Wie bekannt, bezeichnet der 31. Mai 1949 den 3. Meilenstein in der Schönstattgeschichte. Es gibt mehrere Inhalte, die ihn charakterisieren:
– Vor allem markiert er den Kreuzzug des „organischen Denkens, Lebens und Lebens“ im Kampf gegen das „mechanistische Denken“.
– Er bezeichnet aber auch das Ringen des Gründers, dass Schönstatt als ein Werk der Kirche von ihr anerkannt und in ihren Organismus eingefügt wird.
– Schließlich weist der Meilenstein unter dem Stichwort „Rückstrom“ auf die Bedeutung und originelle Sendung der Filialheiligtümer und ihrer organischen Verknüpftheit mit dem Urheiligtum hin.
– Auch die „Schicksalsverwobenheit“ zwischen „Haupt und Gliedern“, „Gründer und Gründung“ – schon im 20.1.1942 ausgeprägt – erhält in dieser Zeit der Auseinandersetzung noch einmal einen eigenen Akzent.
Am 31.5.1949 lag der erste Teil der „Epistola perlonga“ auf dem Altar des wenige Tage zuvor, am Pfingstsonntag, eingeweihten Heiligtums in Bellavista bei Santiago de Chile, das zu der Zeit noch nicht ganz fertig in einem offenen Feld stand; wirklich Symbol menschlicher Hilflosigkeit.
In der „Epistola perlonga“ verteidigte Pater Kentenich sein Denken und die Prinzipien seiner Gründung gegen Vorwürfe der bischöflichen Visitation vom Februar 1949. Dabei verwies er auch auf die Gefahr mechanistischen Denkens in kirchlichen Kreisen Deutschlands, weswegen er harte Schläge gegen sich und sein Werk von der kirchlichen Autorität befürchtete.
Aus Anlass dieses Ereignisses hielt Pater Kentenich an dem denkwürdigen Tag eine Ansprache im neuen Heiligtum. Der unmittelbare und anwesende Adressat waren die Marienschwestern, die kurz vor dem Zweiten Weltkrieg – also gerade 15 Jahre davor – nach Chile gekommen waren und noch sehr in den Anfängen des Aufbaus ihrer Gemeinschaft steckten; eine Hilflosigkeit, die der Vortrag anspricht und als Symbol nimmt.
Die Ansprache ist ein bedeutendes geschichtliches Dokument. Sie spricht die ganze Thematik des dritten Meilensteins an. Sie spiegelt auch die innere Einstellung Pater Kentenichs wieder, in der er den „Todessprung“ für sich und sein Werk vollzog, den er in diesem Meilenstein gegeben sah und der ihn ja auch in eine vierzehnjährige Verbannung und das Werk an den Rand eines kirchlichen Verbotes brachte.
Die vorliegende Wiedergabe der Ansprache ist eine Kombination aus drei Quellen: einer stenografischen Mitschrift aus dem Jahre 1949, der Auszüge des Vortrags im so genannten „Josephsbrief“ (Das Lebensgeheimnis Schönstatts, I. Teil, S. 184 – 189) und aus einer Quelle aus dem Jahr 1996. Zum Vergleich mag auch beigezogen werden die Wiedergabe in „Texte zum 31. Mai 1949“, Santiago 1974, S. 1 -13.
Es ist etwas wie Heimatluft, die uns augenblicklich umweht. Es mag uns scheinen, als ob Engel unter uns weilten und uns zuriefen: »Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliges Land« (139). Ja, er ist heilig, er will mehr und mehr heilig werden, heiliges Land. Heiliges Land, weil die Gottesmutter sich dieses Plätzchen auserwählt hat; heiliges Land, weil von diesem Fleckchen Erde im Laufe der Jahre, der Jahrzehnte, ja im Laufe der Jahrhunderte heilige und heiligmäßige Menschen gedeihen, wachsen und fruchtbar werden dürfen; heiliges Land endlich, weil von hier aus heilige, das heißt heiligende Aufgaben auf schwache Menschenschultern gelegt werden sollen.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass Schönstatt zu uns gekommen ist, Alt-Schönstatt zu Neu-Schönstatt. Von heute ab haben wir – so dünkt mich – die Aufgabe, von hier aus dafür zu sorgen, dass Neu-Schönstatt den Weg nach Ur-Schönstatt zurückfindet. Der Gnadenstrom, der von drüben in der Fülle der Dritten Gründungsurkunde hierher geflutet ist und ständig weiterflutet, möchte wieder zur Quelle zurück und dorthin reichen Segen bringen.
