KR-1 DE 02

2. „Ave Maria, um deiner Reinheit willen
bewahre rein meinen Leib und meine Seele.
Öffne mir weit dein und deines Sohnes Herz,
gib mir Seelen und den Rest magst du behalten.“

Pater Kentenich bezeichnet obiges Gebet als den „Wurzelstock“ der schönstättischen Spiritualität (siehe den vorausgehenden Text). Er nennt es ein Kindergebet, entstanden in seiner eigenen Kindheit. Häufig lud er ein, dieses Gebet zu beten und daraus zu leben. Er stellt es auf dieselbe Stufe wie unser Weihegebet.
Es folgen mehrere kurze Zitate aus verschiedenen Vorträgen, überwiegend aus den vierziger Jahren, der Zeit nach Dachau. Die Zitate lassen leicht erkennen, wie Pater Kentenich in den verschiedensten Zusammenhängen ganz spontan auf dieses Gebet zu sprechen kommt und gerade dadurch die verschiedenen Dimensionen des so schlicht erscheinenden Gebetes aufzeigt.

Die vorliegenden Texte laden weniger zum Studium, als viel mehr zur Betrachtung ein. Wer sie liest, möge versuchen, in den geistlichen Atem des Gründers einzuschwingen und ihm im Text und im Gebet zu begegnen.


29. Juli 1945

Neuerdings beten wir halt gern das Gebetchen, das gestern morgen ja wohl auch nach dem Vortrag verrichtet wurde:
“Sei gegrüßt, Maria! Um deiner Reinheit willen bewahre rein meinen Leib und meine Seele, öffne mir weit dein und deines Sohnes Herz!”
Es ist ein Gebet, das schon längere Zeit von manchen auch privat verrichtet wird …
Wenn Sie tiefer schauen, merken Sie, dass in dem Gebetchen Strömungen ausgedrückt werden, die unsere Familie seit der Inscriptio ständig in Bewegung halten. Spüren Sie, wie stark hier hingewiesen wird auf die beiden Herzen? Das Herz des Heilandes und der Gottesmutter soll uns geöffnet werden; nicht schlechthin, sondern weit, möglichst weit geöffnet werden.
“Offne mir weit dein und deines Sohnes Herz.”

5. August 1945

Man kann das Gebetchen auch wohl so ähnlich beten wie unsere Kleine Weihe, die verrichten wir ja vielfach nicht bloß für uns, sondern auch für andere: ,,O meine Herrin, o meine Mutter, ich opfere sie dir auf…“ Können wir nicht auch so ähnlich beten, wenn wir uns dazu angeregt fühlen: „Sei gegrüßt, Maria! Um deiner Reinheit willen bewahre rein ihren Leib und ihre Seele, öffne ihnen weit dein und deines Sohnes Herz?”
Wir tunüberhaupt klug und gut daran, das kleine Gebetchen recht häufig zum Gegenstand der Betrachtung zu machen. „Sei gegrüßt, Maria! Um deiner Reinheit willen bewahre rein meinen/ihren Leib und meine/ihre Seele, öffne mir/öffne ihnen weit dein und deines Sohnes Herz!”

13. Juli 1947

Wir haben uns daran gewöhnt, täglich das Gebet zu beten: Sei gegrüßt Maria, um deiner Reinheit willen bewahre rein meinen Leib und meine Seele …“ Ich darf Ihnen verraten, das ist ein Gebetchen, das ich mir selber einmal gemacht habe, als ich noch klein war. Ich habe mich immer niedergekniet und dieses Gebetchen gebetet.

6. August 1949

Jetzt wollen wir uns gegenseitig sagen, dass wir noch viel enger zusammen gehören wollen, noch viel treuer zusammenhalten wollen.
Aber die Gottesmutter muss uns die Gnade erflehen, dass wir, so wie wir einander gehören, samt und sonders in ihr Herz, und das Herz Gottes hineinwachsen.
Dieses ist ganz schlicht ausgedrückt in dem Kindergebetchen:
„Sei gegrüßt, Maria,…“ Wie schön das ist! „Öffne mir weit dein und auch deines Sohnes Herz!“ Da wollen wir alle hinein. Unser gegenseitiges Verhältnis muss so sein, dass wenn wir aneinander denken, denken wir an den lieben Gott! Wir sind füreinander der liebe Gott. Das ist die Gnade, die wir uns heute von der Gottesmutter erflehen lassen.

