1.2. Entstehung und Entwicklung des Schönstatt-Werkes

1.2. Entstehung und Entwicklung des Schönstatt-Werkes

1.2.1. Die Geschichte der Schönstatt-Bewegung

Zunächst ist »Schönstatt« eine Ortsbezeichnung. Der Ort liegt in der Stadt Vallendar am Rhein, in der Nähe von Koblenz. Der Name geht zurück bis in das Jahr 1143, wo er zum ersten Mal als »eyne schoene stat« urkundlich belegt ist. Die dort entstandene Bewegung hat den Namen übernommen. Heute ist Schönstatt ein von der Kirche anerkannter Gnaden- und Wallfahrtsort.[1]Wie es dazu und zu der Schönstattbewegung im Allgemeinen kam, soll im Folgenden dargestellt werden.

Die Geschichte der Schönstattbewegung ist nicht von der Biographie ihres Gründers zu trennen. Pater Kentenich selbst weist darauf immer wieder hin: „Werk und geistiges Gesicht meinerseits sind so innig miteinander verbunden wie die Innen- und Außensicht eines Lebensvorganges.“[2]Bezüge und Verweise auf Abschnitt 1.1. sind daher unvermeidlich.

In seiner Antrittsrede als Spiritual am 27. Oktober 1912, die später als »Vorgründungsurkunde«[3]bezeichnet wurde und diesen Namen noch heute trägt, sind die ersten Anzeichen seiner Idee, spürbar. Auch die erzieherischen Methoden werden angedeutet, näheres dazu aber in Kapitel 3. Wie in Abschnitt 1.1.4. beschrieben, herrschten im Studienheim der Pallottiner strenge Regeln, die kaum Freiheiten zuließen. Pater Kentenich spürte den Unmut und die Rebellion der Jungen und ahnte, dass eine Umstrukturierung nötig war. Dennoch wollte er den Vorgaben des Rektors, soweit es ihm möglich war, Folge leisten. Deshalb schlug er mit dessen Einverständnis die Gründung eines Missionsvereines vor, was regen Anklang bei den Schülern fand. Im Laufe des Jahres entwickelte sich dieser weiter zu einer »Marianischen Kongregation«, einer Verbindung, wie sie zu der damaligen Zeit an vielen Gymnasien üblich war.

Der 18. Oktober 1914 ist der Gründungstag der Schönstatt-Bewegung. An diesem Tag hielt Pater Kentenich einen Vortrag, dessen Einleitung heute als »1. Gründungsurkunde«[4] gilt. Der Gründungsakt des Schönstattwerkes, eine durch Pater Kentenich und die versammelten Mitgliedern der Marianischen Kongregation geschlossene Weihe an Maria, die Mutter Gottes, das so genannte »Liebesbündnis«[5], wird als »1. Meilenstein« der Schönstattgeschichte bezeichnet. Insgesamt sprechen die Mitglieder der Schönstattbewegung heute von vier »Meilensteinen«, die als „Schlüsselereignisse der Bewegung“[6] gelten. Versammlungsort der Marianischen Kongregation war die ehemalige Friedhofskapelle in Schönstatt, das heutige »Urheiligtum«, in dem das Bild der Gottesmutter von Schönstatt[7], das den Namen »Mater ter admirabilis«, zu deutsch »Dreimal wunderbare Mutter« trägt, angebracht war und bis heute ist.[8]

