Die Kommunikation zwischen Gott, ein reiner Geist, und Mensch, ein materiell gebundenes Wesen, ist ein eigenes faszinierendes Thema. Dabei ist mit Kommunikation eben nicht nur eine geistige Wahrnehmung gemeint, sondern ein ganzheitlicher Lebensaustausch, der die Sinne und das Gemüt einschließen und der auf eine möglichst vollkommene Durchdringung von Natur und Gnade zielt.
Höhepunkt und Knotenpunkt ist der Gottmensch, das Fleisch gewordene Wort Gottes. Auf dem geschichtlichen Weg zu diesem Höhepunkt und in dessen Ausfaltung gibt es unzählige Initiativen Gottes, in denen er sein Wirken und seine Gnade an besondere Orte, Dinge oder Handlungen gebunden hat. Die Sakramente und die vielen Gnadenorte sind die sprechendsten Beispiele dafür. Sie sind eingerahmt von dem Empfinden in allen Religionen dafür, dass Gott an bestimmten Orten und in bestimmten Zeichen besonders wirkt.
Mit der Frage, ob Gott – durch die Gottesmutter – am Ort Schönstatt und der sich daraus gebildeten Bewegung besonders gewirkt hat und wirkt, beschäftigt sich P. Kentenich in der Studie „Schönstatt als Gnadenort“, von der hier einige Auszüge vorliegen.
Die Studie ist im Juli 1944 im Konzentrationslager Dachau geschrieben, in einer Zeit also, in der die Kriegsfronten des Weltkrieges in Deutschland einbrachen und dadurch der Ort Schönstatt auch in äußere Gefahr geriet.
Dabei muss der Gründer besonders der Frage nachgehen, mit welchen Kriterien ein besonderes göttliches Wirken dann erkennbar ist, wenn es nicht von außergewöhnlichen Phänomenen wie Wunder und Visionen begleitet ist, wenn die Entstehung nach erkennbarem geschichtlichem Ablauf auf menschliche Initiative und auf Inspiration innerhalb der normalen Gnadenordnung zurückgeht.
An den Text aus der Studie ist eine kleine Passage angehängt, die noch einmal verdeutlicht, wie sehr P. Kentenich an ein besonderes Gnadenwirken von unserm Heiligtum aus glaubt. Mehrfach zieht er den Vergleich mit dem Kämmerer Naaman, der sich eben im Jordan und nicht in den viel schöneren Flüssen von Euphrat und Tigris baden musste, um Heilung zu finden; eben, weil die heilende Kraft an diesen Fluss/Ort gebunden war.
Der folgende Text findet sich in Texte zum Verständnis Schönstatts (Vallendar-Schönstatt 1974), S. 101-139; hier werden die Seiten 101, 102f, 104-106, 108-110, 115-118, 122f, 138 wiedergegeben.
Der Verweis auf Naaman mit einer Sinndeutung der Gnadenorte in der göttlichen Planung ist entnommen dem 39. Vortrag des USA-Terziats 1952, Band III, 98f
Die Diskussion um Schönstatt stößt früher oder später auf die Kardinalfrage: Ist Schönstatt – sowohl als Ort wie als Lebensgebilde – nachweisbar wirklich das, wofür es sich von Anfang an gehalten hat und was ihm in allen Situationen Stoßkraft gegeben: ein ausgeprägtes Gotteswerk?
Ich nenne Ort und Lebensgebilde in einem Atemzug, weil beide unzertrennlich miteinander verbunden sind: Sie sind miteinander geworden und gewachsen und haben immer dasselbe Schicksal geteilt. Was vom Ort ausgesagt wird, gilt gleicherweise auch vom Lebensgebilde.
Für Denken und Empfinden kritisch interessierter Stellen spitzen sich die hierher gehörigen Probleme zu der einen Frage zu:
Ein Vergleich mit Fatima bringt das erneut und lichtvoll zum Bewusstsein. Im Zusammenhang mit unserem Glauben an Schönstatt als Gotteswerk hebe ich hier nur einen Vergleichspunkt hervor: die Erkenntnisquelle hüben und drüben.
