Wie bereits erwähnt, bedeutet das Generalkapitel 1947 einen entscheidenden Schritt im Verhältnis Pallottiner – Schönstatt. Der Weg zu einem gemeinsamen Sendungsverständnis scheint geebnet. Gemäß der Kapitelsbeschlüsse wird V. Pallotti und seine Sendung stärker in den Mittelpunkt des Schönstattwerkes gerückt. Die Vorbereitungszeit auf seine Seligsprechung im Jahr 1950[239] gibt dazu reichlich Gelegenheit. Nicht zuletzt war es das Anliegen J. Kentenichs, V. Pallotti mehr als bisher ins Zentrum des Schönstattwerks zu stellen und die Bedeutung seiner Sendung nach innen und außen zum Ausdruck zu bringen.[240]
Im September 1947 wirbt J. Kentenich in einem Schreiben an seine Mitarbeiter um Einvernehmen für einen Vortrag über die Persönlichkeit Pallottis und seine Bedeutung für Schönstatt, den H. Schulte in der darauf folgenden Oktoberwoche halten sollte.[241] J. Kentenich wollte damit ein eingehendes Studium des Lebenswerkes Pallottis, seiner Ideen und Visionen einleiten.
Die zwei Elemente aus dem Erbe Pallottis, die in Schönstatt eine konkrete Resonanz fanden und finden – das Apostolat aller in der Kirche mit der entsprechenden Organisation, die all diese apostolischen Kräfte bündelt, sowie die gelübdelosen Gemeinschaften als Vermittler zwischen Ordensleuten und Laien – sind für J. Kentenich wesentliche Ansatzpunkte, um Pallotti als charismatische Persönlichkeit, die auf Zukunft hin orientiert ist, darzustellen.
Bereits im Oktober 1947 regt er in einem Brief an die Verbandsleitungen weiter an, V. Pallotti mehr in den Mittelpunkt zu rücken: Bilder von ihm in den Häusern aufzuhängen, sich vertraut zu machen mit seinem Leben und sich für seine Seligsprechung einzusetzen. Insbesondere bittet er J. Wimmer, seine Bemühungen um eine stärkere Hinführung Schönstatts zu V. Pallotti zu unterstützen.[242] Vor allem die Oktoberwoche 1949[243] und der Brief, den J. Kentenich zu diesem Anlaß verfaßt, sind von diesem Anliegen bestimmt.
Das Heilige Jahr 1950 wird in der Schönstattbewegung zu einem „schönstättischen Pallottijahr“ erklärt. Die Tagung für die Vertreter des Schönstattwerkes im Jahr 1949 soll den Auftakt bilden zur Feier des 100. Todestages und damit des Pallotti-Gedächtnisjahres. Sie findet vom 16. bis 21. Oktober in Schönstatt statt und steht ganz unter dem Zeichen Vinzenz Pallottis. Die Vorträge der Tagung dienen der Einführung in Person, Werk und Geist Pallottis. Sie sollen eine gemeinsame Basis mit Blick auf das untrennbare Verhältnis Pallottiner – Schönstatt vermitteln. Die Bedeutung dieser Vorträge wird durch einige herausragende Redner der SAC – K. Hoffmann, Vizerektor und früherer Generalrektor der Gesellschaft, und W. Möhler, Kirchengeschichtler und späterer Generalrektor, – unterstrichen.
Im Eröffnungsvortrag weist Kastner u.a. auf das Ziel dieser „großen Oktoberwoche“ hin: Pallotti tiefer verstehen zu lernen, denn „Pallottis Sendung ist durch ihre [der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt] gütige Fürsprache zum Auftrag und Inhalt unseres Lebens geworden“[244].
