Weltapostolatsverband
Paul Vautier
1. Der Weltapostolatsverband als Idee Pallottis
2. Der Weltapostolatsverband als Zielsetzung Schönstatts
2.1. Geschichtlich
2.2. Konzeption des Weltapostolatsverbands in Schönstatt
– Übernahme und Modifikation
– Grundideen
3. Perspektiven
1. Der Weltapostolatsverband als Idee Pallottis
Der hl. Vinzenz >>Pallotti (1795 1850) hat nicht nur im allgemeinen die Idee des Laienapostolates (>>Apostolat) vertreten, sondern hat auch Organisationen und Gemeinschaften gegründet, um dieses zu fördern. 1835 gründete er das „Katholische Apostolat“, eine Vereinigung, der jeder Katholik beitreten konnte. 1839 schrieb Pallotti eine ausführliche Beschreibung seiner Idee nieder. Er gründete selbst eine Schwesterngemeinschaft (1838) und 1846 eine Priestergemeinschaft, die für die große Vereinigung „l’anima e la parte motrice“ (Seele und bewegender Kern) sein sollte (>>Pallottiner). Im „Katholischen Apostolat“ sollten sowohl einzelne Gläubige wie auch Gemeinschaften und Vereine usw. für die Zusammenarbeit locker zusammengeschlossen werden (Aggregation).
Die Beschreibung von 1839 enthält auch einen Organisationsplan. Pallotti denkt an eine Strukturierung nach Sachbereichen (Jugend, Caritas, Kranke ect.) sowie nach Pfarreien und Diözesen (Einteilung in je 13 „Prokuren“).
Das „Katholische Apostolat“ Pallottis, das in Rom bald eine rege Tätigkeit entfaltete, wurde vom Lyoner Sammelverein für die Missionen als Konkurrenz empfunden. Dieser erreichte 1838 fast die Aufhebung der Gründung Pallottis. Die bestehenden Gemeinschaften standen der Idee einer möglichst umfassenden Vereinigung skeptisch gegenüber, wenn sie auch Pallotti die geistliche Gemeinschaft nicht verwehrten. Es blieb ihm nicht viel anderes übrig, als sich auf die Gründung seiner Kerngemeinschaften zu konzentrieren.
Nach einer Phase erster Ausbreitung nach dem Tode Pallottis hatte seine Priestergemeinschaft viele interne Schwierigkeiten. Zielsetzung und Form der Gemeinschaft blieben kontrovers.
In Deutschland ließen sich die Pallottiner nach dem Kulturkampf als Missionsgemeinschaft nieder und übernahmen die Mission in Kamerun (die Missionstätigkeit wurde später in Südafrika und Australien weitergeführt). Nach dem ersten Weltkrieg mussten sich die deutschen Pallottiner nach andern Tätigkeiten umsehen. Die Frage nach den Zielvorstellungen Pallottis wurde wieder akut. Von diesem Zeitpunkt an ist die Idee des Weltapostolatsverbandes auch mit der Schönstattgeschichte verknüpft. In den letzten Jahren ist bei den pallottinischen Gemeinschaften die Idee des katholischen Apostolates wieder lebendiger geworden; 1985 wurde die „Unio“, die Vereinigung der pallottinischen Gemeinschaften, gegründet.
2. Der Weltapostolatsverband als Zielsetzung Schönstatts
2.1. Geschichtlich
Das Schönstattwerk ist aus der Tätigkeit P. Kentenichs als Spiritual der Nachwuchsschule der Pallottiner in Schönstatt herausgewachsen und war auf diese Weise mit dem hl. Vinzenz Pallotti verbunden. Die beherrschenden Gedanken der beginnenden Gründung das Pädagogische, das Marianische und das Apostolische waren aber maßgeblich von P. Kentenich und dem Gedankengut der >>Marianischen Kongregation geprägt. P. Kentenich stand mit dem, was er begann, von Anfang an in großer Spannung zu seinen Mitbrüdern. 