Es gibt viele Menschen, die – besonders in einer Zeit des triumphierenden Irrationalismus und Mystizismus, in einer Zeit des schwindsüchtig gewordenen Glaubens und Glaubenslebens – für innere Umstellung angewiesen sind auf außergewöhnliche, weithin sicht- und greifbare Wunder und Zeichen. Gott scheint in seiner Güte und Weisheit ihnen Rechnung getragen zu haben durch Fatima.
Andere haben Kraft und Gnade, mit den gewöhnlichen, soliden Glaubenswahrheiten Ernst zu machen, um das Leben auch in den schwierigsten Situationen meistern zu können. Sie dürften eine starke Stütze an Schönstatt finden, das sich nirgendwo weder auf Visionen und Weissagungen noch auf Wunder in der physischen Ordnung berufen hat. Alles fußt dort auf Gottes Wunsch und Wirken, wie es jedem vorsehungsgläubigen Christen im Alltagsleben und Weltgeschehen leicht zugänglich ist.
(….)
1. Wenn wir Schönstatt einen Gnadenort nennen, so kann das einen dreifachen Sinn haben:
Wir sprechen unser Heiligtum an als Gnadenort wie jede andere Kirche und Kapelle, wo gebetet, das heilige Opfer dargebracht wird. Dagegen hat niemand etwas einzuwenden. Auch nicht dagegen, dass wir es auffassen als Mittelpunkt einer religiösen Bewegung, die dort ihren Ursprung und durch dort getätigte ständige Kurse eine immerfort sprudelnde Speisequelle sowie infolge tiefergehender persönlicher und gemeinsamer religiöser Erlebnisse eine seelische Heimat hat.
Weil diese doppelte Deutung auf keine Schwierigkeit stößt, scheidet sie aus der Diskussion aus. Diese kreist lediglich um die Frage: Darf unser Heiligtum aufgefasst werden ähnlich wie andere Gnaden- und Wallfahrtsorte, wo die Gottesmutter „in besonderer Weise ihren Thron“ aufgeschlagen hat? (119)
2. Die Schönstattfamilie bejaht diese Auffassung und beruft sich dafür auf die Gründungsurkunde und vorsehungsgläubige Deutung der geschichtlichen Entwicklung der darauf basierenden, durchgegliederten Bewegung:
a) Die Gründungsurkunde gipfelt in den Worten:
„Es ist mir, als ob Unsere Liebe Frau in diesem Augenblicke hier im alten Michaelskapellchen durch den Mund des heiligen Erzengels zu uns spräche:
Macht euch keine Sorge um die Erfüllung eures Wunsches. Ego diligentes me diligo. Ich liebe die, die mich lieben. Beweist mir erst, dass ihr mich wirklich liebt, dass es euch Ernst ist mit eurem Vorsatz. Jetzt habt ihr dazu die beste Gelegenheit. Und glaubt nicht, dass es in der heutigen ernsten, großen Zeit etwas Außergewöhnliches ist, wenn ihr die Anforderungen an euch höher als frühere Generationen, ja aufs höchste steigert. Nach dem Plan der göttlichen Vorsehung soll der Weltkrieg mit seinen mächtigen Impulsen für euch ein außerordentliches Hilfsmittel sein für das Werk eurer Selbstheiligung. Diese Selbstheiligung verlange ich von euch. Sie ist der Panzer, den ihr anlegen, das Schwert, mit dem ihr für eure Wünsche kämpfen sollt. Bringt mir fleißig Beiträge zum Gnadenkapital: Erwerbt euch nur durch treue und treueste Pflichterfüllung und eifriges Gebetsleben recht viele Verdienste und stellt sie mir zur Verfügung. Dann werde ich mich gerne unter euch niederlassen und reichlich Gaben und Gnaden austeilen, dann will ich künftig von hier aus die jugendlichen Herzen an mich ziehen, sie erziehen zu brauchbaren Werkzeugen in meiner Hand …“ (für eine durchgegliederte, umfassende Erneuerungsbewegung) (120).