In der Zeit des 1. Weltkrieges, bildete sich unter den Mitgliedern der Marianischen Kongregation, die als Soldaten an der Front waren, eine »Außenorganisation«, die vor allem durch Schriften, Briefe, sowie eine eigens gegründete Zeitschrift (»MTA«, für »mater ter admirabilis«), zunehmend bekannt wurde, so dass sich nach Ende des Krieges ein »Apostolischer Studenten- und Lehrerbund« daraus entwickelte. Dieser weitete sich in den folgenden Jahren zum »Apostolischen Bund« und zur »Apostolischen Liga« aus. 1920 wurde auf Anfrage die erste Frau aufgenommen, wodurch immer vielfältigere Gruppierungen entstanden. 1926 wurden die »Marienschwestern«, 1935 die »Frauen von Schönstatt«, gegründet. Pater Kentenich war immer davon überzeugt, dass sich sein Werk weltweit ausbreiten würde. Tatsächlich kamen in den 30er Jahren zunehmend Bitten aus dem Ausland, Schönstatt auch dort anzusiedeln. Aufgrund der wachsenden Gefahr durch den Nationalsozialismus wurden ab 1933 die ersten Marienschwestern vor allem nach Südafrika, Brasilien, Argentinien und Chile ausgesandt.[9] Als »2. Meilenstein« der Schönstattgeschichte wird die Entscheidung Pater Kentenichs, freiwillig ins Konzentrationslager Dachau zu gehen, bezeichnet. Rückblickend war gerade diese Zeit sehr fruchtbar für sein Werk.[10] Während des Nationalsozialismus musste die Bewegung im Untergrund weiter existieren. Trotz der sehr eingeschränkten Möglichkeiten im Konzentrationslager, gründete Pater Kentenich unter täglicher Gefährdung seines Lebens in dieser Zeit zwei weitere Gemeinschaften: Die »Marienbrüder« und das »Schönstatt-Familienwerk«. In den drei Jahren, die Pater Kentenich im Konzentrationslager Dachau verbringen musste, knüpfte er einige Kontakte zu Nichtdeutschen. Damit bereitete er den Boden für die internationale Ausweitung seines Werkes, der so genannten »Schönstatt-Internationale«.[11] Am 31. Mai 1949 schickte Pater Kentenich, nach langem Ringen um Gottes Willen, ein Schreiben an den Bischof von Trier, in dem er eine umfangreiche Studie über sein Werk vorlegte. Er wagte damit die direkte Konfrontation mit der kirchlichen Autorität und die Klärung der Organisations- und Bindungsform der Schönstattbewegung, sowie der Spiritualität. Dies war ihm ein so großes Anliegen, dass er die zu erwartenden, schweren Prüfungen seines Werkes in Kauf nahm. Daraufhin kam es tatsächlich, wie in Abschnitt 1.1.6. beschrieben, zu bischöflichen und päpstlichen Visitationen, die zur Folge hatten, dass Pater Kentenich von 1951-1965 von seinem Werk getrennt wurde.[12] Aufgrund der weit reichenden Konsequenzen gilt der 31. Mai 1949 als »3. Meilenstein« in der Schönstattgeschichte. In der Zeit von 1945 bis zu seiner Verbannung nach Milwaukee unternahm Pater Kentenich zwei große Weltreisen, um die Schönstatt-Zentren, die in Brasilien, Uruguay, Argentinien und Chile entstanden waren, zu unterstützen. Des Weiteren besuchte er Südafrika und die USA.[13] Am 12. Oktober 1964 wurde das Schönstatt-Werk durch die Religiosenkongregation als rechtlich autonom erklärt und von den Pallottinern getrennt. Die Pallottiner Patres, die für das Schönstatt-Werk arbeiteten, mussten sich nun entscheiden, ob sie weiterhin zu den Pallottinern, oder zu Schönstatt gehören wollten. Für die Patres, die weiterhin am Aufbau Schönstatts beteiligt bleiben wollten, wurde 1965 das Säkularinstitut der »Schönstatt-Patres« gegründet.[14] Am 20. Oktober 1965 wurde per Beschluss durch das Heilige Offizium das 14-jährige Exil Pater Kentenichs für beendet erklärt und es wurden alle Dekrete gegen ihn aufgehoben. Zwei Tage später, am 22. Oktober 1965, bestätigte Papst Paul VI. diesen Beschluss. Diese beiden Daten wurden als »4. Meilenstein« der Schönstattgeschichte festgelegt.[15] Am 24. Dezember 1965, an Weihnachten, konnte der Gründer schließlich nach Schönstatt zurückkehren und sein Amt als »Bewegungsleiter« wieder aufnehmen. Die letzten drei Jahre seines Lebens arbeitete Pater Kentenich unermüdlich am Aufbau des Schönstatt-Werkes. Nach seinem Tod erhielten die Marienschwestern, die Frauen von Schönstatt, die Schönstatt-Patres und die Marienbrüder von der Kongregation für Orden und Säkularinstitute mit dem Einverständnis Papst Paul VI. das »Decretum laudis« und hatten damit die vollen Befugnisse päpstlichen Rechtes.

