2 Das Verhältnis Pallottiner – Schönstatt bis 1947

2 Das Verhältnis Pallottiner – Schönstatt bis 1947

Dieses Kapitel beschäftigt sich chronologisch mit einigen wesentlichen Momenten der Geschichte, die Rückschlüsse auf die Entwicklung des Verhältnisses Pallottiner – Schönstatt zulassen, bis zu dem in dieser Arbeit zu behandelnden Zeitraum.

2.1 Die ersten Schritte

Im Juli 1919 verfaßt J. Kentenich für seine Provinzleitung in Limburg eine Denkschrift mit dem Titel: „Zur Gründung eines apostolischen Studenten- und Lehrerbundes und seiner Angliederung an das Mitarbeiter-Institut der Pallottiner“. Er bezieht sich darin auf die Grundidee Pallottis von der Vereinigung und deren Kerngemeinschaften und bringt zum Ausdruck, daß aus seiner Sicht die Gesellschaft in der werdenden Schönstattbewegung als pars motrix et centralis inspiratorische Aufgaben übernehmen sollte.
Der Text dieser Denkschrift wird mit einer kurzen Darstellung der Entwicklung in Schönstatt eingeleitet: Der Marianischen Kongregation schlossen sich während des Krieges fremde Studierende an. Dieser Kreis bildete die sogenannte „Außenorganisation“ der Marianischen Kongregation des Studienheimes; sie nahm an ihrem geistigen Leben teil und übernahm ihre Ziele und ihren Erziehungsstil. Nach Ende des Krieges wollten die auswärtigen Mitglieder in der Organisation weiterarbeiten. Auf diese Tatsache bezieht sich J. Kentenich:
„Sollen wir die Bewegung sich selbst überlassen oder auf ein festes Ziel lossteuern? Die Frage wäre unschwer zu lösen, wenn die deutsche Pallottinerprovinz sich ihrer annähme, die Organisation im Sinne unseres Ehrw. Stifters in einen apostolischen Studenten-, Lehrer- und Akademiker-Bund umwandelte und diesen nach und nach ihrem Mitarbeiter-Institut anschlösse.“[37]
Er weist zudem hin auf die Notwendigkeit des Laienapostolats; nach seiner Vorstellung sollte sich der Bund mit der Schulung und Organisierung der Laien befassen:
„Diese … Lücke auszufüllen, müßte der Hauptzweck des Apostolischen Bundes sein. Er hätte somit eine Aufgabe zu lösen, die sich nicht nur in großen Zügen, sondern bis in Einzelheiten mit den Gedanken unseres Ehrwürdigen Stifters über die Institutio Procurarum deckt. (Brevis historia P.S.M., Seite 17).“[38]
Der Text lenkt ferner den Blick auf wesentliche Elemente des werdenden Werkes, die später eine entscheidende Rolle in der Beziehung Pallottiner – Schönstatt spielen werden, nämlich auf das Heiligtum und mit ihm auf die lokale Zentrierung der Bewegung:
„Bisher war die Bewegung an das alte Michaelskapellchen in Schönstatt geknüpft. Das geschah, um statt einer Person eine Sache in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn die Provinz sich entschließt, nicht von Grund auf neu zu beginnen, sondern die ‚Außenorganisation’ umzugestalten und auszubauen, so müßte darauf – wenigstens in der Übergangszeit – Rücksicht genommen werden. Eine etwa gewünschte Änderung der Zentrale plötzlich vorzunehmen, könnte schwerlich ohne Erschütterung und Gefährdung des Ganzen geschehen. Dafür schließt der Begriff Schönstatt infolge historischer Entwicklung zu viel Imponderabilien in sich, die bei einem so schweren Werk nicht unterschätzt werden dürfen.“[39]
Im Protokoll der Provinzkonsulta vom 18.7.1919 ist vermerkt:
„Der Vorschlag, den P. Kentenich in einer Denkschrift über diesen Bund niedergelegt hat, wird im Prinzip angenommen, da er ganz dem Geiste unseres Ehrw. Stifters und unseres Institutes entspricht.“[40]
Im August 1919 bildet sich der Apostolische Bund in Hörde bei Dortmund.[41] Acht auswärtige Studenten treffen sich dort mit sechzehn Pallottiner-Gymnasiasten und gründen gemeinsam den Apostolischen Bund.[42]
Die Entscheidung der Provinzleitung, die ferner die Freistellung J. Kentenichs für die Arbeit mit dem Bund beinhaltet, steht im vollen Einklang mit dem Versuch der Gemeinschaft, ihre Identität in ausgeprägter Weise zu profilieren.