1915/16 kommt es zu einer kritischen Anfrage des damaligen Generals P. Gissler, die für ihn Anlass zu einer grundsätzlichen Stellungnahme war. Im Frühjahr 1916 entschied er sich, die Idee Pallottis einer weltweiten Föderation als Ziel bewusst anzuvisieren und teilte das auch seinem engsten Mitarbeiter mit (Brief vom 22.5.1916, in: UdSchM, 340 ff.). Der Weltapostolatsverband hat ihn von diesem Zeitpunkt an immer als Zielvorstellung begleitet und den Aufbau der Schönstatt-Bewegung strukturell bestimmt. In den Kursen der zwanziger Jahre stellte er seine Gründung als „Neuaufbruch der Idee Pallottis“ dar. Als Pius XI. 1925 die Katholische Aktion begründete, stellte P. Kentenich sofort die Ähnlichkeiten dieser Initiative mit der Idee Pallottis und der Schönstatt-Bewegung dar. Er betonte, dass Pallotti mehr als nur Mission und universelles Apostolat wollte, und dass die Schönstatt-Bewegung die ursprüngliche Idee Pallottis zu verwirklichen anbiete; so wollte er die Pallottiner als Kerngemeinschaft in und für das Schönstattwerk gewinnen. Eine wichtige Zeit für die Annäherung war die gemeinsame Haft P. Kentenichs und des Pallottiner-Provinzials Heinrich Schulte im KZ Dachau. 1947 bestimmte das Generalkapitel der Pallottiner, Schönstatt sei als zeitgemäße Form des katholischen Apostolates zu betrachten. Innerhalb der deutschen Pallottiner hatten die schönstättisch ausgerichteten Mitglieder mittlerweile ein großes Gewicht gewonnen. 1949 begannen dann die kirchlichen Auseinandersetzungen um Schönstatt, in deren Verlauf die Frage des Weltapostolatsverbandes, als dessen Neuansatz sich das Schönstattwerk verstand, wieder kontrovers wurde. Schönstatt hielt an der Zielstellung Pallottis, so wie P. Kentenich sie verstanden, modifiziert und übernommen hatte, fest, während wichtige Vertreter der Pallottiner das universelle Apostolat als Ziel und die Idee Pallottis einer auch organisatorisch greifbaren Vereinigung als Utopie bezeichneten bzw. als Ziel ablehnten. Die Trennung zwischen Schönstatt und den Pallottinern 1964/65 wurde auch durch diese Differenz mitbestimmt. Konsequenterweise hat Schönstatt auf der Kontinuität zu Pallotti bestanden und am Ziel des Weltapostolatsverbands festgehalten, auch nach der Trennung von den Pallottinern.
2.2. Konzeption des Weltapostolatsverbands in Schönstatt
– Übernahme und Modifikation – P. Kentenich hatte von der Idee Pallottis anfangs nur eine sehr umrisshafte Vorstellung. Die Quellen waren gar nicht zugänglich; bekannt war ihm eine kleine Zusammenfassung des Prokurensystems. P. Kentenich entschied sich trotzdem sehr bald, die Grundidee einer föderativen Zusammenarbeit der apostolischen Kräfte zu übernehmen und sich dafür einzusetzen. Das Prinzip des Prokurensystems, eine Organisation nach der Art oder dem Bereich des Apostolats, gab er auf und strukturierte seine Bewegung im Blick auf das Apostolat und das Heiligkeitsstreben nach Art und Grad der Gemeinschaftsbindung. Er glaubte sich zu diesen Änderungen berechtigt, weil Pallotti die zeitgemäße Anpassung gefordert habe. In der Verwirklichung der Grundidee ging also P. Kentenich selbständige Wege. Auch später studierte er Pallottis Schriften kaum. Die mündlichen Informationen, die aus dem Kontakt mit Pallottiforschern wie H. Schulte, A. Ziegler und M. Trevisan resultierten, übten keinen bestimmenden Einfluss auf seine Strategie aus.
– Grundideen – Der Weltapostolatsverband soll die föderative Zusammenarbeit aller apostolischen Kräfte der Kirche ermöglichen. Der Verband ist daher streng föderativ gedacht, d.h. hat keine Leitungskompetenz. Die einzelnen Mitglieder, Gruppierungen und Gemeinschaften verlieren nichts von ihren Rechten und ihrer Eigenständigkeit. Hingegen sollen die apostolischen Aktivitäten gefördert, koordiniert und beseelt werden. Dieses Ziel bedingt einerseits, dass die Organisation offen ist für die verschiedensten Arten von Mitarbeitern (Einzelne, Gemeinschaften, Vereine, Bewegungen, diözesane und überdiözesane Organisationen usw.). Andererseits muss vermieden werden, dass der Verband eine Art kirchlich-hierarchische Leitungsinstitution wird. Das würde die selbständigen Gemeinschaften von der Mitarbeit abhalten und eine Konkurrenz zur Hierarchie aufbauen.
