratorium« (lat. „orare“ = beten, Anm. A.S.) ist die Bezeichnung für einen Unterrichts- und Erholungsraum, sowie einem Versammlungsraum von Pfarrmitgliedern in der Nähe der Kirche. Don Bosco prägte diesen Begriff vor allem dadurch, dass er Katecheseunterricht für Jugendliche, vor allem sonntags, anbot und so Kontakt und Vertrauen zu diesen bekam und sie unterstützen konnte. Vgl. A. Birklbauer, Don Bosco. Lebensbild eines ungewöhnlichen Heiligen, S. 54f.

[19] Vgl. T. Bosco, Don Bosco, S. 90f.

[20] J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 50.

[21] Italienisch: »Zufluchtsort«, in diesem Zusammenhang für hilfsbedürftige Frauen und gefährdete Mädchen. Vgl. T. Bosco u. a., Die Heimat Don Boscos, S. 60.

[22] Vgl. J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 8.

[23] Vgl. G. Ghiberti, Don Bosco begegnen, S. 40ff.

[24] J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 9. Näheres dazu in 2.2.1.

[25] Der Bau wurde 1863 begonnen, am 6. Juni 1868 wurde sie feierlich eingeweiht. Vgl. A. Birklbauer, Don Bosco. Lebensbild eines ungewöhnlichen Heiligen, S. 84.

[26] Vgl. T. Bosco u. a., Die Heimat Don Boscos, S. 54.

[27] J. Schepens, Die Pädagogik Don Boscos, S. 10.

[28] Vgl. T. Bosco, Don Bosco, S. 240ff.

[29] Vgl. A. Birklbauer, Don Bosco. Lebensbild eines ungewöhnlichen Heiligen, S. 124f.

[30] Vgl. Johannes Paul II., Juvenum patris, S. 25.

[31] Ebd.

[32] Ebd., S. 28.