Schönstatt, Geschichte
Joachim Schmiedl
Die Geschichte der Internationalen Schönstatt-Bewegung ist bis 1968 weitgehend identisch mit der Lebensgeschichte des Gründers, P. >>Kentenich.
1. Ende Oktober 1912 wurde Kentenich zum Spiritual des Studienheims der Pallottiner in Vallendar ernannt. Mit interessierten Schülern gründete er bereits in den Weihnachtsferien 1912/13 einen Missionsverein, der sich zu einer Marianischen Kongregation weiterentwickelte (19. April 1914). Das Gründungsdatum der Schönstatt-Bewegung ist der 18. Oktober 1914. Als >>Gründungsurkunde gilt die Einleitung des Vortrags, den P. Kentenich an diesem Tag vor den Studenten der >>Marianischen Kongregation im Michaelskapellchen hielt. Im Ersten Weltkrieg kamen Mitglieder dieser Kongregation an verschiedene Frontabschnitte und machten religiös interessierte Soldaten mit der Kongregation bekannt. Schriftliches Mitteilungsorgan war die Zeitschrift „Mater ter admirabilis“, in der vor allem Briefausschnitte von Soldaten und Berichte über Ereignisse in Schönstatt zu lesen waren.
2. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stellte sich die Frage, wie es mit der Kongregation weitergehen sollte. J. Kentenich ließ sich für die entstandenen Gruppen freistellen und beantragte bei der Provinzleitung der Pallottiner die Erlaubnis zur Gründung eines „apostolischen Studenten- und Lehrerbundes“. Am 20. August 1919 trafen sich in Dortmund-Hörde einige ehemalige Soldaten und beschlossen in Abwesenheit, aber mit Wissen und Zustimmung P. Kentenichs, die Gründung des Apostolischen >>Bundes. Ein Jahr später folgte die Gründung der Apostolischen >>Liga. Am 8. Dezember 1920 wurde Gräfin Gertraud von >>Bullion als erste Frau in die neue Bewegung aufgenommen.
In den 20er Jahren breitete sich Schönstatt rasch aus. Vor allem unter Lehrerinnen und Lehrern sowie unter Theologiestudenten und Priestern fand es großen Anklang. Kentenich machte sich dabei abhängig von den Anregungen und Wünschen (>>Erkenntnisquellen) der Mitglieder. So entstanden vielfältige Gemeinschaftsformen. Aus dem >>Frauenbund wurden 1926 die >>Marienschwestern gegründet, 1938 die >>“Frauen von Schönstatt“. Eigene Gruppierungen für Mädchen und Studentinnen, unverheiratete und verheiratete Frauen, für Gymnasiasten und Männer entstanden. Auch für eine Familienbewegung sind erste Ansätze zu verzeichnen.
Das „Marianische Volksjahr“ 1934 (>>Jahresparole) war, bereits unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Diktatur, die vorerst letzte Gelegenheit zu öffentlichkeitswirksamer Darstellung. Viele Einkehrtage, Volksmissionen und marianische Triduen wurden gehalten sowie Bildstöcke errichtet und Bilder der Gottesmutter von Schönstatt in Kapellen und Kirchen angebracht. Der aufkommende Nationalsozialismus, der Gedanke einer weltweiten Sendung seiner Gründung und die Sicht P. Kentenichs von einer wachsenden Bedeutung der außereuropäischen Teilkirchen gaben den Ausschlag, dass der Gründer auf Bitten aus dem Ausland einging und ab 1933 Marienschwestern nach Südafrika, Brasilien, Argentinien und Chile aussandte.
3. Die auch in Schönstatt spürbare Kirchenfeindlichkeit des Nationalsozialismus und Anfragen von Seiten des Bischöflichen Ordinariats in Trier sah P. Kentenich als Signal an, sich im Sinne einer Klärung des Selbstverständnisses auf die Grundlagen der Bewegung zurückzubesinnen. In den Jahren 1935 bis 1938 wurden einige Elemente der Spiritualität Schönstatts unter der abwertenden Bezeichnung „Sonderideen“ Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen J. Kentenich und den Bischöflichen Ordinariaten Limburg und Trier. Es handelt sich um die lokale Gebundenheit an das >>Heiligtum, das Verständnis der Marienweihe als >>Liebesbündnis, die „Beiträge zum >>Gnadenkapital“ und den Glauben an die >>Sendung Schönstatts für Kirche und Welt. Die Stellungnahmen Kentenichs brachten eine theologische Vertiefung „im Glauben an die besondere Wirksamkeit der Gottesmutter in Schönstatt“ (TxtSchö, 28).