2.1.1 Skeptische Einstellung der Limburger Provinzleitung

Trotzdem entwickelt sich ab 1919 das Verhältnis zwischen der Apostolischen Bewegung von Schönstatt und der Gesellschaft nicht geradlinig und eindeutig. Es zeichnet sich auf beiden Seiten ein hartes Ringen um Klarheit ab. Im Dezember desselben Jahres findet ein Briefwechsel zwischen J. Kentenich und seinem Provinzial Lettenbauer[43] statt. In ihm fällt Kentenichs Bemühung auf, das werdende Werk in Einklang mit der Idee Pallottis darzustellen. Lettenbauer deutet seinerseits auf die Gefahr hin, die Bewegung könnte ein eigenständiges Gebilde werden, das Kentenich für sich in Anspruch nehmen will.[44]
Weitere offene Fragen beziehen sich auf die Berechtigung der originellen Elemente Schönstatts innerhalb des Gesamtwerkes Pallottis, da sie nicht aus seinem Erbe herzuleiten sind. Im Protokoll der Provinzkonsulta der Limburger Provinz vom 11.11.1920 heißt es:
„Die Konsulta ist der Ansicht, daß Ziel und Geist des Apostolischen Bundes die Ideen unseres Ehrw. Stifters zum Ausdruck bringen. Immerhin glaubt sie, daß in dem Aufruf unseres Ehrw. Stifters die Mittel [Hervorhebung original] der Bewegung nicht erwiesen werden können.“[45]
Die Spannung, die daraus entstanden ist, wird von Skolaster mit folgenden Worten beschrieben: „Daß P. Kolb als Provinzial von Anfang an seine Hand schützend über die von Schönstatt ausgehende Bewegung hielt, ist bekannt. Aber der Provinzial ist nicht die Provinz, noch weniger die Gesellschaft. Unter den älteren Priestern waren nicht wenige, die an der Lebensfähigkeit des jungen Unternehmens zweifelten. Der Bundesleitung lag darum viel daran, die amtliche Anerkennung des Werkes zu erlangen.“[46]

2.1.2 Amtliche Anerkennung der Apostolischen Bewegung durch die Generalleitung

Die offenen Fragen hindern nicht die Eingliederung Schönstatts ins gesamte Werk Pallottis. Auf Anfrage des Provinzials an Cardi[47], den Generalrektor der Gesellschaft, wird von diesem am 2.2.1921 eine erste Approbation des Schönstattwerkes im Sinne der Vereinigung des Katholischen Apostolats ausgesprochen.[48] Als der Heilige Stuhl die Satzungen der Pallottiner nach der Angleichung an das geltende Kirchenrecht am 2. März 1922 prüft und bestätigt, wird diese Anerkennung erneut ausgesprochen. Sie gibt der Schönstattbewegung ihren kirchlichen Rahmen und verwurzelt sie in der Tradition der Kirche.[49]
1925 beschäftigt sich das fünfte Generalkapitel der Gesellschaft[50] mit Pallottis Idee vom Katholischen Apostolat. In diesem Rahmen kommt auch das Thema Schönstatt zur Sprache. Im Protokoll der 9. Sitzung vom 2.6.1925 wird in bezug auf die Apostolische Bewegung von Schönstatt festgehalten:
„Das Generalkapitel billigt also das Werk des Katholischen Apostolates, das in der Limburger Provinz eingerichtet wurde und wünscht ihm bestes Gedeihen.“[51]

2.2 Entwicklungen in den zwanziger und dreißiger Jahren

Der Wunsch des Generalkapitels 1925, das Werk des Katholischen Apostolates möge gedeihen, wurde insoweit erfüllt, als in den zwanziger und dreißiger Jahren die Schönstattbewegung kontinuierlich gewachsen ist. Je nach Grad der Teilnahme und dem Lebensstand strukturiert sich das Werk in Liga, Bund und Verbände und bilden sich die verschiedenen Gliederungen.[52] Auch das Verhältnis zur Gesellschaft der Pallottiner erfährt durch die entschiedene Einstellung der Limburger Provinzleitung eine positive Wende.