15. September 1949

Ich will nichts für mich allein. Alles, was ich bekomme, will ich benutzen nicht nur, damit ich wachse, sondern damit mein Herz groß wird. Alle Nöte der Schwestern in sich tragen, für alles sich interessieren, opferbereit sein, weg mit aller Genusssucht, ich will nicht genießen. Wenn Gott mir etwas schenkt, es soll umgewandelt werden, so dass alle Menschen mir sagen können: Lass doch in deinem Herzen lebendig werden die Sorge um uns!
„Gib mir Seelen!“ Sie wollen das Gebet für sich ergänzen.
Was heißt das: Gib mir Seelen?
Wir beten den einen Teil: „Sei gegrüßt, Maria, um deiner Reinheit willen bewahre rein meinen Leib und meine Seele.” Die Gottesmutter hat uns das geschenkt, dass Leib und Seele rein geblieben sind.
„Öffne mir weit dein und deines Sohnes Herz …“ Gib mir Seelen und alles andere kannst du für dich behalten!” Ist dieser Seelendurst denn in mir?
Fördere ich denn überall jede apostolische Tätigkeit? Wenn ich durch die Welt reise, ist dann immer der apostolische Geist in mir wirksam, der das in sich aufnimmt, der keine Ruhe hat, bis er, wo sich Gelegenheit bietet, die Welt entzündet hat?
„Gib mir Seelen!“ Wie viele Seelen schenkt dieser Gott! Jedes Mal, wenn jemand notklagend zu mir kommt, gibt Gott mir Seelen. Ich darf Saatkörner ausstreuen.
Gib mir Seelen! Wie ich mich denen hingebe, so werden sie geformt, und was ich denen sage, das geht auf. Und wenn ich heute reise und bettle, dann ist nicht das Geld die Hauptsache, sondern die Seelen.
Da steht nicht: Gib mir Pesos! (6), sondern: Gib mir Seelen! Die Seelen wollen wir gewinnen. Deswegen, durch unser Gebet, durch unser Sein und Opfer wieder so leben, dass man auch von uns sagen kann: Erinnere dich doch meiner und wende ab den gerechten Zorn.

20. September 1949

Es dauert schon noch etwas, bis der Apostolatsgeist bis in die Fingerspitzen in uns steckt. Deshalb nicht so schnell sagen: Was ist das Apostolat für eine Last! Das ist schon recht, dass Sie das hier und da sagen: Was ist das für eine Last …, aber die Grundeinstellung müsste immer sein: Wofür sind wir da? Wir verzehren uns für das Reich Gottes.
Können Sie sich noch erinnern an mein kleines Kindergebet: ,,Gib mir Seelen“? Nicht bloß ein Seelchen, obwohl man um eines Seelchens willen die ganze Welt hingeben sollte. ,,Gib mir Seelen, alles andere behalte für dich!” Es ist ein tiefgreifendes Gebetchen. Wenn Sie sich daran erinnern, was alles darin steckt: „Sei gegrüßt, Maria! Um deiner Reinheit willen bewahre rein meinen Leib und meine Seele, öffne mir weit dein und deines Sohnes Herz! Gib mir Seelen, alles andere behalte für dich!”
Sehen Sie die inneren Zusammenhänge, wie die Reinheit auch wirklich das Mittel ist, um sich des Heilandes und der Gottesmutter Herz geöffnet zu machen?
Aber dadurch wollen wir den alles umspannenden Apostolatsgeist bekommen.

10. Oktober 1949

Sie müssen einmal schauen, wie Gott das so nett macht, zum Beispiel wenn ich an das kleine Gebet denke.
Wenn ich mich prüfe, dann stelle ich fest: Gott hat mich nach diesem Gebetchen geführt: ,, Um deiner Reinheit willen … öffne mir weit dein und deines Sohnes Herz …“ und das andere: „Gib mir Seelen und alles andere nimm mir!”
Es ist, als wenn Gott mich danach erzogen hätte.

9. Februar 1963

Wo es sich um die geistliche Tagesordnung handelte, haben wir ja einige Punkte namhaft gemacht. Ich meine, ich sollte zur Ergänzung noch auf das eine oder andere hinweisen. Zunächst habe ich vergessen ‑ das ist auch ein wesentliches Stück der Tagesordnung unserer Schwestern ‑ das Gebetchen zu erwähnen:
Sei gegrüßt, o Maria.
Um Deiner Reinheit willen bewahre rein
meinen Leib und meine Seele.
Öffne mir weit Dein und Deines Sohnes Herz.
Gib Seelen mir, und alles andere,
das magst Du für Dich behalten.
Das sind also kleine Gebetchen, die an sich ein Kernstück des ganzen Lebens und auch des ganzen Berufes, zumal des jungfräulichen Berufes in sich schließen. Es ist nicht so, dass wir das tun sollen, weil ich es sage. Ich meine, es ist nur der Hinweis von Bedeutung, dass wir auch in kleinen Dingen exakt sein sollen und treu sein sollten.
(Milwaukee-Terziat (1963), 63. Vortrag (Band 7, S. 10))


(6)  Sinngemäß: „Gib mir Geld!“ “Peso” ist die Währung in Spanien und einigen lateinamerikanischen Ländern.