Familie als Leitbild
Manfred Gerwing
1. Schönstatt als Familie
2. Kirche als Familie
3. Dienst an der Welt
4. „Familie“ als analoger Begriff
5. Erneuerung von Ehe und Familie
1. Schönstatt als Familie
Familie ist ein zentraler Begriff Schönstatts zur Kennzeichnung der von P. Kentenich angezielten „neuen Gemeinschaft“, unter der das Zusammenleben von Christen verstanden wird, die sich „um ein seelisches In-, Mit- und Füreinander, ein in Gott verankertes, stets wirksames Verantwortungsbewusstsein“ (Schl 149) bemühen. „Wir haben uns ja in einer Weise von Anfang an als Familie aufgefasst, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, wie meines Wissens das wohl kaum jemand, irgendeine Gemeinschaft, in diesem Ausmaße in der Vergangenheit erstrebt hat“ (Pr 26.12.1965). In dieser Familien-Gemeinschaft sollen sich „neue Menschen“ im Sinne P. Kentenichs als geist- wie liebebeseel-te und innerlich freie Persönlichkeiten entwickeln. Hier werden die Menschen im Sinn der Of-fenbarung Christi als Kinder Gottes ernst genommen. Sie sind in geschwisterlicher Solidarität und „Schicksalsverwobenheit“ miteinander verbunden und vorsehungsgläubig durch Christus im Heiligen Geist zum Vater auf dem Weg. Im Liebesbündnis mit der Gottesmutter, dem „voll-kommenen Organ des Heiligen Geistes“, wissen sie sich eingeladen, apostolisch tätig zu werden (Scheid 1934, 18-36), d.h. mitzuhelfen, dass die Menschheit den Gott Jesu Christi als gemeinsamen Vater dankbar erkennt und freudig liebend anerkennt (Vortr 11.8.1936, 4).
Auf diesem Hintergrund verstand P. Kentenich seine Gründertätigkeit im Sinne priesterlicher Väterlichkeit (>>Vater, Väterlichkeit, >>Mutter, Mütterlichkeit). So betrachtete er das Schön-stattwerk als Geschenk des Dreifaltigen Gottes und sah sich aufgerufen zum „selbstlosen Dienst an fremdem Leben“. Das Liebesbündnis und die Vaterschaft des Gründers lassen die Schönstattbewegung ihr geistliches Miteinander als Familie erfahren. Die schicksalhafte Verwobenheit wurde in der Zeit der Gefangenschaft (>>Schönstatt, Geschichte) besonders bewusst. Dabei betonte P. Kentenich immer wieder den Transparenzcharakter seiner Vaterschaft auf Gott hin (>>Zweitursache).
2. Kirche als Familie
Da der Gründer Schönstatts das Prinzip der Familienhaftigkeit im ur-christlichen Gedanken vom corpus Christi mysticum verankert sah, soll das Schönstattwerk gerade als Schönstattfamilie der Kirche dabei helfen, immer mehr ihren communio-Charakter (LG 9-17) familienhaft zu verwirklichen. Die Schönstattfamilie stellt sich der Kirche als Modell vor, das zur strukturellen Neugestaltung der Kirche auf das Paradigma Familie verweist. Sich selbst als Familie einbringend, versucht Schönstatt, bedeutsame Fragen exemplarisch zu beantworten, so etwa Fragen nach der Weitergabe des Glaubens, des Verhältnisses von Kleri-kern und Laien, von Mann und Frau, von Einheit und Vielfalt, von Zentrum und Peripherie, von Autorität und Freiheit, von „oben“ und „unten“.
3. Dienst an der Welt
Auch signiert Familie paradigmatisch den schöpferischen Beitrag Schönstatts zur Gestaltung des Dienstes der Kirche und der Christen an und in der Welt. Aus der geschichtstheologischen Deutung heraus, dass die ganze Welt- und Heilsgeschichte in ihrem tiefsten Sinn gleichsam eine „Ehe- und Liebesgeschichte zwischen Gott und Mensch und Menschheit“ (AutFr 1961, 124) ist, soll der Christ als einzelner und in familienhafter Gemeinschaft auf die Welt zugehen. Er soll das Welthafte, überzeugt von der relativen Autono-mie der geschaffenen Wirklichkeit, grundsätzlich bejahen und die Welt als Schöpfung Gottes familienhaft hegen, pflegen und verantwortlich mitgestalten (>>Werkzeugsfrömmigkeit, >>Werktagsheiligkeit).
In gesellschaftspolitischer Hinsicht geht es darum, dafür zu sorgen, dass das Zusammenle-ben der Menschen nicht zu einer anonymen Massengesellschaft degeneriert, welcher politi-schen Couleur auch immer. Vielmehr ist das Ziel, dass sich die Menschheit organisch zu einer vielgliedrigen Menschheitsfamilie entwickelt (>>Organismus).
