In diesem Kapitel werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Schönstattwerk und der SAC im allgemeinen und speziell im Sendungsverständnis, die bei dieser Arbeit evident geworden sind, zusammenfassend dargestellt.
Beide Partner betrachten das Werk Pallottis als gemeinsames Ziel und wissen sich in dieser Sendung geeint. Beiden gemeinsam ist das Anliegen, einer weltumfassend apostolischen Bewegung mit marianischer Prägung Gestalt zu geben. Dies ist stets gemeint, wenn von der wesentlichen Gleichheit zwischen dem Werk Pallottis und dem Schönstattwerk gesprochen wird.
Für beide war das „Abgestimmt-sein“ im Hinblick auf diese Sendung der Ansporn zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit.
Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit ergibt sich ferner auf der Ebene der Prinzipien. Bereits das Generalkapitel 1947 stellt fest, daß die Schönstattbewegung mit den Wesensprinzipien, die dem Katholischen Apostolat V. Pallottis zu Grunde liegen, übereinstimmt.[269] Dadurch wird auch die Übereinstimmung mit dessen bewegendem und belebendem Teil – nämlich der SAC – bestätigt.
Wo liegen die Unterschiede, die zur endgültigen Trennung führten? Das Material des hier zu behandelnden Zeitraumes läßt eine wirklich befriedigende Antwort auf diese Frage nicht zu.
Meines Erachtens liegen die Unterschiede nicht im gemeinsam angestrebten Ziel, sondern in seiner Konkretisierung und in unterschiedlichen Wegen dorthin. Hier werden Unterschiede im „Sendungsverständnis“ spürbar.
Im Zeitraum 1947-1950 wird aufgrund dieser Unterschiede das Verhältnis zueinander zunehmend belastet. Die Unterschiede zwischen dem Sendungsverständnis der Pallottiner und dem Sendungsverständnis Schönstatts zeichnen sich mehr und mehr ab.
Die Pallotti-Forschung weist eindeutig nach, daß die Vereinigung des Katholischen Apostolats das gesetzte und gewollte Ziel der Gründung Pallottis darstellt. Aus der Untersuchung des hier zu behandelnden Zeitraumes ergibt sich die Frage, inwieweit damals die SAC den Auftrag Pallottis in der spezifischen Arbeit als „pars centralis et motrix“ der Vereinigung erfüllt sah. Es scheint nicht eindeutig zu sein, ob sie unter „Katholischem Apostolat“ eine apostolische Organisation versteht, der Gestalt zu geben als ihre unverzichtbare Sendung gilt, oder ob sie damit ein universales Apostolat im Sinne von „allseitig“ apostolischer Arbeit meint. Wollte Pallotti nur das Apostolat pflegen auf der ganzen Welt und mit allen Mitteln – oder wußte er sich berufen, außerdem mitzuhelfen, die apostolischen Kräfte der Kirche zu organisieren, um eine bessere Dynamik und Koordinierung im apostolischen Einsatz zu erreichen? Über diese Frage scheint die Gesellschaft eine geteilte Meinung zu haben.
Die Wahrnehmung der Aufgabe der Gesellschaft als bewegender und zentraler Teil der Schönstattbewegung bedeutete zugleich die Entscheidung für einen konkreten Weg zur Verwirklichung der Grundidee V. Pallottis.
Das Generalkapitel 1947 gibt entscheidende Weichenstellungen auf dieses Ziel hin, die letzte Konkretisierung läßt es jedoch in Anbetracht der Suche nach einer einheitlichen Meinung innerhalb der Gesellschaft selbst offen. Die Stellung der SAC als „pars motrix et centralis“ des Schönstattwerkes ist von der Seite Schönstatts nicht mit rechtlichen Befugnissen konzipiert, sondern als inspiratorische Funktion gedacht. Sie ergibt sich aus der Tatsache, daß die Gliederungen des Werkes rechtlich unabhängig von der Gesellschaft sind. Diese Auffassung wird jedoch von der SAC insgesamt nicht prinzipiell bejaht. Dieser wesentliche Aspekt der Zusammenarbeit wird im Generalkapitel 1947 nicht diskutiert, so daß diesbezüglich der Führungsanspruch der Gesellschaft auf das gesamte Werk Pallottis – gemäß der 1935 erlassenen Richtlinien – in Geltung bleibt[270].
