Vertrauenspädagogik

Vertrauenspädagogik

M. Erika Frömbgen

Die Vertrauenspädagogik geht aus einem bewussten Kontrastverhalten hervor, das P. Kentenich von Beginn seiner erzieherischen Tätigkeit an praktizierte, und zwar als eine positive Antwort auf den pädagogischen Pessimismus in seinen verschiedenen Auswirkungen (z.B. dauernde Kontrolle, Freiheitsbeschränkungen der verschiedensten Art, Disziplinierung durch formalisiertes Verhalten). Auf eine Kurzformel gebracht, bedeutet sie: Vertrauen baut auf, Misstrauen zerstört. Die darin liegende Erwartung geht von der Erfahrung aus, dass Vertrauen in der Regel mit einer entsprechenden Verlässlichkeit bzw. Vertrauenswürdigkeit erwidert wird.

1. Der in der Erziehung Führende vertraut auf das Gute, an dem jeder Mensch in origineller und individueller Weise Anteil hat. In diesem Zusammenhang spricht P. Kentenich von der „gottgeprägten Größe und Würde im Gegenüber“ (PhErz 1961, 80). Diese Auffassung erfordert nicht nur Ehrfurcht vor fremder Art und Eigenart, sondern impliziert auch das Vertrauen auf deren positive Entfaltung. Dem hat Erziehung dadurch zu entsprechen, dass sie dafür auch den entsprechenden Freiraum ermöglicht (>>Idealpädagogik, >>Liebespädagogik). Vertrauenspädagogik ist in dieser Sicht eine konsequente Folgerung aus dem angestrebten Ziel des neuen, „freien“ Menschen (>>neuer Mensch).

2. In einem an der Vertrauenspädagogik orientierten pädagogischen Dialog ist von Bedeutung, dass gegenseitiges Vertrauen die Voraussetzung für eine seelisch geistige Offenheit ermöglicht, die den Entwicklungsprozess fortschreitend positiv beeinflusst. Das aber setzt eine bewährte und erprobte Verlässlichkeit bzw. Vertrauenswürdigkeit auf Seiten dessen voraus, der diesen Prozess erziehend und führend begleitet. Da Vertrauen weder eingefordert noch als erzieherische Maßnahme angeordnet werden kann, sondern als „freies Geschenk“ zu werten ist, muss das erzieherische Verhalten in all seinen Varianten dieses erst ermöglichen. Vertrauenskonflikte, die auf Missverständnissen beruhen, lassen sich in der Regel ohne Schaden für den pädagogischen Bezug aufarbeiten. Solche, die auf mangelnde Glaubwürdigkeit der Person zurückgeführt werden, zerstören in der Regel die Basis des Vertrauens und damit den pädagogischen Dialog. Eine schwerwiegende Negativfolge kann ein „gemimtes Vertrauen“ – „so tun als ob“ – sein, ein Vorgang, der vor allem bei sozialer Abhängigkeit in Familie, Schule, Beruf oder Pflichtgemeinschaft zu beobachten ist und den Wert übertragenden Inhalt der Vertrauenspädagogik nicht nur verfehlt, sondern ad absurdum führt (vgl. JPT 1931).

3. Eine von der Vertrauenspädagogik positiv gestaltete erzieherische Beziehung hat letztlich die gleiche Übertragungs und Weiterleitungsfunktion im Sinn der >>Zweitursache, wie sie der >>Liebespädagogik eignet. Das erhöht die Verantwortung all derer, die Erziehung wahrnehmen, da die Qualität ihrer Vertrauenswürdigkeit zur Vorerfahrung für die Vertrauenswürdigkeit Gottes wird.

Vertrauenspädagogik ist daher nicht nur eine wesentliche Voraussetzung, um ein gesundes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Begabungen und damit ein gesichertes Selbstwertbewusstsein aufzubauen, sondern zugleich eine entscheidende Vorerfahrung für religiöses Hoffen und Vertrauen.

>Autorität, >>Erzieher- und Erziehungsbewegung, >>Erziehung, >>Idealpädagogik, >>Pädagogik


Literatur:

  • J. Kentenich, Ethos und Ideal in der Erziehung. Vorträge der Jugendpädagogischen Tagung (28.-31. Mai 1931), Vallendar 1972, 379 S., 129 f. 187 f.
  • J. Kentenich, Vollkommene Lebensfreude. Priesterexerzitien (7.-13. Oktober 1934), Vallendar-Schönstatt 1984, 360 ff.
  • J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: J. Kentenich, Texte zum Verständnis Schönstatts. Herausgegeben von Günther M. Boll, Vallendar-Schönstatt 1974, 148-228, 157

Schönstatt-Lexikon:

Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)

Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de

Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de

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