KR-2 DE 27

27. Unsere Dreidimensionale Frömmigkeit

Mit der „Dreidimensionalen Frömmigkeit“ ist eine fundamentale Kategorie unserer Spiritualität angesprochen; so fundamental, dass zu jeder der drei Dimensionen ein eigenes Handbuch entstanden ist.
Das erste über die „Werktagsheiligkeit“ wurde in den dreißiger Jahren von Sr. Dr. M.A. Nailis geschrieben, aufbauend auf einem Exerzitienkurs Pater Kentenichs, der das Buch dann in seinem dritten Teil fertig stellte, weil dieser in den Exerzitien nicht mehr behandelt wurde (Dr. M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit. Limburg 1964).
Das zweite über die „Werkzeugsfrömmigkeit“ stammt ganz aus der Feder Pater Kentenichs und wurde im Konzentrationslager Dachau geschrieben („Marianische Werkzeugsfrömmigkeit“, Schönstatt-Verlag, Vallendar-Schönstatt, 1974).
Das dritte „Handbuch“ ist als solches nicht verfasst. Es ist aber inzwischen Allgemeingut der Schönstattfamilie geworden, den zweiten Teil des so genannten „Josephsbriefs“, eine Abhandlung Pater Kentenichs über das Liebesbündnis, als solches zu betrachten und zu benützen. (Das Lebensgeheimnis Schönstatts, II. Teil, Bündnisfrömmigkeit, Patris-Verlag, Vallendar-Schönstatt, 1972)
In dem vorliegenden Text, aus zwei verschiedenen Quellen zusammengestellt, kann es sich nicht darum handeln, eine umfassende Darlegung der drei Dimensionen unserer Spiritualität wiederzugeben. Es muss hier, mehr wie bei anderen Texten, auf die Quellenwerke, eben jene drei Handbücher, verwiesen werden.
Der hier zitierte erste Text gibt zunächst einmal eine ganz gedrängte Aussage Pater Kentenichs wieder, in der er den inneren und sich gegenseitig ergänzenden Zusammenhang zwischen den drei Dimensionen unserer Frömmigkeit aufzeigt; gleichsam eine Definition. Sie ist entnommen dem Brief an Pater General Turowski SAC, Turowskibrief (8.12.1952) in: Hug, Nüchterne Frömmigkeit 100 und 130.
Der zweite Text ist entnommen dem 4. Vortrag der Weihnachtstagung 1967 in: Propheta locutus est, XII, 98 -181. Dabei ist an dieser Stelle ein längerer Exkurs über das Sendungsverständnis Pater Kentenichs im Vergleich zu Augustinus und Thomas ausgelassen. Dieser Text findet sich unter der Nummer 69 im Kentenich Reader. Bezeichnend bleibt, dass Pater Kentenich über sein grundlegendes Sendungsverständnis gerade im Zusammenhang mit der Dreidimensionalen Frömmigkeit redet.
Der vorliegende Text gibt kaum etwas wieder über den spirituellen Inhalt der dreifachen Frömmigkeit. Deutlich ist, dass er die Trias von Werktagsheiligkeit, Werkzeugsfrömmigkeit und Bündnisfrömmigkeit betont.
Interessant ist der Text aber, indem er aufzeigt, wie der Gründer klassische Elemente seiner Spiritualität in den Zusammenhang neuer Strömungen und Lehren stellt – neues Moralprinzip, Lehre des Konzils – und damit die bleibende Aktualität aufzeigt; eine Aufgabe, die uns auch für die heutige und kommende Zeit bleibt.


Die Eigenart unserer Frömmigkeit ist durch drei Merkworte gekennzeichnet: Werktags‑, Werkzeugs‑ und Bündnisheiligkeit.

Ausdrücke sowohl als Inhalte sind das Produkt einer langsamen, gesunden Entwicklung. Sie bilden das Kernstück der Gründungsurkunde, die sie wesentlich mitgestaltet haben. Alle drei Formen – oder besser gesagt, alle drei Seiten einer einzigen Frömmigkeitsform ‑ sind bei aller übernatürlichen Wärme so herb und nüchtern, dass zunächst die etwa befürchtete Gefahr der Sucht nach Außergewöhnlichem soweit als möglich ausgeschaltet ist.
Wie sehen die inneren Zusammenhänge der dreidimensionalen Frömmigkeit aus?

Wer die geschichtliche Entwicklung der drei Seiten unserer Heiligkeitsaszese kennt, erfasst leicht und schnell die inneren Zusammenhänge.

Betont die Werktagsheiligkeit stärker die Ausrichtung im Alltag des Lebens, so knüpft die Werkzeugsfrömmigkeit bewusster die Verbindung mit Gott, die durch die Bündnisfrömmigkeit deutlicher den Charakter eines ausgesprochenen Liebesverhältnisses zwischen zwei Liebespartnern erhält.


