Im Jahre 1930 machte Prälat Ludwig Wolker, der Präses des „Bundes der katholischen Jugend Deutschlands“ in Schönstatt einen Besuch, um die Bewegung zu studieren. Nachdem er vieles aufgenommen hatte, bemerkte er bei einem Schönstattpriester, hinter das Geheimnis der Fruchtbarkeit Schönstatts sei er dennoch nicht gekommen.
Diese Bemerkung griff Pater Kentenich auf und prägte daraus den Begriff „Schönstattgeheimnis“. Die Bemerkung und der Begriff waren ihm willkommener Anlass, den übernatürlichen Ursprung Schönstatts und die Bedeutung des Heiligtums als Gnadenquelle zu bezeichnen und zu erklären.
Es ist sofort einsichtig, dass die Wortprägung „Schönstattgeheimnis“ in innerem Zusammenhang steht mit dem Wort vom „Schatten des Heiligtums“, das gerade im Jahr davor geprägt wurde. Es war die erste Zeit, in der Pater Kentenich seine Überzeugung vom Gründungsvorgang 1914 in das reflexive Bewusstsein der Bewegung hob.
Zum Jahresende 1933 hielt Pater Kentenich eine ganze Tagung über das Schönstattgeheimnis, in der er definierte und auslegte, was mit dem Begriff gemeint ist. Schon in den Wochen davor beschäftigte er sich mit dem Thema; so auch in einer Predigt am 2. Adventssonntag, 10. Dezember, aus der der nachfolgende Text entnommen ist. Er findet sich in: Hug, Bethlehem, 245-265.
Der Begriff „Schönstattgeheimnis“ geriet in die Kritik und wurde vom päpstlichen Visitator, Pater Sebastian Tromp SJ, verboten unter der irrtümlichen Annahme, es handle sich in Schönstatt um eine „Geheimlehre“. Umso wertvoller blieb Pater Kentenich der Begriff und sein Inhalt, und umso mehr sind wir eingeladen, uns der darin ausgedrückten gläubigen Überzeugung zu stellen.
Es ist nach kurzer Zeit schon das zweite Mal, dass Sie unseren Schwestern eine Feier bereiten. Was Sie damit erreichen wollten, ist wohl in ausgiebiger Weise erreicht. Wir fühlen alle, wie es wiederum starke Gemeinschaftsbande sind, die uns zusammenschließen. Wir fühlen alle wieder außerordentlich stark dasselbe tiefe Verantwortungsbewusstsein für eine heilige, große Aufgabe, für eine heilige, große Sendung.
Diese Feier vor allem unseren scheidenden Missionarinnen anzubieten deutet uns wohl zutiefst eure Absicht. Die Feier soll wohl aufgefasst werden wie ein Erbstück an unsere scheidenden Schwestern, als wolltet ihr ihnen zurufen: Tragt unser gemeinsames Geheimnis hinaus in eine weite, ferne Welt! Seid Künder, seid Träger, seid die Boten unseres großen Schönstattgeheimnisses.
Ich danke euch im Namen unserer Schwestern für diesen Ruf, für dieses Erbstück. Und die Zukunft mag zeigen, ob und inwieweit eure Bitten und euer Wunsch erfüllt worden sind.
Es ist mir fast, als hätten wir hier einen sakralen Raum um uns. Es ist mir fast, als wäre es Kapellchenatmosphäre, die uns hier umweht vor dem Bild Unserer Lieben Frau. Ja, wir möchten fast den Atem anhalten und uns gemeinsam im Geiste niederknien vor dem Bild Unserer Lieben Frau.
Es hat einmal einer gemeint, einer, der die heutige Zeit durch seinen Geist außerordentlich stark beeinflusst hat: „Freund Höllenlärm“, ich habe den Respekt verloren vor all den großen Ereignissen, die verbunden sind mit Rauch und Dunst. Die stillsten Stunden, das sind die schönsten Stunden (78).
In diesem sakralen Raum knien wir im Geiste vor dem Bild Unserer Lieben Frau. Und um uns herum tobt und tost die geistige Schlacht. Um uns herum prallen die verschiedenen Weltanschauungen aufeinander. Es ist fast, als sollte eine neue Welt geboren werden. Und wir, meine lieben jungen Freunde, bereiten uns hier in heiliger Stille vor, diese Welt mit zu schaffen. Hier an heiliger Stätte ringen wir um eine heilige Sendung, um die marianische Christusgestaltung der neuen Zeit, der neuen Welt, die zweifellos am Horizont emporsteigt.
