KR-3 DE 68

68. Weltapostolatsverband

Einen repräsentativen Text zur dritten Zielstellung Schönstatts, Aufbau und Führung eines föderativ gestalteten Weltapostolatsverbands zu finden, stieß auf besondere Schwierigkeiten. Zum einen gibt es Studien Pater Kentenichs zu diesem Thema (z.B. lange Partien im Generalsbrief 1956 und seine „Gedanken zum Weltverband“ – in der 3. Person geschrieben – aus dem Jahr 1962), die umgreifend diese dritte Zielstellung bearbeiten, allerdings so, dass zentrale Aussagen sehr stark in einen geschichtlichen Kontext eingebettet sind, aus dem sie wiederum herausgeschält werden müssen. Zum anderen ist die Zielstellung des Weltapostolatsverbands ein derartig komplexes Thema – vor allem wenn man die geschichtliche Entwicklung innerhalb Schönstatts und die riesige Spannung zwischen derzeitiger konkreter Verwirklichung und endgültiger Zielgestalt berücksichtigt -, dass einzelne Texte, so zentral sie sein mögen, wiederum nicht das Thema so umgreifen, dass sie als repräsentativ für das ganze gewählt werden könnten.
Den Verfassern ist deshalb nichts anderes übrig geblieben, als einen Text zusammenzustellen, der verschiedenen Quellen entnommen ist, der deshalb in der Darlegung die Geschlossenheit eines Textes nach dem üblichen Stil unseres Buches vermisst. Die Quelle, aus denen Teile dieses Textes entnommen sind, sind deswegen entgegen dem üblichen Brauch am Ende der einzelnen Textauswahlen angegeben.
Zur besseren Übersicht über die ganze Thematik sei in der Einführung eine kurze Zusammenfassung versucht. Obwohl die Texte selbst die hier angegebene Gliederung übergreifen, sollen sie dieser folgend angeordnet werden, weil der Hauptakzent im zitierten Text der Gliederung entspricht.


1. Die geschichtliche Wurzel der dritten Zielstellung Schönstatts liegt in einer gläubigen Übernahme der Sendung des hl. Vinzenz Pallotti durch Pater Kentenich im Jahre 1916, so wie er diese Sendung versteht: es handelt sich bei dieser Sendung nicht nur um universelles Apostolat, sondern um eine Organisation, die alle apostolischen Kräfte der Kirche koordiniert und beseelt. Diese „Mammutsendung“ ist nach der Überzeugung Pater Kentenichs nicht zu verwirklichen ohne eine eigene göttliche Initiative mit entsprechender Spiritualität, wie sie im Liebesbündnis vom 18. Oktober 1914 gegeben ist.
Die Verknüpfung der Sendung des Heiligen Vinzenz Pallotti mit der originellen Spiritualität Schönstatts war der ausschlaggebende Grund für die Spannungen zwischen der Gesellschaft der Pallottiner und dem Schönstattwerk, die schließlich zur Trennung der beiden Ansätze geführt hat.
Diese Trennung bedingte schließlich, dass eine neue Gemeinschaft, die Schönstattpatres, gegründet werden musste, auf die nach dem Denken und Willem Pater Kentenichs die Sendung und Aufgabe einer „pars centralis et motrix“ – auch für den apostolischen Weltverband – überging. Alles, was deshalb in den vorliegenden Texten von der Gesellschaft der Pallottiner gesagt ist, trifft jetzt auf die Schönstattpatres zu.
Die Herausforderung der gegenseitigen Annahme lag aber nicht nur bei den Pallottinern. Auch Schönstatt, sofern es sich der Sendung hingibt, den apostolischen Weltverband zu verwirklichen, ist herausgefordert, den hl. Vinzenz Pallotti und seine Sendung anzuerkennen und sich an ihn zu binden. Er ist unter diesem Gesichtspunkt – und nur unter diesem – ebenfalls „Kontaktstelle“ oder „überzeitliches Haupt“.

2. Die Strategie, die Pater Kentenich anwandte, konnte unmöglich mit dem Versuch einer Koordinierung aller apostolischen Kräfte in der Kirche beginnen. Dies wäre als absolut lächerlicher Anspruch erschienen. Pater Kentenich wählte den Weg eigener Gründungen aus der Quelle des schönstättischen Liebesbündnisses. Sie bilden, was die Sendung des apostolischen Weltverbandes betrifft, nur den ersten Flügel. Dieser Flügel ist aber in seiner Organisation und föderativen Struktur, in seiner geistigen Ausrichtung so aufgebaut, dass er den Modellfall für den apostolischen Weltverband bildet.
Und so wie der Aufbau des ersten Flügels durchweg abhängig war von der göttlichen Führung, herausgelesen aus den Zeichen der Zeit, so wird es auch beim Aufbau des zweiten Flügels der Fall sein müssen.
Ein erstes solches Zeichen der göttlichen Führung sah Pater Kentenich in der „Katholischen Aktion“, die Papst Pius XI. ausgerufen hatte in der Intention, darin alle apostolischen Kräfte unter ein Dach zu bringen.

3. Die Endgestalt des apostolischen Weltverbandes enthält also einen ersten Flügel, der im schönstättischen Liebesbündnis geeint ist und einen zweiten Flügel, in dem alle weiteren apostolischen Kräfte in der Kirche entsprechend ihrer eigenen Spiritualität und bei voller Wahrung ihrer Selbstständigkeit zusammen gefasst sind. Übergreifend über beide ist die „pars centralis et motrix“, die dann allerdings Vertreter aller beteiligten Gemeinschaften einschließt.
Die Struktur eines solchen Weltverbandes geht von der Vorstellung der Prokuren des hl. Vinzenz Pallotti aus, gliedert sie aber – wenigstens im Schönstattwerk als dem ersten Flügel – nicht nach der Art des Apostolats, sondern nach dem Grad des Apostolats.