2.2.1 Eingliederung des ersten Schönstattverbandes ins Gesamtwerk Pallottis

Aus der Wurzel des Frauenbundes[53] gründet J. Kentenich 1926 mit den ersten Frauen, die sich für eine hauptberufliche Mitarbeit in der Schönstattbewegung freimachen, die Gemeinschaft der Marienschwestern.[54] Ihrer Bitte um Aggregation ans Gesamtwerk Pallottis entsprechend, werden sie als rechtmäßiger Zweig der Gesellschaft vom Katholischen Apostolat anerkannt. Ihr amtlicher Titel lautet von da an „Schönstätter Marienschwestern vom Katholischen Apostolat“[55]. J. Kentenich zeigt im Brief an die Vertreter der Schönstattbewegung zum Oktober 1948 an diesem Vorgang exemplarisch auf, daß die Bewegung sich an Pallotti und seinen Plänen orientiert:
„Aus dieser Grundeinstellung darf es als selbstverständlich betrachtet werden, daß das am stärksten innerlich und äußerlich ausgebaute Glied der Bewegung, das Säkular-Institut der Marienschwestern, sich in gleicher Weise von Anfang an als Glied des Apostolatus Catholicus auffaßte und sich um offiziellen Anschluß an Rom bemühte; später suchte es noch einmal um eine Bestätigung nach.“[56]

2.2.2 Weitere Schritte zur Annäherung

1927 bis 1929 stellt J. Kentenich bei verschiedenen Tagungen die „allgemeine Prinzipienlehre der Apostolischen Bewegung“ dar. Es geht ihm darum, „das klar herauszuarbeiten und festzuhalten, was sich bisher als Profil der Bewegung entwickelt hatte“[57]. Im April 1928 befaßt er sich beim vierten Vortrag einer Einführungstagung für Priester mit dem Zusammenhang Pallotti – Schönstatt, wobei er sowohl die Idee Pallottis als auch den Neuaufbruch in Schönstatt ausführlich behandelt.[58]
Das Jahr 1928 bringt einen wichtigen Einschnitt in der Beziehung der Bewegung zu den Pallottinern mit sich. Im August wird das neue „Bundesheim“ eingeweiht.[59] Damit wird eine besser organisierte Zusammenarbeit der in der Bewegung tätigen Pallottiner möglich.[60]
Tragende Ideen der Schönstattbewegung werden in den 30er Jahren in Liedern, die größtenteils von Limburger Pallottinern stammen, künstlerisch zum Ausdruck gebracht.[61] Seit 1933 gründen die Marienschwestern Niederlassungen in Ländern, in denen deutsche Pallottiner tätig sind, die ihnen apostolische Aufgaben ermöglichen: u.a. in Südafrika, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Chile, in den USA und Australien. Damit nimmt die internationale Ausbreitung der Schönstattbewegung ihren Anfang.[62]
Trotz der Entwicklung im Sinne der gemeinsamen Sendung bleiben einige Fragen weiterhin ungeklärt. Generalrektor Cardi schreibt 1933 mit Begeisterung über die Apostolische Bewegung von Schönstatt, die „das blühendste Werk“[63] des Katholischen Apostolates darstellt, betitelt sie aber nicht als Verwirklichung der Idee Pallottis.

2.2.3 Positive Wende der Limburger Provinzleitung

1931 spricht sich das Provinzkapitel der Limburger Provinz für Schönstatt als vorzüglichstes Mittel für die Verwirklichung der Katholischen Aktion aus und beantragt beim Generalkapitel, die Übereinstimmung der Apostolischen Bewegung mit der Idee Pallottis zu bestätigen.[64]
Am 11.10.1934 weiht sich die Provinz der Gottesmutter von Schönstatt. Sie bekennt im Weihegebet:
„Die Schutzfrau des Werkes, die Königin der Apostel, suchte von neuem unsere Gesellschaft heim, schlug inmitten unserer Provinz im Heiligtum von Schönstatt ihren Gnadenthron auf, um von dort als Dreimal Wunderbare Mutter das Werk fortzuführen, das Du, dreifaltiger Gott, zur Hilfe der Kirche in schwerer Zeit beschlossen.“[65]
Rückschauend kommentiert Menningen diesbezüglich:
„Als der Weiheakt [vollzogen] war, hat es nicht an Stimmen gefehlt, die behaupteten, daß die Provinzleitung ihre Befugnisse überschritten und eine ungesetzliche Neuerung eingeführt habe. Selbst von der damaligen Generalleitung wurden in diesem Sinne Bedenken vorgetragen und Mißfallen geäußert. Der Provinzial P. Baumann hat sich aber zu der Weihe bekannt und ihre Rechtmäßigkeit mit Entschiedenheit verteidigt. So ist es dabei geblieben.“[66]
Die Limburger Provinzleitung verfaßt ferner am 12.11.1935 Richtlinien, um das Zueinander der Schönstattbewegung und der Gesellschaft besser zu regulieren.[67] Sie geht von der Überzeugung aus, daß die Idee Pallottis eine apostolische Bewegung verlangt und legt fest:
„Die Dreifaltigkeitsprovinz erkennt die Schönstattbewegung an als ihre zeit- und sinngemäße Verkörperung der Ideen Pallottis hinsichtlich der Außenbewegung, wozu auch die Förderer gehören, und duldet künftig für ihr Gebiet keine andere Form.“[68]
Bezüglich der Schönstattgebundenheit wird präzisiert, daß sie nicht zum Wesen eines Pallottiners gehört und deshalb niemand dazu verpflichtet werden könne. Doch sei es
„allen Mitgliedern – vor allem denen, die unmittelbar in Schönstatt arbeiten – anzuraten, durch Gebet und Opfer Schönstatt als Gnadenstätte für unsere Provinz aufbauen zu helfen und Gnaden zu erflehen, daß sich recht bald die Idee Pallottis allüberall voll und ganz durchsetzt und verwirklicht.“[69]
Die Verehrung Mariens als „Königin der Apostel“ – Patronin der Gesellschaft und des Gesamtwerkes – sieht die Provinzleitung im Kapellchen zu Schönstatt symbolisch dadurch ausgedrückt, daß „zu beiden Seiten des Tabernakels, unterhalb des Gnadenbildes, die Statuen der Apostelfürsten Petrus und Paulus angebracht wurden.“[70] Bei öffentlichen Gebeten sollte der Anrufung „Dreimal Wunderbare Mutter“ stets auch die Anrufung „Königin der Apostel“ beigefügt werden[71].