Das dürfte der tiefe Sinn der heutigen Feier sein. Sie ist beides gleichzeitig: beglückende Gabe und bedrückende Aufgabe.
Wir sind ja hier in stiller Abendstunde zusammengekommen, um der lieben Gottesmutter in feierlicher Weise die gemeinsame Arbeit, die wir für sie fertiggestellt haben, zu überreichen. Ich nenne die Arbeit eine gemeinsame. Während ich Tag und Nacht geschrieben, haben Sie im Hintergrund für mich den Heiligen Geist in unserem Coenaculum (140) erbeten. Sie wurden nicht müde, in derselben Absicht in erhöhter Weise Opfer zu bringen. Vor allem bemühten Sie sich, im Alltag Ernst zu machen mit dem Leben aus der Inscriptio.
Mit dieser feierlichen Überreichung übernehmen wir eine Last, die Menschenschultern, wenn sie sich selbst überlassen sind, nicht tragen können. Wir erwarten aber auch einen großen Segen für das Abendland, zumal für unsere Heimat. Von dort haben wir uns hierher senden lassen, um hier als Werkzeuge in der Hand unserer lieben Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt die Pläne göttlicher Weisheit und Liebe verwirklichen zu helfen. Wir versuchten zu tun, was wir tun konnten.
Ob es ein Gegengeschenk, eine Anerkennung, eine Ehre für uns ist, wenn wir annehmen, dass sie uns von heute ab benutzen will, um von hier aus einen stärkeren rückwirkenden Einfluss auf die Gestaltung der Geschicke der Kirche im abendländischen Kulturraum zu gewinnen? Wir denken selbstverständlich, wenn wir das Wort »Abendland« hören, immer zunächst an Deutschland.
Darf ich ausdrücken, was in diesem Augenblick unsere Seele bewegt? Darf ich in Worte kleiden, was in unserem Herzen vor sich geht? Wir kommen, um zu schenken und beschenkt zu werden. Wir tauschen mit der lieben Gottesmutter aus: unsere ganze Hilflosigkeit, Hilfsbereitschaft und Hilfstreue. Wir schenken ihr unsere Hilflosigkeit, und sie schenkt uns ihre Hilflosigkeit. Wir schenken ihr unsere Hilfsbereitschaft, und sie schenkt uns ihre Hilfsbereitschaft. Wir schenken ihr unsere Hilfstreue, und sie schenkt uns ihre Hilfstreue.
Diese Gegenüberstellung erinnert uns unwillkürlich daran, dass der Zentralgedanke, der uns immer bewegt, der uns ständig vorwärtstreibt, der uns aber auch eine unerschütterliche Ruhe in allen Situationen sichert, der Bündnisgedanke ist. Er steht auch diesmal im Vordergrund unseres Interesses. Er gibt uns Antwort auf alle Fragen, die eine Lösung erheischen. Die beiden Partner, die seit Jahr und Tag zusammengehören, stehen sich in diesem Augenblick an heiliger Stätte erneut gegenüber. Und was wollen sie?
Was wir bringen, was wir schenken, das ist unsere Hilflosigkeit.
Es ist eine wirtschaftliche Hilflosigkeit. Halten Sie jetzt einen Augenblick inne. Ich denke zunächst an die, die die wirtschaftlichen Sorgen zu tragen haben. Diejenigen, die unmittelbar die Verantwortung übernommen haben, wollen das heute Abend schlicht tun; mit der ganzen Innigkeit, die in ihrer Seele steckt, wollen sie ihre ganze Hilflosigkeit der lieben Gottesmutter anbieten.