Ich meine, meine lieben jungen Freunde, wir sollten knien bleiben vor dem Bild Unserer Lieben Frau. Was eben an unserem geistigen Auge vorbeigezogen ist an Stillem, Wirksamem, an Gemütstiefem, ja, ich möchte fast sagen an Mädchenhaftem, Reinem, Unberührtem, das soll auch bis zum Schluss der Feier unsere Seele erfüllen und durchzittern. Wir wollen die heilige Stimmung nicht entweihen. Wir wollen deswegen auch nicht mit Sturmgebraus tiefer hinein in eine große Ideenbewegung. Wir suchen jetzt nicht eine elementare Kraftentfaltung. Nein, wir wollen still besinnlich uns segnen lassen.
Die Gottesmutter soll über uns stehen und schweben. Sie soll uns segnen, uns, die Lichtträger, die Boten, die Kraftquellen, uns, das Saatkorn einer neuen Zeit.
Mir scheint, aus der Atmosphäre, die augenblicklich uns alle durchzieht, würde und müsste so ganz von selber instinktiv eine dreifache flehentliche Bitte emporsteigen zum Throne, zum Bilde Unserer Lieben Frau.
Erste Bitte: Dreimal Wunderbare Mutter, führe mich doch tiefer ein in das Verständnis deines Schönstattgeheimnisses.
Zweite Bitte: Liebe Dreimal Wunderbare Mutter. mache du mich zur vollendeten Verkörperung dieses deines Schönstattgeheimnisses.
Dritte Bitte: Liebe Dreimal Wunderbare Mutter, sende du mich nun erneut hinaus aus dem Abendmahlssaal, aus dem heiligen Raum. Sende du mich hinaus in mein Arbeitsgebiet als selbstlos freudigen Künder deines großen Schönstattgeheimnisses.
Wollen wir nicht still besinnlich diese dreifache Bitte etwas durchdenken? Sollen wir sie nicht mit unseren Affekten umranken, bis sie mehr und mehr unsere ganze Persönlichkeit gestaltet und geformt hat?
Erste Bitte:
Liebe Dreimal Wunderbare Mutter, lass mich doch tiefer eindringen in das Verständnis deines großen Schönstattgeheimnisses.
Fast möchten wir unwillig den Kopf schütteln: Mutet man uns denn zu, wir würden nicht wissen um das Schönstattgeheimnis, das wir eben durch unsere Jungmannschaft uns so schlicht und doch so vollendet gemütswarm künden ließen? Ja, es ist ein großer Unterschied zwischen dem Wissen und dem Verstehen.
Hören wir doch einmal das Wort Geheimnis. Ein Geheimnis muss doch wohl etwas Unbekanntes sein. Und je größer und tiefer das Geheimnis ist, desto schwieriger – ja sogar unmöglich – mag es sein, seinen Kern bis zum Letzten zu erfassen. Ich darf sagen, auch wenn wir älter geworden sind – zehn, zwanzig, fünfzig Jahre – dann ist die Bitte immer noch berechtigt: Dreimal Wunderbare Mutter, führe du mich tiefer hinein in dein großes Schönstattgeheimnis!
Es gibt so viele geheimnisvolle Stätten, wo die Gottesmutter in der heutigen Zeit ihre Wirksamkeit entfaltet. Wir denken an die vielen Gnadenstätten und Wallfahrtsorte, die heute neu entstehen, nachdem sie beim Volk mehr und mehr vergessen wurden. Es scheint fast, als würde der marianische Morgenstern erneut der heutigen dunklen Welt aufleuchten. Es scheint fast, als sollte bald Weihnachten werden in der heutigen Zeit. Da blitzt und leuchtet an diesem und jenem Ort das Licht der Gottesmutter auf. Sie, die Christusträgerin, offenbart sich wieder mehr und mehr der heutigen Zeit.
Was liegt da näher, als dass auch wir immer wieder neu suchen und untersuchen, worin denn das Eigenartige unseres Schönstattgeheimnisses liegt.
Schönstattgeheimnis! Wer das Wort gebraucht, der denkt unwillkürlich an unser kleines Heiligtum. Der denkt an die Marienminne (79). Der denkt an das Gnadenkapital. Der denkt an unsere Heldensodalen. Wisst ihr aber, worin letztlich das Originelle, das ganz Eigenartige dieses Schönstattgeheimnisses liegt? Wenn ich euch sage, es liegt in der lokalen Schönstattgebundenheit und in der universellen gnadenhaften seelischen Fruchtbarkeit der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt in einer Weise, wie sie letztlich bestimmt wird durch eine ganz originelle Verbindung zwischen göttlichem Gnadenwirken und menschlich freiwilliger und freitätiger Mitarbeit, ob ihr mir dann wohl recht gebt? Oder ob ihr mir kopfschüttelnd sagt: Was soll das denn im Einzelnen bedeuten?