2.2.4 Heinrich Schultes Stellungnahme zu Schönstatt

Da der Novizenmeister und spätere Provinzial der Limburger Provinz, H. Schulte[72], eine entscheidende Rolle im Verhältnis Pallottiner – Schönstatt spielt, werden hier wesentliche Ansätze seiner Überzeugung wiedergegeben, die bis in die 50er Jahre hinein einen Einfluß auf die Grundeinstellung der Gesellschaft zu Schönstatt ausüben. Seine Einstellung dazu wird hier dargestellt durch Auszüge aus einem Brief, den H. Schulte 1935 an J. Kentenich schreibt:
„Wenn ich in verantwortlicher Stellung innerhalb der Gesellschaft und vom Standpunkte unserer Gesellschaft aus Schönstatt prüfe auf Gleichheit und Verschiedenheit mit Vinzenz Pallotti, so muß man wohl unterscheiden zwischen dem a11gemeingültigen Wesen, bzw. dem abstrakten Prinzip und der konkreten, lebensmäßigen Verwirklichung.“[73]
Nach der Feststellung mancher Unterschiede in der Verwirklichung der Idee Pallottis aufgrund der verschiedenen Zeit- und Ortsverhältnisse legt Schulte die Übereinstimmungen wie folgt dar:
„Ob nun Schönstatt Pallotti bezüglich der äußeren Bewegung folgerichtig weiter- und zu Ende führt? Auch hier muß man wohl mit Ja antworten. Denn Schönstatt enthält nichts gegen Pallottis Ideen und Prinzipien, enthält explicite oder in vielem implicite alles Wesentliche seines Geistesgutes, und was bei ihm noch fehlt, führt es folgerichtig weiter und zu Ende. Alles Neuartige und Eigenständige Schönstatts liegt auf der Linie Pallottis.“[74]
Schulte setzt sich auseinander mit den originellen Elementen der Spiritualität Schönstatts, vor allem mit dem seit den dreißiger Jahren gängigen Begriff „Schönstattgeheimnis“, der im Kern die Überzeugung vom Wirken Mariens in Schönstatt beinhaltet:[75]
„Die einzige Schwierigkeit finde ich bis heute im ‚Geheimnis Schönstatts’, in der lokalen Bindung ans Heiligtum, darum in diesem, dem Bild und dem Titel.
Das Prinzip der lokalen Bindung in sich bietet auch noch keine Schwierigkeit, weil es ganz auf der Linie pallottischer Ideen liegt, als wichtiges Mittel nämlich, eine große und universale Bewegung mit geistigen Mitteln zusammenzuschließen.
Über Pallotti ganz und gar hinaus geht nur die Tatsache, daß es gerade Schönstatt ist, so daß neben die organisatorische Zentrale der Gesellschaft und Bewegung eine geistig-geistliche tritt und das ganze zur Ellipse dehnt. … Im ‚Geheimnis Schönstatts’ liegt also etwas Neues, das als allgemeines Prinzip zwar auf der Linie pallottischer Gedankengänge liegt, das aber durch die Tatsache der geographischen Trennung der beiden Zentralen dem Ganzen ein neues Äußeres gibt, das Pallotti nicht voraussehen konnte, und sich aus ihm nicht deduktiv ableiten läßt, eben weil es bedingt ist durch ein neues geschichtliches Faktum. Und dieses geschichtliche Faktum ist nicht nur Bestandteil der Geschichte – wogegen ja [an] nichts zu erinnern wäre – sondern wird durch das ‚Geheimnis Schönstatts’ Wesensbestandteil der allgemeingültigen Idee und hat infolgedessen weittragende Folgerungen.“[76]
Diese Folgerungen würden sich ergeben, wenn sich die Gesellschaft der Pallottiner für Schönstatt als ihr Außenwerk entscheidet:
„Es wird nun nur die Alternative bleiben, Schönstatt ganz so zu übernehmen wie es ist oder gar nicht. Wenn aber nicht, dann sieht man gar keine Möglichkeit, wie unsere Gesellschaft in Deutschland ihrer innersten Wesensart entsprechend in eine Apostolische Bewegung auswachsen könnte, zumal die Katholische Aktion ihr aus den Händen genommen ist und sie keinen Anspruch machen kann, diese sich anzugliedern. Verzichtet unsere Gesellschaft aber überhaupt darauf, in eine fruchtbare apostolische Bewegung auszuwachsen, so kann sie zwar als irgendeine Genossenschaft weiterbestehen, mancherlei Gutes wirken und schließlich auch noch einen apostolischen Verein oder Fördererkreis um sich haben; aber sie verliert nach dem Willen und den Prinzipien ihres Gründers ihre innere Existenzberechtigung, denn sie ist von Pallotti in erster Linie gegründet als pars centralis et motrix einer Apostolischen Bewegung, nicht bloß als irgendeine apostolische Genossenschaft. … Der Glaube an die Gesellschaft drängt darum zum Glauben an Schönstatt und muß es darum auch wohl als gottgewollt annehmen, daß die Gesellschaft geistig-gläubig an Schön­statt gebunden wird, ohne an der organisatorisch-rechtlichen Lage etwas zu ändern.“[77]
Ein öffentliches Bekenntnis im Sinne der Einheit Pallottiner – Schönstatt sind die Vorträge, die Schulte im August 1935 anläßlich der internationalen Tagung der pallottinischen akademischen Jugend hält. Diesbezüglich kommentiert Klein, Schulte habe gespürt, „wie die Zeit reif geworden war, ein entscheidendes Wort zu allen Pallottinerstudenten zu sprechen. Die Fratres, die er bei der Tagung vor sich sitzen sah, waren fast alle durch seine Schule gegangen. Sie erkannten in ihm den Mann, der berufen war, ihr gemeinsames Streben zusammenzufassen.“[78]
Die Tagung steht unter dem Motto: „Aus verantwortungsbewußter Liebe und Treue zu Pallottis Werk und Schönstatt wollen wir uns mühen um innere und äußere Einheit in der Gesellschaft und in und mit der Bewegung, durch klar erkannte, tief erlebte und folgerichtig gelebte Eigenart unserer Gemeinschaft und durch engen Anschluß an Schönstatt.“[79]