Schönstatt eine heilige Geschichte.

Ich meine, jetzt müsste ich so deuten: Schönstatt ist gleichzeitig eine Geschichte der Theorie der Heiligkeit und eine Heiligkeitsgeschichte.

In der ersten Gründungsurkunde lesen wir das Wort: „So wie für den hl. Aloysius eine kleine Kapelle in Florenz, so soll für uns unser Heiligtum die Wiege der Heiligkeit werden.“ Und wie sieht diese Heiligkeit aus und ihre Stellung zu all den Heiligkeitsidealen, die im Laufe der Jahrtausende im Raume der Kirche geworden sind?

Welches Heiligkeitsideal vertreten wir?

Von vorne herein wissen wir, dass die Familie zur Heiligkeit führt, zur Heiligkeit führen muss. Tut sie das nicht, hat sie ihren Zweck, ihr Ziel nicht erreicht.

Hier haben wir wieder einen Beweis, wie solid und weitestgehend wir die Denkweise, Handlungsweise und die Bestimmungen des Konzils antizipiert haben. Das Konzil hat feierlich festgestellt, dass jeder Getaufte Recht und Pflicht hat, nach Heiligkeit – sagen wir es genauer – nach kanonisierbarer Heiligkeit zu streben. Also: Antizipation der Denkweise des Konzils.

Und wie sehen nun unsere Heiligkeitsformen aus? Die können sie im Traume aneinanderreihen. Ob wir aber auch die Tragweite kennen? Werktagsheiligkeit, Bündnisfrömmigkeit und Werkzeugsfrömmigkeit. Was das alles besagt?

Erstens: Werktagsheiligkeit.
Sie mögen das Buch (11) jetzt noch einmal studieren. Um was geht es hier?

Sanctus est, qui sancte vivit. (12) Heilig ist nicht, wer heiligmäßig schwärmt. Heilig ist, wer heiligmäßig lebt, heiligmäßig betet, heiligmäßig arbeitet, heiligmäßig sich abtötet.

Oder nehmen Sie das andere Wort: Deum quaerere, deum invenire, deum diligere in omnibus, cum rebus, tum personis. (13)

Den lieben Gott suchen! – Ich lege sehr viel Gewicht darauf, dass Sie die Dinge neu hören. Ich habe ja die Absicht, sie nachher in das Licht der modernsten Problematik hineinzustellen. Dabei meine ich immer konstatieren zu dürfen: wir wissen gar nicht, was wir haben. Wir reden vielfach darum herum. Wir können ja wohl auch das eine oder andere bruchstückartig sagen und zeichnen. Aber die ganze Wucht all der großen Geschenke, die der liebe Gott uns gegeben – fast möchten wir sagen: schier im Schlafe gegeben hat -, haben wir nicht festgehalten. Darum erneut: Nicht hinein in das moderne Getriebe, bevor wir nicht heimisch geworden sind in unserer Geschichte!

Gott also suchen! Wo sollen wir Gott suchen? Hier heißt es nicht einmal, Gott in sich selber suchen – das wird vorausgesetzt. Hier wird besonders hervorgehoben: Gott im Zusammenhang sehen: die Erstursache im Zusammenhang mit der Kreatur, mit der Zweitursache. Das ist das Problem der heutigen Zeit! Gott suchen, Gott finden, Gott lieben – in allen Dingen! Wir bleiben also stehen bei der Schöpfung, steigen nicht unmittelbar empor zu Gott, sondern mittelbar. Es handelt sich durchgehend um eine Gottmittelbarkeit. Nicht, als wenn die Gottunmittelbarkeit nicht auch gesucht würde. Antwort nach der Richtung gibt uns die Wesensdefinition der Werktagsheiligkeit.

Noch einmal: Wenn Sie Gott unmittelbar nackt vor sich sehen, dann werden Sie verstehen, dass morgen und übermorgen der liebe Gott für uns ein Nichts ist. Entweder steigen wir von der Kreatur zu Gott empor, oder aber wir verlieren Gott. Das Problem der heutigen Zeit ist das Gottesproblem! Das Problem der heutigen Zeit ist das Verhältnis zwischen Erst- und Zweitursache!

Vielleicht darf ich hier ein paar skizzenhafte Gedanken aneinander reihen. Wir sollen also Gott lieben in allen Dingen, in allen Menschen! Sollen jetzt also nicht nur unmittelbar zu Gott emporsteigen und dann nichts anderes mehr zulassen: „Mein Gott und mein Alles“. Eine solche Aussage will immer organisch einseitig gedeutet werden. „Mein Gott und mein Alles“ in organischer Verbindung mit der Schöpfung, in organischer Verbindung mit den Dingen, in organischer Verbindung mit allen Personen, die mir begegnen!