Die Vorträge von W. Möhler über die Gestalt Pallottis in der Geschichte, von J. Wimmer über das innerliche Leben Pallottis[245] und von J. Böhr über die Rolle des Mariengeheimnisses im Leben Vinzenz Pallottis vermitteln einen tieferen Einblick in sein Leben und sein Werk. Menningen zeigt die Übereinstimmung zwischen den Idealen Pallottis und der Pädagogik Schönstatts auf, und K. Hoffmann macht auf verborgene „Schätze“, die Marienart, Apostolat und Lebensform der Gründung Pallottis beinhalten, aufmerksam.[246]
Ein deutliches Bekenntnis zur Einheit Pallottiner – Schönstatt sind die letzen Sätze von Hoffmanns Referat. Sie gehen von einem Wort Pallottis aus: „Die Kongregation wird sich weiterentwickeln und von Gott gesegnet sein. Und ihr werdet das sehen. Und das sage ich euch nicht, weil ich das Vertrauen darauf habe, sondern weil ich die Gewißheit habe“[247]. Dieses Zitat wird mit der Schönstattbewegung in Verbindung gebracht:
„Wie Sie aus dem Text klar sehen, handelt es sich bei diesen Worten um die Pallottiner. Aber mir scheint, daß die häufig hier in Schönstatt vollzogenen Zitationen zu Gunsten der Schönstattbewegung zwar mutig, aber durchaus berechtigt waren, denn man kann sich eigentlich die Pallottiner nicht denken ohne die Verwirklichung der Gesamtidee dieser Stiftung in der Art, wie sie sich in Schönstatt entwickelt hat und in der ganzen Welt, auch in Rom, keine Konkurrenz gefunden hat. Somit ist es vielleicht nicht der unmittelbare Sinn, daß dieses Wort des heiligen Gottesmannes Vinzenz Pallotti auf das Schönstattreich anzuwenden sei. Aber ganz gewiß ist es der mittelbare Sinn. Darum, was immer schon gekommen ist und noch kommen mag an Stürmen über dieses Kind – und Sie wissen, es müssen eigentlich noch Stürme über dieses Schönstattkind kommen, denn P. Kentenich hat ja schon oft gesagt, daß Schönstatt ein Sturmkind ist; im Sturme geboren und für den Sturm erzeugt – das muß so kommen. Aber dann und immer wieder wollen wir uns an das Wort Pallottis erinnern, das den Pallottinern gesagt ist und das unbedingt auch ein heiliges Erbe und eine heilige Garantie für das Schönstattwerk, für das Heiligtum der Dreimal Wunderbaren Mutter und alle ihre Kinder ist.“[248]
Anläßlich der Oktoberwoche 1949 verfaßt J. Kentenich, der zu diesem Zeitpunkt in Argentinien weilte, einen Aufsatz über Person und Sendung V. Pallottis im Rahmen der Zeitgeschichte. Sein Anliegen ist es, daß die Schönstattfamilie die Idee Pallottis bejahen möge und sich seiner Person annähere, denn nur so könne seine Idee wirklich verinnerlicht, als geistiges Ziel erkannt und angenommen werden.
Die Ausführungen versuchen, die Person Pallottis auf dem Hintergrund der letzten 400 Jahre der Kirchengeschichte darzustellen, um die „Ansatzpunkte in Pallottis Seele und in der Zeit“[249]herauszuarbeiten. Es handelt sich dabei nicht primär um biographische Einzelheiten, sondern um seine spirituelle Dimension, seine geistige Gestalt und um eine Deutung seines geschichtsschöpferischen Charismas, das in einer entscheidenden Zeitenwende besondere Dringlichkeit erhält. Die zentrale These des Aufsatzes lautet: „Pallotti ist eine große geschichtsschöpferische Persönlichkeit mit einer großen geschichtsschöpferischen Dauersendung am Ende einer großen geschichtlichen Zeitenwende.“[250]
Der Oktoberbrief beinhaltet ferner eine eindeutige Stellungnahme zur Person: „Pallotti, der uns in seiner Beziehung zum Schönstattwerk seit Jahren beschäftigt, steht jetzt im Mittelpunkt unseres Interesses.“[251] Schon im Juli 1949 kommentiert J. Kentenich im Hinblick auf die bevorstehende Oktoberwoche:
„Wir wollen nicht zufrieden sein, ihn [Pallotti] bloß auf den Altären unserer Kirchen, sondern auch mit seiner Person und seiner Idee auf den Altären unseres Herzens zu sehen. Wenn wir an seine Idee denken – so meine ich – sollten wir vor allem die Grundkraft seiner Seele in den Vordergrund rücken, die Liebe, und diese dann darstellen als die Formkraft jedes neuen Menschen und der neuen Gemeinschaft. … Wer fähig ist, den Kern seiner Persönlichkeit herauszustellen, weiß ich nicht. Auch hier dünkt mich, sollte man ihn vor allem als den Heros der Liebe charakterisieren.“[252]
Dieses Anliegen wird im Oktoberbrief deutlich. J. Kentenich macht darin auf wesentliche Elemente der Spiritualität Pallottis aufmerksam, die für die Zeitenwende von großer Bedeutung sind: auf den Umgang Pallottis mit existentiellen Erfahrungen wie Sehnsucht, Demut, Spannung zwischen Schuld und Vertrauen. Vor allem aber läßt J. Kentenich das Gottesbild Pallottis aufleuchten, das geprägt ist vom Glauben an die Realität seiner unendlichen Liebe:
„Der moderne Geist, der den Weg zu Gott zurückgefunden, wird und muß in irgendeiner Weise sein Gottesbild von Pallotti mitprägen lassen. Er wird und muß Gott stärker im Glanze der Unendlichkeit sehen. Dann erst hat er eine beruhigende Antwort auf das moderne Weltgefühl. … Wer aus dieser Haltung heraus Pallottis Person und Lehre auf sich wirken läßt, liest mit innerer Freude sein stammelndes Staunen vor dem Unendlichen, dem Unermeßlichen. Er findet in seiner Person und Seelenhaltung die treffende Antwort auf die tiefsten Sehnsüchte des eigenen Herzens.“[253]
J. Kentenich beabsichtigt zudem, die Persönlichkeit Pallottis noch deutlicher mit der Zeitanalyse, die er im Oktoberbrief vornimmt, zu verbinden.
„Ich bedauere, daß es mir nicht möglich war“, schreibt er an seine Mitarbeiter, „den Brief zu Ende zu schreiben. Das breite Fundament wird später erst verständlich, wenn die Linien überall zu Pallotti gezogen sind. Alle wesentlichen Behauptungen werden dann auf ihn angewandt. … Nun wollen wir unsere Aufgabe darin erblicken, auch seine Persönlichkeit heimzuholen.“[254]
Durch die wachsende Profilierung Schönstatts wachsen auch die Spannungen zu den Pallottinern. Um so wichtiger – so J. Kentenich – ist es, daß sie das Verhältnis der Bewegung zu Pallotti nicht trüben:
„Wir dürfen die inneren Beziehungen zwischen Pallotti und Schönstatt in jetziger Situation nicht außer acht lassen, noch viel weniger verzeichnen. Sonst widersprechen wir der objektiven Seinsordnung und damit dem Wunsch und Willen Gottes und verurteilen uns selber zur Unfruchtbarkeit. Andersgeartete Handlungsweise liegt auch nicht im Sinne Pallottis. … Der Beweis der Übernatürlichkeit der Bewegung dünkt mich viel wuchtiger zu sein, wenn beide Quellen säuberlich ausein-andergehalten werden (Pallotti und Schönstatt). Das Einmünden in das gleiche Strombett wird dadurch wirksamer und umfassender.“[255]
Dieses Anliegen wird am 23. Januar 1950, einen Tag nach der Seligsprechung V. Pallottis, prägnant ausgedrückt. Die Schönstattfamilie, die zu der Feier nach Rom gereist ist, versammelt sich in der Kirche San Salvatore in Onda, in der J. Kentenich mit ihnen Eucharistie feiert. In seiner Ansprache legt er eindeutig Zeugnis davon ab, wie unzertrennbar die Beziehung zu V. Pallottis Person und Sendung zum Schönstattgeheimnis gehört:
„[Es] fällt uns nicht schwer, auch gleichzeitig dieses Liebesbündnis sich ausweiten zu lassen zu einem herzlichen, aufrichtigen, wirksamen Liebesbündnis mit der Person Vinzenz Pallottis. Wir brauchen nicht viel zu sprechen von den inneren Zusammenhängen, brauchen uns nicht zu besinnen auf den Sinn und Zweck eines Liebesbündnisses. Wir wollen uns nur schlicht sagen, kraft dieses Liebesbündnisses gehört die ganze Liebe, die ganze Herzwärme des neuen Seligen uns und unserer Familie. Kraft dieses Liebesbündnisses soll auch unser Herz künftig warm schlagen für seine Person. Es ist etwas Selbstverständliches, daß er der Träger, der Künder und die Verkörperung der Ideen ist, denen wir unsere ganze Liebes- und Lebenskraft geweiht haben. Es ist selbstverständlich, daß nicht bloß die ganze Größe seiner Persönlichkeit uns innerlich weckt und anzieht, sondern auch seine innere Verknüpfung und Verbundenheit mit unserem gemeinsamen Lebenswerk. … Ein Liebesbündnis schließen wir aber auch gleichzeitig mit seinem Werk. Denn das Werk, dem wir unsere ganze Kraft weihten, darf ihn im wesentlichen verehren als Träger und Künder und als Verkörperung. … Deswegen wollen wir uns heute bemühen, erneut unzertrennlich unser gemeinsames Werk zu verknüpfen mit seiner Person und auch gleichzeitig mit seiner Gesellschaft. Seine Gesellschaft hat die ersten Träger der ganzen Bewegung gestellt, und die Bewegung glaubt, daß sie durch das Schönstattgeheimnis der Gesellschaft helfen darf zur Zurückeroberung der ursprünglichen Idee.“[256]
Der „Apostolische Weltverband“Die fruchtbare Zusammenarbeit der Gesellschaft und der Schönstattbewegung ist für J. Kentenich die unbedingte Voraussetzung für die Verwirklichung der großen Vision V. Pallottis, seiner „ursprünglichen Idee“.
J. Kentenich glaubt, daß Schönstatt von Gott einen Auftrag erhalten hat, der auf die Pallottische Idee der „Vereinigung vom Katholischen Apostolat“ hingeordnet ist. Wie im 1. Kapitel dieser Arbeit erwähnt, nimmt J. Kentenich diese Idee 1916 in die Zielsetzung Schönstatts auf.[257]
Er betont, daß diese Entscheidung ein einmaliger Vorgang gewesen sei. Obwohl Schönstatt Elemente aus anderen spirituellen Quellen übernommen habe, stehe die Sendung Pallottis in Schönstatt auf einer besonderen Ebene. Grund dafür sei die Schlüsselstellung, die dem Schönstattwerk innerhalb der pallottischen Vision zukomme: Er gebe sich nicht damit zufrieden, sich an die Idee anzuschließen, sondern glaube vielmehr, kraft des Liebesbündnisses müsse Schönstatt die Verantwortung für ihre Verwirklichung übernehmen.[258] Diese Auffassung begründet zugleich die wesentliche Stellung Pallottis im Schönstattwerk.
Bereits 1927 stellt J. Kentenich in einer Tagung für Bundespriester die Verbindung zwischen der Idee Pallottis von den „Prokuren“ – dessen konkrete Vorstellung der apostolischen Weltorganisation – und dem Heiligtum her:
„Ich habe Ihnen gezeigt, wie von dem Kapellchen der Segen ausging. Nachdem wir das alles allmählich hatten, fing die Idee des Stifters an zu wirken als leitende Idee. […] Hinter dem Werk steht Gott! Das Ganze ist ein Werk Gottes! Wir sind daran, alles von Pallotti wieder zu erobern. […] Nach einigen Jahren wird sich zeigen, wie sich die Prokuren werden entwickeln können. Es kommt nur darauf an, daß wir überzeugt sind, daß es sich hier um ein göttliches Werk handelt.“[259]
Diese weltumfassende Organisation ist für J. Kentenich eine wesentliche Komponente der Sendung V. Pallottis. Mit dem Namen „Apostolischer Weltverband“ gibt er dieser Idee ein konkretes Gesicht: gemeint ist der freiwillige Zusammenschluß aller Kräfte der Kirche, um das gemeinsame Apostolat zu inspirieren und zu koordinieren, bei voller Wahrung der Eigenständigkeit einer jeden Gemeinschaft im Rahmen der kirchlichen Hierarchie, aus der Grundkraft der drängenden Liebe Christi und unter dem Schutze Mariens.[260] Daraus ist zu schließen, daß es nicht um Führung und Macht zwischen den Gemeinschaften gehen kann, sondern darum, die inspiratorischen Kräfte zur Verfügung zu stellen.