Es ist aber auch eine physische Hilflosigkeit. Diejenigen, die hierher gekommen sind, werden bald merken, wie das Klima ihnen körperlich zusetzt. Wenn wir uns sagen: Was auf diesen schwachen Schultern ruht, darauf soll erbaut werden eine neue Welt. Unser Körper ist viel zu schwach für das Klima und für die Aufgaben, die uns auferlegt werden.
Was schenken wir also der lieben Gottesmutter? Wir kommen mit vollen Händen: mit der wirtschaftlichen Hilflosigkeit, mit der physischen Hilflosigkeit, aber auch mit der geistigen Hilflosigkeit.
Wir, die wir aus der Heimat kommen, selbst wenn wir geistig gewandt sind – wie stark empfinden wir unsere Hilflosigkeit! Wir können nicht sprechen. Wie hilflos sind wir, unsere geistigen Güter weiterzugeben! Unser Herz ist voll und der Kopf gefüllt – und doch: Ach, ach ich kann nicht sprechen! Es geht uns mehr oder weniger allen so. Wenn auch die Einzelne mehr oder weniger die Sprache beherrscht, aber gewandt sich ausdrücken zu können, die Seele des Volkes zu treffen, bringen wir so schnell nicht fertig. Dann spüren wir unsere geistige Hilflosigkeit. Mit der ganzen Innigkeit, die in uns steckt, bieten wir der lieben Gottesmutter diese Hilflosigkeit an.
Am tiefsten empfinden wir wohl alle unsere moralische Hilflosigkeit. Wo die Kindesliebe einmal aufgebrochen ist, welche Hilflosigkeit kommt dann zum Ausdruck. Jeder höhere Grad der Kindesliebe vertieft auch unser Schwächebewusstsein. Nur wenn das Kind klein ist, kann es groß werden. Das geht uns allen ohne Ausnahme so: je näher wir dem lieben Gott kommen, desto mehr empfinden wir auch das Dunkel in unserer Seele. So bieten wir der lieben Gottesmutter unsere ganze moralische Hilflosigkeit an.
Und endlich auch unsere religiöse Hilflosigkeit. Wie oft kommen wir uns Gott gegenüber so kalt und hilflos vor. Wir möchten Feuerbrände sein, die für Christus und das Göttliche glühen. Auf der einen Seite steckt hinter der Sehnsucht ein tiefer Sinn, und auf der einen Seite ist diese alles andere, als was man mit einem Feuerbrand vergleichen könnte. So kommen wir denn und schenken der lieben Gottesmutter unsere vielgestaltige Hilflosigkeit.
Ich habe eben darauf hingewiesen, welch große Aufgaben wir als kleine Familie hier in Chile haben. Aber auch der Anlass, der uns heute Abend zusammenführt, macht darauf aufmerksam, dass der liebe Gott uns eine große Aufgabe gegeben hat für die ganze Welt, insbesondere für Europa, für das Abendland. Was ist das für eine Aufgabe? Es handelt sich darum, die Wurzel, den letzten Keim der Krankheit der abendländischen Seele bloßzulegen und zu heilen, woran die abendländische Seele leidet: das mechanistische Denken.
Ich habe Gründe genug für die Annahme, dass Gott mir und der Familie nach dieser Richtung eine schwere Last auf die Schultern gelegt hat. Das Gesetz der geöffneten Tür überzeugt mich davon…
Was ich jetzt nach Deutschland an den Episkopat geschrieben habe, das wird verwunden. Wir kommen auch nach dieser Richtung mit einer großen Hilflosigkeit. Wer wagt es, der kirchlichen Autorität gegenüber so aufzutreten? So etwas kann sehr missglücken. Und trotzdem: Wer eine Sendung hat, muss sie erfüllen. Prophetensendung schließt immer Prophetenlos in sich. Wer eine Sendung hat, muss dieser auch getreu und gerecht werden. Wir sehen das Abendland in Trümmer gehen und sehen von hier aus einen großen Gegenstrom.
