KR-2 DE 33

33. Immaculatageist

Der jetzt vorliegende Text will den vorausgehenden ergänzen und unsere Beschäftigung mit der Gottesmutter vertiefen. Im vorausgehenden Text finden wir eine diskursive Darlegung der Wahrheit der Immaculata und ihre Bedeutung für unser Menschenbild. Der jetzt folgende Text sagt dasselbe, aber in einer anderen Stilform.
Er ist entnommen dem „Hirtenspiegel“, den Pater Kentenich im Konzentrationslager Dachau in der Zeit vom 9. April 1943 bis Februar 1944 geschrieben hat. Er ist ein Lehrgedicht von 5870 Strophen mit Anweisungen und Anregungen, ursprünglich für die Oberinnen der Marienschwestern geschrieben; daher der Name.
Der letzte Teil des Hirtenspiegels, von Strophe 4002 bis 5870 – und dort abgebrochen, weil andere Projekte anstanden – ist der Gottesmutter gewidmet. In diesem Teil findet sich die hier wiedergegebene Betrachtung über die besondere Begnadung der Gottesmutter und ihre Bedeutung für das Menschenbild, das Frauenbild und unser Verhältnis zu Gott.
Die Gedichtform des Hirtenspiegels vermittelt eine besondere Atmosphäre und vermag deshalb die Liebe zur Gottesmutter zu vertiefen und/oder anregen, sich mit der ganzen Schrift eingehender zu beschäftigen; ganz abgesehen davon, dass das Studium des Hirtenspiegels die Bewunderung für den Gründer sehr zu steigern vermag, der ein solches Werk mit ungewöhnlicher Konzentration und großer Liebe für die Gottesmutter und für seine Gründung in der „Hölle von Dachau“ geschrieben hat.
Der Text ist zweispaltig; links wie vom Gründer gedichtet und rechts in einer Prosaübertragung. Letztere soll denen die Beschäftigung mit dem Text erleichtern, die sich mit dem Reim schwer tun.

Entnommen ist der Text der Ausgabe von „Hirtenspiegel“, Berg Sion 1977.


[XXIII. Gaben der Gnade: Die Unbefleckt Empfangene]

5774
Die Ewge Liebe machte frei dich von den Banden
jedweder Sünde bitterbösen Schanden,
bewahrte dich auch vor der Erbschuld Fluch:
Nie kanntest du mit Gott den kleinsten Bruch.

5775
Wie Eva einst ins Leben ist getreten
ohn jede Erbschuld, frei von Sündennöten,
so bist du durch des ewgen Vaters Huld
vom Anfang deines Lebens frei von Schuld.

5776
Um deines Sohnes Kreuzestodes willen
ließ Gott den Erbstrom, den wir sehen quillen
durch die Jahrtausende mit Allgewalt,
sich staun vor deiner reinen Lichtgestalt.

5777
Im ersten Augenblick schon, im Entstehen,
warst du getragen von der Gnade Wehen:
Das Wort hat sich dir gnädig angeeint
und sich als Bräutigam mit dir vereint.

5778
Weil als Gehilfin er dich auserlesen,
formt er nach seinem Bild dein ganzes Wesen,
gab Anteil dir an seiner Reinheit Glanz,
schenkt dir der Unbeflecktheit Wunderkranz,

5779
erfüllte dich mit Gottes reichen Gnaden,
dass nie des Teufels List dir konnte schaden;
ihm, der uns Gottes Huld aus Neid geraubt,
sollst du zertreten mit dem Sohn das Haupt.

5780
Das Protoevangelium lässt dich sehen
ganz unversöhnlich feindlich zu ihm stehen:
Wärst du berührt nur von der Erbschuld Flut,
säß Freundschaft mit dem Teufel dir im Blut.

5781
So schreitest du mit deinem Sohn durch Zeiten,
darfst mit ihm der Erwählten Scharen leiten:
Ihr führt den Kampf gen Satans Todesreich,
bis er gekettet wird durch euren Siegesstreich.