Die großen Tagungen mussten eingeschränkt werden. Die Hauptarbeit des Gründers richtete sich auf die Formation der >>Verbände und vertieftes religiöses Wachstum (>>Blankovollmacht, >>Inscriptio). Das verdeutlicht auch die aus Tarnungsgründen gewählte neue Selbstbezeichnung der Bewegung als „Marianische Gebets- und Opfergemeinschaft“.
Eine Reihe von Mitgliedern der Schönstatt-Bewegung war Verfolgungen durch den Staat ausgesetzt. Neben schikanösen Maßnahmen, wie Strafversetzungen, Predigtverbot und Hausdurchsuchungen, wurden einige auch verhaftet und in Konzentrationslager eingeliefert. Zu ihnen gehörten enge Mitarbeiter P. Kentenichs wie P. Josef Fischer und P. Albert >>Eise, der Bewegung angehörende Priester (Heinz >>Dresbach, Heinrich König, Karl >>Leisner u. a.), aber auch Laien wie Lotte >>Holubars. Ein weiterer Mitarbeiter, P. Franz >>Reinisch, verweigerte als einziger Priester den Wehrdienst und den Fahneneid auf Hitler und wurde dafür mit dem Tod bestraft.
Am 20. September 1941 wurde der Gründer selbst verhaftet und nach einer Zeit im Gefängnis Koblenz in das KZ Dachau eingeliefert. Die Bewegung musste bis zum Ende des Krieges im Untergrund weiterexistieren.
Trotzdem wurden diese Jahre zu einer „Hoch-Zeit“ (P. Kentenich) für die Schönstatt-Bewegung, in der entscheidende Gründungen getätigt und wichtige inhaltliche Weichenstellungen getroffen wurden. So wurden u. a. Gemeinschaften für Familien und Brüder gegründet und es fanden Priester aus verschiedenen europäischen Ländern den Weg zu Schönstatt (>>Internationale).
4. Als P. Kentenich am 20. Mai 1945 wieder nach Schönstatt zurückkehrte, hatte er drei Ziele, die die Entwicklung der Bewegung in den folgenden Jahren prägten:
- Er wollte die Ansätze der internationalen Bewegung in der Schweiz, in Südafrika, Südamerika und den USA stärken. Zu diesem Zweck unternahm er von 1947 ab ausgedehnte Weltreisen.
- Damit verbunden war das Ziel einer Einwurzelung der Bewegung in die jeweiligen Länder. Um die originalgetreuen Nachbildungen des Schönstatt-Heiligtums, zuerst in Südamerika und Südafrika, ab 1950 auch in Deutschland, entstanden neue Zentren der Bewegung.
- Schließlich ging es dem Gründer um die Klärung des Status für die neue Form einer geistlichen Bewegung in Leben und Recht der Kirche. Die Marienschwestern wurden 1948 als erstes deutsches Säkularinstitut kirchenrechtlich anerkannt. Als Folge einer Visitation der Marienschwestern durch den Trierer Weihbischof Dr. Bernhard >>Stein, die P. Kentenich zu seiner „Studie“ vom 31. Mai 1949 herausforderte, wurde das Schönstatt-Werk einer kirchenamtlichen Prüfung unterzogen. Es kam zu einer Neubesinnung auf die originellen geistigen Wurzeln der Bewegung (>>Kontaktstellen). Die Periode zwischen 1949 und 1952 ist zum einen durch Bemühungen um einen positiven Ausgang der vom „Heiligen Offizium“ durchgeführten zweiten Visitation (1951-1953) und zum anderen durch ein Wachstum in der inneren Verfügbarkeit für den Willen Gottes in dieser Prüfungssituation gekennzeichnet.