b) Die rhetorische Form darf – wie aus dem ganzen Zusammenhang ersichtlich – nicht hinwegtäuschen über die darin zum Ausdruck kommende Auffassung von einem göttlichen Plan, der hier entschleiert und vorgelegt wird. Als Erkenntnisquelle will weder ein visionärer Traum – wie er bei Don Bosco vielfach vorkommt – noch eine Erscheinung – wie sie sonst häufig am Anfang von Erneuerungsbewegungen steht – angesehen werden, sondern lediglich die Tatsache, dass schon „oft in der Weltgeschichte das Kleine und Unansehnliche die Quelle des Großen und Größten“ geworden ist und die aus der vox temporis et historiae generalis et specialis (121) gewonnene Überzeugung, dass „die göttliche Vorsehung mit ihr (der jungen Marianischen Kongregation) noch etwas Besonderes vorhat (122).“
Der nächste Anlass zur Wahl der konkreten Form eines Wallfahrtsortes war die Entstehungsgeschichte des in Italien berühmten Wallfahrtsortes Valle di Pompei. Bartolo Longo gründete dort auf den Trümmern der alten heidnischen Stadt zwei große Anstalten für Waisenmädchen und Sträflingskinder und eine große Wallfahrt. Cyprian Fröhlich berichtet darüber in der „Allgemeinen Rundschau“, Nr. 29, vom 18. VII. 1914, S. 521 f. und fügt dann bei: „Wie dies alles geschah? Ja, das ist eben das Wunder. Hätte die Madonna di Pompei nicht unwiderlegliche Wunder gewirkt,… so wäre es das größte Wunder, dass ein unbekannter Advokat nach dem Jahre 71 in dem modernen Italien auf den Trümmern einer heidnischen Stadt einen Wallfahrtsort gründen konnte (123).“
Von ausschlaggebender Bedeutung war und ist für uns die eindeutige Beantwortung der Frage: Ist der Plan der göttlichen Vorsehung von uns richtig gedeutet, oder liegt eine Verwechslung eigener Wunschträume mit göttlicher Absicht vor?
Von Anfang an legten wir bewusst auf Wunder in der moralischen Ordnung, nicht aber auf solche in der physischen Ordnung Gewicht. So entsprach und entspricht es dem Geist und Wortlaut der Gründungsurkunde, die immer nur von Gnadenschätzen und Gnadenwundern spricht. (….)
So entsprach und entspricht es dem Charakter Schönstatts als Erzieher- und Erziehungsbewegung und seiner ausgeprägten geistigen Eigenart, die sich unentwegt orientiert an den beiden Bibelworten: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch zugegeben werden“ (124); „Denen, die Gott lieben, gereichen alle Dinge zum besten!“ (125)
So entsprach und entspricht es der Zentralaufgabe Schönstatts, die sich fortlaufend klarer und immer klarer herausstellte: Einer glaubensschwachen, atheistisch, pantheistisch und deistisch angekränkelten Zeit und Welt Kraft und Macht eines tief verwurzelten, erleuchteten, marianisch gefärbten Vorsehungsglaubens vorzuleben.
Wer das alles weiß, dem wird der Beweisgang verständlich, der sich nach glücklich überstandenem Weltkrieg seit 1919 ungezählt viele Male wiederholt und Jahr für Jahr an Inhalt und Beweiskraft gewinnt. Er kreist um den Gedanken: Schönstatt trägt die drei Kriterien der Gotteswerke an der Stirne:
Geringfügigkeit der Werkzeuge und Mittel,
Größe der entgegenstehenden Schwierigkeiten,
Tiefe, Dauer und Umfang der Fruchtbarkeit.
Wer diese drei Maßstäbe kritisch an die Schönstattgeschichte legt, nachdem er tieferen Einblick in alle Einzelheiten gewonnen hat, wer den aus kleinen Rinnsalen entspringenden und sich trotz größter allseitiger Hemmungen und mangelnder menschlich wirksamer Mittel und Antriebe durchsetzenden machtvollen Lebensstrom gläubig auf sich wirken lässt, wer weiß, wie viel Heroismus in allen Ständen geweckt wurde, so dass ungezählt viele Leben und Freiheit der Gottesmutter für ihr Werk angeboten, dem fällt die Glaubwürdigkeit unserer Behauptung nicht schwer. Sie verdichtet sich zwanglos und überzeugend zu einer certitudo moralis (126).
(….)