2.2.5 Sachliche Distanzierung der Generalleitung von Schönstatts Originalität

Der Einfluß Schönstatts auf das katholische Volk nimmt durch seine Breitenwirkung in den 30er Jahren zu und wird in der ordentlichen Seelsorge spürbar, so daß auch Bischöfe sich mit Schönstatt und seinen so genannten „Sonderideen“ auseinandersetzen.[80] Mit dieser abwertenden Bezeichnung werden einige Elemente der Spiritualität Schönstatts in Frage gestellt, wie zum Beispiel das „Schönstattgeheimnis“, das Verständnis der Marienweihe als „Liebesbündnis“, der Glaube an die Sendung Schönstatts für Kirche und Welt.[81] Im Rahmen dieser Auseinandersetzung sendet die Generalleitung der Gesellschaft den Generalkonsultor Resch nach Schönstatt, um J. Kentenich, mit Hinweis auf den gebotenen Gehorsam, zum Verzicht auf die „Sonderideen“ zu bewegen. Wenn auch J. Kentenich „den Abgesandten veranlassen konnte, einstweilen von dieser Forderung Abstand zu nehmen“[82], deutet die Begebenheit doch auf eine sachlich distanzierte Stellung zu Schönstatts Originalität seitens der Leitung der Gesellschaft hin.
Ein offizielles Dokument bringt dies noch deutlicher zum Ausdruck. Im Dezember 1935 erläßt Generalrektor Cardi Richtlinien zur Frage „Pia Societas Missionum et Movimentum Apo[stoli]cum de Schoenstatt“.[83] Die Generalleitung fühlt sich verpflichtet, dieser Beziehung besondere Aufmerksamkeit zu schenken,
„weil die Apostolische Bewegung von Schönstatt, auf Grund ihres Ursprunges und ihrer bisherigen Entwicklung, bei wesentlicher Übereinstimmung mit dem Werke des Ehrwürdigen Stifters doch bedeutende Unterschiede aufweist, die zwar bei den allumfassenden und mannigfaltigen Aufgaben des Außenwerkes Pallottis und der Zeitverhältnisse wegen im Außenwerk selbst leichter geduldet und gutgeheißen – im Innenwerk, der heutigen Gesellschaft, jedoch zur Wahrung der notwendigen Einheit und des Geistes Pallottis nur in beschränktem Maße Geltung haben können.“[84]
Die lokale Gebundenheit an Schönstatt wird durch dieses Dokument nicht als wesentliches Element und Bedingung der Zugehörigkeit zur Apostolischen Bewegung von Schönstatt anerkannt, da sie nicht zum Wesen eines pallottinischen Werkes zählt.[85] „In Anbetracht der bedeutenden Unterschiede zwischen der Gründung Pallottis und der Apostolischen Bewegung von Schönstatt“[86] werden Vokabeln und Redewendungen wie: „Die Schönstattbewegung ist identisch mit dem Werke Pallottis“, „Schönstatt ist das neuerstandene Werk Pallottis“, untersagt. In bezug auf die Verehrung Mariens wird die Bitte ausgesprochen, daß in der Schönstattbewegung Maria „als ‚Königin der Apostel’ besonders verehrt und die Schutzherrschaft der Apostelkönigin über das gesamte Werk Vinzenz Pallottis anerkannt wird“[87].