5782
Hell strahlst du in der Unbeflecktheit Schöne!
In dir erklingen Gottes Lieblingstöne
zu uns herüber in das Tränental
und wecken Sehnsucht aus der Sünden Qual.

5783
In deinem Bilde lerne ich verstehen
die Güter, die Gott tief zu Herzen gehen,
werd warm für unbefleckter Reinheit Glanz
inmitten eines Wertesturzes Tanz.

5784
In dir seh Gottes Weisheit ich regieren
und seine Allmacht kraftvoll triumphieren.
Das Gottesbild strahlt in dir leuchtend auf.
Vor ihm versinkt die Welt mit ihrem Lauf.

5785
Du gibst der Schöpfung wieder rechte Weihe,
stehst an der Spitze, ganz in erster Reihe,
bist eine Welt so ganz für dich allein,
der Schönheit Gottes hellster Widerschein.

5786
In dir erglüht des Menschenbildes Fülle,
wie es gewollt des Vaters weiser Wille,
du Überbleibsel aus dem Paradies
in unsres armen Erdentals Verließ.

5787
In dir glänzt edler Frauenwürde Größe
durch aller Evastöchter Not und Blöße:
Du bist das Weib, das Gottes Plan erfüllt,
das mir den Frauenadel ganz enthüllt.

5788
In dieses Bild laß täglich mich versenken,
ihm meine warme Liebe gänzlich schenken,
dort heimisch werden in der Gotteswelt,
in die der Glaube mich hell leuchtend stellt.
74
Die ewige Liebe machte dich frei von der bitterbösen Schande, welche jede Sünde mit sich bringt, und bewahrte dich auch vor dem Fluch der Erbschuld: Nie kanntest du [auch nur] den kleinsten Bruch mit Gott.
75
Wie Eva einst ohne jede Erbschuld ins Leben getreten ist, frei von der Not der Sünde, so bist du vom Anfang deines Lebens an frei von Schuld gewesen, und zwar durch die Huld des ewigen Vaters.

76
Wegen Deines Sohnes Kreuzestod ließ Gott den Strom der Erb[schuld], den wir mit Allgewalt durch Jahrtausende fließen sehen, sich vor deiner reinen Lichtgestalt stauen.
77
Im ersten Augenblick schon, im Entstehen, [in deiner Empfängnis], warst du von dem Wehen der Gnade getragen: gnädig hat sich dir das WORT angeeint und vereinte sich mit dir als Bräutigam.

78
Weil er dich als Gehilfin ausgewählt hatte, formte er dein ganzes Wesen nach seinem Bild. Er gab dir Anteil am Glanz seiner Reinheit und schenkte dir den Wunderkranz der Unbeflecktheit;

79
er erfüllte dich so mit Gottes reichen Gnaden, dass die List des Teufels dir nie schaden konnte. [Dem Teufel], der uns aus Neid Gottes Huld geraubt hat, solltest du mit dem Sohn [zusammen] das Haupt zertreten.

80
Das Protoevangelium zeigt dich, wie du ganz unversöhnlich zu ihm stehst. Wärest Du auch nur [ein wenig] berührt worden von der Flut der Erbschuld, säße dir die Freundschaft mit dem Teufel im Blut.

81
So schreitest du mit deinem Sohn durch die Zeiten und darfst mit ihm die Scharen der Erwählten leiten. Ihr [beide] führt den Kampf gegen das Todesreich Satans, bis er durch euren Siegesstreich angekettet wird.

82
Hell strahlst du in der Schönheit der Unbeflecktheit. In dir erklingt die Lieblings[musik] Gottes zu uns in das Tränental herüber und weckt die Sehnsucht, aus der Qual der Sünden [hinauszugelangen].

83
In deinem Bilde lerne ich die Güter, die Gott tief zu Herzen gehen, verstehen, und erwärme mich für den Glanz unbefleckter Reinheit, inmitten des [heutigen] Wert-Sturzes, der wie ein großer [Teufels-] Tanz ist.

84
In dir sehe ich Gottes Weisheit regieren; [in dir] triumphiert kraftvoll seine Allmacht. [Ja,] in dir strahlt das Gottesbild so leuchtend auf, dass die Welt mit ihrem Lauf vor ihm versinkt.