Die Geschichte der Wallfahrtsorte zeigt, dass Gott nicht selten sich bei ihrer Entstehung der schlichten Volksfrömmigkeit bedient, wenn vielfach auch später legendäre Wunder hinzuzukommen pflegen. Dass bei Schönstatt diese Frömmigkeit zielstrebig geleitet und in ihren Wirkungen und Früchten sorgfältig beobachtet wurde, um daraus durch das Organ des Vorsehungsglaubens ein deutliches Echo von oben zu erlauschen, dass also bewusste und erleuchtete Eigentätigkeit dabei eine starke Rolle mitspielte, widerspricht nicht dem Wesen des gesunden Vorsehungsglaubens. Diese Eigentätigkeit erhält in ihrer überzeitlichen und zeitgemäßen Bedeutung eine lichtvolle und wirksame Bestätigung durch die Ausführungen des Heiligen Vaters in genannter Enzyklika über die Notwendigkeit menschlicher Mitarbeit mit der Gnade. Die von ihm angeschlagenen Klänge sind uns so geläufig und vertraut, dass wir darin sofort die Sprache der Gründungsurkunde wiederentdecken, so stark berühren sich hüben und drüben die Gedankengänge. Ich lasse einige Stellen folgen.
„Nicht weniger entfernt sich von der Wahrheit der gefährliche Irrtum derer, die aus unserer geheimnisvollen Verbindung mit Christus einen ungesunden Quietismus herleiten wollen. Danach wird das ganze geistliche Leben der Christen und ihr Fortschritt in der Tugend nur der Wirksamkeit des Heiligen Geistes zugeschrieben unter völliger Verkennung und Beiseitelassung der persönlichen Mitwirkung, die wir ihm schulden. Gewiss kann keiner leugnen, dass der Heilige Geist Jesu Christi die einzige Quelle ist, aus der alles übernatürliche Leben in die Kirche und ihre Glieder herabfließt. Denn die ‚Gnade und Glorie verleiht der Herr‘, sagt der Psalmist (127). Dass aber die Menschen beständig in den Werken der Heiligkeit verharren, dass sie unverdrossen in der Gnade und Tugend voranschreiten, dass sie selbst mannhaft zum Gipfel der christlichen Vollkommenheit emporstreben und auch andere nach Kräften dazu anspornen, das alles will der Geist Gottes nur dann wirken, wenn die Menschen selbst durch tägliches, tatkräftiges Bemühen ihren Teil dazu beitragen. ‚Nicht den Schlafenden‘, sagt der heilige Ambrosius, ’sondern den Eifrigen werden die göttlichen Wohltaten gespendet (128).’„
Eine flüchtige Überprüfung der Gründungsurkunde zeigt, wie stark diese dauernde, ja heroische Mitarbeit betont wird. Sie wird als Vorbedingung hingestellt für die besonderen Gnadenerweise der Gottesmutter.
In unmissverständlicher Weise weist der Papst auch hin auf das, was wir Beiträge zum Gnadenkapital nennen. Er erklärt:
„Zwar hat unser Heiland seiner Kirche durch das bittere Leiden und den bitteren Tod einen geradezu unendlichen Schatz von Gnaden verdient. Doch diese Gnaden werden uns nach Gottes weisem Rat nur zu Teilen zugedacht; ihre größere oder geringere Fülle hängt nicht wenig auch von unseren guten Werken ab, durch die der von Gottes Huld gespendete Gnadenregen auf die Seelen der Menschen herabgezogen wird. Er wird sicherlich in reicher Fülle strömen, wenn wir nicht nur eifrig zu Gott beten und besonders am heiligen Meßopfer womöglich täglich andächtig teilnehmen, nicht nur in christlicher Liebespflicht die Not so vieler Bedürftiger zu lindern versuchen, sondern vor allem, wenn wir den vergänglichen Gütern dieser Welt die ewigen vorziehen, wenn wir diesen sterblichen Leib durch freiwillige Buße in Zucht halten, ihm Unerlaubtes versagen und auch Hartes und Rauhes ihm abfordern, wenn wir endlich die Mühen und Leiden des gegenwärtigen Lebens wie aus Gottes Hand ergeben annehmen. So werden wir gemäß dem Wort des Apostels ‚an unserem Fleische ergänzen, was an dem Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche’„(129). (130)
Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, zwischen Gottes- und Menschentätigkeit wird lichtvoll dargestellt und dadurch das Verständnis vorbereitet und vertieft für den contractus bilateralis gratuitus (131), von dem wir später zu berichten haben. Die Enzyklika schreibt:
„Man darf aber nicht glauben, dass Christus, unser Haupt, weil er eine so überragende Stellung einnimmt, nicht nach der Hilfe seines mystischen Leibes verlangt. Denn auch von diesem gilt, was Paulus vom menschlichen Organismus aussagt: ‚Das Haupt kann nicht zu den Füßen … sprechen: Ich bedarf euer nicht‘ (132).