Heute ist Schönstatt auf allen Kontinenten vertreten. Die originalgetreue Nachbildung des Urheiligtums in Schönstatt begann schon, als Pater Kentenich im Konzentrationslager in Dachau war. Das erste so genannte »Filialheiligtum« entstand 1943 in Uruguay.[16] Heute gibt es bereits 189 solcher Originalnachbildungen auf allen Kontinenten, in über 80 Ländern der Welt.[17]

1.2.2. Die organisatorische Struktur der Schönstatt-Bewegung

Die Apostolische Bewegung von Schönstatt ist aufgeteilt in über 25 rechtlich eigenständige Gliedgemeinschaften. Diese bilden die Schönstatt-Familie und sind in der Spiritualität Schönstatts untereinander verbunden.[18] Den Kern der Bewegung bilden die Säkularinstitute und Bünde, deren Mitglieder zwar keine Gelübde ablegen, aber dennoch nach den Evangelischen Räten leben. Die Mitglieder der Ligabewegung und der Wallfahrtsbewegung sind an keine Gemeinschaftsform gebunden, bemühen sich aber um apostolisches Engagement, zum Beispiel in ihren Heimatpfarreien. Alle Gliederungen sind im Liebesbündnis[19] vereint in marianischer Lebensform und wirken aktiv an der Neuevangelisierung der Kirche mit.[20] Die folgende Grafik soll die Gliedgemeinschaften der Schönstatt-Bewegung verdeutlichen. Wie bereits in Abschnitt 1.2.1. beschrieben ist die Apostolische Bewegung von Schönstatt in über 80 Ländern auf der ganzen Welt vertreten:
Schönstatt Organisation
Die Bewegung zählt circa 96.000 Mitglieder, von denen ungefähr 4.400 den Säkularinstituten und 2.000 den Bünden angehören. Täglich pilgern geschätzte 10.000 Menschen in eines der 189 Heiligtümer auf der Welt. Die Säkularinstitute leiten Schulen, Kollegien, Krankenhäuser, karitative Projekte und Institutionen[21], worauf in Abschnitt 1.4. teilweise näher eingegangen wird.

1.2.3. Die Spiritualität der Schönstatt-Bewegung

Der praktische Vorsehungsglaube

Die Spiritualität Schönstatts lebt allgemein aus der Grundhaltung des »praktischen Vorsehungsglaubens«. Pater Kentenichs Ansicht dazu war unter anderem folgende: „Alles, was existiert und geschieht in dieser Welt und im Leben der Menschen, und wie es existiert und sich entwickelt, ist die Auswirkung und Verwirklichung eines ewigen göttlichen Planes.“[22] DieserVorsehungsglaube ist wesentlich in der Schönstatt-Spiritualität und gründet in den Wurzeln der Heiligen Schrift. Im Alten Testament sind Abraham und Moses Beispiele für Personen, die sich von Gott führen ließen. Im Neuen Testament ist es vor allem Jesus selbst, der diese Haltung vorlebt und predigt.[23] Nicht zuletzt im »Vater unser«, in dem es heißt „(…) dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf der Erde.“[24] Im gelebten Alltag meint dies also, aus einer entsprechenden inneren Haltung heraus sich in kindlichem Vertrauen an Gott zu wenden und mit ihm in Dialog zu treten. Im Sinne des Vorsehungsglaubens gilt es, aus diesem Dialog herauszuhören, was die nächsten Lebensschritte sind.[25] Dass dieser Vorsehungsglaube für die Schönstatt-Bewegung so zentral ist, liegt vor allem daran, dass er für den Gründer immer die Erkenntnisquelle für den Willen Gottes war. Pater Kentenich hatte nie Visionen oder Erscheinungen, sondern versuchte, in den gewöhnlichen Ereignissen des Alltags, den Willen Gottes zu erkennen. So hatte er nicht von Anfang an ein »fertiges Bild« der Schönstattbewegung, sondern jede Gliederung entstand nach und nach auf seinem Lebensweg aus aktuellen Anlässen.[26] So konnte Pater Kentenich sagen: „Der Vorsehungsglaube hat die ganze Geschichte Schönstatts geprägt“ und „stellt für immer ein wesentliches Merkmal der schönstättischen Spiritualität dar. Schönstatt hat die besondere Aufgabe, den Vorsehungsglauben in Gegenwart und Zukunft zu künden und zu verbreiten und bis zum Ende der Zeiten lebendig zu erhalten.“[27] Dies ist jedoch in einer modernen Welt, in der Gott immer seltener vorkommt, besonders schwierig. Dennoch ist die Frage nach dem »Sinn des Lebens« aktueller denn je. Deshalb sieht die Schönstatt-Bewegung eine ihrer Hauptaufgaben im Vorleben und Vermitteln des praktischen Vorsehungsglaubens, zum Beispiel im Projekt »Spurensuche«[28], das sich mit der Frage nach Sinn und Aufgabe des eigenen Lebens im Hinblick auf Gottes Führung beschäftigt.[29]