4. Abhängigkeit des Gesamtverbandes vom ersten Flügel
Der „ergänzende Gründungsakt“ von 1916 findet einen treffenden Vergleich in der Natur eines Obstbaumes. Ihm kann der Zweig eines anderen Obstbaumes aufgepfropft werden. Dieser Zweig/ Ast wird die Früchte des ursprünglichen Baumes tragen, zehrt aber ganz von den Wurzeln und den Lebenskräften des Baumes, dem er aufgepfropft ist. In gleicher Weise zehrt die Verwirklichung des Weltapostolatsverbands vom schönstättischen Baum, der im 18. Oktober 1914 wurzelt, sollte die Sendung von Schönstatt aus verwirklicht werden. Wenn also die kirchliche Autorität Schönstatt verbieten würde, einen solchen Weltapostolatsverband aufzubauen, dann würde dieser Ast abgetrennt, der Baum Schönstatt mit der Sendung vom neuen Menschen in der neuen Gemeinschaft und der Rettung der heilsgeschichtlichen Sendung des Abendlandes könnte weiter bestehen und in der Kirche fruchtbar werden. Sollte die Kirche aber – eine Gefahr, die in der Vergangenheit durchaus bestand – das originelle Liebesbündnis von 1914 mit der damit gegebenen göttlichen Initiative nicht anerkennen, würde dies den Todesstoß Schönstatts bedeuten.
P. Kentenich führt allerdings auch aus, dass die göttliche Initiative vom 18. Oktober 1914 unvollendet bleibt ohne die Zielstellung des Apostolischen Weltverbandes, der wohl sehr stark als Verwirklichungsweise dafür gesehen werden darf, dass Schönstatt Herz der Kirche sein soll. Beide, Pallottis Gründung und Schönstatt, wären ohne den anderen Pol ein „Torso“.
Es sei noch angefügt, dass die Verwirklichung eines apostolischen Weltverbandes – sollten in diese Richtung ernsthafte Schritte unternommen werden – zentral davon abhängig ist, wie sehr der erste Flügel des Schönstattwerks trotz rechtlicher Unabhängigkeit in der Föderation zu einer tiefen Einheit und fruchtbaren Zusammenarbeit findet als glaubwürdige Grundlage, um einen zweiten Flügel aufzubauen.

1. Geschichtliche Wurzel

Die Einzigartigkeit der Konzeption Pallottis und die vermutliche Möglichkeit ihrer Durchführbarkeit trat 1916 erstmalig in meinen Gesichts- und Interessenkreis. Lies im zitierten Text (187) nochmals den bedeutsamen Hinweis auf Pallottis Idee von der Durchorganisieren der ganzen Welt. Denke an die Aufgliederung und Zentrierung des gesamten kirchlichen Apostolates in Gestalt der Prokuren. Es handelt sich also hier bei Pallotti nicht etwa bloß um Apostolat in seiner Universalität im Sinne der Erfassung aller apostolischen Arbeitsgebiete, sondern wie oben angedeutet, schlechthin um eine Zentrierung des gesamten kirchlichen Apostolates und um seine sinngemäße Verklammerung und Beseelung im Zusammenhange mit unserer Genossenschaft. Es ist nicht so, als wäre nach der Richtung in der Folge eine bedeutsame äußere Unternehmung festzustellen. Im Gegenteil: nirgendwo leuchten auch nur die unmittelbaren Vorläufer des geplanten Prokurensystems in der pallottinischen Bewegung auf. Hier liegt fruchtbares Niemandsland vor uns, das noch der Beackerung harrt. Andererseits muss eine doppelte historisch wichtige Tatsache festgehalten werden.
Erste Tatsache: beachte einmal den bis dahin ruhigen Entwicklungsgang der Familie in Idee und Leben aus der dargestellten leitenden Idee und den treibenden Kräften (188). Und vergleiche damit den ungeheuren Sprung, der mit der Annahme der Konzeption Pallottis offensichtlich verbunden ist. Es ist ein Sprung in endlose Tiefen, Höhen und Weiten. Ich darf und muss gestehen, dass ich diesen Sprung ideologisch niemals ohne Pallottis Autorität gewagt hätte: wenigstens damals nicht. In unserer Sprechweise ausgedrückt: die einzige Ritze, die Gott mir nach dieser Richtung geöffnet hat, ist Pallottis Autorität und säkulare Sendung. So grotesk und lächerlich an sich die breite Öffentlichkeit eine solch gigantische Zielsetzung auch aufgenommen hätte, und so sehr sie das durch dessen Verwirklichung entstehende Mammutgebilde als widersinnig, phantastisch und utopisch gebrandmarkt hätte: für mich war sie seither wachsend das Dreikönigsgestirn, das mich nie zur Ruhe kommen ließ, an dem ich alle meine Pläne und Unternehmungen wenigstens ganz im Hintergrunde orientierte, während ich gleichzeitig sorgfältig darauf bedacht war, mich durch das Gesetz der geöffneten Türe Schrittchen für Schrittchen zu diesem himmelanstürmenden Bergesgipfel bestimmen zu lassen. (BrMenningen 31.1.1955, S. 12-13)

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Früher pflegte ich ganz allgemein dafür zu sagen: Damals, als Pallotti lebte und wirkte, war die Zeit für seine Ideen noch nicht reif. Der Satz sagt ein Doppeltes aus:

Erstens: Die Auflösung der Verhältnisse war noch nicht so weit gediehen, dass das gottgeplante neue Welt‑ und Kirchenbild, das den Rahmen für Pallottis Konzeption darstellt, bereits deutlich genug in seinen Grundlinien in Erscheinung trat.