Es ist offenkundig, dass die Christgläubigen unbedingt der Hilfe des göttlichen Erlösers bedürfen, da er selber sagte: ‚Ohne mich könnt ihr nichts tun‘ (133), und da nach des Apostels Ausspruch jeder Zuwachs beim Aufbau dieses mystischen Leibes von Christus, dem Haupte, sich herleitet (134). Jedoch muss auch festgehalten werden, so seltsam es erscheinen mag, dass Christus nach der Hilfe seiner Glieder verlangt. Und dies gilt vor allem vom obersten Hirten, insoweit er die Stelle Jesu Christi vertritt: Um der Last des Hirtenamtes nicht zu erliegen, muss er andere zur Teilnahme an nicht wenigen seiner Obliegenheiten berufen und bedarf täglich der Unterstützung durch die Gebetshilfe der Gesamtkirche. Überdies will unser Erlöser, soweit er persönlich auf unsichtbare Weise die Kirche regiert, die Mitwirkung der Glieder seines mystischen Leibes bei der Ausführung des Erlösungswerkes. Das geschieht nicht aus Bedürftigkeit und Schwäche, sondern vielmehr deshalb, weil er selber zur größeren Ehre seiner makellosen Braut es so angeordnet hat. Während er nämlich am Kreuze starb, hat er den unermesslichen Schatz der Erlösung seiner Kirche vermacht, ohne dass sie ihrerseits dazu beitrug. Wo es sich aber darum handelt, den Schatz auszuteilen, lässt er seine unbefleckte Braut an diesem Werk der Heiligung nicht nur teilnehmen, sondern will, dass dies sogar in gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein wahrhaft schauererregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: dass nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen, und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und -mütter, unserem göttlichen Erlöser zu leisten haben.“ (135)
(….)
Die oben zitierte Lesart der Gründungsurkunde trägt unverkennbar den Charakter eines Liebesbundes an der Stirne zwischen Schönstatt und der Gottesmutter: Schönstatt erklärt sich bereit, aus Liebe ernst und gewissenhaft nach Heiligkeit zu streben – die Gottesmutter will dafür ihre Liebe dadurch beweisen, dass sie Schönstatt zur Gnadenstätte macht und das Schönstattwerk ins Leben ruft und leitet und beseelt.
Die Moraltheologen nennen Liebesbund contractus bilateralis gratuitus, zum Unterschied von contractus bilateralis onerosus (136). Weil beide vielfach miteinander verwechselt werden, entsteht leicht Verwirrung und Unsicherheit. Es sei darum noch einmal hervorgehoben, dass wir immer nur von einem Liebesbündnis, vom contractus bilateralis gratuitus sprechen. Als solches wird die Gründungsurkunde charakterisiert durch die Worte: „Ego diligentes me diligo (137).“ Das heißt: Wenn ihr mich liebt und mir eure Liebe beweist, stelle ich meine Liebe unter Beweis. Der folgende Text: „Beweist mir erst, dass ihr mich wirklich liebt … Dann werde ich mich gerne unter euch niederlassen (138)„, bestimmt den genaueren Inhalt des gegenseitigen Liebesbündnisses.
(….)
Wer sich die Mühe nimmt, die gedrängten Darlegungen zu überdenken und zu prüfen, wird sich der Überzeugung nicht verschließen können, dass der Glaube an Schönstatt als Gnadenort und Gotteswerk auf soliden Grundlagen ruht, dass er dem sensus catholicus (139) entspricht.
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Nun komme ich wieder zurück zu unserem Liebesbündnis, zur lokalen Zentrierung der ganzen Familie. Es bleibt zur Vertiefung noch ein Gedanke, der angesagt worden ist. Wir wollten die lokale Zentrierung unseres Liebesbündnisses in den Zusammenhang hineinstellen mit der Theologie und Psychologie der Gnaden- oder der Wallfahrtsorte.