Hilflosigkeit! Wenn ich nun einmal zurückdenke, wie das alles geworden ist. Es ist ein überaus großes Geschenk, was der liebe Gott mir gegeben hat: die organische Denkweise im Gegensatz zur mechanistischen Denkweise. Das ist der persönliche Kampf meiner Jugend gewesen. Meine Kämpfe sind eigentlich die Kämpfe gewesen, die das Abendland jetzt durchführt. Er ließ mich durchkämpfen, was das heutige Abendland bis in die tiefsten Wurzeln erschüttert. Der liebe Gott hat mir einen klaren Verstand gegeben, so dass ich jahrelang Glaubenskämpfe durchmachte. Was mir in all den Jahren den Glauben bewahrt hat, war eine tiefe, schlichte Marienliebe. Marienliebe schenkt an sich immer diese organische Denkweise.
Die Kämpfe haben aufgehört, als ich Priester wurde und ich die Welt, die ich in mir trug, zu formen und zu gestalten wusste. Das ständige Grübeln hat am gewöhnlichen, alltäglichen Leben einen Genesungsprozess erfahren. Das ist auch der Grund, warum ich die moderne Seele so gut verstehe, das, was im Abendland so viel Unheil anrichtet. Wem ich das alles zu verdanken habe? Das ist ein Geschenk von oben her, zweifellos das große Geschenk der Gottesmutter. So durfte ich mit der Krankheit auch ihr Heilmittel am eigenen Leib in reichem Maße erfahren.
Die eindeutige Sendung Schönstatts für das Abendland, vornehmlich für die eigene Heimat, gegenüber dem machtvoll anstürmenden und alles in Staub legenden Kollektivismus steht vor einer Mauer, die nur dann in größerem Ausmaße wirksam durchbrochen werden kann, wenn der bezeichnete Krankheitskeim überwunden und entfernt worden ist…
Sie dürfen in Ihrer Art an dieser Last mittragen und die Aufgaben der Familie teilen. Wir müssen aber damit rechnen, dass die Arbeit in der Heimat edle Herzen tief verwundet, dass sie helle Empörung weckt und machtvoll ausholende Gegenschläge veranlasst. Wir dürfen uns nicht verwundern, wenn sie eine stark geschlossene gemeinsame Gegenfront einflussreicher Männer gegen mich und die Familie auf den Plan ruft. Menschlich gesprochen müssen wir endlich damit rechnen, dass der Versuch gänzlich missglückt. Und trotzdem dürfen wir uns von dem Wagnis nicht dispensiert halten. Wer eine Sendung hat, muss sie erfüllen, auch wenn es in den dunkelsten und tiefsten Abgrund geht, auch wenn Todessprung auf Todessprung verlangt wird. Prophetensendung schließt immer Prophetenlos in sich.
Wir sehen das Abendland in Trümmer gehen und glauben, von hier aus zur Rettungs-, zur Bergungs-, zur Auf- und Ausbauarbeit aufgerufen zu sein. Wir glauben, uns als Werkzeug anbieten zu müssen, um einen Gegenstrom in die Länder hinüberzuleiten, von denen die hiesigen Völker einstens ihre Kultur empfangen haben, von denen auch wir überreich beschenkt worden sind…
Wir bringen deshalb den Mut auf, mit Paulus zu sprechen: »Non possum non praedicare – ich kann nicht anders, ich muss das Wort ergreifen!«
Sie verstehen, wie groß einer solch riesenhaften Aufgabe gegenüber unsere Hilflosigkeit ist. Wir kommen uns vor wie David, der dem Goliat gegenübertritt (141). Ich denke an den Todessprung, den ich 1942 wagen musste, und bin mir bewusst, dass er sich diesmal wiederholt. Könnten wir nicht auf die Hilfsbereitschaft von Seiten der Gottesmutter rechnen, so würden wir es niemals wagen, den bedenklichen Schritt zu tun.