Das siebte Generalkapitel der Gesellschaft[88] befaßt sich nicht direkt mit Schönstatt. Es billigt aber den Erlaß von Normen zur Förderung einer einheitlichen Entwicklung der Vereinigung des Katholischen Apostolates.[89] Diese bilden gleichsam den Rahmen für die Weiterentwicklung der Apostolischen Bewegung von Schönstatt als Teil des Gesamtwerkes Pallottis.

2.2.6 Rückblick

In dieser ersten Phase des Verhältnisses Pallottiner – Schönstatt ist, allen offenen Fragen zum Trotz, aus dem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit im pallottischen Sinne eine intensive und befruchtende Zusammenarbeit zu verzeichnen. Das Verhältnis nimmt 1919 offiziellen Charakter an. Unter Schönstatt versteht man seitdem eine Bewegung, die im Schoße der Gesellschaft entstand, die aber zur pallottischen Zielsetzung des Katholischen Apostolates eigene Elemente einbringt, die für sie konstitutiv sind. Die verschiedenen Gliederungen, die aus der Bewegung hervorgingen, wissen sich durch das gemeinsame Ziel des Katholischen Apostolats verbunden. Die Limburger Provinz stützt und fördert die Entwicklung des Schönstattwerkes in all seinen Gliederungen; ob es jedoch in allem dem Katholischen Apostolat V. Pallottis entspricht, ist innerhalb der Gesellschaft nicht unumstritten. Besonders die Generalleitung verhält sich diesbezüglich distanziert.


[37]    Archiv Limburg: Dokumente, 29.

[38]    Archiv Limburg: Dokumente, 29.

[39]    Ebd., 32.

[40]    Ebd.

[41]    Vgl. Skolaster, P.S.M. in Limburg a. d. Lahn, 339ff.

Ernst, Teilnehmer der Hörder Tagung 1919, kommentiert 1959 das Ereignis mit dem Hinweis, daß „dort die Apostolische Bewegung aus der Marianischen Kongregation heraustrat und den Weg beschritt, der ihr vorgegeben war: Erzieher- und Erziehungsbewegung zu werden, Schule des Laienapostolates, marianisch-apostolische Gemeinschaft.“ Die Bedeutung der Hörder Tagung, 7.

[42]    Schönstatt betrachtet den Apostolischen Bund als „die erste eigenständige Existenzform des Schönstatt-Werkes.“ Jehle, Bünde: Sch-L, 40.

[43]    Johann Lettenbauer (1877-1928). 1919-1922 Limburger Provinzial.

[44]    Im Brief J. Kentenichs darauf ist zu lesen: „Da ich annehmen darf, daß Euer Hochwürden den Beschluß der Provinzial-Konsulta – den Apostolischen Bund der deutschen Provinz nach und nach einzugliedern – aufrecht erhalten wollen, bitte ich um Auskunft, wie Sie das am zweckmäßigsten ausgeführt wissen möchten … Jedenfalls kommt m. E. viel darauf an, daß der A.B. zwar organisch, aber letzten Endes auch unzertrennlich mit der P.S.M. verbunden wird. So werden u.a. am leichtesten die Gefahren aus dem Wege geräumt, die das Werk etwa für mich selbst haben könnte.“ Zehn Tage später bedankt sich J. Kentenich beim Provinzial für die Antwort auf seinen Brief: „Für Ihre ermutigenden Zeilen vom 12.12. danke ich. Je schneller die Eingliederung geschieht, desto aussichtsreicher dürfte der Erfolg – auch für unsere Gesellschaft – sein.“ Dokumente, 34f.