Zweitens: Gott hielt den Zeitpunkt noch nicht für gekommen, das zweite Wesenselement des ganzen Werkes, nämlich Schönstatt, ins Leben zu rufen. Damit wartete er bis zur „Fülle der Zeiten“. Inzwischen hat er sein schöpferisch allmächtiges Fiat gesprochen: et factum est! Beide Wesenselemente existieren nunmehr, wie sie in den göttlichen Plänen von Ewigkeit her ruhten. Beide sind wesenhaft aufeinander angewiesen. Bleiben sie nicht in unzertrennlicher Zweieinheit miteinander verbunden, so verlieren beide gleichzeitig ihre Vollendung und bestimmen dadurch eine katastrophale Entwicklung des ganzen Werkes, besser, seinen teilweisen oder ganzen Zusammenbruch.
Meinen Sie nicht, ein Gleiches gälte auch umgekehrt? Damit soll jedoch keineswegs gesagt sein, beide Partner hätten nicht gleichzeitig auch ein eigengesetzliches Existenz‑ und Lebensrecht? Das Gegenteil trifft zu. Nicht umsonst sprechen wir seit Menschengedenken in beiden Fällen von Eigengesetzlichkeit und Gliedhaftigkeit oder von zwei gleichwertigen zentralen Achsen.
Sie müssen mir schon gestatten, dass ich dieses Bekenntnis so oft, so verständlich und so laufend wiederhole ‑ auch auf die Gefahr hin ‑ lästig zu werden und zu wirken ‑ bis die Spatzen es vom Dache pfeifen. Ich nehme mir deshalb die Zeit, es in verschiedensten Wendungen und Formulierungen zu umschreiben und schließlich durch eine Fabel zu veranschaulichen. (GBr 1956, S.62f)
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Wir wollen ja zwei Säulen unterscheiden, wenn wir an das Gesamtwerk denken. Wir kennen die beiden Säulen. Die erste Säule ist das historisch gewordene Schönstatt; die zweite Säule, das ist all das, was sonst in irgendeiner Weise in der Kirche existiert und apostolisch gefärbt ist. Wenn wir nun genauer Pallottis Stellung präzisieren wollen, dann vermeinen wir damit seine Stellung im Rahmen und Raum der ersten Säule. Denn die Stellung, die Pallotti in unserer Säule und in der anderen Säule einnimmt, ist wesentlich verschieden. Wir können natürlich nicht verlangen, weil es der Wahrheit widerspricht, dass die zweite Säule Pallotti die Stellung einräumt, die er für uns hat. Die zweite Säule erkennt letztlich Pallotti nur sachlich an, und wir erkennen ihn persönlich an. Sachlich, das heißt, sie beugt sich vor seiner Idee und schließt sich der Idee an. Das ist ähnlich so, als wenn ich etwa sage: da ist eine kleine Gemeinschaft, die schließt sich der Marianischen Kongregation an. Die Gemeinschaft weiß gemeiniglich nicht einmal, wer der Gründer ist. Das ist Pater Leunis. Aber dem Werke, das entstanden ist, schließt sie sich an. So ist das, wenn wir an die zweite Säule denken. Wenn ich etwa an die Jesuiten denke – ich hebe das immer gerne hervor, weil das so überspitzt ist – wenn die Jesuiten oder welche apostolische Gemeinschaft es auch sein mag – sich dem Weltapostolatsverband anschließen, dürfen wir nicht erwarten, dass das von heute auf morgen geschieht. Vielleicht erörtern sie kaum sonderlich, wer die Idee vom Weltverband ausgerufen hat. Wenn wir das aber tun – wir in unserer Gliederung, in unserer Säule -, dann hat Pallotti eine wesentlich andere Stellung. Weshalb? Wir übernehmen mit ihm, in Abhängigkeit von ihm, die ganze Verantwortung für die Konstituierung, Beseelung und Führung des Weltverbandes. Das tun die anderen nicht. (DD 1963, Bd. 3, S. 190f)

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Können wir denn nun sagen: Pallotti ist auch für unsere Gemeinschaft der Schönstattpatres das überzeitliche Haupt? Kann ich jetzt sagen: Pallotti ist auch eine Kontaktstelle, eine überzeitliche Kontaktstelle, nicht nur wegen seiner Idee, sondern auch wegen seiner Person?
Da gibt es natürlich eine ganze Menge Wenn und Aber, die ich erheben kann. Ich will Ihnen aber zur Klärung und zur Weiterführung der Ideengänge und der Untersuchungen noch einen Gedanken beifügen. Nehmen wir einmal an: morgen, übermorgen würden die Salesianer oder – überspitzen wir einmal – sogar Jesuiten oder Franziskaner sich zu Pallotti bekennen und an dem Werk mitmachen. Ist dann unser Bekenntnis zu Pallotti in dieser selben Weise, auf der gleichen Linie zu finden? Nach meinem Denken war das nie so der Fall. Nach meinem Denken war das so: Wir als die erste Säule übernehmen auch die Sendung von ihm. Also nicht nur, dass wir uns ihm anschließen und sagen: Wir machen bei dem Verband mit. Nein, wir übernehmen die Sendung, und zwar als Gesamtgefüge. Die Sendung übernehmen, heißt: wir sorgen für die Konstituierung des Weltverbandes.
Das geht also bedeutend weiter, als etwa später andere Gemeinschaften gehen könnten oder gehen würden. Die hängen so an ihrem Stifter, dass an sich der Weltverband für die etwas Akzidentelles ist, nicht? Sage ich das richtig, wenn ich jetzt tastend sage: Für uns ist aber die Konstituierung des Weltverbandes eine zentrale Aufgabe? Wenn Sie den Gedanken mit vollziehen können, ich meine, dann würde sehr viel Licht fallen auf unser Grundverhältnis zu Pallotti. Ich darf Ihnen aber sagen, dass das jetzt nicht eine Verlegenheitslösung ist. Ich lege sehr viel Gewicht darauf, zu behaupten und zum Ausdruck zu bringen, dass das seit 1916 immer meine Grundeinstellung zu Pallotti und seiner Sendung ist. Wenn Sie das mitvollziehen können und bejahen können, dann, dünkt mich, wäre es zunächst nicht abwegig zu sagen: Pallotti ist für uns auch eine Kontaktstelle, und zwar eine wesentliche Kontaktstelle! Ähnlich, als wenn wir sagen: die Serviten haben sieben Gründer. Da ist jeder der sieben Gründer eine Kontaktstelle, sie stehen auf derselben Ebene, freilich unter einem andern Gesichtspunkte.
[…]