Die (marianische) Bündnisfrömmigkeit

In der langen Gründungsgeschichte Schönstatts hat die Spiritualität eine dreifache Ausprägung erfahren. Pater Kentenich spricht von einer „dreidimensionalen Frömmigkeit“[30], beziehungsweise einer „dreidimensionalen Spiritualität“[31]. Diese drei Dimensionen sind:

– (marianische) Bündnisfrömmigkeit,
Werkzeugsfrömmigkeit und
Werktagsheiligkeit.

Die Terminologie Schönstatts mutet oft etwas ungewöhnlich an. In der tieferen Auseinandersetzung damit zeigt sich jedoch, dass sich hinter den bisweilen antiquiert klingenden Begriffen im Allgemeinen zeitlose Themen verbergen. Der Begriff der »Bündnisfrömmigkeit« und der eng damit verbundene Ausdruck »Liebesbündnis« machen dies deutlich. In einer Gesellschaft, die immer bindungsloser wird und in der Werte wie Verbindlichkeit oder Gebunden-Sein zugunsten eines zunehmenden Autonomiestrebens immer stärker in den Hintergrund treten, mag es veraltet erscheinen, von einer Spiritualität, die sich auf ein Bündnis begründet, noch dazu auf ein Bündnis mit Maria, der Mutter Gottes, zu sprechen. Was dahinter steckt, soll im Folgenden deutlich gemacht werden:

Unter (marianischer) Bündnisfrömmigkeit wird im engeren Sinne in der Spiritualität Schönstatts das »Liebesbündnis« verstanden.[32] Dieser Begriff entstand verhältnismäßig spät, nämlich in den vierziger Jahren. Davor sprach man lediglich von einer »Marienweihe«.[33] Für das tiefere Verständnis ist es zunächst hilfreich, den historischen Kontext einzubeziehen. Auch hier gehen die Wurzeln zurück bis in das Alte und Neue Testament. Gott schloss mit den ersten Stammesvätern einen Bund, in dem er den Völkern seinen Schutz versprach und als Gegenleistung ihre Treue erwartete.[34] „Das Neue Testament lebt ganz aus dem Bündnis, aus der Liebeseinheit und Lebensgemeinschaft mit Christus.“[35] Im Leben Pater Kentenichs war vor allem seine Weihe an die Gottesmutter mit acht Jahren von weit reichender Bedeutung für die Gründung des Schönstatt-Werkes und damit auch wesentlich für das Liebesbündnis.[36] Welch tragende Kraft diese Weihe hatte, wurde ihm vor allem auch in seinen Jugendkämpfen deutlich.[37] Geht man also von der Annahme aus, dass Gott schon immer interessiert an einem Bündnis mit den Menschen war, kann gesagt werden, dass er im Laufe der Geschichte immer wieder auf unterschiedliche Weise versucht hat, diesen Bund herzustellen und zu erneuern. Dass der neue Bund zustande kommen konnte, nämlich durch die Geburt Jesu, war vor allem möglich, weil Maria »Ja« sagte, als sie der Engel Gottes bat, Gottes Sohn zu gebären.[38] Etwas vereinfacht ausgedrückt, ist Gott somit den Weg zu uns Menschen über Maria gegangen. Somit ist nahe liegend, dass umgekehrt auch wir den Weg zu Gott über Maria gehen dürfen.[39] In der Marienweihe wird ein Bündnis zwischen Maria und dem Menschen geschlossen, dass den neuen Bund bekräftigt. Auf die Sakramente bezogen, könnte man eine Marienweihe als erneute Bestätigung oder Vertiefung des Tauf-, beziehungsweise des Firmversprechens
(-bündnisses) sehen. In der Spiritualität Schönstatts ist diese Marienweihe zen-tral, weil das erste Liebesbündnis der Gründungsakt war. Ein Bund »verbindet«. Da wir Menschen nie alleine leben können und deshalb stets die Sehnsucht nach Gemeinschaft haben, ist gerade das Leben aus solch einem Bündnis heraus, das gläubige Menschen auf der gesamten Welt verbindet, tragkräftig und Mut machend. Deshalb ist das Liebesbündnis so zentral und wesentlich in der Schönstattspiritualität. „Der Bundesgedanke ist so tief in unser Bewusstsein und Lebensgefühl hineingewachsen, daß wir ihn unbedenklich als unsere Grundform, unseren Grundsinn, unsere Grundkraft und unsere Grundnorm bezeichnen dürfen.“[40]