[45]    Archiv Limburg: Dokumente, 43.

[46]    Skolaster, P.S.M. in Limburg a. d. Lahn, 348.

[47]    Hyazinth Cardi (1876-1956). 1919-1925 und 1931-1937 Generalrektor der Gemeinschaft der Pallottiner.

[48]    Das Dokument lautet: „Das Werk, das in der Niederlassung unserer deutschen Provinz zu Schönstatt bei Vallendar unter dem Titel ‚Apostolische Bewegung zur Verbreitung, Verteidigung und Verinnerlichung des christlichen Lebens’ erstanden ist, deckt sich in seinen wesentlichen Teilen mit dem Institut, das unser Ehrwürdiger Stifter V. Pallotti unter dem Namen ‚Apostolatus catholicus’ im Jahre 1835 gegründet hat und das von den zuständigen kirchlichen Behörden gutgeheißen und vom Apostolischen Stuhl mit Privilegien und Ablässen bereichert worden ist. Es genießt daher die ‚Apostolische Bewegung’ dieselben Vergünstigungen. Möge sie auch weiter gedeihen zu Gottes Ehre und der Seelen Heil.“ Archiv Rom: Dokumente, 51.

[49]    Der Rahmen für die Apostolische Bewegung wurde durch das Recht der Aggregation der Gesellschaft gegeben. Es war der Sache nach in Nr. 3 der Satzungen der Pallottiner genannt. Nach der 1923 von der Gesellschaft herausgegebenen deutschen Übersetzung lautet der Paragraph wie folgt: „Die Obern und Mitglieder sollen sich eifrig bemühen, auswärtige Mitarbeiter zu gewinnen, die, je nach ihren Verhältnissen, durch unentgeltliche Mitarbeit, durch Gebet oder Geldspenden zu den Zwecken des Katholischen Apostolates beitragen und für die Grundsätze der christlichen Lebensauffassung nach Kräften eintreten wollen. Die höheren Obern können solche entweder selbst oder durch andere in den Verein der Mitarbeiter aufnehmen und ihnen die geistlichen Vorteile vermitteln, die vom Hl. Stuhl für sie gewährt sind.“

[50]    Das 5. Generalkapitel findet vom 22.5. bis 4.6.1925 in Rom statt.

[51]    Dokumente, 70.

[52]    Eine Erläuterung des Ausbaus Schönstatts in: Hug / Schmiedl, Schönstatt, Struktur: Sch-L, 350-353.

[53]    Weiblicher Zweig des Apostolischen Bundes, 1920 gegründet.

[54]    Vgl. Buesge, Säkularinstitut der Schönstätter Marienschwestern: Sch-L, 335ff.

[55]    Vgl. Protokoll der Provinzkonsulta/Limburg vom 28.1.1927: Dokumente, 71. Ab 1964 lautet der Name der Gemeinschaft: Säkularinstitut der Schönstätter Marienschwestern – Institutum Schoenstattense Sororum Marialium.

[56]    Kentenich, Brief zum 18. Oktober 1948,8f. Die von J. Kentenich angesprochene spätere Bestätigung erhält die Gemeinschaft durch folgendes Dekret, datiert auf den 7. April 1937: „Gern bestätigen wir die am 20. Oktober 1926 von unserem Vorgänger im Amte gegebene Anerkennung der Marienschwestern vom Katholischen Apostolat mit dem Mutterhause in Schönstatt bei Vallendar am Rhein als eines rechtmäßigen Zweiges der Gesellschaft vom Katholischen Apostolat, die der ehrwürdige Vinzenz Pallotti im Jahre 1835 mit päpstlicher Billigung gegründet hat. Hyacintus Cardi P.S.M., General der Pallottiner – Franz Kilian P.S.M., Generalsekretär.“ Archiv Rom: Dokumente, 146.

[57]    Kentenich, Allgemeine Prinzipienlehre der Apostolischen Bewegung von Schönstatt, 2.

[58]    Vgl. ebd., 61-77.

[59]    Vgl. APSM II, 149f.

[60]    Als Arbeitsteam bilden sie u.a. eine eigene Tischgemeinschaft, was den Austausch miteinander erleichtert. Vgl. Schmiedl, Menningen, 37.

[61]    Vgl. Köster, Pallottiner zu Vallendar-Schönstatt, 10.