Darf ich wiederholen? Wenn diese Dinge stimmen – und die historischen Tatsachen sind zweifellos klar – dann könnte man wohl sagen: Es ist nicht abwegig zu erklären, Pallotti müsste in der Familiengeschichte aufgefasst werden als eine überzeitliche wesentliche Kontaktstelle.
Die Verbände und Gliederungen der zweiten Säule können das nicht von sich sagen. Weshalb können die das nicht sagen? Diese einzelnen Gemeinschaften sind ja in sich fertig. Die haben den Zentralgedanken nicht in sich aufgenommen als einen wesentlichen Bestand, sondern als etwas Akzidentelles. Bei uns sollte das etwas Essentielles, etwas Wesentliches sein. Verstehen Sie deswegen, wenn wir immer wieder sagen: Wir sind Pallottiner. Wenn Pallottiner sein heißt: Pallottis Idee tragen, (189) dann sind wir Pallottiner per eminentiam. (DD 63, Bd. 3, S. 179-182)

2. Strategie

Die Verwirklichung der grandiosen Idee kennt drei Stufen. Alle drei wollen jeweils als Ganzes gesehen, wenn auch in der Darstellung voneinander getrennt worden.

[1. Stufe]

An erster Stelle steht die fromm-gläubige Überzeugung von der bedingten Durchführbarkeit der gigantischen Planung. (….)
Dem Geschichtsschreiber fällt es nicht schwer, festzustellen, dass der „Glaube“ an Pallottis Person und weltweite Sendung allein nicht ausreicht, um den Wagemut Schönstatts zu erklären. Die Schönstattgeschichte weist mit allen Fingern auf die grösste Grossmacht hin, die alles, was je in Schönstatt geplant und geworden, schöpferisch gestaltet hat. Es ist unser originelles Liebesbündnis. Es erübrigt sich, an dieser Stelle darüber Einzelheiten hervorzuheben. Es wird in seiner Eigenart, in seiner Grösse und Wirkkraft schlechthin vorausgesetzt. So tritt denn neben den „Glauben“ an Pallotti als alles überragende Wirklichkeit der „Glaube“ an die Fruchtbarkeit des besagten Liebesbündnisses. Was in irgendeiner Weise als göttliche Planung begriffen werden konnte, ist im Laufe der Jahre verwirklicht worden im Masse es in Verbindung gebracht worden ist mit diesem Bündnis. Warum sollte es – so lautete die frommgläubige Kalkulation – nicht auch die ungeheuerliche Zielgestalt Pallottis?
[….]
Wie auch in anderen Belangen der „Glaube“ ohne Werke tot ist, so tritt auch in unserem Falle zum „Glauben“ des Verstandes und Herzens der Wagemut der Tat, der sich allezeit und in jeder Lage überaus sorgfältig am Gesetze der geöffneten Tür und der schöpferischen Resultante orientiert.

[2. Stufe]

Dieses Doppelgesetz drängte zunächst nicht zum Zusammenschluss bestehender apostolischer Vereinigungen zu einer geschlossenen Phalanx (der Grund dafür ist ohne weiteres einsichtig), sondern zu vielfältigen originellen Neugründungen und zu ihrer Zusammenfügung zu einem in sich geschlossenen Block, der sich mit der Zeit mehr und mehr als rechtmässiger Flügel des geplanten Weltverbandes erlebte,

[3. Stufe]

der sich aber auch bemühte, mit der Zeit sich einen zweiten Flügel anzueignen, der im Endstadium alle (ausserhalb Schönstatts) bestehenden Gemeinschaften umfasst, die sich satzungsgemäss dem Apostolat widmen, um beide um eine pars centralis et motrix zu gruppieren, die sich abhängig weiss von Papst und Bischöfen, die von dort Anweisungen und Richtlinien empfängt, um sie weiterzugehen und in geschlossener Einheit durchzuführen.
So entstanden mit der Zeit im bewussten Gegensatz zu Pallottis aufgestelltem Organisationsprinzip, das die Art des Apostolates als Massstab aufstellt, die Schönstätter Liga-Gliederungen, die Bünde und Verbände, die sich allesamt durch Grad des Apostolates sowie durch Grad der Selbstheiligung und Gemeinschaftspflege voneinander unterscheiden. Alle Formationen des ersten Flügels sind im Verhältnis zueinander und zur pars motrix et centralis – genauso wie die Gliederungen des zweiten Flügels – juristisch absolut selbständig; lebensmässig aber ist der erste Flügel durch das Liebesbündnis, durch dieselbe Geistigkeit und Erziehungsweise und durch Übernahme der Schönstätter eigengesetzlichen Zielgestalt überaus eng verbunden. Auch organisatorisch sind ihre Formationen – ungeachtet ihrer juristischen Eigenständigkeit – insofern zueinander hingeordnet, als die niederen berechtigt sind, sich nicht nur aus eigenen Reihen, sondern auch aus den übergeordneten Gebilden die Führung zu wählen und von dort die Geistpflege zu beziehen. (GedWV 1962)

*****

Statt theoretischer Erörterungen, die an sich in diesem Falle recht anregend wären, benutze ich die Gelegenheit, kurz darzustellen, was ich bisher zur Lösung der Frage getan habe. Sie sehen dann abermals, wie Schönstatt in all seinen Teilen nicht nur von großen Konzeptionen aus, sondern auch immer in Einfühlung in das Alltagsleben geworden ist. Wirklichkeitssinn war allezeit mit schlichtem Kindessinn und frommgläubigem Sendungssinn verknüpft. Dieses Dreigestirn hat das ganze Werk zustande gebracht. Ich glaube beifügen zu dürfen: und das alles, ohne dass irgendein höherer Vorgesetzter – trotz Wissens um die einzelnen Einrichtungen – die einzelnen inneren Zusammenhänge vollkommen erfasst hat.