85
Du gibst der Schöpfung wieder die rechte Weihe, du stehst an ihrer Spitze, ganz in der ersten Reihe, ja, du bist für Dich allein schon „eine ganze Welt“, der hellste Widerschein der Schönheit Gottes.

86
In dir erglüht die Fülle des Menschenbildes, so wie es der weise Wille des Vaters gewollt hat. Du bist – im Gefängnis unseres armen Erdentales – das Überbleibsel aus dem Paradies.

87
In dir glänzt durch die Not und Blöße aller Töchter Evas hindurch die Größe edler Frauenwürde. Du bist die Frau, die Gottes Plan erfüllt und mir den Adel der Frau ganz enthüllt.

88
Gib, dass ich mich täglich in dieses Bild versenke und ihm meine warme Liebe gänzlich schenke. Lass mich durch dieses Bild in der Gotteswelt heimisch werden, in die mich der hell-leuchtende Glaube hineinstellt.

[Immakulatageist, Unsündlichkeit]

5789
Und all die großen, reichen Gottesgaben,
die nie und nirgends ihresgleichen haben,
entzünden deine Liebe immerdar,
du Liebeswunder, dreimal wunderbar.

5790
Und diese Liebe drängt dich, uns zu dienen,
dass wir auf Erden täglich mehr gewinnen
Immakulatageist, Unsündlichkeit
als paradiesisch schöne Kostbarkeit.

5791
Ich bau’ auf deine Macht und deine Güte,
vertau’ auf sie mit kindlichem Gemüte;
ich glaub’, vertrau’ in allen Lagen blind
auf dich, du Wunderbare, und dein Kind.

5792
Im Paradies war mit der Gnad verbunden
die Unversehrtheit von der Triebe Wunden,
wie mir’s dein warmes Bild vor Augen stellt,
das durch die Erbschuld niemals wurd entstellt.

5793
Was wir durch Adams Schuld verloren haben,
erhoffen einst wir als Erlösungsgaben.
Die Gnade ringt jetzt um das große Gut,
das uns geraubt der Sünde Frevelmut.

5794
In vollem Maße wird sie es erringen,
wenn in der Ewigkeit uns hell erklingen
die Glocken ewger selger Gottesschau
auf neidlos frohbewegter Himmelsau.

5795
Auch hier auf Erden schon will Gottes Gnade
zurückerobern auf verschlungnem Pfade
ein Stück der Unversehrtheit heil’ges Gut,
wenn wir ihr folgen kindlich hochgemut.
89
[Ich sehe, wie] all die großen und reichen Gottesgaben, die nie und nirgends ihresgleichen haben, deine Liebe immerdar entzünden – du [bist ein] „Dreimal Wunderbares Liebeswunder“.

90
Und diese Liebe drängt dich, uns so zu dienen, dass wir auf Erden täglich mehr Immakulatageist, [täglich mehr] Unsündlichkeit als paradiesisch schöne Kostbarkeit gewinnen.

92
Im Paradies war mit der Gnade die Unversehrtheit von den Wunden der Triebe verbunden. So stellt es mir dein warmes Bild vor Augen,
das durch die Erbschuld niemals entstellt wurde.

93
Was wir durch Adams Schuld verloren haben,
erhoffen wir einst als Gabe der Erlösung [zu erhalten]. [Schon] jetzt [aber] ringt die Gnade um das große Gut, das uns der Frevelmut der Sünde geraubt hat.

94
In vollem Maße wird [die Gnade uns die Unsündlichkeit freilich erst] erringen [können], wenn wir in der Ewigkeit, im Himmel, der voller Freude ist und ohne Neid, die ewige, selige Gottesschau erreichen.

95
Doch will uns Gottes Gnade schon hier auf der Erde, auf verschlungenen Pfaden, [wenigstens] ein Stück dieses heiligen Gutes der Unversehrtheit zurückerobern, wenn wir ihr [nur] kindlich und hochgemut folgen.