[62]    Formell wird die „Schönstätter Internationale“ 1944 gegründet. Vgl. Müller, Internationale: Sch-L, 176.

[63]    Rundbrief an die Gesellschaft über die Förderung der Associatio Apostolatus Catholici vom 8.12.1933: Dokumente, 104.

[64]    Die entsprechende Resolution lautet: „Das Provinzialkapitel sieht in unserer Apostolischen Bewegung, die es geschlossen als Werk der Limburger Provinz betrachtet, das vorzüglichste Mittel, an der Verwirklichung der Katholischen Aktion mitzuarbeiten.“ Archiv Limburg: Dokumente, 99. Das sechste Generalkapitel der Pallottiner findet vom 15.5. bis 1.6.1935 in Rom statt. In der Sitzung vom 22.5.1931 stellt man aufs neue fest: „Sowohl von H. H. Cardi als auch vom letzten Generalkapitel ist anerkannt worden, daß in der Apostolischen Bewegung (von Schönstatt) alle Wesenselemente der Pia Societas Apostolatus Catholici verwirklicht seien.“ Dokumente, 100.

[65]    Ebd., 113.

[66]    Kentenich, Strategie des Liebesbündnisses (Anhang 2), 260. Johannes Baumann (1880-1977). 1931-1941 Limburger Provinzial.

[67]    Vgl. Dokumente, 136f.

[68]    Dokumente, 136.

[69]    Ebd., 136f.

[70]    Ebd.,137.

[71]    Ebd.

[72]    Heinrich Schulte SAC (1901-1980). Als Schüler im Studienheim Schönstatt in Vallendar ist er aktiv an den Anfängen der Apostolischen Bewegung beteiligt. Auch an der Gründungsversammlung von Hörde nimmt er entscheidend teil. Studium und Promotion in Philosophie an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Studium der Theologie in Limburg. 1926 Priesterweihe. 1931-1940 Novizenmeister der Limburger Provinz, 1941-1956 ihr Provinzial. Als solcher gerät er in Gestapo- und KZ-Haft. Als Pallotti-Forscher betrachtet und fördert er die Apostolische Bewegung als zeitgemäße Verwirklichung der Idee Pallottis und richtet deshalb als Erzieher und Oberer die Gemeinschaft auf sie aus. 1952 distanziert er sich von J. Kentenich aufgrund seines freimütigen Verhaltens der Autorität der Kirche gegenüber.

Über wesentliche Züge von Schultes Persönlichkeit vgl. Köster, Der weise war und Weisheit lehrte: PW 3-1980, 60ff.

[73]    Schulte, Brief vom 8.7.1935 an J. Kentenich: Familienbriefe 1, 9-1948, 258.

[74]    Ebd., 259.

[75]    Vgl. Schmiedl, Schönstattgeheimnis: Sch-L, 365.

[76]    Schulte, Brief vom 8.7.1935 an J. Kentenich: Familienbriefe 1, 9-1948, 259f.

[77]    Schulte, Brief vom 8.7.1935 an J. Kentenich: Familienbriefe 1, 9-1948, 260.

[78]    Klein, Mit Blut und Feuer, 88.

[79]    Eigenmann, Geschichte, 36.

[80]    Vgl. Zwischenbericht der Geschichtskommission: dopali 2000, 288.

[81]    Vgl. Schmiedl, Schönstatt, Geschichte: Sch-L, 343.

[82]    Monnerjahn, Ein Leben für die Kirche, 173.

[83]    Vgl. APSM II, 363.

[84]    Dokumente, 141.

[85]    Vgl. ebd., 142.

[86]    Ebd., 142.

[87]    Diesbezüglich ist die Meinung Schultes anders: „Denn die um die Gottesmutter im Heiligtum (Coenaculum) in Schönstatt gescharte Bewegung ist ja nur die konkrete Verwirklichung des geistigen Bildes der Königin der Apostel, in dem Pallotti immer sein Werk dargestellt sah. Daß die göttliche Vorsehung die Gottesmutter nun gerade in Schönstatt Wohnung nehmen ließ, ist ein Faktum, das man nur einfach hinnehmen kann. Also das ganze Heiligtum mit dem Bild der Mater ter admirabilis und der Bewegung drum herum ist das Bild der Königin der Apostel.“ Schulte, Brief vom 8.7.1935: Familienbriefe 1, 9-1948, 260.

[88]    Dieses Kapitel findet vom 7. bis 20.5.1937 in Rom statt.

[89]    In 40 Punkten werden allgemeine Statuten und Normen für das Gesamtwerk und spezielle Normen, die die leitende Stellung der Gemeinschaft der Pallottiner innerhalb dessen darstellen, zusammengefaßt. Vgl. Dokumente, 152-159.