Die Theologie der Gnaden- und der Wallfahrtsorte ist eine theologia absolutae independentiae divinae und eine theologia humilitatis humanae (140).
Was will denn der liebe Gott dadurch sagen, dass er in seinen Plan Gnaden- und Wallfahrtsorte eingeplant hat? Haben wir uns denn nicht von der Dogmatik sagen lassen, dass die normalen Gnadenmittel die Sakramente sind? Ganz zweifellos. Aber weil die Sakramente eine allgemeine Einrichtung sind, von der wir sagen dürfen: sobald Materie und Form gesetzt sind, folgt auch die Gnade, müssen wir wohl zugestehen, dass der liebe Gott sich dadurch in gewisser Weise gebunden hat. Wo also der Priester in der rechten Weise Materie und Form setzt, ist der liebe Gott „verpflichtet“, die entsprechenden Gnaden, die damit verbunden sind, auch auszuteilen.
Sehen Sie, darüber hinaus möchte offenbar nun der liebe Gott auch die Souveränität seiner Handlungsweise noch stärker dokumentieren. Und wodurch tut er das? Dass er, von uns aus gesehen, „willkürlich“ mit bestimmten Orten bestimmte Gnaden verbindet. Müssen wir nicht tatsächlich gestehen, dass in der so gesehenen Wallfahrtstheologie tatsächlich eine eigenartige Souveränität des lebendigen Gottes der Kreatur gegenüber besteht?
Freilich, diese theologia auctoritatis absolutae vel independentiae divinae, die will ergänzt werden durch die theologia humilitatis humanae. Meinen Sie nicht, es gehörte an sich viel mehr Demut, vielleicht auch ein tieferer Glaubensgeist dazu, sich Gnaden zu erbetteln an Gnadenorten als durch die Sakramente? Was der liebe Gott in allen Fällen will, ist immer wieder: seine Souveränität zur Anerkennung bringen und unsere Abhängigkeit in irgendeiner Weise herauslocken. Und das kann er, tut er und hat er in hervorragender Weise getan durch das, was wir die Theologie der Gnadenorte nennen.
Hengstenberg (141) ist ein Professor, ein moderner Philosoph. War früher Protestant, ist also Konvertit. Der kämpft in ähnlicher Weise wie ich gegen den philosophischen Idealismus, das heißt gegen ein System, das sich lediglich nährt aus großen Gedanken, aber das Leben nicht genügend berücksichtigt. Er hebt den Gedanken, den ich eben berührt habe, in ungemein schöner Weise hervor. Es ist dies noch beeindruckender als wenn es ein Priester geschrieben hätte.
„Wir verstehen unter christlichem Realismus die vorbehaltlose Auslieferung an Gott in Christus ohne Rücksicht auf eigenes Wünschen und Wähnen. Zu dieser Auslieferung gehört aber auch, dass wir Gnaden von Gott anzunehmen bereit sind, die wir an dem betreffenden Orte, zu der bestimmten Zeit mit rationaler Vorhersage in keiner Weise erwarten konnten. Dass wir in den Sakramenten Gnaden empfangen, das haben wir gelernt. Aber dass wir an Gnadenorten unter von uns in keiner Weise gesetzten und beeinflussten Bedingungen Gnaden empfangen, die so an keiner anderen Stelle ausgeteilt werden, das ist uns ein Ärgernis. Man verargt Gott die ‚illegale‘ Austeilung von Gnaden. In der Tat, die Annahme solcher Gnaden und ihre Anerkennung verlangt von uns eine besondere Verdemütigung, wie sie durch eine Unterwerfung unter eine geistige Autorität so nie hätte erreicht werden können.
Aber gerade diese Verdemütigung ist uns heute not als Überwindung des idealistischen Rationalismus, der in unsere Frömmigkeit eingedrungen ist. Es gehört mit zum christlichen Realismus, der vorbehaltlosen Auslieferung an Gott in Christus. Ist es nicht tief sinnvoll, dass es solche Gnadenorte gibt, obwohl wir Christus mit seiner Gottheit in jeder Kirche im Sakramente haben? Christus ist dem Priester gewissermaßen in die Gewalt gegeben. Der Priester bestimmt Raum und Zeitpunkt der Wandlung. Ist es da nicht wie eine notwendige ausgleichende Verdemütigung, dass Gott Gnaden spendet an von uns nicht erwählten Orten? – In den Gnadenorten will Gott zeigen, dass er begnadet, wen er will und wann er will; dass man Gott da suchen muss, wo er sich zeigt; dass man ihn da hören muss, wo er spricht, und dann hören muss, wann er die Zeit dazu bestimmt. Das ist der christlich-realistische Sinn der Gnadenorte.