Lasst mich das künden. Lasst mich das etwas tiefer hineinsenken in eure Seelen. Das soll der Dank sein, den die Dreimal Wunderbare Mutter abstattet an euch, ihre Knappen (80), an euch, die jungen Träger eines neuen Staates, die jungen Miterbauer eines neuen Domes.
Das ist an sich nichts Neues, dass sich die Gottesmutter an einen Ort bindet, dass sie ihre Liebe und ihre Wirksamkeit mit einem Ort verbindet. Und doch ist es etwas Neues, dass diese lokale Gebundenheit an einem neuen Ort aufleuchtet. Hat die Gottesmutter denn nicht im Laufe der Jahrhunderte ungezählt viele Orte heimgesucht, an denen sie ihre Liebe und ihre Wirksamkeit in einzigartiger Weise entfaltet? Wo liegt denn der Grund dafür, dass auch wir gläubig überzeugt sein dürfen von der lokalen Gebundenheit der lieben Gottesmutter an unser kleines Heiligtum? „Ziehe die Schuhe aus, denn der Ort. wo du stehst, ist heiliges Land!“ (81)
Wollt ihr wissen, wo die tieferen Gründe für derartige gläubige Überzeugungen liegen, dann müsst ihr die Gründungsurkunde Schönstatts nachstudieren.
In der Gründungsurkunde vom Oktober 1914 lest ihr das Wort: Gottesmutter, lasse dich hier nieder und zieh von hier aus die Herzen der Menschen an dich, um sie von hier aus deinem Sohne zu schenken.
Wir sind ja alle Kinder der Familie. Deswegen sind wir auch alle davon überzeugt, dass die Gründungsurkunde im Himmel angenommen, im Himmel unterschrieben worden ist. Das ist der Grund für unseren Glauben, dass wir hier einen heiligen Ort haben. Das ist der Grund für unsere Überzeugung: wer Schönstatt gläubig berührt, entweder physisch oder geistig, der wird hineingezogen in den eigenartigen Gnadenstrom, der von hier aus hinausrauscht in die deutschen Lande.
Wenn ich also in Not bin und steige hinab in unser Heiligtum und berühre gläubig diesen Ort, dann weiß ich: die Gnaden rauschen reichlicher, als wenn ich irgendwo anders knie mit demselben Affekt, mit derselben Inbrunst. Ich weiß, wenn ich draußen in den Ferien bin, oder wenn unsere Schwestern in einigen Wochen drüben in Afrika ihren Arbeitsplatz gefunden haben, wenn sie geistig gläubig die Verbindung suchen mit unserem kleinen Heiligtum, dann rauschen alle Gnadenquellen, als wenn sie hier aus demselben Glauben heraus physisch den heiligen Ort berühren.
Ich weiß nicht, ob ihr euch von einem unserer Bundespriester habt erzählen lassen, aus welchem Glauben heraus sie in ihrer Heimat nunmehr etwa in 26 bis 30 Gemeinden einen heiligen Kreuzzug begonnen haben. Es ist ihr Ziel, alte marianische Wallfahrtsorte wieder neu aufleben zu lassen, sie dann aber bewusst zu verbinden mit unserem Schönstattgeheimnis, mit unserer Schönstätter Gnadenquelle. Wenn ihr im einzelnen diesen schlichten, starken Glauben auf euch hättet einwirken lassen können, ihr wäret sicherlich innerlich ergriffen. Das sind reife Männer, Männer, die das Leben kennen und die studiert haben. Sie beugen sich aber in einer unermesslichen Kindlichkeit vor dem Schönstattgeheimnis.
Und es wird nicht lange dauern, dann wird man sie anfordern, andere Orte und andere Gläubige in dieser Weise mit Schönstatt zu verbinden. Und was wird ihre Antwort sein? Credo! Ich glaube an das große Schönstattgeheimnis. Ich glaube, dass die Gottesmutter in der heutigen Zeit sich hier unten niedergelassen hat, um von hier aus die Herzen der Menschen an sich zu ziehen und ihrem göttlichen Sohne gleichförmig zu machen.
Was ich euch da in ein paar Worten sage, müsste für lange Zeit der Gegenstand eures Denkens und eures Betens werden.
Wir haben vor ein paar Tagen das Immakulatafest gefeiert. Und wer ein wenig mit den heutigen Zeitströmungen lebt, der denkt wohl auch an die Heiligsprechungsbestrebungen der kleinen Bernadette. Unwillkürlich erinnert uns dann das Immakulatafest an die Entstehungsgeschichte des Wallfahrtsortes in Lourdes. Ob ihr wohl den Unterschied klar vor Augen habt?