J. Kentenichs Vorstellung vom Apostolischen Weltverband umfaßt zwei Säulen. Die erste Säule ist das Schönstattwerk mit seiner föderativen Struktur und – mit Blick auf die in der geltenden Planung der hier zu behandelnden Zeitspanne – mit der SAC als „pars motrix et centralis“.
Die zweite Säule wird von kirchlichen Einrichtungen und Gruppierungen gebildet, die sich dem Apostolischen Weltverband zu einem übergreifenden Ganzen anschließen möchten – mit den Worten J. Kentenichs: … „all das, was sonst in irgendeiner Weise in der Kirche existiert und apostolisch gefärbt ist“[261].
In bezug auf das Organisationsprinzip besteht folgender Unterschied: Pallotti strukturiert nach der Art, Schönstatt nach dem Grad der apostolischen Arbeit.[262]
Zu der Gestaltung des Apostolischen Weltverbandes, die aus Pallottis „Katholischem Apostolat“ entstanden ist und der viele skeptische Stimmen entgegenstanden, bekennt J. Kentenich:
„Für mich war immer der Gedanke: Daran glaube ich (an die Zielsetzung des Apostolischen Weltverbandes), weil ich an Pallotti glaube. Da steckt ein ganz starker Pallottiglaube dahinter.“[263]
J. Kentenich wird nicht müde, die Fügung Gottes zu bewundern, die zwei eigengesetzliche Größen zu einem Ganzen vereint:
„Auch das ist etwas Wunderbares, wie eine Idee, die begraben zu sein schien, an einem anderen Orte wieder neu aufleuchtet und auflebt, bis sich mehr und mehr zeigt, daß das derselbe Liebesplan ist, den die ewige Liebe schon einmal einem großen Mann entschleiert hat.“[264]
J. Kentenich ist sich bewußt, daß sich das Ziel, einen Apostolischen Weltverband aufzubauen und zu gestalten, nicht ohne Spannungen verwirklichen läßt. Die Spannungen beinhalten für ihn ein schöpferisches Element, das einem Lebensgebilde positive und aufbauende Kraft verleiht. Sie verhelfen dazu, sich ständig am Wesentlichen zu orientieren und die Einheit in der Vielfalt zu finden. Bereits bei der Oktoberwoche 1947 bemerkt er diesbezüglich:
„Das ist natürlich, daß ein derartiges Lebensgebilde untereinander spannungsreich sein muß. Es ist ja eine ganze Kirche, was wir vor uns haben. Das Verhältnis muß spannungsreich sein, das heißt aber nicht spaltungsreich, keine Spaltungen.“[265]
Über das schöpferische Potential der Spannungen hinaus vertraut J. Kentenich für die Verwirklichung der Idee vom Apostolischen Weltverband einerseits auf die charismatische Sendung V. Pallottis, andererseits auf die neuen, natürlichen und übernatürlichen Kräfte, die Schönstatt beiträgt:
„An eine Verwirklichung von Pallottis Leitbild ist nur zu denken, wenn Schönstatt als Neugründung mit der ganzen Seele bejaht und verlebendigt wird. … Als neu in diesem Sinn darf aufgefaßt werden: eine neue Erkenntnis-, Lebens- und Organisationsquelle und eine neue Erziehungsweise.“[266]
Mit Lebensquelle meint er das Schönstattheiligtum. Die wesentliche Bedeutung, die J. Kentenich ihm als Gnadenquelle für die Verwirklichung der Idee V. Pallottis beimißt, geht deutlich aus folgenden Worten hervor:
„Die neue Lebensquelle ist unser Heiligtum mit dem bekannten Liebesbündnis. … Ich darf wiederholen, was ich schon so oft gesagt habe: Ohne dieses Liebesbündnis, ohne unser Heiligtum hätte ich persönlich niemals die Hand ausgestreckt nach der Verwirklichung der unvorstellbar großen, ja fast utopischen Idee. Und alles, was ich an Schwierigkeiten auf mich genommen, zielt letzten Endes auf die Sicherung dieser Lebensquelle hin. Dasselbe gilt von allen, die klar sehen. Versickert diese Quelle, steht sie nicht in gebührender Weise im Vordergrund und Mittelpunkt, so darf man abermals an der Durchführbarkeit des Ganzen ernste Zweifel haben.“[267]