Andererseits, wenn Sie mich richtig verstehen, meine ich beifügen zu dürfen: Nicht nur ich, nicht nur wir, sondern auch die Gottesmutter steht der Situation hilflos gegenüber. Sie ist zwar die fürbittende Allmacht am Throne Gottes, ist aber auch nach dem Plan der ewigen Liebe auf willige und willfährige menschliche Werkzeuge angewiesen. Hat sie laut Gründungsurkunde die Aufgabe übernommen, von unserem Heiligtum aus sich in Deutschland in hervorragender Weise als die Überwinderin der kollektivistischen Irrtümer zu erweisen, so hält sie – ich drücke mich menschlich aus – sehnsüchtig Ausschau nach Werkzeugen, die ihr diese Aufgabe lösen helfen.
Sie kommen mit einer großen Hilflosigkeit, aber auch ich komme mit meiner Hilflosigkeit, die aber von der Gottesmutter schon lange eine Lösung erfahren hat.
Unsere Hilfsbereitschaft. Wir möchten uns ganz verschenken. Wir wollen unsere Hilfsbereitschaft so anbieten, dass wir ein starkes Interesse an der Arbeit haben. Ich möchte nichts tun ohne Sie. Alle unsere Kräfte wollen wir der lieben Gottesmutter wieder erneut anbieten, auch unsere ganze Hilfstreue. Wir bleiben halt treu, mag kommen, was will.
Das Größte besteht darin, dass wir der lieben Gottesmutter immer wieder neu unsere Hilfsbereitschaft und auch unsere Hilfstreue anbieten dürfen.
Was schenkt uns die Gottesmutter? Ihre Hilflosigkeit. Die Gottesmutter ist hilflos, genauso wie der allmächtige Gott hilflos ist. Gott ist allmächtig und trotzdem ist er ohnmächtig. Er wollte sich ohnmächtig machen und wurde Mensch. So wie das Kind in der Krippe, so ist Gott auch ohnmächtig. Wenn wir nicht mithelfen, dann können beide, der liebe Gott und die liebe Gottesmutter, die Aufgabe nicht lösen. Die Gottesmutter ist der Aufgabe gegenüber hilflos, die sie hier in Chile lösen will. Volkserzieherin will sie sein! Sie schenkt uns nun diese Hilflosigkeit.
Was bleibt uns da anderes übrig, als uns im Sinne unserer Weihe ihr vorbehaltlos zur Verfügung zu stellen und auf ihren Wunsch einzugehen, uns ihr neu auszuliefern und ihr die Verantwortung für das große Werk zu überlassen, an dem wir in Abhängigkeit von ihr und im Interesse ihrer Sendung mitarbeiten, mitleiden, mitopfern und für das wir beten dürfen.
Die Gottesmutter ist hilflos. Sie kann es nicht allein. Es ist unsere Ehre, dass wir ihr helfen dürfen.
Die liebe Gottesmutter hat dem Abendland gegenüber eine große Aufgabe. Nachdem sie mir nun solche Erkenntnisse gegeben hat, verlangt sie auch von mir, dass ich ihr das alles zurückgebe. Das ist das Schöne, Große, das uns miteinander eint: Wir bringen der lieben Gottesmutter unsere Hilflosigkeit, und sie schenkt uns ihre Hilflosigkeit, aber auch ihre Hilfsbereitschaft. Was verlangt sie von uns dafür? Die Anerkennung unserer Hilflosigkeit…
Wir möchten schon mal bitten: Gottesmutter, nimm uns alle Sorgen weg! Aber wenn diese alle weg wären, was wäre dann bei uns? Wir würden die schönsten Worte sagen, aber wir wären angefüllt von Ichhaftigkeit.
Sie kommt zu uns als die große Erzieherin. Sie bietet uns an ihre Erzieherfähigkeit, ihre Erziehermacht und Erzieherkraft. Wenn der liebe Gott uns noch ein klein wenig weiter gesegnet hat, dass wir um das Heiligtum eine Anbetung gruppieren, dann dürfen wir noch mehr erwarten. Wenn wir das Reich Gottes suchen, wird uns alles andere geschenkt (142).
Ihre Hilfstreue. Die Gottesmutter bleibt treu. Sie brauchen keine Not zu haben. Im Allgemeinen gibt es ganz wenig Treue. Die Gottesmutter ist die virgo fidelis (143). Sie mag uns auch, wenn wir ein schmutziges Kleidchen bringen und auch, wenn wir ihr schon mal den Rücken zugekehrt haben. Sie bleibt uns treu, bis sie uns oben im Himmel weiß.