Ich bin die Unbefleckte Empfängnis! So rief die Gottesmutter in strahlend schönem Gewand dem schlichten, einfachen vierzehnjährigen Hirtenkind zu. Gehe dort hin, es wird eine Quelle rauschen. Dann wasche dich und trinke daraus. Das Kind folgt der Weisung. Hat sie zunächst wohl falsch verstanden. Sie will in die Nähe gehen, wo ein Bach fließt. Nein, sagt die gütige Frau, nicht dorthin sollst du dich wenden. Steige dort hinab, da fließt die Quelle. Das Kind sieht sich um. Es ist keine Quelle vorhanden. Aber getreu der mütterlichen, gütigen Weisung gräbt es im Sand. Und auf einmal fängt es an zu rauschen. Erst in dünnen Fäden, dann in gewaltigen Strömen. Da ist eine wunderbare Quelle. Am nächsten Tage kommen Hunderte von Leuten; ja, sie mehren sich im Laufe der Zeit auf tausend und abertausend. Sie schöpfen und trinken aus dieser Quelle. Und damit beginnt Lourdes die Quelle von ungezählt vielen Wundern zu werden.
Sehen Sie, wir haben auch eine Gnadenquelle. Die rauscht dort unten im Tal. Sie ist viel schlichter, viel nüchterner entstanden. Eine Gnadenquelle, die kein derartiges äußeres Symbol kennt wie das fließende Wasser in Lourdes. Fühlt ihr, was das heißt? Das Geheimnis Schönstatts ist die lokale Gebundenheit der Dreimal Wunderbaren Mutter.
Wenn ihr nun von diesem übernatürlich gesicherten Standpunkt aus einmal schnell hineinfliegt in die heutige Zeitlage und euch daran erinnert, wie heute die alten Verhältnisse morsch und krank geworden sind, wenn ihr euch daran erinnert, wie alles am Erzittern und Erbeben ist, dann ahnt ihr wohl, belehrt durch tiefe Einblicke in die Geschichte, dass in derartiger Zeit eine Bewegung, die ein Stück Welterneuerung erstrebt, unbedingt, auch rein organisatorisch gesehen, eine lokale Bindung haben muss.
Wer von euch Hitler (82) gelesen hat, weiß, wie er in meisterhafter Weise die modernen Kräfte der Zeit zu sehen und auszunützen versteht, der weiß, aus welchen Gründen auch er seine Bewegung lokal gebaut hat.
Seht hier, meine lieben jungen Freunde, da haben wir mit das Originellste am Schönstattgeheimnis. Alles, was ihr da findet, ist vom Anfang bis zum Ende eine klassische Verkörperung der organischen Verbindung von Natur und Gnade. Seht ihr das Schönstattgeheimnis von unten, dann ist es eine Ausnutzung der modernen psychologischen Kräfte. Seht ihr das Geheimnis von oben, dann ist alles Gabe und Gnade. Ja, Dreimal Wunderbare Mutter, führe du mich doch tiefer hinein in das Verständnis deines Schönstattgeheimnisses.
Ich erinnere noch einmal daran – es ist das ja auch ein wesentlicher Bestandteil unseres Schönstattgeheimnisses -: der Glaube an die tiefgreifende Wirkung der Gnade, wie sie von hier ausgehen soll in die heutige Zeit, der Glaube an die marianische Weltgestaltung, wie sie von hier ausgehen soll.
Unwillkürlich überfliegt nun der Zeitphilosoph und -psychologe die verschiedenartigen Strömungen der früheren und der jetzigen Zeit. Da mögen Stätten vor ihm stehen: hier Mekka, dort Rom. Wie will Schönstatt gesehen werden als örtlich gebundene Zentrale? Wenn ich euch sage: in der mittleren Linie zwischen Rom und Mekka, wenn ich euch sage: als ein lokal gebundenes Zentrum in einer außerordentlichen Geistesbewegung, aber auch gleichzeitig als ein lokalgebundenes Zentrum einer maßvollen Organisation, dann ahnt ihr erst, wie groß und tief das Schönstattgeheimnis ist, vor dem wir uns heute beugen und das die Gottesmutter durch ihre Gnadenwirkung heute tiefer in unsere Seele einsenken möchte. Schönstattgeheimnis, werde wach! Werde mehr und mehr vor meinem geistigen Auge klar!
Ich sehe dann einen zweiten wesentlichen Teil dieses Schönstattgeheimnisses. Wir nannten es die lokale Gebundenheit und universelle, gnadenhafte seelische Fruchtbarkeit der MTA, der Mater ter admirabilis.
Ihr wisst, was damit gemeint sein soll! Wir erwarten also von unserem Heiligtum zunächst und unmittelbar nicht Gesundung des Leibes, sondern vor allem tiefere Erfassung der Seele, seelische übernatürliche Umwandlung! Christusgestaltung des Lebens.