Die Frage, die mich persönlich bewegte, und die irgendwie gelöst werden musste, lautete so: wie soll es möglich sein, die alten Orden, wie Jesuiten, Benediktiner und alle anderen bewährten Genossenschaften und Gemeinschaften, im Sinne Pallottis in eine gewisse Abhängigkeit oder doch in entsprechende Verbindung mit seiner Genossenschaft zu bringen? Das schien zunächst ein unmögliches, ein phantastisches Beginnen zu sein. Um ein Bild zu gebrauchen: das wäre etwa so, als wollte ein Kolibri nicht nur einen, sondern ungezählt viele Adlerhorste betreuen. Umgekehrt hätte sich leichter fahren lassen.

Die in Schönstatt ergriffene neue göttliche Initiative und der dort getätigte neue Gnadeneinbruch für Pallottis Konzeption und die dadurch erfolgte neue göttliche Legitimierung einer eindeutigen göttlichen Planung weckten in mir einen unerschütterlichen Köhlerglauben und ließen mich wagemutig auf neuen Wegen das unmöglich, das phantastisch, ja verwegen – wenn nicht gar verrückt – erscheinende Ziel erstreben. Es war ein doppelter neuer Weg! Ich nenne ihn neu, weil er von Pallotti nicht beschritten worden ist.
[….]

So wartete ich denn, bis die eigengesetzliche Erkenntnisquelle Schönstatts – sie gehört in ihrer Art auch zur Neugründung des Werkes: der praktische Vorsehungsglaube – ein deutliches Signal von oben gab. Es erfolgte zur rechten Zeit und wurde sofort praktisch beantwortet. Anstatt auf bestehende Orden und Kongregationen zu warten, gründete ich selbst eine Anzahl neuer Gemeinschaften. Ich tat es bewusst nach dem Vorbild der Marienschwestern in der Form eines Säkularinstitutes. Sie alle sollten in sich juristisch – ähnlich wie die bestehenden Orden und Gemeinschaften – vollkommen selbständig sein: sie sollten als Ganzes genommen mit der Genossenschaft als der geborenen pars motrix et centralis Pallottis Konzeption im Kleinen verwirklichen und vorleben, um von da aus weitere Kreise in die Kirche hineinzuziehen. Dabei hielt ich das letzte Ziel – die Zusammenfassung aller apostolischen Gemeinschaften und entsprechende Verbindung mit unserer Genossenschaft – stets im Auge und wartete – voller Vertrauen auf die göttliche Sendung, die sich auf Schönstatt und Pallotti stützte – den Augenblick ab, wo die Zeit reif war, und langsam die eine oder andere Gemeinschaft zu uns führte.
[….]

Ich wiederhole wie schon so oft: ohne die neue göttliche Initiative oder Legitimierung in und durch Schönstatt hätte ich wie alle anderen die Finger davon gelassen.
[….]

Wollen Sie nicht von solchen Gipfelpunkten aus die Schönstattgeschichte nochmals auf sich wirken lassen? Viele Dinge und Ereignisse bekommen von da ein ganz anderes Gesicht. Mich dünkt, es dürfte nicht schwer sein, sich von da aus vor den göttlichen Mächten zu beugen, die in Schönstatt wirksam geworden sind. Wahrhaftig: ‚Großes hat an uns getan, der da mächtig und dessen Name heilig ist’. (GBr 1956, S. 127-131, 133)

3. Endgestalt

Vielleicht ist es gut, wenn ich in diesem Zusammenhang – wenigstens für spätere Generationen – den Schleier ein wenig lüfte und in das Endstadium des Mammutwerkes hineinschauen lasse, so wie ich es sehe und seit Jahr und Tag mit meiner getreuen Gefolgschaft in stiller und zäher Energie zu verwirklichen trachte. Von hier aus wird auch meine Strategie seit 1945 besser verständlich, die vielen ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheint. Zumal der 31. Mai 1949 bleibt ohne Kenntnis dieser Zusammenhänge ein unentwirrbares Knäuel oder ein unverzeihlicher Fehlgriff.
Nach Pallottis Konzeption soll unsere Gesellschaft in Abhängigkeit von der Hierarchie – ich drücke mich in modernen Denkkategorien aus – sinngemäß pars motrix et centralis der Actio catholica und aller verwandten apostolischen Werke sein.
Man halte einen Augenblick inne und werde sich der Ungeheuerlichkeit dieser Zielsetzung inne. Man denke dabei an die Unansehnlichkeit und Geringfügigkeit unserer Gesellschaft… Dann überlege man weiter: es ist selbstverständlich, dass unsere engere Gemeinschaft zu diesem Zwecke in entsprechender Weise mit besagten apostolischen Gemeinschaften in Verbindung treten und mit ihnen – ungeachtet der juristischen Eigenart und Eigenständigkeit von allen – eng zusammenarbeiten muss.

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Es fragt sich nun: Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen unserer Gesellschaft und den übrigen apostolischen Orden, Kongregationen und Gemeinschaften aus? Das heißt praktisch: wie können wir nach Pallottis Idee pars motrix et centralis von allen sein, ohne ihre Freiheit und Eigenständigkeit unbillig einzuschränken, sondern ihnen vielmehr genügend Platz an der Sonne, d.h. an der Mitbeseelung und der Mitregierung des ganzen Werkes zu sichern?
[….]