Die Werkzeugsfrömmigkeit

Ein weiterer Teil der dreidimensionalen Spiritualität ist die Werkzeugsfrömmigkeit. Herbert King bezeichnet sie als „die Spiritualität des kreativen geschichtlichen Handelns mit Gott.“[41] Pater Kentenich gründet diese Dimension der Schönstatt-Spiritualität auf die Schöpfungstheologie und die Lehre der Zweitursache von Thomas von Aquin.[42] Diese erkennt Gott als die Erstursache an, die geschöpfliche Wirklichkeit ist somit Zweitursache. Gott als die Erstursache  „bleibt in allem, was uns als seine Schöpfung entgegentritt, (…)“.[43] Die Zweitursache dagegen ist immer auf Gott bezogen. Das heißt, die Ganzhingabe an Gott und die Überzeugung, nur seinen Willen erfüllen zu wollen, erfordert eine „Entprivatisierung des Menschen im Dienste Gottes, ohne ihn zu entpersonalisieren.“[44] „Es handelt sich um eine Spiritualität der Übereignung und Verfügbarkeit, die sich ganz in Dienst nehmen lässt durch den, der das Werkzeug benutzt.“[45] Übertragen meint das, dass Gott uns als sein Werkzeug aussendet, damit wir in seinem Sinn wirken können, ähnlich wie die Propheten in der Bibel.[46] Somit kann jeder Zweitursache sein, damit andere durch ihn zu Gott finden. Deshalb ist es nicht egal, wie man sich verhält, sondern man steht in Verantwortung gegenüber Gott. Für Pater Kentenich hat die Werkzeugsfrömmigkeit wie auch die Bündnisfrömmigkeit eine marianische Dimension. Maria hat sich wie sonst kein anderer Mensch in vollkommener Weise als Werkzeug für Gottes Willen gebrauchen lassen und kann uns darin deshalb besonders Vorbild sein.[47]

Die Werktagsheiligkeit

Die dritte Dimension der schönstättischen Spiritualität ist die Werktagsheiligkeit. Gerade in unserer heutigen Welt kann diese für all diejenigen gewinnbringend sein, denen der Glaube noch etwas bedeutet, die jedoch Schwierigkeiten mit dessen Umsetzung im Alltag haben. Es war Pater Kentenich ein Anliegen, dass sich christliches Leben nicht auf den bloßen sonntäglichen Gang zur Kirche reduziert. Er war der Meinung, Christen könnten vor allem in und durch die Anforderungen des Alltags zur Heiligkeit gelangt. Inspiration fand er unter anderem bei Franz von Sales in der „Philothea. Anleitung zum religiösen Leben.“[48] Wie es aus dem Begriff schon hervorgeht, geht es beim Streben nach Werktagsheiligkeit darum, nicht bloß eine sonntägliche Frömmigkeit zu leben, sondern einen Lebensstil zu realisieren, der den gewöhnlichen Alltag, den Werktag, aus dem Glauben heraus prägt und formt.[49] Pater Kentenich definiert Werktagsheiligkeit als „gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk-, und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens.“[50] Somit ist die Werktagsheiligkeit eine signifikante Ausprägung der schönstättischen Spiritualität, die versucht, „Ideen und Wertvorstellungen in konkrete Formen zu bringen, ganzheitliches Denken, Lieben und Leben zu fördern.“[51] Die Autorin Margareta Wolff berichtet von einem Architekten, der von seinen Arbeitskollegen gefragt wird, ob er gläubig sei und darauf antwortet: „(…) wir Christen müssen uns vor allem hervortun dadurch, dass wir ausgezeichnete Arbeit machen! Damit können wir andere gewinnen. Und dann kommt sicher die Gelegenheit zu erzählen, wo man die Kraft dazu her bekommt.“[52] Die Kraftquelle für ein Leben aus dem Glauben, stellt in der Spiritualität Schönstatts neben dem Vorsehungsglauben wesentlich das Liebesbündnis dar, in dem sich der Mensch von Gott führen lässt „und Antwort durch das Leben im Sinne der Werktagsheiligkeit“[53] gibt. Hier klingt an, dass die drei Dimensionen der schönstättischen Spiritualität nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich vielmehr gegenseitig durchdringen. „Je nach Gesichtspunkt steht die eine oder die andere Dimension im Vordergrund. Pater Kentenich bezeichnet oft die Bündnisspiritualität als eine Art Wurzel der beiden anderen Dimensionen.“[54]