Universell soll diese Wirksamkeit sein. Worin das begründet liegt? Alles, was wir glauben, muss entweder formaliter explicite oder implicite (83) in unserer Gründungsurkunde enthalten sein. Und wenn wir darin zum Ausdruck bringen, dass ein großes Stück sittlich religiöser Welterneuerung von hier ausgehen soll, dann bedeutet das für uns, die wir von Anfang bis zum Ende stark eingestellt sind auf organische, harmonische Verbindung von Natur und Gnade, dass von hier aus gleichsam eine neue Idealkirche im ganzen Umfang gebaut werden soll.
Was schließt eine Idealkirche in sich? Einen ganz breiten Untergrund: die Massen des Volkes. Die Massen müssen also auch mit der Zeit gläubig an Schönstatt hängen. Soll eine Welterneuerung von hier ausgehen, dann müssten wir auch die Massen bewegen. Aber eine Masse als solche wird vermassen, wenn nicht wirklich überragende, hochragende Führer sie leiten.
Universelle Fruchtbarkeit. Wenn wir zunächst denken an die Mitarbeiter der Liga als der große weite Untergrund des Domes, dann überlegen wir: es müssen aber in dieser Masse auch Führer sein. Und wo und wie sollen die geboren werden? Wo und wie sollen die erzogen werden? Wo und wie sollen die wirksam sein? Wir kennen ja die ganze Struktur der Bewegung. Sie ist fähig, eine Idealkirche zu schaffen in der heutigen Zeit. Da stehen die Mitglieder der Liga und die Mitglieder des Bundes vor uns. Das ist das Geheimnis Schönstatts. Credo! Ich glaube an das Geheimnis Schönstatts.
Es liegt aber in diesem Geheimnis auch noch ein dritter wesentlicher Bestandteil. Die lokale Gebundenheit der Gottesmutter und ihre universelle Fruchtbarkeit von hier aus ist nicht schlechthin und nur die Wirksamkeit der Gnadenberührung. Hier treffen wir wieder den Kern unserer Eigenart: sie ist gleichzeitig die Frucht der eigenen Mitwirkung.
Denkt an Lourdes, an Kevelaer oder wohin ihr euren geistigen Blick lenken wollt: Ihr werdet durchweg Gnadenorte finden, die so ganz rein aus dem Gnadenwirken Gottes herausgeflossen sind. Aber hier in Schönstatt? Betrachtet wieder einmal die Gründungsurkunde. Was steht darin? Die Gottesmutter möge sich herabneigen, aber nicht ohne uns. Wir wollen mitwirken. Nicht ohne uns! Fühlt ihr nicht das Originelle? Immer wieder geht es um die organische Verbindung von Natur und Gnade. Habt ihr das nicht eben auch herausgehört aus dem, was ihr von Josef Engling uns vorgelesen habt? Die Gottesmutter soll es tun aber nicht ohne uns. Wir wollen mitwirken. Gerade dieser Gedanke der Mitwirkung ist ja die Geburtsstunde des Gnadenkapitals geworden. Seht: nichts ohne uns! Schönstattgeheimnis, werde mir doch klar und klarer! Wir sollen nicht nur Zehrer, wir müssen Mehrer des Gnadenkapitals werden.
Wir fühlen, es wird eine neue Zeit geboren. Wir möchten aber nicht nur als Zuschauer hinabsehen in die Arena der heutigen Kämpfe. Nein, wir müssen tief hinabsteigen in die Arena. Und wie kämpfen wir zunächst mit in diesem gewaltigen Kampf? Nichts ohne uns! Die Gottesmutter will und soll hier wirksam sein, aber nur um den Preis unserer eigenen Wirksamkeit. Nicht ohne uns!
Habe ich recht, wenn ich euch sage: so leicht ist es doch nicht, das Schönstattgeheimnis zu erfassen und zu durchdringen? Habe ich recht, wenn ich sage: und wenn ihr zehn, zwanzig und fünfzig Jahre älter seid – wie schwer mag es uns dann sein, die eigenartige Vermählung zwischen Gottes Gnadenkraft und menschlicher Mitwirkung im Einzelnen zu erfassen und zu durchdringen! Und hier in Schönstatt feiert diese Vermählung, diese Verbindung zwischen Gottes Gnade und unserer persönlichen kraftvollen Mitwirkung Tag für Tag eine Hochzeit.
So mögen wir uns denn im Geiste niederknien und still und besinnlich bitten: Dreimal Wunderbare Mutter, entschleiere mir doch mehr und mehr dein großes Schönstattgeheimnis!