Das Idealbild der Schönstattbewegung setzt zwei Körperschaften voraus, die – wo es sich um das Apostolat handelt – einander gegenüberstehen und sich gleichzeitig in Verwirklichung eines gottgewollten Grundverhältnisses einander die Hand reichen. Auf der einen Seite steht die Hierarchie mit dem Papst an der Spitze, auf der anderen Seite alle Apostolatsorganisationen, die in der Gesellschaft der Pallottiner einen einigenden, beseelenden und lenkenden Mittelpunkt auf dem Gebiete des Apostolates haben, ohne jedoch die einzelnen Organisationen in ihrer Eigenständigkeit einzuschränken und ohne die göttlich verbrieften Rechte der Hierarchie zu schmälern. Beide Körperschaften haben ihre zentralste Spitze im Papst.
Es dürfte nicht einmal in vertrauten Kreisen genügend bekannt sein, wo im Schönstattwerk die hineinverpflanzten keimhaften Ansatzpunkte für eine Ausweitung in das so gesehene Mammutwerk hinein liegen. Noch weniger einsichtig ist es weiteren Kreisen, nach welchen Gesetzmäßigkeiten und Strukturlinien die fernere Entfaltung vorgesehen und vorbereitet ist, und wie die Zusammensetzung und die Rechtsamen des Generalpräsidiums im Endstadium geplant sind. Das alles sei in diesem Zusammenhange nur kurz in Erinnerung gerufen, damit wir nicht aneinander vorbeireden.
[….]

Leider findet kaum jemand Zeit, sich mit solchen Existenz- und Lebensfragen endgültig auseinanderzusetzen. Die Diskussion bleibt, wenn sie überhaupt zustande kommt, erfahrungsgemäß immer auf halbem Wege stehen. Sie wird abgebrochen, ehe eine letztgültige Antwort gegeben ist. Woher das kommen mag? Hier fehlt das Interesse, dort mangelt der Einblick in die eigentliche Problematik und anderswo vermisst man schmerzlich Fähigkeit, Zeit und Kraft, entgegenstehenden Schwierigkeiten die Stirne zu bieten. Die meisten Interessenten werden zudem durch die augenblicklichen Kämpfe so stark aufgesogen, dass sie bereit sind, die Waffen aus der Hand zu legen, ehe das letzte Ziel erreicht ist. Nicht selten handelt es sich dabei leider Gottes – genau wie in einer Kinderstube, die keine Fern- und Tiefsicht, die noch viel weniger männlich ernste Verantwortung für Wort und Tat kennt – um harmloses und oberflächliches Geplänkel und Gezänke. Der Dichter würde dafür begütigend sagen: sunt pueri, pueri; pueri puerilia tractant (190). Zur Entschuldigung mag man sich auf Unkenntnis der wirklichen Sachverhalte und Zusammenhänge berufen. Oft genug haben diese Blätter Stichproben dieser Art festgehalten und der Nachwelt überliefert. (GBr 1956, S. 660-662)

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Man kann in Zweifel sein, was organisatorisch besser ist: Zentrierung einer solchen Bewegung in einer religiösen Gemeinschaft oder in einem ungebundenen Kreis, der sich nach bestimmten Gesetzmässigkeiten immer wieder erneuert. Beide Institutionen haben ihre Vor- und Nachteile. H.P. (191) hat sich im Laufe der Jahre immer wieder zur ersten Institution bekannt. Er tat es nicht nur, weil Pallotti auf diesem Boden stand, sondern auch aus persönlicher Einsicht in psychologische und soziologische Zusammenhänge. Gerne wies er auf die Vorteile einer Erbmonarchie hin, um seine Auffassung zu beleuchten. Freilich war es ihm klar, welches Gesicht eine solche Gemeinschaft als pars motrix et centralis haben müsste.
Ungezählt viele Male wies er auf zwei Punkte hin. Besonders ausführlich geschah es in den Terziaten, die er geleitet hat. Dabei setzte er zunächst als selbstverständlich voraus, was Pallotti allezeit betonte, dass eine solche Gesellschaft von einem selbstlosen Dienstwillen durchseelt sein müsste. (….) Immer wieder erklärte er: Soll besagte Gemeinschaft ihrer ungemein schweren Aufgabe gerecht werden, so müsse sie nicht nur arbeitsmässig, sondern auch und vor allem seinsgemäß ein Bindeglied zwischen Ordenspriestern und Weltklerus, zwischen Religiosen und Laien sein. Seine ganze Erziehertätigkeit orientierte sich an diesem Ziele. Will man die ganze Tragweite dieser Ein- und Umstellung erfassen so muss man sich vergegenwärtigen, was seinsgemässer Bindegliedcharakter von Person und Gemeinschaft in heutiger Zeit alles in sich schliesst. (GedWV 1962, S. 14f)

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Der Blick einwärts in Struktur und Anlage der Richtlinien (192) stellt mit großer Befriedigung ein Dreifaches fest.

1. Die klar erkennbare Grund- und Wurzelanlage von Pallottis Mammutwerk. Wer genauer zusieht, merkt, dass alle Möglichkeiten des Apostolates aufgegriffen und in organische Verbindung mit der Selbstheiligung gebracht und in einem Riesenwerk zusammengefasst und von einer Leitung abhängig gemacht sind, die sich genau der hierarchischen Gliederung der Gesamtkirche anpasst und alle verbrieften hierarchischen Rechte anerkennt.

2. Ist gleichzeitig der Eigenexistenz und Eigenrechtigkeit anderer Organisationen vollauf Rechnung getragen und die Stellung des Mammutwerkes dazu umrissen. Sie sollen nicht aufgelöst werden. Schönstatt müht sich darum, sie zu beseelen und ihnen Führer zu stellen und zu erziehen. Beides liegt also der Grundanlage nach fest: Schönstatt als ens in se und Schönstatt als ens in aliis (193).

3. Ist absichtlich der von Pallotti vorgesehene Organisationsgesichtspunkt verlassen, um einen anderen dafür einzusetzen. … (GBr 1956, S. 101f)

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Die Gesamtlage der Kirche ist einer apostolischen Weltapostolatsorganisation im Sinne Pallottis heute günstiger als ehedem. Die Geister scheiden sich ja allenthalben mehr und mehr. Viele Grenzen zwischen Ländern, Völkern und Nationen fallen über Nacht zusammen. Zusammenballung der Menschen und Unternehmungen auf der einen Seite verlangen Konzentration und Lenkung der Kräfte auf der andern Seite. Darum wird der Papst nicht müde, nach Sammlung, Beseelung und Lenkung aller apostolischen Kräfte – unbeschadet ihrer Eigenart – zu rufen. Damit tritt der Plan wiederum in den Vordergrund, den Pallotti vor hundert Jahren entworfen hat, aber nicht durchführen konnte. (GBr 1956, S. 675)

4. Abhängigkeit vom ersten Flügel

Ich wiederhole wie schon so oft: ohne die neue göttliche Initiative oder Legitimierung in und durch Schönstatt hätte ich wie alle anderen die Finger davon gelassen.