5. Von 1951 bis 1965 war P. Kentenich auf Veranlassung des Heiligen Offiziums von seiner Gründung getrennt. An seinem zugewiesenen Wohnsitz in Milwaukee/USA war ihm der Kontakt mit seiner Bewegung genommen. Für Schönstatt waren diese Jahre eine schwere Zeit. Viele Mitglieder waren Diffamierungen durch kirchliche Autoritäten ausgesetzt, die in der Bewegung tätigen Pallottiner-Patres mussten zum Teil ihre Aufgaben und den Ort Schönstatt verlassen.
In Deutschland verlagerte sich der Schwerpunkt der Tätigkeit der Schönstatt-Bewegung in die Diözesen. Es entstanden lokale Schönstatt-Zentren, an denen die am Ort Schönstatt schwierig gewordene Inspirationsaufgabe wahrgenommen werden konnte.
Die 50er und 60er Jahre veränderten das Gefüge der Bewegung erheblich. Waren bis dahin neben den Marienschwestern vor allem Pallottiner-Patres für die Leitung und Begleitung der Schönstattgemeinschaften zuständig gewesen, so brachte es die „Leitbildfrage“ (>>Pallotti und Schönstatt) mit sich, dass viele aus den Reihen der Pallottiner den Weg nicht weiter mitgehen konnten. Am 12. Oktober 1964 wurde durch die Religiosenkongregation das Schönstatt-Werk von der „Gesellschaft vom Katholischen Apostolat“ (Pallottiner) rechtlich getrennt und für autonom erklärt. Am 18. Juli 1965 wurde für die Pallottiner, die weiterhin für Schönstatt tätig sein wollten, und für Diözesanpriester, die für den Dienst an der Bewegung freigestellt sein wollten, auf deren Initiative das Säkularinstitut der >>Schönstatt-Patres gegründet.
6. Am 13. September 1965 wurde P. Kentenich überraschend durch ein Telegramm nach Rom gerufen. Die gegen ihn erlassenen Dekrete wurden – ohne dass die inhaltlichen Fragen angesprochen und geklärt worden wären – aufgehoben. Am 24. Dezember 1965 konnte P. Kentenich nach Schönstatt zurückkehren.
Die verbleibenden fast drei Jahre bis zu seinem Tod schenkten ein vertieftes familienhaftes Miteinander zwischen Gründer und Gründung, Vater und Familie. P. Kentenich hielt viele Vorträge, Tagungen und Exerzitien für die verschiedenen Gemeinschaften der Bewegung. In der Aufbruchs- und Unsicherheitsphase nach dem Zweiten Vatikanum kam es ihm auf eine positive Einstellung seiner Bewegung zum Konzil und der nachkonziliaren Sendung der Kirche an. Ein weiterer Akzent galt der Auswertung der vierzehnjährigen Trennung des Gründers von der Bewegung.
7. Nach dem Tod des Gründers am 15. September 1968 setzte sehr schnell eine Verehrung seiner Person ein. Die >>Anbetungskirche wurde zu einem wichtigen Zentrum der Bewegung und das Gründergrab an seiner Todesstelle in der ehemaligen Sakristei derselben zog viele Menschen an. Zwei Ereignisse prägen die Phase der Zeit unmittelbar nach dem Tod P. Kentenichs: Ausdruck des Dankes für eine 60jährige Geschichte und gleichzeitig Symbol für einen hoffnungsvollen Aufbruch in die Zukunft war die Krönungsfeier der internationalen Schönstatt-Bewegung zu Ehren Marias als der „Dreimal wunderbaren Siegerin von Schönstatt“ am 20. Oktober 1974 in der Anbetungskirche in Schönstatt. Am 10. Februar 1975 wurde in Trier der Informativprozess zur Seligsprechung P. Kentenichs eröffnet.
In diese Jahre fallen auch die päpstliche Anerkennung der Schönstätter Marienschwestern, der Frauen von Schönstatt, der Schönstatt-Patres und des Schönstatt-Instituts Diözesanpriester sowie die bischöfliche Anerkennung der Marienbrüder als Säkularinstitute.
Es kam zu einer neuen und verstärkten Akzentuierung der nationalen Schönstattfamilien. Vor allem in Lateinamerika wurde aufgrund des zahlenmäßigen Wachstums die rechtliche Struktur der Bewegung neu geordnet und eine lebensmäßige und juristische Unabhängigkeit von der Schönstatt-Bewegung in Deutschland erreicht. Dieser Prozess der Inkulturation Schönstatts in außereuropäische Kulturbereiche ist voll im Gang.