Das Schönstattwerk ist im Schoß der Gesellschaft entstanden, aber es versteht sich als eine neue göttliche Initiative mit einer eigenen Sendung. Sie beinhaltet die Verwirklichung der Idee Pallottis, aber sie erschöpft sich nicht in ihr. Aus schönstättischer Sicht hat das Werk auch einen eigenen, von Pallotti und seiner Gründung unabhängigen Gottesauftrag. Er ist unlösbar mit dem Glauben an das Schönstattgeheimnis, mit der Bindung an Maria im Liebesbündnis und mit der Bejahung der Gründerstellung J. Kentenichs verbunden. Diese Originalität ist für Schönstatt konstitutiv und wesentlich für die Verwirklichung seiner Sendung.
In der Gesellschaft wird dies unterschiedlich gesehen bzw. bewertet und sein konstitutiver Charakter nicht uneingeschränkt bejaht.
1948 definiert sich die Bewegung als „eine Art zeitgemäßer Neugründung, eine Weiterentfaltung und Abrundung der Idee Pallottis“[271]. J. Kentenich sieht in Schönstatt, das mit der Gnade Gottes im Schoß der SAC entstanden ist, ein Zeichen und die Möglichkeit, den Plänen Pallottis Gestalt zu geben. Darüber hinaus trägt Schönstatt Züge und Merkmale, die dem Geiste Pallottis nicht zu entnehmen sind, auch wenn sie ihm nicht widersprechen. Schönstatt entspricht den Ideen Pallottis, aber es läßt sich nicht direkt von ihm ableiten. Aus dieser Tatsache heraus versteht sich die Bewegung nicht nur als Ausführung seiner Pläne oder als Ausgründung seines Werkes.
In den folgenden Jahren wird inhaltlich zwischen den Begriffen „Ausgründung“ und „Neugründung“ unterschieden. Schönstatt vertritt dabei folgende Meinung: Soweit es sich um Pallottis Idee von einer Weltorganisation handelt, ist die Weiterentwicklung in Schönstatt mit „Ausgründung“ zu bezeichnen. Soweit es um die geistigen und organisatorischen Elemente der Schönstattbewegung geht, die unabhängig von Pallotti entstanden sind, handelt es sich um eine „Neugründung“.[272]
Daraus entstehen unterschiedliche Auffassungen zur Stellung Pallottis im Schönstattwerk. Für die SAC stellt sich im Zeitraum 1947-1950 die Frage, ob Pallotti auch Gründer der Bewegung ist. Die schönstättische Perspektive räumt Pallotti eine entscheidende Stellung im Werk ein aufgrund der oben genannten Idee des Apostolischen Weltverbandes, betrachtet ihn aber nicht als Gründer des Schönstattwerkes.
Mitglieder der SAC könnten von folgendem Gedanken ausgehen: J. Kentenich ist Pallottiner, also ist seine „Schöpfung“ ein pallottinisches Werk, und weil sie mit der Idee Pallottis vom Katholischen Apostolat übereinstimmt, ist sie auf Pallotti zurückzuführen.
J. Kentenich sieht jedoch das Werk nicht als Ergebnis seiner schöpferischen Tätigkeit, sondern erkennt in ihm die Initiative Gottes, über die er nicht zu verfügen hat; er hat vielmehr als Zeuge zu diesem Werk zu stehen. Die Wahrnehmung seiner Gründerstellung steht letztlich im Dienst und als Garantie für die Entfaltung Schönstatts in seiner Identität.
Die Reflexion und Anerkennung der „Hauptfunktion“ J. Kentenichs im Schönstattwerk, die im Zeitraum 1947-1950 in geistigen Strömungen innerhalb des Werkes zum Ausdruck gebracht wird, wird von einer wachsenden Anzahl von Mitgliedern der Gesellschaft abgelehnt und mißverstanden. Ihre ausgesprochene Betonung seitens des Schönstattwerkes ist auf die Wahrnehmung der Gefahr zurückzuführen, das internationale und vielfach gegliederte Werk könne sich ohne eine starke Zentralisierung in seinen Wesenselementen zersplittern. Dazu sieht Schönstatt die Annerkennung seiner Identität in der SAC – seiner „pars motrix et centralis“ – nicht genug gesichert.