So meine ich denn, meine lieben Schwestern, wir dürfen uns herzlich freuen, dass wir heute Abend so urpersönlich unser Heiligtum erleben dürfen. Es ist ja jetzt so ähnlich wie im Jahre 1914, als unsere Jungen zusammenkamen. Was haben die arbeiten müssen!
Wir stehen in einer entscheidungsreichen Stunde unserer Familiengeschichte. Glückt es uns nicht, die angedeutete Mauer niederzulegen, so wird die Gottesmutter der Heimat die Sendung für Deutschland entziehen und einen Rettungsversuch von Filialheiligtümern aus unternehmen. Sie bleibt dem Bündnis treu. Wenn Gliederungen aus unserer Familie aus Feigheit und Schwäche Treue nicht mit Treue erwidern, so dürfen wir annehmen, dass deren Sendung auf uns übertragen wird.
Zwei Gedanken sollen uns in den Kampf hineingeleiten, zwei Merkworte als Leitsterne über unserem Leben stehen. Das eine heißt. Tua res agitur, clarifica te! Es handelt sich um deine Sendung, um deine Aufgabe, nun verherrliche dich und dein Werk! Das zweite heißt: Mater perfectam habebit curam! Die Gottesmutter wird sich in vollendeter Weise selber verherrlichen! Wenn wir uns bemühen, überall, wo wir können, ihren Triumphwagen zu ziehen, dann wird sie die Sorge für uns und ihr Schönstattwerk übernehmen und es siegreich durch alle Kämpfe hindurchführen, so wie sie das in den verflossenen Jahren der Verfolgung getan hat.
Und andererseits, soweit es unsere Schwäche fertig bringt: Mors sola! Nur der Tod kann uns trennen, trennen vom Werk, trennen von unserm Heiligtum.
Es ist so, als fingen wir erst jetzt an zu leben, als wäre alles, was wir bis jetzt erlebt haben, ein Stück Vorgeschichte. Jetzt beginnt eigentlich erst die Geschichte Neu-Schönstatts, ähnlich wie in Schönstatt 1914/15.
Und wie glücklich dürfen wir sein, dass wir alle miteinander die Gründergeneration sein dürfen. Wir alle wollen uns – unser Sein und Leben, unsere Lebens- und Liebeskraft – hineinsenken lassen in die Fundamente des Heiligtums. Die tragenden Säulen wollen wir sein!
Das alles kann man in ein einziges Wort fassen: Ich schenke mich Ihnen wieder neu, und Sie schenken sich mir! Wir gehen miteinander durch dick und dünn! Aber miteinander schenken wir uns zuerst in das Herz der lieben Gottesmutter und in das Herz des Dreifaltigen Gottes.
Die Gottesmutter hat uns einander geschenkt. Wir wollen einander treu bleiben: ineinander, miteinander, füreinander im Herzen Gottes. Wenn wir uns dort nicht wiederfänden, das wäre etwas Schreckliches. Dort müssen wir uns wiederfinden! Sie dürfen nicht meinen: Wir gehen zu Gott, also verlassen wir einander. Ich will auch nicht bloß Wegweiser sein. Nein, wir gehen miteinander! Das ist auch die ganze Ewigkeit hindurch so. Was sind das für verkehrte Auffassungen, nur Wegweiser sein! – Wir sind beieinander, um uns gegenseitig zu entzünden. Wir gehören einander für Zeit und Ewigkeit. Auch in der Ewigkeit sind wir ineinander. Es ist ein Liebesineinander von Mensch zu Mensch, ein ewiges Liebesineinander. Und ineinander und miteinander werden wir dann die liebe Gottesmutter und den dreifaltigen Gott anschauen.
Schönstatt-Lexikon online: Meilensteine
(139) Ex 3,5
(140) Die Hauskapelle
(141) 1 Sam 17
(142) vgl. Mt 6, 33
(143) Die treue Jungfrau