Die neu gegründeten Verbände waren als solche in ihrer Verbindung mit der Gesellschaft so gedacht: in ihrer Ganzheit sollten sie – ähnlich wie später alle anderen angegliederten Orden und Gemeinschaften – mit der Gesellschaft pars motrix der Bewegung sein, d.h. sie sollten sie überall fördern und beseelen. Die Glieder jedoch, die hauptamtlich für den Dienst an der Bewegung freigestellt werden, bilden mit der Gemeinschaft – sofern es sich um das Werk handelt – zu gleichen Rechten und Pflichten pars motrix et centralis.

Alle neu gegründeten Verbände leben aus dem Liebesbündnis mit der MTA. Das ist für sie Lebens- und Gnadenquelle. Alle haben denselben Gründer. Alle verfolgen dieselbe Zielgestalt: den neuen gelübdelosen aber vollkommenen Menschen in der neuen gelübdelosen, aber vollkommenen Gemeinschaft. Bei diesen vielgestaltigen gemeinsamen Bindungen und Interessen erwies es sich – wenigstens solange das Familienhaupt noch in Funktion war – als verhältnismäßig leicht, sie alle zusammenzuhalten und zu einer großen, gemeinsamen Familie zu verbinden. Das Grundverhältnis zueinander, zur Gesellschaft und zur Hierarchie hat durch das Generalstatut inzwischen eine Regelung gefunden … Nun sollte das Werk an sich – wie eine wohl ausgerüstete Kriegsflotte – in See stechen. Es fehlt aber allenthalben an klarer Planung und einheitlicher Führung. So besteht die Gefahr, dass die Flotte sich bald in kleinere Schiffseinheiten auflöst; dass sie sich zersplittert und bald einen kläglichen Untergang findet. Und dabei war nach ursprünglicher Planung das bisher Erreichte nur als erste größere Etappe in der Einigungsschlacht im Sinne pallottischer Konzeption gedacht.

Die zweite sollte folgen: langsames Hineinmünden der apostolischen Orden und Kongregationen – ungeachtet ihrer juristischen Selbständigkeit – in unser Strombett. Klarer ausgedrückt: die neu gegründeten Einheiten, von denen bisher die Rede war, hatten allesamt denselben Charakter des besagten gelübdelosen Typs. Es ist selbstverständlich, dass das Mammutwerk mit der Zeit auch gelübdefreudige Einheiten in sich aufnehmen und an der Führung teilnehmen lassen muss. Auch sie müssen deswegen Sitz und Stimme nach bisherigem Muster teils in der pars motrix, teils in der pars motrix et centralis haben. Andernfalls verliert das Werk seinen Universalismus und seine Stoßkraft. Bringen wir es aber schon nur schwer fertig, die eigene, nicht gar zu große Gesellschaft zu leiten und zu beseelen, glückt es uns – wie die verflossenen Jahre zeigen – noch weniger, die Einheiten zusammenzuhalten, die mit uns im wesentlichen aus demselben Gesicht geschnitten sind: wie wollen wir es dann wagen, die Hand nach sinngemäßer Leitung eines voll ausgebauten Mammutwerkes auszustrecken, wie Pallotti es geplant hat. Nehmen Sie hinzu die unausbleiblichen Spannungen mit der Hierarchie und den bestehenden Orden, denken Sie endlich an den Mangel einer strategischen Tradition: dann spüren Sie erneut die ganze Wucht unserer Aufgabe.

Von dieser Höhenlage aus erhalten alle Fragen, die die Geister bewegt haben und noch bewegen, ein neues Gesicht. Unter allen Umständen dürfte eine Forderung unabdinglich sein: wir müssen die angeborene und nicht selten sorgfältig gepflegte Engstirnigkeit, Engherzigkeit und Engbrüstigkeit sprengen, wenn wir fähig werden wollen für unsere große Sendung. (GBr 1956, S. 131f)

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Dritte Frage: Wenn der Weltverband Überbegriff ist und Schönstatt der erste Flügel des Weltverbandes genannt wird, dann sieht es so aus, als ob Schönstatt des Weltverbandes wegen geschaffen worden wäre.
Antwort: Man unterscheide: Schönstatt ist auch des Weltverbandes wegen gegründet und aufgebaut worden, nicht aber ausschliesslich deshalb. Nicht umsonst unterscheiden wir eine doppelte Zielgestalt: eine eigengesetzliche, die unmittelbar mit dem zentralen Gründungsakt verbunden ist. Sie lautet so: Der neue Mensch in der neuen Gemeinschaft mit universellem apostolischen Gepräge. Seit 1916 übernahmen wir von Pallotti die Idee des Weltverbandes. Seit der Zeit sprechen wir von einer fremdgesetzlichen Zielgestalt. Beide Ziele lassen sich gut miteinander verbinden. Dass beide gleichzeitig auf die Entwicklung der Bewegung in ihrer Art zurückgewirkt haben, lässt sich anhand der Geschichte leicht nachweisen. Es ergibt sich aber auch aus der philosophischen Erwägung, dass die causa finalis die causa formalis wesentlich mitbestimmt. Ebenso einsichtig ist es, dass Schönstatt auch dann existenzberechtigt wäre, wenn ihm der Weltverband von oberster kirchlicher Stelle abgesprochen würde. Es hätte dann nur die eine Aufgabe, sein eigengesetzliches Ziel zu verwirklichen. Ob aber der Weltverband ohne Schönstatt zustande kommt, weiter existieren und sich fruchtbar entfalten könnte, ist eine andere Frage. Abstrakt gesehen, ist sie zu bejahen; konkret betrachtet, d. h. auf Grund des historischen Zusammenhanges und der geschichtlichen Entwicklung ist sie zu verneinen. (GedWV 1962, S. 18)