Zweite Bitte:
Wir fügen sofort eine zweite Bitte bei: Lass mich eine Verkörperung dieses deines großen Geheimnisses werden! Wer die heutige so tief aufgewühlte Zeit kennt, wer klar erkennt, wie alte Bindungen einfach über den Haufen geworfen werden, der weiß auch, was eine Erneuerungsbewegung unter allen Umständen besitzen muss. Das ist ein Dreifaches:
zunächst eine ganz große Idee,
dann zweitens die Inkarnation dieser Idee in einzelnen Trägern
und dann drittens große, überragende Führer.
Wir denken sofort an unsere Bewegung. Wir glauben ja, dass unsere Bewegung von Gott durch die Gottesmutter gerufen ist, ein wesentliches Stück an der marianischen Christusgestaltung der Welt mitzuwirken. Wir haben das ja bisweilen in die schroffe Form gegossen: Im Schatten dieses Heiligtums werden die Geschicke der Kirche auf Jahrhunderte, auf Jahrtausende außerordentlich stark mit beeinflusst.
Es muss also wohl von hier aus einmal – wenn unser Schönstattgeheimnis keine Narretei ist – eine ganz große Erneuerungsbewegung ausgehen. Was ist dazu notwendig?
Wir kennen diese Idee: marianische Christusgestaltung der Welt, lokalisiert, gebunden an einen Ort, ausgehend von einem ganz bestimmten Ort. Wir brauchen uns nicht erneut zu erwärmen für diese große Idee. Aber ihr dürft nicht vergessen: eine derartige abstrakte Idee, wenn sie auch lebensnahe vorgetragen wird, genügt nicht.
Soll eine Bewegung säkulare Bedeutung bekommen, dann muss diese Idee inkarniert sein. Sie muss Fleisch, Gestalt und Form annehmen in den einzelnen Trägern der Bewegung. Das ist das Wichtigste.
Wollt ihr einmal Seitenblicke werfen hinüber in andere Lager, dann mögt ihr euch daran erinnern, wie der Nationalsozialismus jetzt mit allen Mitteln darauf hinarbeitet, dass die einzelnen Träger der Bewegung auch die Ideen an sich mit ganzer Inbrunst und mit großer Begeisterung verkörpern.
Das ist das, was wir so oft in der Familie sagen: Geistpflege! Es genügt nicht, dass wir Mitläufer sind. Wenn uns das nicht glückt, dass jeder Träger unseres marianischen Schönstattreiches auch die Grundideen der Familie in sich verkörpert, dann sind wir nicht auf dem rechten Wege: Geistpflege soweit als möglich.
Wir vergessen nicht: soll eine säkulare Bewegung ihren Sinn erfüllen, dann braucht sie Führer. Wisst ihr, was ein derartiger Führer an Eigenschaften besitzen muss? Er muss den zusammengeballten Willen seiner Gefolgschaft in potenzierter und konzentrierter Weise in sich verkörpern. Das ist Führerschaft, nicht Anführerschaft.
Es muss jeder in der Gefolgschaft das Gefühl haben: was in mir steckt an edlen Antrieben, das ist in meinem Führer in potenzierter Weise verkörpert.
Nun wollen wir noch einmal beten: Dreimal Wunderbare Mutter, verkörpere doch in mir dein Schönstattgeheimnis. Ich weiß es nicht, welche Form ich im Einzelnen eurer Bitte geben soll. Soll ich beten: Verkörpere in mir deine Idee als Gefolgschaftsmann, oder verkörpere in mir dein großes Schönstattgeheimnis als Führer. Da mag die Gnade Gottes selber die Seele berühren. Ich bete zunächst einmal die Bitte im Namen derer, die die Hand noch nicht auszustrecken wagen nach einem Führerposten: Dreimal Wunderbare Mutter, verkörpere du doch in mir dein Schönstattgeheimnis.
Inkarnation der großen Idee! Was heißt das?
Gottesmutter,
Verkörpere doch in mir die Kapellchengebundenheit,
verkörpere doch in mir die Mariengebundenheit,
verkörpere doch in mir die Aufgabengebundenheit,
verkörpere doch in mir die Familiengebundenheit,
verkörpere doch in mir die Organismusgebundenheit.
3.1 Wenn ich ein echter Träger des Schönstattreiches sein will, dann muss ich die Verkörperung der Kapellchengebundenheit sein. Es ist eine „Schönstatt-Häresie“, wenn jemand das Kapellchen nur auffasst als Symbol. Wenn ich Träger sein will und Träger der großen Bewegung sein darf, dann muss ich mit allen Fäserchen meines Herzens an diesen Ort gebunden sein.