Für die Verwirklichung der gemeinsamen Sendung – der Idee Pallottis von der Vereinigung des Katholischen Apostolates – weiß sich Schönstatt berufen, eine originelle Kraftquelle beizutragen: den gnadenhaften Strom, der aus dem Schönstattheiligtum geschenkt wird. Ohne eine solche Kraftquelle hält Schönstatt die Idee von Pallotti für nicht realisierbar. Daher ist im Hinblick auf die gemeinsame Sendung die Schlüsselstellung des „Schönstattgeheimnisses“ und des „Liebesbündnisses“ für Schönstatt unverzichtbar.
Wie das Verhältnis Pallottiner – Schönstatt zu sehen ist, hängt wesentlich von der Auffassung bzw. dem Standort des Betrachters ab.
In den fünfziger Jahren wird der Unterschied, der sich in der Zeitspanne 1947-1950 abgezeichnet hat, als „unipolare“ bzw. „bipolare“ Auffassung gekennzeichnet. Die unipolare Auffassung sieht Fundament, Wesen und Zielsetzung des Schönstattwerkes nur von Pallotti her abgeleitet. Die bipolare Auffassung betont dagegen die Einheit von Pallottinern und Schönstatt, wobei jedoch jede Gemeinschaft ihr eigenes Fundament, Wesen und Ziel hat; sie entsprechen einander weitgehend und sind aufgrund einer göttlichen Gesamtplanung zu einer Partnerschaft miteinander – analog einer Vermählung – bestimmt.
J. Kentenich geht von der gläubigen Überzeugung aus, daß der gottgewollten Zusammengehörigkeit durch eine „Vermählung“ beider Partner zu einem Gesamtwerk, das in der Idee Pallottis seine Wurzel hat, entsprochen wird. Der Begriff „Vermählung“ steht für das Aufeinanderbezogensein gleichberechtigter Partner, wobei die Möglichkeit der Zusammenarbeit und zugleich der unabhängigen Existenz zum Ausdruck kommt.
Schönstatts für die KircheIm Zeitraum 1947-1950 liegt auch ein Unterschied zwischen den Pallottinern und dem Schönstattwerk im Sendungsverständnis der Kirche gegenüber.
Die Gesellschaft weiß sich dazu verpflichtet, der Kirche durch ihre apostolische Tätigkeit zu dienen.
Im Schönstattwerk wird zunehmend das Bewußtsein wach, daß es dazu noch zu einer Neugestaltung der Kirche beitragen muß, indem es auf Gefahren hinweist, die sie bedrohen und in seiner Spiritualität Wege zeigt, sie zu überwinden.
Die Entscheidung J. Kentenichs, diesen Beitrag zu leisten und die entsprechenden Folgen, die sich für das Schönstattwerk aus der Spannung von Amt und Charisma ergeben könnten, auf sich zu nehmen, wird von einer wachsenden Zahl von Pallottinern als anmaßend empfunden und ist für sie mit dem damaligen Verständnis von Gehorsam nicht zu vereinbaren. Für J. Kentenich steht die Zukunft der Kirche im Vordergrund. Er glaubt sich von Gott berufen, auf konkrete Wege zu dieser Zukunft hinzuweisen und vertritt seine Überzeugung mit ungewöhnlicher Festigkeit. Dies führt zu Mißverständnissen und schließlich dazu, daß sich bedeutende Mitglieder der Gesellschaft von Schönstatt distanzieren. Sie betrachten die Haltung J. Kentenichs als provokativ und taktlos.
[269] Vgl. hier Punkt 3.2.2.
[270] Vgl. hier Anm. 195.
[271] Kentenich, Brief zum 18. Oktober 1948, 7.
[272] Kentenich, Krönung Mariens (Anm. 317), 110.