Wie die Gnadenorte für den Gebildeten oft ein Ärgernis bedeuten, aber gerade darin auf den Mangel in unserer ‚gebildeten‘ Frömmigkeit hinweisen, zeigt folgendes Erlebnis. Ein gelehrter Theologe fragte einen anderen: ‚Warum sollte nicht die Muttergottes in Fatima erscheinen können? Grundsätzlich kann man das doch nicht ausschließen.‘ ‚Gewiss kann sie das‘, war die Antwort, ‚aber so, wie ich Ihnen eine Ohrfeige geben kann!‘ Was nicht in den berechneten theologischen Rahmen passt, ist eben eine Ohrfeige!
Was uns heute nottut, das ist der Gehorsam des Syrers aus dem Morgenlande, der gesagt bekam von Elisäus: ‚Wasche dich siebenmal im Jordan, so wirst du gesund!‘(142). Das war eine überraschend einfache Verordnung. Der Syrer konnte sagen, und er hat es zuerst gesagt: Gibt es nicht auch in meiner Heimat Ströme genug? Musste ich deshalb herkommen? Wasche ich mich nicht auch sonst? Aber indem er gehorsam Folge leistete. wurde er gesund.“ (143)
Schönstatt-Lexikon Online: Heiligtum, Wallfahrt
(119) 1. Gründungsurkunde, Nr. 7.
(120) Erste Gründungsurkunde, Nr. 10f.
(121) Das heißt die aus der Zeitgeschichte und speziellen Werdegeschichte herausgehörte Sprache Gottes.
(122) „Sie ahnen, worauf ich hinziele. Ich möchte diesen Ort gerne zu einem Wallfahrts-, zu einem Gnadenort machen… Alle, die hierher kommen, um zu beten, sollen die Herrlichkeit Mariens erfahren und bekennen: Hier ist wohl sein. Hier wollen wir Hütten bauen, hier soll unser Lieblingsplätzchen sein. Ein kühner Gedanke, fast zu kühn für die Öffentlichkeit, aber nicht zu kühn für Sie. Wie oft war in der Weltgeschichte das Kleine und Unansehnliche die Quelle des Großen und Größten. Warum sollte das bei uns nicht auch der Fall sein können? Wer die Vergangenheit unserer Kongregation kennt (gemeint ist die Marianische Kongregation des Studienheimes), dem wird es nicht schwer zu glauben, dass die göttliche Vorsehung mit ihr noch etwas Besonderes vorhat.“ Erste Gründungsurkunde Nr.7
(123) F. Kastner, Unter dem Schutze Mariens, Paderborn 31941, S. 288.
(124) Mt. 6,33
(125) Röm. 8, 28
(126) Zu einer moralischen Sicherheit.
(127) Ps. 84,12
(128) Pius XII, Mystici Corporis Christi, Nr. 87. Ambrosius zitiert nach: Kommentar zum Lukasevangelium, IV, 49 (PL 15, 1626).
(129) Kol. 1, 24
(130) Pius XII, Mystici Corporis Christi, Nr. 106.
(131) Den gegenseitigen frei geschenkten Vertrag
(132) 1 Kor 12,21
(133) Joh 15,5
(134) vgl. Eph 4,16; Kol 2,9
(135) Pius XII, Mystici Corporis Christi, Nr. 44.
(136) Verpflichtenden gegenseitigen Vertrag
(137) „Ich liebe die, die mich lieben“.1. Gründungsurkunde, Nr. 11 (Spr 8,17).
(138) Erste Gründungsurkunde, Nr. 11.
(139) Dem katholischen Empfinden
(140) Eine Theologie der absoluten göttlichen Unabhängigkeit und eine Theologie der menschlichen Demut
(141) Hans-Eduard Hengstenberg (1904-1998).
(142) 2 Kön 5,10
(143) Hengstenberg, Die Marienverehrung im Geisteskampf unserer Tage, Würzburg 1948, S. 81-83.