Das Gedenkjahr zum 100. Geburtstag des Gründers 1984/1985 machte die Größe und Vielfalt der internationalen Schönstatt-Bewegung sichtbar. Die Neubesinnung auf den durch P. Kentenich übertragenen Auftrag für die Kirche der Gegenwart und Zukunft vereinte Vertreter der Bewegung aus aller Welt zu einer Festwoche in Schönstatt und zu einer Fahrt nach Rom. Am 20. September 1985 empfing Papst Johannes Paul II. die Schönstatt-Bewegung in einer eigenen Audienz und bestätigte das Charisma des Gründers und der geistlichen Bewegung Schönstatt.
Schönstatt ist geworden in ständigem Aufnahmen von Zeitströmungen und Anregungen von Seiten der Mitglieder der Bewegung. Für die 20er und 30er Jahre weist P. Kentenich darauf hin, wie er im Dialog mit der Zeit die wesentlichen Impulse der damaligen inner- und außerkirchlichen Aufbrüche aufgenommen hat, der Jugendbewegung (vgl. Seelenführerkurs „Zur Psychologie der Jugend“ von 1926), der Liturgischen Bewegung (vgl. „Liturgische Exerzitien“ von 1927 und die Exerzitien über „Liturgische Werktagsheiligkeit“ von 1938/39), der mystischen Bewegung (vgl. Seelenführerkurs über Mystik von 1927) und der Bibelbewegung (vgl. Exerzitienkurs „Der erlöste Mensch“ von 1935/36). P. Kentenich ließ sich in seiner anthropologischen Konzeption herausfordern durch den Kommunismus und den Nationalsozialismus. In beständiger Reflexion entwickelte er kreative Gegenkräfte zur Überwindung dieser Ideologien. Seine eigene Intuition für pädagogische Zusammenhänge und wichtige Forschungserkenntnisse der neueren >>Pädagogik und >>Psychologie setzte er in seiner Bewegung ins Leben um. Immer ging es ihm darum, den Menschen auch in den tieferen Schichten seiner Seele zu erfassen, um ganzheitlich geprägte Persönlichkeiten für den apostolischen Auftrag des Christen von heute zu formen.
Von Anfang an gehört es bei allem apostolischen und gesellschaftlichen Engagement der Schönstätter und der ganzen Bewegung mit zur Grundcharakteristik der Gründung P. Kentenichs, dass dem Bemühen um Innerlichkeit, um eine lebendige Gottesbeziehung, um eine tiefe Marienfrömmigkeit und einen dauernden Dialog mit dem „Gott des Lebens“ erste Priorität eingeräumt wird. Die übernatürliche Ausrichtung im Sinne einer „Gnadenbewegung“ von Gott auf den Menschen zu und vom Menschen zu Gott zurück zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Schönstatt-Bewegung. Im Blick auf sie spricht P. Kentenich von einem „Einbruch des Göttlichen“, von einem göttlichen Charakter Schönstatts. Er fasst darunter die Erfahrung der erlebten und erspürten Gegenwart des „Gottes des Lebens und der Geschichte“ vor allem in den Schlüsselereignissen der Bewegung (>>Meilensteine). Die Geschichte Schönstatts ist nach P. Kentenich nicht zu erklären ohne diese Überzeugung von der fortwirkenden Bundestreue Gottes.
>Schönstatt, Ort >>Schönstatt, Struktur
Literatur:
- E. Monnerjahn, Ein Leben für die Kirche, Vallendar 1975
- ders., Häftling Nr. 29392, Vallendar 1972
- Welch ein September, Vallendar 1986
- Ein Charisma für die Kirche, Vallendar 1985
- G. Pollak, Ein Netz durch Kontinente und Völker, Chroniknotizen zum Pater-Kentenich-Gedenkjahr 1985, Regnum 20 (1986) 36-44
- G. Rocca, Art. Schönstatt, in: Dizionario degli Istituti di Perfezione VIII, Rom 1988, 1060 1064
- A. Stosiek, Art. Schönstatt-Bewegung, in: Marienlexikon, Band 6, St. Ottilien 1994, 53 f.
Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de