Wenn Sie sich nun die Wesensdefinition sagen lassen, dann wissen Sie, wie die „Werktagsheiligkeit“ die Heiligkeit darstellt: affektbetonte Harmonie, also „Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk- und Menschengebundenheit.“ (14) Wenn Sie nun prüfen, was hier im Einzelnen dargestellt ist, worin das Originelle liegt, dann werden Sie auf die wesentlichsten modernen Fragen eine klare Antwort finden.

Zweitens: Bündnisfrömmigkeit.
Kennen Sie eine umfassende Theorie der Bündnisfrömmigkeit? Wir als Priester müssten dies jederzeit zur Verfügung haben, um aus dem Reichtum unseres Wissens, Erlebens und Erlebnisses Rede und Antwort stehen zu können.

Jetzt möchte ich nur sagen, was gegenwärtig von Bedeutung für uns ist: alles, was wir haben, sollten wir in das Bild der Moderne einfügen. Um wenigstens einen Punkt herauszuheben: Es geht hier um die Tatsache, dass man heute ein neues Moralprinzip sucht. Als wir alle noch jünger waren, wenigstens wir älteren, da kannte man nur das Prinzip: Sünde oder nicht Sünde, schwere oder lässliche Sünde. Heute sucht man Prinzipien aus einer Ganzheitsschau. Und Sie haben das vielleicht noch gar nicht einmal beobachtet, wie die Gelehrten vielfach die Hand ausstrecken nach dem, was wir Bündnisfrömmigkeit nennen. Der Bündnisfrömmigkeit liegt nicht nur ein aszetisches Prinzip zu Grunde. Das aszetische Prinzip wird hier zum Moralprinzip: Treue zum Liebesbündnis. „Was dem Vater Freude macht, das tue ich allezeit“ (15).

Natürlich besteht nunmehr wieder die Gefahr, wie das moderne Denken ist, alles auseinanderzureißen und zu sagen: deswegen gibt es keine Sünde mehr; deswegen gibt es nichts anderes als: wir haben einen Bund mit dir geschlossen und wir wollen dem Bunde treu bleiben. Wir müssen beides festhalten und beides miteinander verquicken! Es besteht auch weiterhin noch das Prinzip Sünde: lässliche und schwere Sünde! Aber unter dem Gesichtspunkt des Liebesbündnisses lässt sich beides überaus sinngerecht miteinander verbinden! Gar keine Freude machen wir halt dem Vatergott, wenn wir ihm ständig oder teilweise den Rücken kehren.

Und endlich: Werkzeugsfrömmigkeit. Ja, unsere Frömmigkeit ist eine ausgeprägte Werkzeugsfrömmigkeit. Das Konzil bricht für die Werkzeugsfrömmigkeit eine eigenartige Lanze, wo es spricht von der neuen Art des Apostolates. (16) Was will dieses Apostolat? Den lieben Gott gegenwärtig setzen durch unsere Person. Dahinter steckt die ganze Theorie der Werkzeugsfrömmigkeit: Verbindung des Werkzeugs mit dem Werkmeister und klassisch-anschauliche Darstellung der Kraft, des Seins, des Wesens des Werkmeisters durch unser praktisches Leben.

Es wäre noch eine dritte Deutung von „Schönstatt eine heilige Geschichte“ wichtig. Heilige Geschichte als praktische Geschichte des Heiligkeitslebens und -strebens in unseren Reihen. Vielleicht darf ich das skizzenhaft morgen in irgendeiner Weise noch darbieten.


(11) M.A.Nailis, Werktagsheiligkeit. Ein Beitrag zur religiösen Formung des Alltags, Vallendar 1989 (1.Auflage Limburg, Lahn-Verlag, 1937).

(12) In der Werktagsheiligkeit, S.100, heißt es: „Sanctus est, qui sancte vivit. Heilig ist – nicht wer schwärmt und phantasiert, sondern wer wirklich heiligmäßig lebt, wer all seinen Werken den Stempel der inneren und äusseren Vollkommenheit aufzudrücken sucht.“
(13) Gott suchen, Gott finden, Gott lieben in allem, Dingen wie Personen (Ignatius).
(14) Werktagsheiligkeit, S.14, definiert die Werktagsheiligkeit als „die gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk- und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens“.
(15) Joh 8,29: Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich immer das tue, was ihm gefällt.
(16) Apostolat hat eine doppelte Dimension: das aktive, zielgerichtete Tun durch Predigen und Caritas (Tätigkeitsapostolat), und das Zeugnis des gelebten Lebens (Seinsapostolat). Letzteres ist immer möglich und hat eine besondere Überzeugungskraft in einer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Vgl. dazu Dekret über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem“, bes. Nr. 29