[Erneute Umschreibung des Kernanliegens]

Sie haben gewiß Verständnis dafür, dass ich diesen Abschnitt meines Briefes nicht schließen möchte, ohne die Gelegenheit wahrzunehmen, nochmals auf mein persönliches zentralstes Kernanliegen einzugehen. Ich glaube nicht, fehl zu gehen, wenn ich es in gleicher Weise als Kernanliegen von Vinzenz Pallotti und der MTA auffasse und bewerte.
Soll ich sagen: es geht dabei um das integrale Schönstatt und den integralen Pallotti? Oder treffe ich genauer den Sachverhalt, wenn ich erkläre: es geht im Interesse des integralen Pallotti um das integrale Schönstatt? Aber auch umgekehrt: es geht im Interesse des integralen Schönstatt um den integralen Pallotti? Beides ist richtig, beides ist wichtig. Wie oft schon durfte ich im Laufe der Jahre in verschiedensten Wendungen denselben Kerngedanken umschreiben. Der Kerngedanke heißt: ohne integrales Schönstatt halte auch ich persönlich aufgrund philosophisch theologischer Erkenntnisse und reicher praktischer Lebenserfahrungen und Lebensbeobachtungen Pallottis Konzeption für eine Utopie; mit dem integralen Schönstatt erachte ich sie aber durchaus für durchführbar.
So war es von Anfang an (seit 1916) meine gläubige Überzeugung. Jahr für Jahr hat sie sich verstärkt. Heute stehe ich mehr denn je auf diesem Boden. Eines steht jedenfalls unverrückbar und unumstößlich fest: soweit Schönstatt in Frage kommt, ist dort seit 1914 nichts, aber auch gar nichts geworden, seit 1916 auch nichts zur Verwirklichung von Pallottis Gesamtkonzeption, ohne lebendigste Fühlung mit dem Liebesbündnis; und alles, was nach beiden Richtungen geworden, trägt ganz ausgeprägt den Stempel dieser vollendeten Abhängigkeit. Gilt sonst das Gesetz: omne regnum ibidem mediis continetur, quibus conditum est (194), warum sollte es hier anders sein? Wer und was kann uns hindern, daraus den Schluss zu ziehen: es ist nicht Verstiegenheit und Verirrung des Geistes oder Verhärtung des Herzens, wenn man gläubig davon überzeugt ist, dass es eine göttliche Planung ist, die beide Partner wesenhaft aufeinander hingeordnet hat, oder dass beide in den göttlichen Gedanken zu einer unzertrennlichen Zweieinheit miteinander verbunden existieren. Wer mit uns auf dem Boden des allgemeinen Bau‑ und Richtungsgesetzes steht: Ordo essendi est ordo agendi, dem fällt es nicht schwer, unmittelbar die Folgerung zu ziehen: was Gott so eng miteinander verbunden hat, das darf der Mensch nicht frevelhaft voneinander trennen oder auseinanderreißen.


Schönstatt-Lexikon ONLINE: Weltapostolatsverband – Pallotti und Schönstatt
(187) Brief an Josef Fischer, 22.5.1916: „Mir schwebt eine Organisation vor – ähnlich wie unser ehrwürdiger Stifter die ganze Welt einteilen wollte – die unserer studierenden Jugend einen Ersatz für die verbotenen Kongregationen bieten könnte, ein Bollwerk und Gegengewicht gegen die monistische Jugendbewegung. Träume! Freilich! Und sollten sie einmal Wirklichkeit werden, dann gehört ein Menschenalter zu ihrer klugen, zielbewussten und organisatorisch vollendeten Durchführung.” (Siehe Text 14)
(188) Im gleichen Brief (S. 8): „Leitende Idee war und ist der neue Mensch in der neuen Gemeinschaft mit universellem apostolischen Gepräge. Die treibende Kraft ist ein einfältiger hochgradiger Vorsehungsglaube als Wirkung der Gaben des Heiligen Geistes.” Ausgeführt in „Schlüssel zum Verständnis Schönstatts“ (TzVSch 148-184).
(189) Im „Brief des Hochwürdigsten Herrn Pater General Wilhelm Möhler“ vom 6. September 1956, in welchem er sich auf einen „Brief der Höchsten Hl. Kongregation des Hl. Offiziums vom 7. Juli 1956“ bezieht, heißt es u.a.: „… ‘dass das Schönstattwerk … nichts anderes ist als eine besondere Apostolatsform der vom seligen Vinzenz Pallotti gegründeten Pallottinerfamilie’ …Durch diese Feststellung wird, unter Berufung auf das Generalstatut, das Schönstattwerk auf Pallotti und seine Gründung zurückgeführt… Es ist also nicht richtig, zwei Titel, Pallotti und Schönstatt, anzunehmen oder das Werk auf zwei Achsen aufruhen zu lassen. Ausdrücklich wird eine bipolare Auffassung abgelehnt: ‘Es handelt sich nur um das vom seligen Vinzenz gegründete Werk’ … Diese (Apostolatsform, Schönstatt) ist nicht eine ebenbürtige und gleichwertige mit Pallotti, sondern ihm einzuordnen.”
Dieser Brief vom 7. Juli war maßgeblicher Auslöser für die Entscheidung P. Kentenichs, sich von den Pallottinern zu trennen und eine neue Pars centralis et motrix zu gründen.
(190) Kinder sind und bleiben Kinder; Kinder beschäftigen sich mit Kindereien.
(191) Herr Pater, d.h. P. Kentenich, der hier in der 3. Person schreibt.
(192) Gemeint sind die bis dahin unveränderten Richtlinien, die anlässlich der Gründung des Apostolischen Bundes 1919 aufgestellt wurden.
(193) Schönstatt in sich und Schönstatt in anderen.
(194) Jedes Reich wird mit den Mitteln erhalten, mit denen es gegründet ist.