1.2.4. Das Erneuerungsanliegen der Schönstatt-Bewegung

Von Anfang an verstand sich die Schönstatt-Bewegung als „religiös-sittliche Erneuerungsbewegung und als Erzieher- und Erziehungsbewegung.“[55] Pater Kentenich formulierte drei Teilziele für das Schönstatt-Werk.[56] Für die Soziale Arbeit ist jedoch vor allem eines von Bedeutung, auf das im Folgenden näher eingegangen wird.[57]

Der Neuer Mensch in der Neuen Gemeinschaft mit universellem apostolischen Gepräge

Ausgehend von seinen Auseinandersetzungen mit den Zeitströmungen und den dadurch sich wandelnden Gesellschaftsformen entwickelte Pater Kentenich seine Idee des »Neuen Menschen in der Neuen Gemeinschaft«. Dabei wollte er weg von den Zielen des Bolschewismus und Nationalsozialismus, die einen »Massenmenschen« im Sinne des Kollektivismus produzieren wollten und stattdessen hin zu einem Menschen, der eine freie und eigenständige Persönlichkeit entwickelt und verkörpert.[58] Auf dieser Grundlage entwickelte er sein pädagogisches Konzept, auf das in Abschnitt 1.3. näher eingegangen wird. In seinem Buch über die „Philosophie der Erziehung“[59] definiert Pater Kentenich seine Vorstellung vom »Neuen Menschen in der Neuen Gemeinschaft« so:

„Die neue Gemeinschaft charakterisiert es so: Vollkommene Gemeinschaft auf Grund vollkommener Persönlichkeit(en); beide getragen von der elementaren Grundkraft der Liebe.

Der neue Mensch ist die eigenständige, die beseelte, die entscheidungsfreudige und -willige, die selbstverantwortliche und innerlich freie Persönlichkeit, die sich gleicherweise fernhält von starker Formversklavung und bindungsloser Willkür.

Sie kennt also keine absolute Autonomie. Weil sie sich am Ideal des dreifaltigen Gottes orientiert, lebt sie in allen Entwicklungsstufen nach den Seinsgesetzten desselben dreifaltigen Gottes. Sie verbindet also Autonomie und Heteronomie.“[60]

Da der Mensch von Natur aus als ein Wesen geschaffen ist, das nur in Gemeinschaft leben kann, war es Pater Kentenich ein großes Anliegen, diesen freien Menschen gerade auch innerhalb einer Gemeinschaft zu erziehen. Somit soll eine Verbindung von Persönlichkeitserziehung und Gemeinschaftserziehung mit religiöser Formung erreicht werden, in der der Menschen als Person und Gemeinschaftswesen wahrgenommen wird.[61] Josef Kentenich fasste seine Vorstellungen im Bild der Familie zusammen. Dies charakterisierte für ihn ein gesundes Milieu, in dem Menschen auf förderliche Weise miteinander leben und sich gegenseitig bereichern.[62] Gerade heute ist ein solches Gefühl von Zusammengehörigkeit, innerhalb einer verbindlichen Gruppierung, von großer Bedeutung. Denn vor dem Hintergrund vieler zerrütteter Familienverhältnisse sind Ersatzstrukturen, für ein stabiles familiäres Umfeld, notwendig.