Lest einmal nach, was bei früheren Tagungen gleich schon in der ersten Etappe unserer Geschichte von diesen Wahrheiten proklamiert worden ist. „Wer nicht am Kapellchen hängt, wer das Kapellchen nur als Symbol ansieht für Ideen, der wird niemals eine Stütze der Familie werden.“ Der mag interessiert sein an der Bewegung, der mag dankbar die großen Gedanken annehmen, der mag wohl auch einmal begeistert davon sprechen, aber hier müssen wir Ernst machen. Aut Caesar aut nihil! (84) Nachläufer, Mitläufer können wir nicht gebrauchen.
Studiert die Zeichen der Zeit. Wie machen es andere Bewegungen? Jeder Träger, jeder Gefolgschaftsmann muss innerlich erfüllt sein von dem Grundgedanken, er muss das Geheimnis in sich verkörpern. Seht, deswegen muss ich die Verkörperung der Kapellchengebundenheit sein.
3.2 Ich muss auch die Verkörperung der Mariengebundenheit sein. Wer es im Laufe seines Lebens nicht erreicht, dass er eine tiefe, kindliche Gebundenheit an die Dreimal Wunderbare Mutter, wie sie hier in unserem Heiligtum wohnt und thront, bekommt, von dem müssen wir auch sagen: er mag geistreich sein, er mag organisatorisch begabt sein, aber durch derartige Menschen will Gott nicht Heil wirken in Israel. Hier haben wir wesentliche Forderungen.
3.3 Weiter: Dreimal Wunderbare Mutter, mach du mich zur Verkörperung der Aufgabengebundenheit. Ihr kennt das große Ziel: Von hier aus soll die marianische Christusgestaltung der Welt ausgehen. Hier habt ihr die Ideenbewegung. Wenn ihr wollt, dann mögt ihr in dem Zusammenhang Schönstatt auffassen als Symbol für eine Idee. Aber es muss in irgendeiner Weise auch die große Aufgabengebundenheit vorhanden sein.
3.4 Und dann die Familiengebundenheit. Wir als Gesamtheit dürfen diese Aufgabe lösen. Nicht nur ich allein. Wir sind eine heilige Phalanx, eine heilige Stadt, ein heiliger, lebendiger Dom. Wir als Gesamtheit, Schulter an Schulter. Das sind die Gedanken, die Ziele. Jeder muss sie in sich verkörpern. Dreimal Wunderbare Mutter, verkörpere du doch in mir das Schönstattgeheimnis !
3.5 Ich habe ein Wort noch nicht erklärt: Verkörpere du doch in mir die Organismusgebundenheit. Das will heißen, mach du mich doch zur Verkörperung eines heiligmäßigen Menschen, der beides gleichzeitig miteinander verbindet: den von der Gnade geprägten und den sittlich edlen Menschen.
Das sind jetzt nicht Gedanken, die ich bloß aus dem Ärmel schüttle, das sind Kerngedanken, die der Bewegung von Anfang an vor Augen schwebten. Hier habt ihr das Originelle unseres Heiligkeitsstrebens. Hier habt ihr das Originelle unseres ganzen großen Schönstattgeheimnisses. Wir erwarten also nicht, dass wir „fromme“ Menschen schaffen. Wir müssen den neuen Menschentyp schaffen, der die heutige Zeit tragen kann. Und dieser neue Menschentyp will die Verkörperung der organischen, harmonischen Verbindung von Natur und Gnade sein.
Ich darf mich noch einmal im Geist niederknien und wage dann die Bitte: Dreimal Wunderbare Mutter, verkörpere in mir als Führer das große Schönstattgeheimnis!
Eine Zeit, die aufgewühlt ist wie die heutige, die also wurzellos wird, die vielfach dingentbunden und lokalentbunden wird, eine derartige Zeit ist viel wesentlicher als andere Zeitepochen auf echtes, wahres Führertum angewiesen. Je weniger lokale Gebundenheit und Dinggebundenheit, desto stärker ist der Mensch angewiesen auf personale Gebundenheit. Desto stärker drängt alles dahin, aus der Zeit heraus die Zeit wiederum zu regenerieren durch echtes, wahres, tiefgehendes Führertum.
Ihr dürft aber auch nicht übersehen, in einer Zeit, wie wir sie vor uns haben, wo so vieles vielfach extrem in den Menschen aufgepeitscht wird, ist die Gefahr gar zu groß, dass Führer diejenigen Menschen werden, die seelisch krankhaft sind, weil derartige Menschen eine Überproduktion an aufgespeicherter Gefühlswärme haben. Und denen läuft der wurzellos gewordene heutige Mensch gar zu leicht nach. (85)
Die Geschichte einer Bewegung ist wie die Geschichte eines Volkes zu allen Zeiten die Geschichte der Führer gewesen. Habe ich da den Mut zu bitten: Dreimal Wunderbare Mutter, verkörpere doch in mir als einem Führer dein großes Schönstattgeheimnis!?