4. „Familie“ als analoger Begriff
Doch ist der Begriff Familie zur Bezeichnung der einzelnen Gemeinschaften Schönstatts sowie des Schönstattwerkes als Ganzes, der Kirche (als familia dei) und auch der Trinität in einem analogen Sinn zu verstehen. „Die Grundstruktur der neuen Gemeinschaft ist familiar, das heißt, Aufbau und Funktion sind analog der natürlichen Familie“ (NM 108.114). In der Familie fand P. Kentenich wesentliche Elemente vor, die für seine „neue Gemeinschaft“ unverzichtbar sind: Väterlichkeit, Mütterlichkeit, Kindlichkeit, Geschwisterlich-keit. Das bedeutet ein Zusammenleben der Familienmitglieder in gegenseitiger Solidarität und Verantwortung.
„Wagemutig lösten wir die metaphysische Idee der Gemeinschaft von ihren konkreten Ver-wirklichungen: mochte es sich dabei um die Gemeinschaft unserer Jugend in den Entwick-lungsjahren im Studienheim oder um unsere Schwesterngemeinschaft oder irgendeine andere Gemeinschaft handeln… Die bald erfasste Grundidee der Gemeinschaft, wie wir sie im Bil-de der allerheiligsten Dreifaltigkeit, in der Heiligen Familie zu Nazareth und annähernd im idealen katholischen Familienleben veranschaulicht sahen, wies deutlich auf ein möglichst vollkommenes seelisches In-, Mit- und Füreinander hin.“ (NM 371).
5. Erneuerung von Ehe und Familie
Gerade weil es P. Kentenich um eine umfassende, „nach unten bis ins unterbewusste Seelenleben, integrierend nach oben bis zur Liebe zur Dreifaltigkeit“ reichende (Vortr 28.12.65, 106) Verwirklichung des neuen Menschen in der neuen Gemeinschaft ging, wurde für ihn die Erneuerung des katholischen Ehe- und Familien-lebens zum Prinzip im wahrsten Sinne des Wortes: zum Ursprung, zur Grundvoraussetzung des neuen Menschen. Bereits in den zwanziger Jahren, programmatisch aber zu Beginn der dreißiger Jahre erhob P. Kentenich die Erneuerung der Familie gar zum bleibenden Testfall seiner Glaubens- und Erziehungsschule. Er misst die Arbeit in kirchlichen Verbänden daran, inwiefern sie sich um Ehe und Familien bemühen. An alle stellt er die Frage: „Was tun wir, um heilige Ehen und Familien zu schaffen? … Es müsste wie ein Sturm durch das Land brausen, ein Sturm heiliger Hingabe für die Erneuerung unserer Familien. Es müsste eine große ele-mentare religiöse Bewegung werden…“ (MEhp 1933, 8 f.). In der „Pädagogischen Tagung“ von 1950 forderte er mit besonderer Eindringlichkeit die Konzentration aller Kräfte auf die Erneuerung der Familie. Noch 1967 wiederholte der Gründer nachdrücklich und wörtlich diese Zielvorstellung seiner Gründung (Wegw II, 40 f.). Die Gründung eines eigenen Familienwer-kes unterstreicht die Bedeutung der Familie in der Sicht P. Kentenichs.
>Ehe, >>Familienwerk.
Literatur:
- Familie Gottes. Vorträge in Münster. Bearbeitet und eingeleitet von Herbert King, Münster 1984
- J. Kentenich, Zur sozialen Frage. Industriepädagogische Tagung. Bearbeitet von Herta Schlosser, Vallendar 1990, S. 21-317
- J. Kentenich, Schlüssel zum Verständnis Schönstatts (September 1951), in: J. Kentenich, Texte zum Verständnis Schönstatts. Herausgegeben von Günther M. Boll, Vallendar-Schönstatt 1974, 148-228
- J. Kentenich, Brasilienterziat. Terziat in Santa Maria / Brasilien (16.2.-5.3.1952), verv. A 5, 244+240+258 S.
- J. Kentenich, Turowski-Brief 1952
- J. Kentenich, Predigt in Münster, Haus Mariengrund, in: Propheta locutus est. Vorträge und Anspra-chen von Pater J. Kentenich aus seinen drei letzten Lebensjahren I, Berg Sion 1985, 157-181
- J. Kentenich, Zu den Priestern in der Marienau (Gespräch am 28. Dezember 1965), in: PLE II, Berg Sion o.J., 5 108
- R. Martin, Integration und Menschwerdung: Das Paradigma Familie in seiner Bedeutung bei Pater Kentenich, in: Integration, Vallendar-Schönstatt 1986, 264-284
- Scheid, Schönstatt als natürliche und übernatürliche Familie, MTA 20 (1934) 18-36
- H. Schlosser, Der neue Mensch – Die neue Gesellschaftsordnung, Vallendar-Schönstatt 1971
- B. Schneider, Kirche als Familie, Vallendar-Schönstatt 1975.
Schönstatt-Lexikon:
Herausgeber: Internationales Josef-Kentenich-Institut für Forschung und Lehre e.V. (IKF)
Verlag: Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt – All rights by Patris-Verlag – www.patris-verlag.de
Online-Präsentation: Josef-Kentenich-Institut e.V. (JKI) – www.j-k-i.de