1.2.5. Die Schönstatt-Bewegung heute

Die Schönstatt-Bewegung versteht sich als Erzieher- und Erziehungsbewegung.[63] Dieses Bewusstsein spiegelt sich als zentraler Aspekt in allen Projekten wieder. Pater Kentenich war stets bestrebt, mindestens in das Morgen, wenn nicht sogar in das Übermorgen zu blicken, also die Veränderungen in der Welt wahrzunehmen und am aktuellen Zeitgeschehen teilzuhaben. Daran orientierte er sich und wenn nötig reagierte er entsprechend darauf.[64] Zu seinen Mitarbeitern pflegte er zu sagen, dass es in der Arbeit der Schönstatt-Bewegung immer notwendig sei „das Ohr am Herzen Gottes, die Hand am Pulsschlag der Zeit“[65] zu haben. Darauf sollte das ganze Werk ausgerichtet sein.

Um auch heute diesem Ideal gerecht zu werden ist es erforderlich, dass die Schönstatt-Bewegung ihr Tun immer wieder reflektiert, im Sinne des Gründers an die Zeit anpasst und gegebenenfalls verändert. Im Blick auf das 100-jährige Jubiläum der Gründung Schönstatts entstehen deshalb Projekte, die der Verwirklichung dieser Gedanken Rechenschaft tragen möchten. Ein so genanntes »Zukunftsforum«[66] beschäftigt sich mit verschiedenen Fragen rund um mögliche Veränderungen, um einerseits die Intensionen Pater Kentenichs beizubehalten, andererseits aber auch aktuell auf das Zeitgeschehen zu reagieren. Im Rahmen dessen, hat die Schönstatt-Jugend ein Projekt entwickelt, das die schönstatttypische Terminologie erklärt, und dadurch die Schönstatt-Bewegung in der Landschaft der neuen geistlichen Bewegungen präsenter werden lässt.[67]


[1] Vgl. H. Schlosser, Zentrale Begriffe Schönstatts, S. 72.

[2] J. Kentenich, Zum Bündnistag 1955 in: H. King: Der Mensch Joseph Kentenich, S. 63.

[3] Siehe Anhang.

[4] Siehe Anhang.

[5] Vgl. Näheres in 1.2.3.

[6] Vgl. J. Schmiedl in: Schönstatt-Lexikon, S. 342ff.

[7] Das Bild wurde 1915 angebracht, davor war es eine dem Hl. Michael geweihte Kapelle.

[8] Vgl. B. Weibel, Ein Blick in Leben und Werk von Pater Josef Kentenich, S. 49f.

[9] Vgl. J. Schmiedl in: Schönstatt-Lexikon, S. 342f.

[10] Vgl. E. Monnerjahn, Pater Joseph Kentenich, S. 141.

[11] Vgl. J. Schmiedl in: Schönstatt-Lexikon, S. 344.

[12] Vgl. Ebd., S. 255.

[13] Vgl. E. Monnerjahn, Stationen eines Lebens, S. 53ff.

[14] Vgl. J. Schmiedl in: Schönstatt-Lexikon, S. 345.

[15] Vgl. E. Monnerjahn, Pater Joseph Kentenich, S. 289.

[16] Vgl. H. M. Hug, [Welt]Geschichte eines Heiligtums, Textband, S. 200f.

[17] Vgl. www.schoenstatt.de vom 5.3.2008.

[18] Vgl. Näheres zur Spiritualität in Abschnitt 1.2.3.

[19] Vgl. Abschnitt 1.2.3.

[20] Vgl. www.schoenstatt.de vom 5.3.2008.

[21] Vgl. A. Martin, Die geistlichen Gemeinschaften der katholischen Kirche, S. 232.

[22] J. Kentenich, Texte zum Vorsehungsglauben, S. 11.

[23] Vgl. O. Amberger, Heute Gott erfahren, S. 16ff.

[24] Mt 6, 10.

[25] Vgl. J. Kentenich, Texte zum Vorsehungsglauben, S. 179ff.

[26] Vgl. H.-W. Unkel in: Schönstatt-Lexikon, S. 313ff.

[27] J. Kentenich, Texte zum Vorsehungsglauben, S. 47f.

[28] Vgl. http://www.spurensuche.info/01_was_ist_spurensuche/01_einfuehrung_deutsch.html
vom 12.4.2008.

[29] Vgl. O. Amberger, Heute Gott erfahren, S. 46ff.

[30] P. Wolf in: Schönstatt-Lexikon, S. 384.

[31] H. Schlosser, Zentrale Begriffe Schönstatts, S. 115.