Meinerseits möchte ich nur auf einen Punkt noch besonders hinweisen. Ihr lebt ja gegenwärtig in der Frühlingszeit eures Lebens. Und ihr denkt daran, unsere Bewegung will universelle, weltweite Bedeutung haben. Weltweite Bedeutung dem Ziele nach! Weltweite Bedeutung auch den Grundkräften nach, die in ihr wirksam sind. Das heißt für mich als Führer: Ich muss in irgendeiner Weise die Grundkraft der Zeit in mir verkörpert haben. Das ist der wahre Führer. Ich als Führer muss deswegen auch die wesentlichen Bestrebungen meiner Gefolgschaft in mir verkörpern. Ich muss also in mir ein starkes Gemisch von männlichen und von weiblichen Eigenschaften haben. Das habe ich eben Organismusgebundenheit genannt. Und diese Organismusgebundenheit muss wohl für den gewöhnlichen Führer bis zu diesem Ausmaße sich entwickeln. Es dürfte also im Wesentlichen keine Grundkraft der heutigen Zeit vorhanden sein, die nicht im echten, wahren, geborenen Führer irgendwie einen Ableger gefunden hat.
So mögen wir denn erneut niederknien und noch einmal beten: Dreimal Wunderbare Mutter, mache du mich zur Verkörperung deines großen Schönstattgeheimnisses.
Dritte Bitte:
Dreimal wunderbare Mutter, mache mich zum Künder deines Schönstattgeheimnisses.
Wenn ihr das Schönstattgeheimnis richtig erfasst habt, dann wisst ihr: es steht in Flammenschrift über Schönstatt das Wort: Nichts ohne mich! Schönstatt ist nicht geworden lediglich aus Gnade, sondern Schönstatt ist bewusst geworden – wie vielleicht kaum ein anderer Wallfahrtsort der Erde – durch die Mitwirkung der Träger des Geheimnisses. Nichts ohne mich!
Ein gewaltiger Gnadenstrom sprudelt hinaus in die Lande, nicht nur in die deutschen Lande, auch darüber hinaus.
Schönstatt ist nicht geworden ohne die tatkräftige, selbstlose, heroische Mitarbeit der ersten Träger. Und Schönstatt darf nicht weiter werden ohne uns. Deswegen: Dreimal Wunderbare Mutter, mache du mich zum Künder deines großen Schönstattgeheimnisses. Ich will dich künden. Ich will dein Geheimnis künden durch mein Sein. Bis in die Fingerspitzen hinein will ich die Verkörperung des Schönstattgeheimnisses sein. Meine Eltern, meine Verwandten sollen es merken. Es muss eine Bewegung in die hineinkommen, eine Schönstattbewegung. Ich darf nicht ruhen, ich will Künder dieses Geheimnisses sein in meinem Eltern- und Verwandtenkreis.
Neben mir sind noch Kameraden, die nicht so erfasst sind von dieser Welt. Künder darf ich sein. Ich muss es sein in kluger Weise, nicht aufdringlich. Es muss so werden ein Hirt und eine Herde. Und wenn ich sonstwo studiere, dann muss das wenigstens mein Ziel sein, wenn es auch heute und morgen nicht erreicht wird: Ich muss und darf Künder des großen Schönstattgeheimnisses sein.
So mögen wir im Geiste niederknien und bitten:
Dreimal Wunderbare Mutter, lass mich doch tief eindringen in das Verständnis deines und unseres Schönstattgeheimnisses.
Dreimal Wunderbare Mutter, mach du mich zur Verkörperung deines Schönstattgeheimnisses, entweder als Gefolgschaftsmann in Gefolgschaftstreue oder als Führer einer großen Gefolgschaft.
Dreimal Wunderbare Mutter, mache du mich doch zum Künder deines Schönstattgeheimnisses allüberall, wohin mein Fuß und meine Aufgabe mich irgendwie und irgendwann trägt.
Schönstatt-Lexikon Online: Schönstattgeheimnis
(78) Friedrich Wilhelm Nietzsche
(79) „Minne“ ist ein altdeutsches Wort für „Liebe“.
(80) Der „Knappe“ ist ein junger Mann, der sich vorbereitet, ein Ritter zu werden. Der „Ritter“ ist im Mittelalter ein Mitglied des niederen Adels. Er steht gewöhnlich im Dienst eines höheren Herren, eines Fürsten oder Königs hier auf Erden, letztlich im Dienst Jesu Christi.
(81) Ex. 3,5
(82) Gemeint ist wohl das Hauptwerk Adolph Hitlers, „Mein Kampf“.
(83) Ausdrücklich oder nur einschlussweise
(84) „Entweder Caesar (Kaiser) oder gar nichts“.
(85) Eine deutliche, wenn auch versteckte Anspielung auf Hitler