Gewissen
Herta Schlosser
1. Begriff und Bedeutung
2. Gewissensauffassung Pater Kentenichs
1. Begriff und Bedeutung
Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze werden drei wesentliche Elemente des Gewissensbegriffes anerkannt: 1) Das Gewissen bindet den Menschen unbedingt, seinem Gewissen muss er gehorchen. 2) Der Mensch kann ein irriges Gewissen haben, dem er allerdings ebenso unbedingt verpflichtet ist, bis er des Irrtums überführt wird. 3) Der Mensch hat die Pflicht, sein Gewissen zu bilden, er muss seine Gewissensentscheidung in Übereinstimmung bringen mit begründeten objektiven Normen.
Im Gewissen erfährt der konkrete Mensch das seiner Personmitte entspringende und sittlich verpflichtende „Du sollst“ oder „Du darfst nicht“. Aus der Perspektive des Glaubenden ist das Gewissen eine von Gott ins Herz gelegte Anlage, die den Menschen intellektual und emotional für das Sittliche empfänglich macht und auf das Gute hinordnet. Die natürliche Anlage wird übernatürlich vollendet (vgl. Röm 9,1; 14,14.23). Aus dem Glauben an den personalen Gott der Offenbarung ergibt sich der theonome Charakter des Gewissens (relative Autonomie). Einer sittlichen Weisung und sei es die der höchsten innerweltlichen Autorität kann keine sittliche Bindung zukommen, wenn sie nicht im eigenen Gewissensurteil mit dem Willen Gottes übereinstimmt.
Es gehört zur Würde der Person, nur dem zuzustimmen, was das eigene Gewissen gebietet. Daraus ergibt sich das Grundrecht der Gewissensfreiheit, wie es in der „Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen“ (1948), im „Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland“ (1949), aber auch in der „Erklärung über die Religionsfreiheit“ (Zweites Vatikanisches Konzil, 1965) manifestiert ist.
2. Gewissensauffassung Pater Kentenichs
Pater Kentenich vertritt die theonome Gewissensauffassung. Gewissen ist „etwas Geheimnisvolles“ (AGl 16, 121). Gewissen ist die Stimme Gottes in mir. „Gott spricht durch das Gewissen zu mir, und zwar unmittelbar, nicht mittelbar“ (AGl 16, 121). Gewissen ist ein „bindendes Sprechen Gottes“ (AGl 16, 134) in mir, dem Gewissen muss ich folgen. Und „wenn alles um mich herum zerbricht, meine letzte Norm für alles ist mein Gewissen“ (AGl 16, 141). Es sagt mir, was Gott von mir will, es „wird zu meinem Richter“ (AGl 16, 140), es „belohnt mich, wenn ich ja sage, bestraft mich, wenn ich nein sage“ (AGl 16, 130).
Pater Kentenich geht aus von der Tradition, die Gewissen als conscientia versteht, das heißt, ich weiß etwas mit jemand. Gewissen ist ein Abbild der lex aeterna im Herzen, aber es ist in „meinem Herzen ein lebendiges Abbild der lex aeterna“ (AGl 16, 132). Gewissen ist „die Fähigkeit des Menschen zur Erkenntnis und zur Anwendung der sittlichen Wahrheit auf das praktische Leben“ (1964).
Gewissen ist „unzertrennbar mit der menschlichen Natur“ (AGl 16, 134), beziehungsweise „unzertrennlich mit meiner Person verbunden“ (AGl 16, 140). Der Mensch kann „das Gewissen als Ur und Naturgeschenk des ewigen Gottes“ verderben, missdeuten, „bis zu einem gewissen Grad auch töten“, aber normalerweise „nicht ewig zum Schweigen bringen“ (AGl 16, 135 f.), auf „die Dauer nicht töten“ (AGl 16, 140). Die Gewissensbildung ist daher „das Elementarste und Wichtigste“ (AGl 16, 133) für die moderne Erziehung. Gerade in unserer Zeit des Umbruchs ist die Erziehung zu Mitverantwortung, zu „Selbstverantwortung“ (RomV 1965 III, 256) unerlässlich.
Pater >>Kentenich selbst hat paradigmatisch vorgelebt, wie er den >>neuen Menschen versteht, der konsequent seinem Gewissen gehorcht. Das bezeugt sein eigenes sittliches Handeln im Falle der Lösung des Konfliktes sowohl mit der staatlichen Macht (KZ Dachau) wie auch mit der kirchlichen Autorität. Ein Konflikt mit der kirchlichen Autorität kann sich ergeben, wenn Gott einem Menschen eine Sendung überträgt, für die er sich im letzten nur auf sein Gewissen berufen kann (zum Beispiel Gründer/innen). Die moderne Forschung spricht in diesem Fall von einem „Gewissensnotstand“ und ist der Auffassung, dass es im Fall eines prophetischen Auftrages zu einem echten Gewissensnotstand kommen kann. „Indem die Kirche Jeanne d’Arc heilig gesprochen hat, hat sie sich zur Möglichkeit eines solchen prophetischen Amtes bekannt“ (1964).
Literatur:
- J. Kentenich, Aus dem Glauben leben. Predigten in Milwaukee, bisher 17 Bände, Vallendar-Schönstatt 1969 ff. 16, 120 140
- J. Kentenich, Rom-Vorträge. Vorträge für die Leitungen der Schönstätter Verbände in Rom (17. November 1965 – 2. Februar 1966), verv., A 5, vier Bände, 237+321+283+308 S. 1965 – Bd III, 239-264.
- L. Honnefelder, Praktische Vernunft und Gewissen, in: Handbuch der christlichen Ethik, Bd.3, Freiburg 1982, 19 43
- E. Schockenhoff, Das umstrittene Gewissen. Eine theologische Grundlegung, Mainz 1990.
Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de