Die Idee und Entwicklung der Katholischen Aktion hat nach Meinung P. Kentenichs gezeigt, wo Sinn und Grenzen einer solchen Organisation liegen. Die Förderung und Zusammenarbeit auf apostolischem Gebiet ist für die Kirche wichtig und nützlich. Wenn die Aktion aber zu hierarchisch autoritär geführt wird, hält sie die bestehenden Gruppierungen von einer Mitarbeit ab und erstickt leicht Initiativen. Ebenfalls hat sich gezeigt, dass eine solche Aktion ohne eine beseelende Kerngemeinschaft kaum lebendig zu erhalten ist eine Funktion, die die amtlichen Instanzen der Kirche normalerweise nicht erfüllen können. Die Schönstatt-Bewegung soll daher nach Meinung P. Kentenichs aufzeigen, dass ein streng föderalistisches, weltweites apostolisches Gebilde möglich und fruchtbar ist, und soll die sich verantwortlich fühlende beseelende Kerngemeinschaft stellen. In diesem Sinne hat P. Kentenich von Schönstatt als dem „ersten Flügel“ des Weltapostolatsverbands gesprochen, in dem das Ganze schon einmal erprobt wird, und dem zweiten Flügel, in dem sich alle interessierten Mitglieder zusammenschließen.
Als Modell für den Weltapostolatsverband ist daher die Schönstatt-Bewegung selbst streng föderativ aufgebaut. Sie stellt eine Föderation verschiedenster Gliederungen dar: von der breiten Bewegung an der Basis, in der viele Einzelne angesprochen werden und in der nur eine minimale Verpflichtung zum Apostolat nötig ist, bis zu den Säkularinstituten, wo das Apostolat zum Beruf wird und im Rahmen einer kirchlichen Gemeinschaft gesichert wird. An der Basis will Schönstatt eine in die Pfarrei und Diözesanstruktur eingebundene apostolische Bewegung aufbauen.
Die Ausgestaltung des Weltapostolatsverbands im einzelnen wird sich den Bedürfnissen der jeweiligen kirchlichen Situation anpassen müssen.
3. Perspektiven
P. Kentenich betonte, dass eine Zusammenarbeit der apostolischen Kräfte in der Kirche sehr schwer und nur sehr langsam zu verwirklichen ist und von vielen als utopisch oder nicht realisierbar angesehen wird. Er hat trotzdem an dieser Idee festgehalten im Glauben an die Sendung des hl. Vinzenz Pallotti und im Glauben an die Gnade der apostolischen Fruchtbarkeit, die er aus dem Heiligtum der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt in der Kraft des >>Liebesbündnisses erwartete. Ein solches Ziel ist seiner Meinung nach ohne den Glauben an einen ganz besonderen Gnadeneinbruch nicht realisierbar. P. Kentenich hat ähnlich wie Vinzenz Pallotti zunächst die Entwicklung seiner Kerngemeinschaften gefördert, damit diese Idee und Ziel des Weltverbandes geschichtlich weitertragen und verwirklichen. Seiner Meinung nach ist unsere Zeit für solche Vorhaben viel offener als das 19. Jahrhundert.
Zu dieser Ansicht P. Kentenichs kann man wohl bestätigend anführen, dass ich sich in unserer modernen Gesellschaft nicht nur neue Notwendigkeiten, sondern auch Möglichkeiten und Modelle politischer, wirtschaftlicher und caritativer Zusammenarbeit (z.B. UNO, UNICEF, GATT, IKRK) gezeigt haben. Auch im kirchlichen Bereich sind viele Organisationen für die Zusammenarbeit entstanden und gewachsen (Bischofskonferenzen, Räte, regionale und weltweite Hilfswerke, ständige Kommissionen, Ausbildungsinstitute etc). Die neuen geistlichen Aufbrüche, die Communio-Strömung und die weltweiten Impulse zu Neuevangelisierung und Inkulturation nähren die Hoffnung, dass die Zeit für die Pläne Pallottis arbeitet.
Literatur:
- J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: J. Kentenich, Texte zum Verständnis Schönstatts. Herausgegeben von Günther M. Boll, Vallendar-Schönstatt 1974, 148-228, 202 213
- J. Kentenich, Gedanken zum Weltverband (1960), verv. A 4, 20 S.
- Kastner, Ferdinand, Unter dem Schutze Mariens. Untersuchungen und Dokumente aus der Frühzeit Schönstatts 1912-1914, Limburg 1939 (1952), 340 ff.
- F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, Paderborn 31940, 341 ff.
- Zentrale Begriffe Schönstatts. Kleiner Lexikalischer Kommentar. Nach Schriften und Vorträgen Pater Josef Kentenichs bearbeitet von Herta Schlosser, Vallendar-Schönstatt 1977, 134
- E. Monnerjahn, Ein Leben für die Kirche, Vallendar 1975, 84 ff.
- L. Penners, Eine Pädagogik des Katholischen, Vallendar 1983, 160 ff.
- ders., Führt der WEG Schönstatts zum Weltapostolatsverband?, Oktoberwoche 1994, 52-78
- Über das „Katholische Apostolat“ Pallottis:
- H. Schulte, Vinzenz Pallottis katholisches Apostolat, Limburg 1947
- Gestalt und Geschichte des „Katholischen Apostolates“, 3 Bde., Limburg 1971 ff.
Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de