[32] Vgl. L. Penners in: Schönstatt-Lexikon, S. 43f.

[33] Vgl. H. King: Marianische Bundesspiritualität, S. 23.

[34] Vgl. J. Kentenich: Das Lebensgeheimnis Schönstatts, II. Teil, S. 53f.

[35] J. Kentenich: Das Lebensgeheimnis Schönstatts, II. Teil, S. 54.

[36] Vgl. Abschnitt 1.1.2.

[37] Vgl. Abschnitt 1.1.3.

[38] Vgl. Lk 1, 26-38.

[39] Vgl. H. Schlosser: Der neue Mensch – Die neue Gesellschaftsordnung, S. 48.

[40] J. Kentenich, Das Lebensgeheimnis Schönstatts, II. Teil, S. 58.

[41] H. King, Marianische Bundesspiritualität, S. 58.

[42] Vgl. A. Hügli/P. Lübcke, Philosophielexikon, S. 623ff.

[43] P. Wolf in: Schönstatt-Lexikon, S. 432.

[44] L. Penners, Eine Pädagogik des Katholischen, S. 86.

[45] P. Wolf in: Schönstatt-Lexikon, S. 433.

[46] Vgl. Ebd., S. 432f.

[47]Vgl. L. Penners, Eine Pädagogik des Katholischen, S. 87.

[48] Vgl. F. v. Sales, Philothea. Anleitung zum religiösen Leben.

[49] Vgl. H. Brantzen in: Schönstatt-Lexikon, S. 428ff.

[50] J. Kentenich in: M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit, S. 14.

[51] H. Brantzen in: Schönstatt-Lexikon, S. 431.

[52] M. Wolff, Von der Nähe Gottes geprägt, S. 30.

[53] Vgl. H. Brantzen in: Schönstatt-Lexikon, S. 430.

[54] H. King, Marianische Bundesspiritualität, S. 58.

[55] H. Schlosser, Der neue Mensch – Die neue Gesellschaftsordnung, S. 63.

[56] Vgl. J. Schmiedl in: Schönstatt-Lexikon, S. 443.

[57] 2. Teilziel: Rettung der heilsgeschichtlichen Sendung des Abendlandes:
Das Abendland ist wegen modernistischer und mechanistischer Denkweise in Gefahr, Natur und Gnade, Erst- und Zweitursache, Wissen und Leben voneinander zu trennen und damit dem Christentum das Fundament zu entziehen. Durch das Liebesbündnis mit der Gottesmutter möchte Schönstatt der Kirche helfen, dass das Abendland Träger seiner heilsgeschichtlichen Sendung bleibt. Vgl. L. Penners in: Schönstatt-Lexikon, S. 149ff.
3. Teilziel: Die Idee des hl. Vinzenz Pallotti von einem föderativ aufgebauten Apostolischen Weltverband: Diese Idee nahm Pater Kentenich 1916 in die Zielgestalt des Schönstatt-Werkes auf und gestaltete sie schöpferisch aus. Das Schönstatt-Werk will mithelfen, die apostolischen Kräfte zu sammeln und zu koordinieren, damit sie eine größere Durchschlagskraft erhalten. Pater Kentenich hat also schon damals das bewegt, was in den letzten vier Jahren durch das Miteinander der Geistlichen Bewegungen und Kongresse, wie in Stuttgart 2004 und 2007 („Miteinander für Europa“ vgl. www.miteinander-wie-sonst.de vom 15.3.2008), in Gang kam. Vgl. P. Vautier in: Schönstatt-Lexikon, S. 422ff.

[58] Vgl. H. Schlosser in: Schönstatt-Lexikon, S. 281ff.

[59] J. Kentenich, Philosophie der Erziehung. Siehe Literaturverzeichnis.

[60] Ebd., S. 49.

[61] Vgl. Ebd., S. 47.

[62] Vgl. H. King in: Schönstatt-Lexikon, S. 273ff.

[63] Vgl. 1.2.4.

[64] Vgl. R. Linge, Aus Liebe zur Kirche, S. 30ff.

[65] J. Kentenich in: Ebd., S. 33.

[66] Vgl. www.zukunft-schoenstatt.de vom 15.3.2008.

[67] Vgl. www.erklaermirschoenstatt.de vom 13.4.2008 (Seite ist noch am Aufbau. Anm. A.S.)