Die innere Beziehung, die aus der gemeinsamen Sendung entsteht, läßt J. Kentenich unentwegt bekennen:
„Wenn die Alten in nähere Beziehung zueinander traten – wie etwa bei einem Tauschgeschäft –, so teilten sie vielfach eine Holzscheibe und tauschten die Teile aus. Wer sein Recht geltend machen wollte, mußte die erhaltene Teilscheibe mitbringen und zu dem andern Teil legen. Paßten beide zusammen, so traten die übertragenen Rechte und übernommenen Pflichten in Kraft. Symbol nannte man diese Holzteile, d.h. Sinnbilder, sinnlich wahrnehmbare Zeichen oder Bilder für eine höhere dadurch zum Ausdruck gebrachte Wirklichkeit, für ein eingegangenes geistiges Verhältnis. In ähnlicher Weise dürfen wir uns Gott in seinem Verhältnis zu Pallotti und Schönstatt, Pallotti und Schönstatt aber auch im Verhältnis zueinander vorstellen. … Gott hat einen großen, einheitlichen Plan entworfen, einen Teil davon hat er Pallotti entschleiert, 100 Jahre später Schönstatt den zweiten Teil.“[268]
[239] Der Seligsprechungsprozeß für Vinzenz Pallotti wird am 13.1.1887 durch ein Dekret von Papst Leo XII. eröffnet. 1932 wird das Dekret über den heroischen Tugendgrad Pallottis unterzeichnet. 1949 erfolgt die Approbation der beiden zur Seligsprechung notwendigen Wunder. Am 2. Dezember desselben Jahres findet die Rekognoszierung des Leichnams im Generalat der Pallottiner in Rom statt. Am 22.1.1950 wird Vinzenz Pallotti durch Papst Pius XII. in St. Peter seliggesprochen. Vgl. ASAC 1, 415-438.
[240] Umgekehrt sieht J. Kentenich im Schönstattwerk auch einen Beitrag für die offizielle Anerkennung der Heiligkeit Pallottis. In einem Brief aus der Schweiz, den er an seine Mitarbeiter adressiert, schreibt J. Kentenich bereits im November 1947: „Was wir für die Ausbreitung und Fruchtbarkeit der Bewegung tun, ist imstande, die Seligsprechung Pallottis zu fördern. … Es war immer unsere Auffassung, daß Pallotti erst selig und heilig gesprochen würde, wenn sein Werk sich entfaltet. Deshalb haben wir uns so stark dafür eingesetzt. Jedenfalls diesen Gesichtspunkt immer im Auge behalten.“ Kentenich, Rede nur 1, 104f.
Eine Bestätigung dieser Zusammengehörigkeit wird auch in der Tatsache gesehen, daß das erforderliche Wunder im Zusammenhang mit dem Krankenapostolat Schönstatts zustande kam. Davon berichtet J. Wimmer bei der Oktoberwoche 1949: „Ist es nur Zufall, daß am 18. Oktober die Hauptsitzung für die Seligsprechung Pallottis ist, oder sind da auch innere Zusammenhänge? Zur Seligsprechung werden zwei Wunder verlangt. Das erste wirkte
Pallotti im Jahre 1896 in Rom, dann ließ er die Gesellschaft trotz Betens und Verlangens 54 Jahre warten, bis das Schönstattwerk fertig war, und dann wirkte er das 2. Wunder an einem Mitglied der Schönstattfamilie. Sehen wir hier nicht deutlich das Bestreben Pallottis oder der göttlichen Vorsehung, Schönstatt und die Gesellschaft zu einer Familie zu einen?“ Beiträge zum Pallottijahr 1950, 58.
Über das geschehene Wunder an Margareta Sandner wird von Hecht unter dem Titel „Das Wunder von Nabburg“ ausführlich berichtet in: Familienbriefe 1, 12-1950, 333f.
[241] Vgl. Kentenich: Rede nur 1, 82.
[242] Vgl. ebd., 96.
[243] Vgl. hier Anm. 4.
[244] Beiträge zum Pallottijahr 1950, 13.
[245] Dieses Referat bringt drei interessante Perspektiven für die vorsehungsgläubige Auffassung der Entstehung Schönstatts im Schoß der Gesellschaft:
„1. Von P. Kentenich aus gesehen ist das Werk hier unstreitig eine Neugründung auf Grund obengenannter pallottischer Prinzipien, eine Wahrheit, die nicht verschleiert werden darf, wenn man dem Wirken und den Absichten der göttlichen Vorsehung gerecht werden will.
2. Von Pallotti aus gesehen, ist das Werk von Schönstatt
a) ein Neuaufbruch seines Werkes,
b) die Frucht seiner vielvermögenden Fürsprache im Himmel.
3. Von Gott aus gesehen, war das ein feiner Schachzug, der beiden Teilen die Gelegenheit gibt, in Demut und Liebe sich zu beugen und zu einigen. …
Gehen wir den Absichten und Strahlen der göttlichen Vorsehung nach, so wird uns klar, daß sie auf Pallotti weisen, sein Wirken im Himmel und sein Werk auf Erden aufhellen und die Zusammenschau zwischen seiner Gründung und der Schönstatts ermöglichen. … Ist es nicht eigenartig, daß die Bewegung den Entwicklungsgang des Innenlebens Pallottis aufweist: Marienliebe, Dreifaltigkeitsliebe und Kreuzesliebe (Inscriptio), daß die Idealpädagogik und das Liebesbündnis, das in Schönstatt gelehrt und angewandt wird, schon von Pallotti gelebt wurde … Oft sagte mir P. Kentenich: Wenn Schönstatt fertig ist, wird Pallotti seliggesprochen, und dann wird auch die Bewegung reif sein, ihn zu verstehen.“ Beiträge zum Pallottijahr 1950, 57f.
[246]Eine Auswahl der dargebotenen Referate befindet sich in der Broschüre: Beiträge zum Pallottijahr 1950 – Vorträge aus Schönstatts Oktoberwoche 1949.
[247] Beiträge zum Pallottijahr1950, 96. Das Originalwort von Pallotti in Italienisch lautet: „Io muoio, perchè non sono degno di stare in congregazione. Ma la congregazione andrà avanti e sarà benedetta da Dio. E voi lo vedrete. E questo ve lo dico, non perchè ho fiducia, ma ho certezza.“ Zit. n. ebd.
[248] Ebd.
[249] Kentenich, Oktoberbrief 1949, 29.
[250] Kentenich, Oktoberbrief 1949, 30.
[251] Ebd., 26.
[252] Brief vom 14.7.1949 an Menningen: Kentenich, Rede nur 1, 377.
[253] Kentenich, Oktoberbrief 1949, 112.
[254] Brief vom 11.10.1949: Kentenich, Rede nur 1, 440.
[255] Brief vom 10.9.1949 an Menningen: Ebd., 421.
[256] Kentenich, Die Stellung Pallottis in Schönstatt, 27ff.
[257] Vgl. hier 1.4.3.
[258] Ausführlicher in: Kentenich, Die Stellung Pallottis in Schönstatt, 8f.
[259] Kentenich, Allgemeine Prinzipienlehre der Apostolischen Bewegung von Schönstatt, 75f.
[260] Ausführlicher dazu: Monnerjahn, Studien, 78-96.
[261] Kentenich, Die Stellung Pallottis in Schönstatt, 7.
[262] Vautier, Person und Sendung Pallottis II: Regnum 1995, 114.
[263] Vautier, Person und Sendung Pallottis in der Sicht Pater Kentenichs: Regnum 1995, 67.
[264] Kentenich, Krönung Mariens, 121.
[265] Kentenich, Strategie des Liebesbündnisses, 181.
[266] Kentenich, Brief an Generalrektor Turowski vom 21.3.1953.
[267] Kentenich, Brief an Generalrektor Turowski vom 21.3.1953.
[268] Kentenich, Studie 1952. Zit. n. Vautier, Person und Sendung Pallottis in der Sicht Pater Kentenichs: Regnum 1995, 74.